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  • 08.01.2010

    Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 26.11.2008 – 4 K 4895/07 AO

    - Bei dem Widerruf einer Lohnsteuer-Anrufungsauskunft handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt, weil auch die Anrufungsauskunft selbst lediglich eine Wissenserklärung darstellt, die von der Finanzbehörde jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden kann.


    - Ein solcher Widerruf kann daher nicht zulässigerweise durch Einspruch oder Anfechtungsklage, sondern nur mit einer Feststellungsklage angegriffen werden.


    - Zu Unrecht der Lohnsteuer unterworfene Nachteilsausgleichszahlungen bei Wechsel der Zusatzversorgungskasse können nicht in späteren Veranlagungszeiträumen durch den Ansatz negativer Einnahmen ausgeglichen werden.


    Tatbestand

    Die Klägerin war bis zum 31. Dezember 2000 Mitglied der Zusatzversorgungskasse der Stadt X (ZVK). Mit der Mitgliedschaft verfolgte sie den Zweck, ihren Arbeitnehmern, die einen tarifvertraglichen Anspruch auf eine zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung hatten, einen zusätzlichen Versorgungsanspruch zu verschaffen. Auf Grund einer am 10. Januar 2001 zwischen der ZVK und der Y-Zusatzversorgungskasse Z (Y-ZVK) abgeschlossenen Vereinbarung übernahm diese das Vermögen der ZVK. Die bisherigen Mitglieder der ZVK wurden mit Wirkung ab dem 1. Januar 2001 Mitglieder der Y-ZVK und hatten zum Ausgleich der mit der Übernahme für die YZVK verbundenen Nachteile eine Ausgleichszahlung zu leisten. Mit der Klägerin wurde ein von ihr ab dem Jahr 2001 in 15 Raten zu zahlender Ausgleichsbetrag von 49.000.000 DM vereinbart. Die Klägerin behandelte die Zahlungen des Nachteilsausgleichs als geldwerten Vorteil ihrer Arbeitnehmer und erhob hierauf Lohnsteuer nach dem Pauschalsteuersatz des § 40b des Einkommensteuergesetzes (EStG). Soweit der Höchstbetrag für eine Pauschalierung der Lohnsteuer überschritten wurde, erhob sie die Lohnsteuer nach einem individuellen Steuersatz.

    Nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 14. September 2005 VI R 148/98 (BFHE 210, 443, BStBl II 2006, 532) entschieden hatte, dass einem Arbeitnehmer kein Arbeitslohn zufließt, wenn dessen Arbeitgeber beim Wechsel zu einer anderen umlagefinanzierten Zusatzversorgungskasse Sonderzahlungen leistet, beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 6. Dezember 2005 beim beklagten Finanzamt, ihr eine Anrufungsauskunft über die lohnsteuerrechtliche Behandlung der Rückabwicklung der Versteuerung der Nachteilsausgleichszahlungen zu erteilen. Sie bat um Bestätigung, dass die Nachteilsausgleichszahlungen künftig nicht mehr der Lohnsteuer zu unterwerfen seien. Ferner teilte sie unter Nr. 3 ihres Schreibens ihre Absicht mit, die Versteuerung der Nachteilsausgleichszahlungen im laufenden Kalenderjahr dergestalt rückgängig zu machen, dass die zu stornierenden Beträge als negative Einnahmen vom Arbeitslohn abgesetzt würden. Die in den Veranlagungszeiträumen 2002 bis 2004 zu Unrecht der Lohnsteuer unterworfenen Beträge sollten in den Veranlagungszeiträumen 2005 und 2006 als negative Einnahmen behandelt werden. Den nicht mehr bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern werde sie auf Wunsch eine Bescheinigung über die zu Unrecht versteuerten Nachteilsausgleichszahlungen ausstellen. Der Erstattungsanspruch, der für die in den Jahren 2002 bis 2005 fälschlicherweise pauschal versteuerten Nachteilsausgleichszahlungen entstanden sei, solle im kommenden Abrechnungszeitraum mit entsprechenden Zahlungen verrechnet werden.

    Das beklagte Finanzamt erteilte der Klägerin mit Schreiben vom 29. Juni 2006 eine Anrufungsauskunft, mit der es bestätigte, dass die bis zum 31. Dezember 2005 von der Klägerin erbrachten Nachteilsausgleichszahlungen nicht der Lohnsteuer unterliegen würden. Des Weiteren stimmte das beklagte Finanzamt der von der Klägerin geplanten und unter Nr. 3 ihres Schreibens vom 6. Dezember 2006 dargestellten Vorgehensweise „grundsätzlich” zu.

    Mit Schreiben vom 20. September 2006 widerrief das beklagte Finanzamt seine Zustimmung zu der von der Klägerin geplanten und unter Nr. 3 ihres Schreibens vom 6. Dezember 2006 mitgeteilten Vorgehensweise. Es lägen keine negative Einnahmen i.S. des § 11 Abs. 2 EStG vor, weil die bisher versteuerten Nachteilsausgleichszahlungen nicht zurückgezahlt würden. Die Zahlungen an die Y-ZVK würden auf Grund des BFH-Urteils in BFHE 210, 443, BStBl II 2006, 532 lediglich nicht mehr als steuerpflichtiger Arbeitslohn behandelt. Eine Erstattung der für die Zahlungen bis zum Veranlagungszeitraum 2005 entrichteten Lohnsteuerbeträge komme nur dann in Betracht, wenn die Lohnsteueranmeldungen nach den Vorschriften der Abgabenordnung (AO) noch geändert werden könnten.

