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  • 08.01.2010

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 28.05.2009 – 11 K 1990/05 E

    1.) Zahlungen des öffentlichen Arbeitgebers an eine umlagefinanzierte Zusatzversorgungseinrichtung, die nicht zur Finanzierung der Versorgungsanwartschaft von Arbeitnehmern verwendet wird, stellen keinen lohnsteuerpflichtigen Arbeitslohn dar.

    2.) Zahlungen, die zur Finanzierung der Versorgungsanwartschaft von Arbeitnehmern verwendet werden, sind in den Grenzen des § 3 Nr. 63 EStG steuerfrei.


    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In dem Rechtsstreit

    hat der 11. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … ehrenamtlicher Richter … ehrenamtliche Richterin … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 28.05.2009 für Recht erkannt:

    Tatbestand:

    Streitig ist, inwieweit Beiträge an eine Zusatzversorgungskasse lohnsteuerpflichtig sind.

    Die Klägerin (Klin.) ist seit dem 01.11.2001 bei der Stadtwerke C. GmbH beschäftigt und erzielt hieraus Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. In den Einkommensteuer-(ESt-)Erklärungen 2002 und 2003 erklärte die Klin. Bruttoarbeitslöhne i.H.v. lediglich 77.234,00 EUR (2002) bzw. 77.265,00 EUR (2003), obwohl auf den Lohnsteuerkarten Bruttoarbeitslöhne i.H.v. 80.140,63 EUR (2002) bzw. 80.197,75 EUR (2003) bescheinigt waren. Wie sie die gekürzten Beträge berechnet hat, hat die Klin. auf einer der jeweiligen Steuererklärung beigefügten Anlage detailliert dargelegt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Anlagen zur Anlage N 2002 bzw. 2003 Bezug genommen (Bl. 45, 46 der Gerichtsakte).

    Der Beklagte (Bekl.) setzte die ESt 2002 mit Bescheid vom 06.10.2003 und die ESt 2003 mit Bescheid vom 03.11.2004 fest und legte hierbei jeweils den in der Lohnsteuerkarte ausgewiesenen Bruttoarbeitslohn zugrunde.

    Die Klin. hat gegen diese Bescheide nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage erhoben (Einspruchsentscheidung vom 22.04.2005). Sie hält daran fest, dass der auf der Lohnsteuerkarte ausgewiesene Bruttoarbeitslohn nicht in vollem Umfang steuerpflichtig sei.

    Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

    Die Arbeitgeberin der Klin., die Stadtwerke C. GmbH, ist Mitglied der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL). Die VBL arbeitete ursprünglich nach einem umlagefinanzierten System, d.h. die aktuellen Versorgungslasten wurden durch Umlagen der beteiligten Arbeitgeber finanziert. Kraft tarifvertraglicher Vereinbarung vom 13.11.2001 wurde dieses System geschlossen und ab dem 01.01.2002 durch ein versicherungsmathematisches Punktemodell nach dem Kapitaldeckungsprinzip ersetzt. Die Leistungen aus dem Punktemodell ab dem 01.01.2002 werden so bemessen, als ob eine Gesamtbeitragsleistung von 4 % des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts (2,59 % Arbeitgeberanteil, 1,41 % Arbeitnehmeranteil) in ein kapitalgedecktes System eingezahlt worden sei. Für die Zeit vor 2002 wurden die bereits erworbenen Leistungsansprüche auf den Stand zum 31.12.2001 festgeschrieben.

    In den Streitjahren 2002 und 2003 entrichteten die Arbeitgeber und Arbeitnehmer Beiträge an die VBL von insgesamt 9,71 % des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts. Hiervon sind 1,85 % vom Arbeitgeber aufgebrachte Sanierungsgelder und die restlichen 7,86 % sind Umlagen, von denen der Arbeitgeber 6,45 % und der Arbeitnehmer 1,41 % aufbringt. Während die 1,85 % Sanierungsgeld in Übereinstimmung mit dem BMF-Schreiben vom 08.03.2002 (ZB4-P2174-33/02 Betriebliche Altersversorgung 6/2002 S. 567) steuerfrei belassen wurden, wurden die 6,45 % Arbeitgeberanteil von der Stadtwerke C. GmbH voll der Lohnsteuer unterworfen.

