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  • 08.01.2010

    Finanzgericht München: Urteil vom 29.11.2006 – 1 K 1078/05

    Vergessene Krankheitskosten sind neue Tatsachen; gleichwohl scheidet eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO aus, weil grobes Verschulden auf Seiten des Steuerpflichtigen vorliegt, wenn der Sachverhalt in der „Anleitung zur Steuererklärung” ausdrücklich aufgeführt ist.


    IM NAMEN DES VOLKES

    URTEIL

    In der Streitsache

    hat der 1. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29. November 2006

    für Recht erkannt:

    1. Die Klage wird abgewiesen.

    2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

    I.

    Streitig ist, ob die Klägerin die Änderung von Einkommensteuerbescheiden wegen neuer Tatsachen verlangen kann.

    Die Klägerin ist von Beruf Diplom-X und wurde für die Streitjahre 1998 bis 2000 beim Beklagten – dem Finanzamt (FA) – bestandskräftig zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt.

    Mit Schreiben vom 3. Januar 2003 beantragte die Klägerin die Änderung der genannten Steuerfestsetzungen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO). Sie teilte dem FA mit, dass Ihr in den Streitjahren hohe außergewöhnliche Belastungen erwachsen seien. Dabei handele es sich um Aufwendungen für medizinisch notwendige Zahnerhaltungsmaßnahmen infolge einer Kiefererkrankung in Höhe von XX.324,63 DM im Jahr 1998, XX.537,12 DM im Jahr 1999 und XX.213,21 DM im Jahr 2000.

    Das FA lehnte eine Änderung der Bescheide mit der Begründung ab, die Klägerin bzw. ihren steuerlichen Berater treffe ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der neuen Tatsache. Der Einspruch der Klägerin blieb in der Einspruchsentscheidung (EE) vom 17. Februar 2005 erfolglos.

    Mit Ihrer Klage trägt die Klägerin vor,

    erst bei der Vorbereitung der Steuererklärungen für 2001 sei erkannt worden, dass die erwachsenen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen abziehbar seien. Sie besitze selbst keine tiefgreifenden steuerlichen Kenntnisse und habe daher nicht rechtzeitig erkennen können, dass die Zahnarztrechnungen in der angefallenen Höhe als außergewöhnliche Belastungen abziehbar und deswegen dem Steuerberater für die ESt-Erklärungen der genannten Zeiträume zu übergeben gewesen wären. Ein grobes Verschulden des steuerlichen Vertreters sei auszuschließen, weil sich aus den vorgelegten Unterlagen keinerlei Hinweise auf wesentliche die zumutbare Eigenbelastung und die Erstattungen der Krankenkasse übersteigende Krankheitskosten ergeben hätten. Er habe mit Aufwendungen in dieser Größenordnung nie und nimmer rechnen müssen. Die amtliche Anleitung zur ESt-Erklärung sei der Klägerin selbst nicht zugegangen und habe ihr nach der Rechtsprechung des Finanzgerichts (FG) Baden-Württemberg (Urteil vom 17. November 1995 9 K 309/ 91, Entscheidungen der Finanzgerichte [EFG] 1996, 704) vom Bevollmächtigten nicht vorgelegt werden müssen.

    Die Klägerin beantragt,

    die ESt-Bescheide für 1998, 1999 und 2000 zu ändern und dabei die ESt wie folgt festzusetzen:

    für 1998 eine ESt von DM 71.609,00;

    für 1999 eine ESt von DM 120.666,00;

    für 2000 eine ESt von DM 68.479,00.

    Das FA beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Es verweist auf die EE und ist weiterhin der Auffassung, dass grobes Verschulden auf Seiten der Klägerin bzw. ihres steuerlichen Vertreters vorliege.

    II.

    Die Klage ist nicht begründet.

    Der Beklagte war nicht berechtigt und verpflichtet, dem Änderungsantrag der Klägerin auf Grund der Bestimmung des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu entsprechen. Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt geworden sind.