    Den hiergegen von der Klägerin eingelegten Einspruch verwarf das beklagte Finanzamt mit Entscheidung vom 26. November 2007 als unzulässig und führte aus: Ein Einspruch gegen den Widerruf der Anrufungsauskunft sei unzulässig, weil es sich bei dieser Auskunft nicht um einen Verwaltungsakt handele.

    Die Klägerin trägt mit ihrer Klage vor: Die Anrufungsauskunft sei ein feststellender Verwaltungsakt mit Drittwirkung, so dass der Widerruf gleichfalls ein Verwaltungsakt sei. Die Voraussetzungen der §§ 130 Abs. 2, 131 Abs. 2 AO lägen nicht vor. Das beklagte Finanzamt habe sie vor dem Erlass des Widerrufs nicht angehört. Sie habe zumindest ein berechtigtes Interesse daran, dass die Rechtswidrigkeit des Widerrufs der Anrufungsauskunft festgestellt werde. Bei der Ausübung des Ermessens sei zu berücksichtigen gewesen, dass in der Anrufungsauskunft zu Recht von negativen Einnahmen ausgegangen worden sei. Mit der in der Auskunft geregelten Verfahrensweise sei nur die Rechtmäßigkeit der Besteuerung wiederhergestellt worden, weil in der Vergangenheit auf die Nachteilsausgleichszahlungen zu Unrecht Lohnsteuer erhoben worden sei. Die Besteuerung der Nachteilsausgleichszahlungen habe auf einer Fiktion beruht. Daher sei es unerheblich, wenn bei der als negative Einnahmen behandelten Rückgängigmachung tatsächlich kein Abfluss festgestellt werden könne.

    Die Klägerin beantragt,

    1. den Widerruf vom 20. September 2006 in der Gestalt der

    Einspruchsentscheidung vom 26. November 2007 aufzuheben;

    2. hilfsweise festzustellen, dass der Widerruf der Anrufungsauskunft vom 29.

    Juni 2006 rechtswidrig ist.

    Das beklagte Finanzamt beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Zur Begründung trägt es vor: Bei einer Anrufungsauskunft handele es sich nicht um einen mit dem Einspruch anfechtbaren Verwaltungsakt. Im Übrigen sei der Widerruf der Anrufungsauskunft aus den dargelegten Gründen zwingend geboten gewesen.

    Gründe

    Die von der Klägerin in erster Linie erhobene Anfechtungsklage ist unzulässig.

    Nach § 40 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann durch Anfechtungsklage die Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsakts begehrt werden. Bei dem Widerruf vom 20. September 2006 handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt i.S. des § 118 AO, weil auch die Anrufungsauskunft selbst in Ermangelung der Regelung eines Einzelfalls kein Verwaltungsakt ist.

    Nach ständiger Rechtsprechung handelt es sich bei einer Anrufungsauskunft (§ 42e EStG) nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um eine Wissenserklärung, die von der Finanzbehörde jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden kann (BFH-Urteil vom 9. März 1979 VI R 185/76, BFHE 127, 376, BStBl II 1979, 451; Finanzgericht – FG – Düsseldorf, Urteil vom 8. Mai 2003 15 K 1455/00 H (L), EFG 2003, 1105; Niedersächsisches FG, Urteil vom 14. Oktober 2005 11 K 626/02, juris). Anders als die Klägerin meint, ist das BFH-Urteil in BFHE 127, 376, BStBl II 1979, 451 nicht nur zur Reichsabgabenordnung ergangen. Vielmehr hat der BFH seine in dem vorgenannten Urteil vertretene Rechtsauffassung in seinem Urteil vom 9. Oktober 1992 VI R 97/90, (BFHE 169, 202, BStBl II 1993, 166) aufrecht erhalten. Das von der Klägerin genannte BFH-Urteil vom 16. November 2005 VI R 23/02 (BFHE 212, 59, BStBl II 2006, 210) ist unergiebig, weil es sich nur zur Reichweite der aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleiteten Bindungswirkung einer Anrufungsauskunft verhält.

    Der Widerruf vom 20. September 2006 und die Anrufungsauskunft selbst sind vom beklagten Finanzamt auch nicht als Verwaltungsakte erlassen worden. Ob ein

    Verwaltungsakt oder lediglich eine behördliche Mitteilung ohne Regelungscharakter vorliegt, ist in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs danach zu beurteilen, wie der Adressat nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der behördlichen Äußerung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (BFH-Urteil vom 15. November 2005 VII R 55/04, BFHE 212, 297).