    Grafisch stellt sich dies wie folgt dar:

    Die Klin. ist der Auffassung, dass von dem oben genannten 6,45 % Arbeitgeberanteil maximal 2,59 % steuerpflichtig seien. Der Wert von 2,59 % ist die Differenz zwischen dem Arbeitnehmeranteil (1,41 %) und dem Leistungsanspruch des Arbeitnehmers aus dem kapitalgedeckten System (4 %). Bzgl. des 2,59 % übersteigenden Arbeitgeberanteils erlange sie – die Klin. – keinen Vorteil mit der Folge, dass es sich hierbei auch nicht um Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit i.S.d. § 19 EStG handele. § 2 Abs. 2 Nr. 3 EStDV, der hier allein einschlägig sein könne, setze einen geldwerten Vorteil auf Seiten des Arbeitnehmers, einen Zufluss dieses Vorteils auf Seiten des Arbeitnehmers und die Eigenschaft dieses Vorteils als Gegenleistung für die zur Verfügungstellung der Arbeitskraft des Arbeitnehmers voraus. In Höhe von 3,86 % (Differenz zwischen 6,45 % und 2,59 %) fließe ihr –der Klin. – jedoch weder ein geldwerter Vorteil zu noch würden die 3,86 % eine Gegenleistung der Stadtwerke C. GmbH für die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft der Klin. darstellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Verweis auf BFH-Urteil vom 16.04.1999, VI R 60/96, HFR 1999, 716) werde für die Annahme von Arbeitslohn gefordert, dass sich der Vorgang wirtschaftlich so darstelle, als ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Mittel zur Verfügung stelle und dieser sie zum Erwerb der Zukunftssicherung verwende. Gerade dies treffe im Rahmen des kapitalgedeckten Systems jedoch nicht auf die gesamte vom Arbeitgeber zu entrichtende Umlage von 6,45 % zu. Denn zum Aufbau der Altersvorsorge der Klin. aus dem kapitalgedeckten System würden – zusätzlich zu den 1,41 % Arbeitnehmeranteil – nur 2,59 % Arbeitgeberanteil verwendet. Die darüber hinaus von dem Arbeitgeber entrichteten Beiträge würden für die Berechnung der ab dem 01.01.2002 erworbenen Versorgungsansprüche keine Rolle spielen und letztlich allein zur Finanzierung des alten umlagefinanzierten Systems verwendet. Auch insoweit erlange die Klin. keinen geldwerten Vorteil, da die von ihr aus dem alten System erlangten Versorgungsansprüche auf den Stand 31.12.2001 festgeschrieben seien und durch die von ihrem Arbeitgeber in den Jahren 2002 und 2003 erbrachten Umlagen weder dem Grunde noch der Höhe nach betroffen würden.

    Die von der Finanzverwaltung vorgenommene Unterscheidung zwischen Sanierungsgeldern (nicht lohnsteuerbar) und sonstigen nicht für die Finanzierung von Anwartschaften nach dem kapitalgedeckten System verwendeten Umlagen (lohnsteuerpflichtig, hier: die oben genannten 3,86 %) sei nicht zu rechtfertigen. Der Übergang von dem bisherigen umlagefinanzierten Gesamtversorgungssystem zum kapitalgedeckten System habe bei der VBL zu einer Deckungslücke geführt, denn Kennzeichen des Umlageverfahrens sei es, dass damit nicht die individuellen künftigen Ansprüche finanziert, sondern die gegenwärtigen Versorgungslasten abgedeckt würden. Die Umlagen seien somit das Instrument, dass die Kassen in die Lage versetze, die früher gegebenen Versorgungszusagen der Arbeitgeber heute einzulösen. Erfolge ein Systemwechsel vom herkömmlichen umlagefinanzierten System zu einem kapitalgedeckten System, so entstehe eine Deckungslücke, da das Umlageverfahren nicht vollständig auf die Finanzierung eines Deckungskapitals ausgerichtet sei, das alle bis zum Zeitpunkt der Systemumstellung erworbenen Versorgungsansprüche und Anwartschaften abdecken könne. Ausgleichszahlungen des Arbeitgebers an die Zusatzversorgungskasse zur Schließung einer derartigen Deckungslücke (egal ob Sanierungsgelder oder Umlagen, die nicht in das kapitalgedeckte System eingezahlt werden) seien, sofern nicht ausnahmsweise für den Deckungsabschnitt eine zu gering bemessene Umlagezahlung nachgeholt werde, kein Arbeitslohn. Denn mit diesen Zahlungen fließe dem Arbeitnehmer kein geldwerter Vorteil zu. Er stehe nach der Ausgleichszahlung nicht besser da als vor der Ausgleichszahlung.