    Die streitgegenständlichen Aufwendungen wurden dem FA erst mit dem Schreiben der Klägerin vom 3. Januar 2003 bekannt. Jedoch hat die Klägerin die nachträgliche Kenntnis grob fahrlässig verschuldet. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sie persönlich Schuld trifft oder sie sich das Verschulden ihres Beraters zurechnen lassen muss.

    1. Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten (Urteil des Bundesfinanzhofs [BFH] vom 28.Juni 1983 VIII R 37/81, BFHE 139, 8, BStBl II 1984, 2). Grobe Fahrlässigkeit in diesem Sinne ist anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße verletzt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 22. Mai 1992 VI R 17/91, BFHE 168, 221, BStBl II 1993, 80, m.w.N.). Ein grobes Verschulden kann vorliegen, wenn der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nur unzureichend nachkommt, indem er z.B. eine unvollständige Steuererklärung abgibt. Gemäß § 150 Abs. 2 Satz 1 AO sind die Angaben in der Erklärung nach bestem Wissen und Gewissen zu machen. Um die Steuererklärung vollständig und wahrheitsgemäß abgeben zu können, muss der Steuerpflichtige das Erklärungsformular gewissenhaft durchlesen. Deshalb handelt ein Steuerpflichtiger regelmäßig grob schuldhaft, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene Frage nicht beachtet (vgl. BFH-Urteil in BFHE 168, 221, BStBl II 1993, 80, m.w.N.). Ein Steuerpflichtiger kann auch grob fahrlässig handeln, wenn er ausdrückliche Hinweise in Merkblättern, die das FA ihm zugesandt hat, nicht beachtet (vgl. Anwendungserlass zur AO zu § 173 Nr.4 und BFH-Urteil in BFHE 168, 221, BStBl II 1993, 80). Jedoch muss dieser Hinweis für einen steuerlichen Laien ausreichend verständlich, klar und eindeutig abgefasst sein. Zudem dürfen in Bezug auf das Durchlesen von Merkblättern keine unzumutbaren Anforderungen an den Steuerpflichtigen gestellt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH hat der Steuerpflichtige auch ein Verschulden seines steuerlichen Beraters bei der Anfertigung der Steuererklärung zu vertreten (BFH-Urteil vom 17. November 2005 III R 44/04, BFHE 211, 401, BStBl II 2006, 412, m.w.N.).

    2. Das Steuererklärungsformular selbst ist hinsichtlich der außergewöhnlichen Belastungen für den steuerlichen Laien nicht sehr aussagekräftig. Auf Seite 4 des Mantelbogens wird in Bezug auf die streitgegenständlichen Aufwendungen unter der Überschrift „außergewöhnliche Belastungen” lediglich nach „anderen außergewöhnlichen Belastungen” gefragt. Auch der Gesetzestext des § 33 des Einkommensteuergesetzes hilft dem Laien nur wenig weiter. Erst in der Anleitung zur Steuererklärung wird unter der Unterschrift „andere außergewöhnliche Belastungen” darauf hingewiesen, dass dazu auch beispielsweise gehören: „Krankheitskosten, soweit sie nicht von dritter Seite, z.B. einer Krankenkasse, steuerfrei ersetzt worden sind oder noch ersetzt werden”. Dieser Hinweis ist jedoch auch für Laien hinreichend deutlich gefasst. Da in der etwa 14seitigen Anleitung das Wort „Krankheitskosten” zudem hervorgehoben abgedruckt ist und sich der Begriff ebenso in dem nicht überladenen Stichwortverzeichnis findet, muss er dem sorgfältigen Leser auch bei einem Überfliegen der Überschriften der Anleitung ins Auge springen. Dann aber musste sich der Klägerin die Frage aufdrängen, ob die später geltend gemachten Aufwendungen solche „Krankheitskosten” darstellen. Sie hätte auch unschwer – wie später geschehen – eine Antwort auf die Frage durch Befragung ihres Steuerberaters erhalten können. Die unterlassene Erklärung wäre danach grob fahrlässig.