    Mit seinem Schreiben vom 20. September 2006 hat das beklagte Finanzamt seine Zustimmung zu der von der Klägerin geplanten und unter Nr. 3 ihres Schreibens vom 6. Dezember 2006 mitgeteilten Vorgehensweise widerrufen. Diese Zustimmung hatte das beklagte Finanzamt in der Anrufungsauskunft lediglich „grundsätzlich” erklärt, ohne mögliche Einschränkungen dieses Grundsatzes näher zu konkretisieren. Es konnte daher für die Klägerin kein Zweifel daran bestehen, dass das beklagte Finanzamt keine verbindliche Regelung getroffen hatte. Überdies ist weder der Anrufungsauskunft noch dem Widerruf eine Rechtsbehelfsbelehrung hinzugefügt worden.

    Das beklagte Finanzamt hat den von der Klägerin eingelegten Einspruch mithin zu Recht gemäß § 358 Satz 2 AO als unzulässig verworfen. Der Einspruch gegen den Widerruf der Anrufungsauskunft war mangels Vorliegens einer Verwaltungsakts nicht statthaft (§ 347 Abs. 1 Satz 1 AO).

    Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag ist zulässig. Nach § 41 Abs. 1 FGO kann durch Klage unter anderem das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses festgestellt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Bei der Frage, ob der Widerruf der Anrufungsauskunft zu Recht erfolgt ist, handelt es sich um ein Rechtsverhältnis. Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der von ihr begehrten Feststellung. Sie wird von dem Widerruf unmittelbar betroffen. Es besteht zudem Streit mit dem beklagten Finanzamt über die Rechtmäßigkeit des Widerrufs.

    Die Feststellungsklage ist jedoch unbegründet. Der Widerruf der Anrufungsauskunft vom 29. Juni 2006 ist rechtmäßig.

    Eine Anrufungsauskunft kann von der Finanzbehörde jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden (BFH-Urteil in BFHE 127, 376, BStBl II 1979, 451). Die §§ 130 Abs. 2, 131 Abs. 2 AO gelten insoweit nicht, weil es sich nicht um die Rücknahme oder den Widerruf eines Verwaltungsakts handelt. Daher bedurfte es nach § 91 Abs. 1 Satz 1 AO auch nicht einer vorherigen Anhörung der Klägerin.

    Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung ist der Widerruf der Anrufungsauskunft nicht deshalb rechtswidrig, weil mit der Auskunft die Rechtmäßigkeit der Besteuerung wiederhergestellt worden ist. Der Widerruf bezieht sich lediglich auf die vom beklagten Finanzamt erklärte Zustimmung zu der von der Klägerin geplanten und unter Nr. 3 ihres Schreibens vom 6. Dezember 2006 mitgeteilten Vorgehensweise. Soweit das beklagte Finanzamt der Klägerin in der Anrufungsauskunft bestätigt hat, dass die bis zum 31. Dezember 2005 von ihr erbrachten Nachteilsausgleichszahlungen nicht der Lohnsteuer unterliegen, hat es seine Auskunft nicht widerrufen. Das beklagte Finanzamt ist bei dem Widerruf der Anrufungsauskunft zudem zu Recht davon ausgegangen, dass keine negativen Einnahmen der Arbeitnehmer der Klägerin i.S. des § 11 Abs. 2 EStG vorliegen. Es ist nicht ersichtlich, dass auf Grund der in den Veranlagungszeiträumen 2002 bis 2004 zu Unrecht der Lohnsteuer unterworfenen Nachteilsausgleichszahlungen in den Veranlagungszeiträumen 2005 und 2006 Ausgaben der Arbeitnehmer der Klägerin i.S. des § 11 Abs. 2 EStG vorliegen. Die Klägerin räumt selbst ein, dass die Annahme von negativen Einnahmen ihrer Arbeitnehmer auf einer Fiktion beruhe. Sie hat vielmehr in der Vergangenheit objektiv unzutreffende Lohnsteueranmeldungen (§ 41a EStG) abgegeben, soweit sie die Nachteilsausgleichszahlungen an die Y-ZVK als Arbeitslohn behandelt hat. Diese Steueranmeldungen, die gemäß § 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen, können nach den §§ 172 ff. AO geändert werden, soweit die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO; BFH-Urteil vom 15. Mai 1992 VI R 183/88, BFHE 168, 505, BStBl II 1993, 829). Im Übrigen wirkt die Anmeldung der Lohnsteuer nur gegenüber dem Arbeitgeber als eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, so dass der Arbeitnehmer die Erstattung der zu Unrecht einbehaltenen Lohnsteuer verlangen kann, soweit die Festsetzung der Einkommensteuer mit Erfolg angefochten wird (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO § 37 Randnr. 38; Drüen in Tipke/Kruse, AO § 37 Randnr. 31).

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO im Hinblick auf das beim BFH anhängige Revisionsverfahren VI R 54/07 zugelassen.

    VorschriftenEStG § 11 Abs. 2, EStG § 42e, AO § 118, AO § 130 Abs. 2, AO § 131 Abs. 2, AO § 347 Abs. 1 Satz 1, FGO § 40 Abs. 1, FGO § 41 Abs. 1