    Hinsichtlich des Sanierungsgeldes gehe die Finanzverwaltung mit dem oben genannten BMF-Schreiben vom 08.03.2002 selbst nicht von einem Zufluss beim Arbeitnehmer aus. Zwischen diesem Sanierungsgeld und den o.g. 3,86 % gebe es im Hinblick auf die Frage, ob dem Arbeitnehmer ein geldwerter Vorteil aufgrund des Arbeitsverhältnisses zufließe, keinen Unterschied, da beide zur Schließung der oben genannten Deckungslücke verwendet würden. Folglich sei die Zahlung der o.g. 3,86 % ebenso wie die Zahlung des o.g. Sanierungsgeldes keine Gegenleistung für die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft des Arbeitnehmers, sondern allein in der Systemumstellung auf das kapitalgedeckte System begründet, denn für die nach dem 01.01.2002 eingetretenen Arbeitnehmer müsse der Arbeitgeber lediglich 2,59 % Arbeitgeberbeiträge entrichten.

    Die Systemumstellung stehe in keinem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis des einzelnen Arbeitnehmers. Nach der Rechtsprechung des BFH erweise sich eine Leistung des Arbeitgebers, selbst wenn sie dem Arbeitnehmer zu Gute komme, dann nicht mehr als Gegenleistung für das zur Verfügung stellen der Arbeitskraft, wenn der Arbeitgeber zu ihr aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sei, mit denen der Gesetzgeber sozialpolitische Zwecke auf eine Weise verfolge, die den Arbeitgeber letztlich als Erfüllungsgehilfen des Staates bei den von diesem mit eigenen Mitteln geförderten Zielen erscheinen lasse (BFH-Urteil vom 30.05.2001, VI R 159/99, BStBl II 2001, 815; FG Köln, Urteil vom 03.06.2004 – 15 K 802/03). Dem stehe es gleich, wenn der Arbeitgeber – wie hier – das sozialpolitische Ziel, vom Generationenvertrag Abschied zu nehmen, aufgrund geänderter gesetzlicher Rahmenbedingungen verfolge. Dies sei hier die Absenkung der staatlichen Rentenversorgung und die Einführung eines gesetzlichen Rechtsanspruchs auf betriebliche Altersversorgung aus Entgeltumwandlung im Umfang von bis zu 4 % der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. § 1 a Abs. 1 BetrAVG). Die sozialpolitischen Ziele, vom Generationenvertrag Abschied zu nehmen, stünden – wie im oben zitierten Fall des Urteils des FG Köln vom 03.06.2004 – derart im Vordergrund, dass Zahlungen zur Schließung der Deckungslücke sich nicht mehr als Gegenleistung für das zur Verfügung stellen der Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweisen würden. Auch unter diesem Gesichtspunkt gebe es für die von der Finanzverwaltung vorgenommene Differenzierung zwischen dem o.g. nicht lohnsteuerbaren Sanierungsgeld und den o.g. 3,86 % keinen sachlichen Grund.

    Bei den 3,86 % handele es sich auch nicht um nachträgliche Umlagen. Solche würden nur dann vorliegen, wenn die Defizite bei der VBL auf – bis zur Schließung des Umlageverfahrens – zu niedrig bemessenen Umlagezahlungen beruhen würden, welche den versicherungsmathematischen Wert der erworbenen Versorgungsanwartschaften nicht abdecken würden. Die Fehlbestände bei der VBL seien jedoch nicht auf einen solchen „internen” Faktor zurückzuführen. Vielmehr handele es sich hier um Deckungslücken, die trotz versicherungsmathematisch ordnungsgemäß ausfinanzierter Versorgungsanwartschaften aufgetreten seien. Die Schließung eines Umlagesystems führe immer zu Fehlbeträgen, da ab dem Zeitpunkt der Schließung keine Aktiven-Generation mehr vorhanden sei, aus deren Beiträgen die Auszahlungen an die Rentner vorgenommen werden könnten.