    Insoweit ist der Streitfall anders gelagert als derjenige, über den der BFH in BFHE 168, 221, BStBl II 1993, 80 zu befinden hatte: Dort war der Begriff „Arbeitszimmer” – dieses hatte der Steuerpflichtige zu erklären vergessen – gerade nicht unmittelbar im Erläuterungstext zu finden und die deshalb erforderliche Subsumtion eines Arbeitszimmers unter den Satz „Aufwendungen, die durch Ihr Arbeitsverhältnis verursacht sind” hielt der BFH für einen Laien zu schwer und daher den Fehler für entschuldbar.

    3. Der Verweis der Klägerin auf das Urteil des FG Baden-Württemberg in EFG 1996, 704) kann das Klagebegehren nicht stützen. In diesem Urteil hatte das Gericht die vergessene Erklärung von Unfallaufwendungen bei einer Fahrt Wohnung-Arbeitsstätte als nicht grob verschuldet erachtet. Dass diese Unfallkosten in der Anleitung zur Steuererklärung behandelt wurden, sah das Gericht als bedeutungslos an, weil das FA diese Anleitung dem Steuerpflichtigen nicht zugesandt hatte. Allerdings schränkt das FG Baden-Württemberg selbst die Entschuldbarkeit ein. Denn dies gelte, „soweit nach solchen Aufwendungen nicht in den … Vordrucken … gefragt” werde. Als Gegenbeispiel weist es ausdrücklich auf die außergewöhnlichen Belastungen hin. Überträgt man diese Beurteilung auf den hier zu Entscheidung stehenden Fall so könnte man die Klägerin persönlich als entschuldigt ansehen, weil ihr – als steuerlich beratener Steuerpflichtigen – nach Angabe ebenfalls die Anleitung nicht zugesandt worden war. Letztlich kann im Streitfall jedoch dahinstehen, ob die Klägerin persönlich grob fahrlässig gehandelt hat.

    4. Denn wenn man der Beurteilung des FG Baden-Württemberg folgen würde und die Klägerin persönlich als entschuldigt ansähe, weil sich ihr die Frage nach der Abziehbarkeit nicht aufdrängen musste, so müsste sie sich gleichwohl das Verschulden ihres steuerlichen Beraters zurechnen lassen. Zwar muss der steuerliche Berater den von ihm beratenen Steuerpflichtigen außerhalb des Bereichs des § 33 EStG nicht nach Aufwendungen fragen, die auf einem außergewöhnlichen Ereignis beruhen. Der erkennende Senat schließt sich insoweit dem Urteil des FG Baden-Württemberg in EFG 1996, 704 an. Jedoch ist dann, wenn man den Steuerpflichtigen selbst mangels zugesandter Anleitung für entschuldigt ansieht, jedenfalls der steuerliche Berater verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass mindestens die in der Anleitung zur Einkommensteuererklärung genannten Sachverhalte erklärt werden. Ob er seinerseits dem Steuerpflichtigen den Anleitungstext selbst überlässt, im Beratungsgespräch die Existenz entsprechender Sachverhalte abfragt oder z.B. Prüflisten verwendet, liegt dabei in seinem Ermessen. Dies ergibt sich aus dem Rechtsgrundsatz, dass sich der Steuerpflichtige der Verantwortung für die Richtigkeit seiner Angaben in der Steuererklärung nicht dadurch entziehen darf, dass er die Ausarbeitung der Steuererklärung seinem steuerlichen Berater überträgt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 211, 401, BStBl II 2006, 412). Wenn man aber vom unvertretenen Steuerpflichtigen verlangt, dass er die in der Anleitung zur ESt-Erklärung aufgezeigten Sachverhalte erklärt, so muss dies auch für den vertretenen gelten.

    Danach sind die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO für eine Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzungen nicht erfüllt.

    5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 der Finanzgerichtsordnung.

    VorschriftenAO § 173 Abs. 1 Nr. 2