    Die im alten System erworbenen Anwartschaften würden auf der Grundlage des § 18 Abs. 2 BetrAVG errechnet. Stichtag für die Berechnung der sog. Altanwartschaften sei der 31.12.2001. Dieser Betrag werde in Versorgungspunkte umgerechnet und in das neue System eingestellt. Für Arbeitnehmer, die bereits in Rente seien, würden die Höhe der laufenden Renten und etwaige Ausgleichsbeträge nach altem Recht zum 31.12.2001 festgestellt und in ihrer Höhe unverändert als Besitzstandsrente weitergezahlt. Weitere Einzelheiten zur Tarifumstellung ergeben sich aus dem Rundschreiben des Bundesministeriums des Inneren vom 10.12.2001 – D II 2 220 771 – 1 / 0 (Bl. 26 ff.), auf das Bezug genommen wird.

    Im Abrechnungsverband West habe die VBL ihre Leistungen über ein modifiziertes Abschnittsdeckungsverfahren (Umlageverfahren) finanziert. Der aktuelle Deckungsabschnitt umfasse die Jahre 2002 bis 2007. Der Umlagesatz sei so bemessen, dass die für die Dauer des Deckungsabschnitts zu entrichtende Umlage zusammen mit den übrigen zu erwartenden Einnahmen und dem verfügbaren Vermögen ausreiche, die Ausgaben während des Deckungsabschnitts sowie der 6 folgenden Monate zu erfüllen. Nach Auskunft der VBL sei auch in den Jahren vor 2002 der Umlagesatz so bemessen worden. Vom 01.01.2002 an betrage der Umlagesatz 7,86 % des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts, wovon die Arbeitgeber einen Anteil von 6,45 % des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts zu tragen hätten. Darüber hinaus erhebe die VBL ab dem 01.01.2002 pauschale Sanierungsgelder zur Deckung eines zusätzlichen Finanzbedarfs, der über die aus dem Umlagesatz von insgesamt 7,86 % erzielten Einnahmen hinausgehe und der zur Finanzierung der vor dem 01.01.2002 begründeten Anwartschaften und Rentenansprüche diene. Sanierungsgelder würden erhoben, solange das Anstaltsvermögen, soweit es dem Abrechnungsverband West zuzurechnen sei, am Ende des Deckungsabschnitts ohne Berücksichtigung von Sanierungsgeldern den versicherungsmathematischen Barwert der zu diesem Zeitpunkt bestehenden und vor dem 01.01.2002 begründeten Anwartschaften und Ansprüche voraussichtlich unterschreite (§ 65 Abs. 1 S. 1 bis 2 der VBL-Satzung, Bl. 65 der Akte). Die Gesamthöhe der Sanierungsgelder werde im Deckungsabschnitt aufgrund der Grundlage eines versicherungsmathematischen Gutachtens von der VBL festgesetzt. Ab dem 01. Januar 2002 entspreche die Gesamthöhe der Sanierungsgelder 2 % der zusatzversorgungspflichtigen Entgelte aller Pflichtversicherten im Jahre 2001 (§ 65 Abs. 2 S. 1 und 2 VBLS). Ändere sich der periodische Bedarf, seien die Sanierungsgelder in dem Umfang anzupassen, wie dies zur Deckung des Mehrbedarfs, der über den Umlagesatz von 7,86 % hinausgehe, erforderlich sei (§ 65 Abs. 2 S. 4 VBLS). Nach Auskunft der VBL würden die Sanierungsgelder aber nicht ausreichen, um die vor dem 01.01.2002 begründeten Anwartschaften und Ansprüche zu finanzieren. Daher werde die oben genannte Umlage, soweit sie über die dem Arbeitnehmer zugesagten 4 % hinausgehe, zur Finanzierung der Renten verwendet.

    Wenn das Gericht die Auffassung vertrete, die Umlagen seien lohnsteuerpflichtiger Vorteil, so seien die Umlagen jedenfalls in den Grenzen des § 3 Nr. 63 EStG lohnsteuerfrei. Die Umlagen an die VBL seien Beiträge an eine Pensionskasse im Sinne dieser Vorschrift. Die von der Finanzverwaltung vertretene Rechtsauffassung, gem. § 3 Nr. 63 EStG seien nur Beiträge begünstigt, die im Kapitaldeckungsverfahren erhoben würden (s. BMF-Schreiben vom 05.08.2002 IV C 4 – S 2222 – 295/02 und IV C 5 – S 2333 – 154/02, BStBl I 2002, 767, Tz. 159), weil der Titel des Altersvermögensgesetzes „Gesetz zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens” laute, treffe nicht zu. Die im Arbeitstitel eines Gesetzes ausgedrückte politische Grobrichtung sei nur bedingt zur Auslegung einzelner Vorschriften geeignet und die Gesetzesbegründung differenziere nicht nach der Art und Weise der Finanzierung der Pensionskasse. Auch gebiete der Wortlaut des § 3 Nr. 63 S. 1 EStG „Beiträge an eine Pensionskasse” keine einschränkende Auslegung. Der Begriff der Pensionskasse im Sinne dieser Vorschrift stimme mit dem Begriff der Pensionskasse i.S.d. § 1 Abs. 3 BetrAVG überein. Sachliche Gründe für eine unterschiedliche Definition bestünden nicht. Die Einordnung der kommunalen Zusatzversorgungskassen als Pensionskassen sei bisher auch von der Finanzverwaltung nicht bestritten worden. Die Begriffsbestimmung einer Pensionskasse differenziere nicht nach der Art und Weise der Finanzierung (Kapitaldeckung oder Umlagen). Mit § 3 Nr. 63 S. 2 EStG habe der Gesetzgeber die Zusatzversorgungskassen des öffentlichen Dienstes, soweit sie noch eine beamtenähnliche Gesamtversorgung gewährleisteten, vom Anwendungsbereich des Satzes 1 ausgenommen. Er sei also davon ausgegangen, dass sie unter § 3 Nr. 63 S. 1 EStG gefallen seien. Nachdem die Zusatzversorgungskassen des öffentlichen Dienstes keine beamtenähnliche Gesamtversorgung mehr gewährleisteten, würden diese Zusatzversorgungskassen nicht mehr unter die Ausnahmevorschrift des Satzes 2 fallen, so dass § 3 Nr. 63 S. 1 EStG einschlägig sei.

    Zwar habe der Gesetzgeber im Jahr 2004 durch Art. 18 Abs. 1 des Alterseinkünftegesetzes (Bundesgesetzblatt 2004, Seite 1427) § 3 Nr. 63 EStG „klarstellend” durch Einfügung der Worte „zum Aufbau einer kapitalgedeckten betrieblichen Altersvorsorgung” neu gefasst. Diese „Klarstellung” sei nach dem zuvor Gesagten jedoch in Wirklichkeit eine Gesetzesänderung. Diese erfolge gem. Art. 18 Abs. 1 des Alterseinkünftegesetzes rückwirkend zum 01.01.2002 und stelle eine echte Rückwirkung dar. Sie greife nachträglich in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände (ESt 2002 und 2003 der Klin.) ein. Eine echte Rückwirkung sei nur unter engen Voraussetzungen zulässig, die im Streitfall nicht vorlägen. Insbesondere habe die Klin. in den Jahren 2002 und 2003 nicht mit einer Herausnahme umlagefinanzierter Pensionskassen aus dem Tatbestand des § 3 Nr. 63 EStG rechnen müssen.

    Wenn man aber die oben genannte Rückwirkung gleichwohl für zulässig halte, dann verstoße die dann maßgebende Fassung des § 3 Nr. 63 EStG in der Fassung des Alterseinkünftegesetzes gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Denn die Vorschrift benachteilige die in umlagefinanzierten Pensionskassen versicherten Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitnehmern, die in den im Kapitaldeckungsverfahren finanzierten Pensionskassen versichert seien. Erstere würden vorgelagert und damit regelmäßig höher besteuert als letztere. Letztere hätten nur die Versorgungsbezüge im Alter – zu regelmäßig niedrigeren Steuersätzen – zu versteuern. Für die Ungleichbehandlung gebe es keine sachlichen Rechtfertigungsgründe. Unter dem Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit des einzelnen Arbeitnehmers sei die Finanzierungsart der Kasse unerheblich. Aber auch unter Lenkungsgesichtspunkten, etwa im Hinblick auf Anreize zur Altersversorgung oder im Hinblick auf die Sicherheit der Altersversorgung, könne die Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt werden. Sowohl Umlagefinanzierung wie Kapitaldeckung hätten ihre Vor- und Nachteile und ihre Risiken. Während die Kapitaldeckung sich in die Abhängigkeit vom Kapitalmarkt begebe, streue die Umlagefinanzierung die Abhängigkeit, in dem sie teilweise auf einen funktionierenden Generationswechsel aufbaue. Dies erhöhe aber eher den Grad der Flexibilität. Der Ausschluss der umlagefinanzierten Zusatzversorgung von der Steuerbefreiung des § 3 Nr. 63 EStG n.F. könne somit nicht unter dem Gesichtspunkt der Zurückdrängung einer unsicheren Altersversorgung gerechtfertigt werden. Andere sachliche Gründe seien nicht ersichtlich, so dass die steuerliche Ungleichbehandlung gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße.

    Dass für die Klin. bei der VBL ein personenbezogenes Versorgungskonto geführt werde, sei für die Frage, ob es sich bei den Umlagen um steuerpflichtigen Arbeitslohn handele, unerheblich. Auch in der gesetzlichen Rentenversicherung würden Versorgungskonten geführt (§ 149 SGB VI), ohne dass deswegen die Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung als Arbeitslohn einzuordnen wären (vgl. BFH-Urteil vom 06.06.2002 – VI R 178/97, BStBl II 2003, 34). Im Übrigen lasse sich auch trotz Versorgungskontos nicht nachvollziehen, welche der späteren Versicherungsleistungen auf den für den Arbeitnehmer entrichteten Beiträgen beruhen würden. Dann – und nur dann – stelle sich die Beitragsentrichtung wirtschaftlich als Zahlung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer und als Zahlung des Arbeitnehmers an die Pensionskasse dar.

    Ausgehend von der Annahme, dass die Klin. wie im Einspruchsverfahren beantrage, bei der ESt-Steuerfestsetzung einen Bruttoarbeitslohn von 77.234 EUR (2002) bzw. 77.265 EUR (2003) anzusetzen, hat der Senat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 29.09.2008 stattgegeben. Der Teil des Arbeitgeberbeitrags (3,86%), der nicht zur Finanzierung der auf Basis von 4 % berechneten Versorgungsanwartschaft der Klägerin verwendet werde, sei steuerfrei. Ob auch die 2,59 %, die der Arbeitgeber zur Finanzierung der Versorgungsanwartschaft besteuere, steuerfrei seien, bedürfe keiner Entscheidung, da die Steuerfreistellung auch dieses Anteils über das Klagebegehren hinausgehe.

    Die Klin. hat hiergegen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Sie trägt vor, dass der Senat den Klageantrag zu eng verstanden habe. Tatsächlich sei gewollt, den gesamten Arbeitgeberbeitrag (6,45 %) steuerfrei zu stellen und nicht nur 3,86 %. Es verbleibe dann ein steuerpflichtiger Bruttoarbeitslohn von 76.577,33 EUR (2002) bzw. 76.636,12 EUR (2003). Hinsichtlich der Berechnung wird auf die Schriftsätze vom 03.11.2008 (Bl. 311 ff d.A.) und vom 29.01.2009 (Bl. 334 ff. d.A.) verwiesen.

    Die Klin. beantragt,

    den Einkommensteuerbescheid 2002 vom 06.10.2003 und den Einkommensteuerbescheid 2003 vom 03.11.2004, beide in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.04.2005, dahingehend zu ändern, dass bei der Steuerfestsetzung ein Bruttoarbeitslohn von 76.577,33 EUR (2002) bzw. 76.636,12 EUR (2003) angesetzt wird,

    hilfsweise, im Falle des Unterliegens, die Revision zuzulassen.

    Der Bekl. beantragt,

    die Klage abzuweisen,

    hilfsweise die Revision zuzulassen.

    Er hält daran fest, dass nur die 1,85 % Sanierungsgeld steuerfrei seien.

    Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Steuerakte Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe:

    Die Klage ist zulässig und begründet.

    Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klin. in ihren Rechten. Denn der bei der Einkommensteuerberechnung berücksichtigte Bruttoarbeitslohn ist zu hoch.

    1. Hinsichtlich des Arbeitgeberbeitrages von 3,86 %, der nicht zur Finanzierung der auf Basis von 4 % berechneten Versorgungsanwartschaft der Klägerin verwendet wird, fehlt es an einem Zufluss bei der Klägerin.

    Das Niedersächsische Finanzgericht hatte mit Urteil vom 11.01.2007 – 11 K 307/06 (Revision anhängig unter VI R 8/07) über einen vergleichbaren Fall zu entscheiden. In dem dortigen Verfahren ging es ebenfalls um die Frage, inwieweit Zahlungen an eine Zusatzversorgungskasse nach Übergang vom rein umlagefinanzierten zum kapitalgedeckten System lohnsteuerpflichtig sind, wenn die dem Arbeitnehmer zustehenden Versorgungsansprüche nach einem Punktemodell ausgehend von einer Beitragsleistung von nur 4 % des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts berechnet werden, der tatsächlich zu entrichtende Beitrag jedoch 7,86 % des Entgelts beträgt (davon Arbeitnehmer 1,41 %, Arbeitgeber 6,45 %).

    Das Niedersächsische Finanzgericht entschied, dass der Arbeitgeberbeitrag von 6,45 % kein Arbeitslohn i.S.d. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG sei, weil er dem Arbeitnehmer nicht zufließe. Die Zahlung des Arbeitgebers an die Zusatzversorgungskasse könne insbesondere nicht als Zahlung im abgekürzten Zahlungsweg angesehen werden, da dies voraussetze, dass bei wirtschaftlicher Betrachtung des Vorgangs der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Mittel zur Verfügung stelle und der Arbeitnehmer sie zum Zwecke der Zukunftssicherung verwende. Im Streitfall würde eine derartige Annahme dazu führen, dass dem Arbeitnehmer unterstellt würde, gegen seine wirtschaftlichen Interessen zu handeln. Es sei eine lebensfremde Fiktion, dass ein Arbeitnehmer 7,86 % seines Arbeitslohns aufwende, um ein Anwartschaftsrecht auf Versorgungsleistungen zu erwerben, die danach bemessen seien, als ob er lediglich 4 % seines Arbeitslohns eingezahlt habe. Zudem fehle es am Veranlassungszusammenhang zwischen dem Dienstverhältnis und der Umlagezahlung. Diese erfolge vielmehr im eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers an der Finanzierung der von ihm zugesagten Versorgungsansprüche. Werde der Finanzbedarf für ein Altersversorgungssystem in einem Umlageverfahren erhoben, seien zwar Schwankungen der Höhe der Umlagen und der Renditen der Versorgungsempfänger systemimmanent. Im Streitfall bestehe jedoch ein so großer Unterschied zwischen Umlagesatz und Leistungszusage, dass sich die Annahme, der Arbeitgeber entrichte die Umlage an die Zusatzversorgungskasse im abgekürzten Zahlungsweg im Interesse für und auf Rechnung der Beschäftigten, verbiete.

    Hinsichtlich des Teils des Arbeitgeberanteils, der nicht zur Finanzierung der auf Basis von 4 % berechneten Versorgungsanwartschaft des Arbeitnehmers verwendet wird, schließt sich der Senat der Auffassung des Niedersächsischen Finanzgerichts an und sieht diesen Anteil (hier: 3,86 %) mangels Zuflusses als steuerfrei an. Bezüglich der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Begründung des Urteils des Niedersächsischen FG vom 11.01.2007 (11 K 307/06, EFG 2007, 1073) verwiesen.

    2. Hinsichtlich der weiteren 2,59 % Arbeitgeberanteil, die zusammen mit dem Arbeitnehmeranteil von 1,41 % dazu verwendet werden, die auf Basis von 4 % berechnete Versorgungsanwartschaft der Klägerin zu finanzieren, bejaht der Senat dagegen den Zufluss. Diese Zahlung kann als Zahlung im abgekürzten Zahlungsweg angesehen werden, da es aus Sicht des Arbeitnehmers durchaus Sinn macht, 4 % seines Entgelts an die VBL zu zahlen, wenn er im Umkehrzug – wie hier – auf der Basis von 4% basierende Versorgungsanwartschaften erwirbt. Ob der Arbeitgeber der Klägerin die 2,59 % zunächst zur Verfügung stellt und diese sie dann zum Zwecke der Zukunftssicherung an die VBL verwendet oder ob der Arbeitgeber die 2,59 % unmittelbar an die VBL zahlt, macht bei wirtschaftlicher Betrachtung keinen wesentlichen Unterschied. Auch fehlt es hinsichtlich der 2,59 % nicht am Veranlassungszusammenhang zwischen dem Dienstverhältnis und der Umlagezahlung. Denn schließlich fließen diese nicht mehr in das alte umlagefinanzierte System, sondern in das neue kapitalgedeckte System. Die 2,59 % werden nicht dazu verwendet, die aktuellen Pensionsansprüche anderer Beschäftigter im Umlageverfahren zu finanzieren, sondern um für die Klägerin eine Versorgungsanwartschaft auf Basis von 4 % aufbauen zu können.

    Der 2,59 % Arbeitgeberanteil ist jedoch nach § 3 Nr. 63 EStG steuerfrei.

    Nach § 3 Nr. 63 EStG in seiner mit Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen (Alterseinkünftegesetz – AltEinkG) vom 05.07.2004 rückwirkend zum 01.01.2002 geltenden Fassung sind Beiträge des Arbeitgebers aus dem ersten Dienstverhältnis an eine Pensionskasse oder einen Pensionsfonds zum Aufbau einer kapitalgedeckten betrieblichen Altersversorgung steuerfrei, soweit sie insgesamt im Kalenderjahr 4 vom Hundert der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten nicht übersteigen.

    Der Senat sieht diese Voraussetzungen als erfüllt an. Daran, dass die 2,59 % Arbeitgeberanteil an die VBL gezahlt wurden, um dort eine kapitalgedeckte betriebliche Altersversorgung für die Klägerin aufzubauen, besteht kein Zweifel. Die VBL hatte ihr bisheriges umlagefinanziertes System zum 01.01.2002 durch ein versicherungsmathematisches Punktemodell nach dem Kapitaldeckungssystem ersetzt und die streitigen 2,59 % Arbeitgeberanteil sind – anders als die darüber hinausgehenden 3,86 % Arbeitgeberanteil, die zur Finanzierung der aktuellen, noch aus der Zeit des Umlageverfahrens stammenden Pensionsansprüche anderer Arbeitnehmer verwendet wurden – allein zwecks Finanzierung der der Klägerin nach dem neuen System zustehenden Versorgungsanwartschaft erhoben worden.

    Ob bei der VBL eine getrennte Verwaltung und Abrechnung beider Vermögensmassen erfolgt – so gefordert vom BMF im Erlass vom 17.11.2004 – IV C 4 – S 2222-177/04, IV C 5-S 2333-269/04 (BStBl I 2004, 1065) zu § 3 Nr. 63 EStG –, hält der Senat für unerheblich. Die Einschränkung, im Falle einer Kombination von Umlage- und Kapitaldeckungsverfahren nur diejenigen Beiträge steuerfrei zu stellen, die im Kapitaldeckungsverfahren erhoben werden (getrennte Verwaltung und Abrechnung beider Vermögensmassen; Trennungsprinzip), deckt sich zwar mit den Ausführungen der Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf vom 03.12.2003 zum AltEinkG. Ein etwaiger Wille des Gesetzgebers, die Steuerfreiheit der für den Aufbau einer kapitalgedeckten Altersversorgung gezahlten Beträge von der Art und Weise der Buchführung der Pensionskasse abhängig zu machen, hat in dem Gesetzeswortlaut jedoch keinen Eingang gefunden. Für den Bürger ist nicht erkennbar, dass die Steuerfreiheit der für ihn geleisteten Beiträge von der Art der Buchführung der Pensionskasse abhängen soll. Auch bleibt der Sinn und Zweck einer derartigen Regelung verborgen, da es letztlich nur allein entscheidend sein kann, dass der Arbeitnehmer für seine Beiträge bestimmte, nach Maßgabe des Kapitaldeckungssystems berechnete Versorgungsansprüche erwirbt. Deren Höhe wird jedoch dadurch, dass neben den zur Finanzierung dieser Versorgungsansprüche erforderlichen Beiträge noch Umlagen zur Finanzierung anderer Dinge erhoben werden, nicht beeinflusst. Erst recht unbeeinflusst bleibt die Höhe der Versorgungsansprüche durch die Art und Weise der Verbuchung sonstiger Umlagen.

    Da der 2,59 % Arbeitgeberanteil die Voraussetzungen des § 3 Nr. 63 EStG sowohl in der ursprünglichen als auch in der mit dem AltEinkG nachträglich geänderten Gesetzesfassung erfüllt, ist die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob eine unzulässige echte Rückwirkung vorliegt, nicht entscheidungserheblich.

    3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO und die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

    Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO).

    Der Beschluss über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren beruht auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.

    VorschriftenEStG § 19 Abs 1 S 1, EStG § 3 Nr 63