08.01.2010
Finanzgericht Nürnberg: Urteil vom 08.12.2004 – III 33/2004
Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende nach § 24b EStG steht Ehepaaren mit Kindern nicht zu. Die Regelung des § 24b EStG verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 GG), den Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 GG) oder persönliche Freiheitsrechte (Art. 2 GG) und Berufsfreiheit (Art. 12 GG).
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch auf Eintragung eines Entlastungsbetrags gemäß § 24 b EStG 2004 in Höhe von 1.308 Euro auf seiner Lohnsteuerkarte 2004 hat.
Der Kläger, ein .., ist verheiratet und lebt mit seiner Ehefrau, mit der er gemäß § 26 Abs. 1 EStG zusammenveranlagt wird, sowie zwei gemeinsamen minderjährigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft. Der Kläger hat Anspruch auf Kindergeld für zwei Kinder bzw. zwei Kinderfreibeträge gemäß § 62 Abs. 6 EStG. Nach den Angaben des Klägers sind alle Familienmitglieder am Wohnort mit Hauptwohnsitz gemeldet. Der Kläger wird im Jahr 2004 voraussichtlich etwa 130.000 bis 135.000 Euro verdienen.
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 01.02.2004 die Eintragung eines Freibetrags in Höhe von 1.308 Euro gemäß § 24 b EStG. Er machte geltend, dass ihm als Verheirateten, dieser Freibetrag gemäß Art 2 GG (persönliches Freiheitsrecht), Art 3 GG (Gleichheitssatz), Art 6 GG (Schutz von Ehe und Familie) und Art 12 GG (Berufsfreiheit) gewährt werden müsse. Andernfalls werde er gegenüber alleinstehenden Steuerpflichtigen diskriminiert.
Der Beklagte lehnte den Antrag auf Eintragung eines zusätzlichen Entlastungsbetrages gemäß § 24 b EStG mit Bescheid vom 05.02.2004 ab. Mit Schreiben vom 06.02.2004 legte der Kläger hiergegen Einspruch ein; der Beklagte wies diesen mit Einspruchsentscheidung vom 17.02.2004 zurück.
Am 21.02.2004 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er die Eintragung eines Freibetrages in Höhe von 1.308 Euro auf seiner Lohnsteuerkarte geltend macht. Er meint, dass Ehepaare mit Kindern, die unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes stünden, in verfassungswidriger Weise benachteiligt würden, wenn ihnen - anders als alleinstehenden Steuerpflichtigen - kein Entlastungsbetrag gewährt, also kein Freibetrag in Höhe von 1.308 Euro im Lohnsteuerabzugsverfahren berücksichtigt werde. Entsprechend den im Beschluss des BVerfG vom 10.11.1998 (2 BvR 1057/91 - 2 BvR 1226/91 - 2 BvR 980/91, BStBl. II 1999, 182) genannten Grundsätzen müsse der durch § 24 b EStG geschaffene gleichheitswidrige Zustand dadurch ausgeglichen werden, dass der Entlastungsbetrag auch verheirateten Ehepaaren gewährt werde.
Die Kläger beantragen, in Abänderung des Bescheides vom 05.02.2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.02.2004 einen zusätzlichen Freibetrag in Höhe von 1.308 Euro auf der Lohnsteuerkarte 2004 des Klägers einzutragen, hilfsweise gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO die Rechtswidrigkeit der Ablehnung der Eintragung eines Freibetrages in Höhe von 1.308 Euro auf der Lohnsteuerkarte festzustellen. Hilfsweise beantragen die Kläger, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er meint, § 24 b EStG solle nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nur Alleinstehende begünstigen, nicht jedoch Steuerpflichtige, die die Voraussetzungen für eine Ehegattenveranlagung nach § 26 Abs. 1 EStG erfüllten oder die eine Haushaltsgemeinschaft mit ihrem Ehegatten bildeten (§ 24 b Abs. 2 EStG). Der Kläger sei nicht als „alleinstehend” anzusehen. Eine analoge Anwendung des § 24 b EStG - unter Berücksichtigung der vom Antragsteller genannten Vorschriften des Grundgesetzes und der Entscheidung des BVerfG vom 10.11.1998 (BStBl. II 1999, 182) - lehnte der Beklagte ab.
Gründe
Die Klage ist nicht begründet.
1. Gemäß § 24 b Abs. 1 EStG können alleinstehende Steuerpflichtige einen Entlastungsbetrag in Höhe von 1.308 Euro im Kalenderjahr von der Summe der Einkünfte abziehen, wenn sie mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern eine Haushaltsgemeinschaft in einer Wohnung bilden, in der sie jeweils mit Hauptwohnsitz gemeldet sind. Gemäß § 24 b Abs. 2 EStG sind Steuerpflichtige, die die Voraussetzungen für eine Ehegattenveranlagung nach § 26 Abs. 1 EStG erfüllen, nicht alleinstehend. Nach dem Bericht des Haushaltsausschusses zum Haushaltsbegleitgesetz 2004 vom 16.10.2003 (BT-Drs. 15/1751) machen die regelmäßig höheren Lebensführungskosten von echten Alleinerziehenden, die einen gemeinsamen Haushalt nur mit ihren Kindern führen, gegenüber anderen Erziehenden die Einführung eines Entlastungsbetrages für Alleinerziehende in Höhe von 1.308 Euro je Kalenderjahr erforderlich (vgl. auch Schmidt/ Glanegger, EStG 23. Aufl. 2004, § 24 b RN 2). Der Kreis der Begünstigten wurde zwar durch Art. 3 Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung der AO und weiterer Gesetze vom 21.07.2004 (BGBl. I 2004, 1753) erweitert. Steuerpflichtigen, die die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung erfüllen, steht der Entlastungsbetrag aber weiterhin nicht zu.
Nach Wortlaut und Sinn der §§ 39 ff EStG und 24 b EStG hat der Kläger keinen Anspruch auf Eintragung eines Entlastungsbetrages auf seiner Lohnsteuerkarte 2004, da er mit seiner Ehefrau, der Kindesmutter, zusammenlebt und deshalb weder im Sinne der ursprünglichen Gesetzesfassung noch der durch Gesetz vom 21.07.2004 geänderten Fassung „alleinstehend” ist.
2. Der Kläger kann seine Forderung auf Eintragung eines Entlastungsbetrages auch nicht auf eine analoge Gesetzesanwendung oder eine verfassungskonforme Auslegung des § 24 b EStG in Verbindung mit §§ 39 ff EStG stützen. Eine planwidrige Regelungslücke liegt bei § 24 b EStG in Bezug auf die Veranlagung zusammenlebender Ehegatten, die die Voraussetzungen des § 26 EStG erfüllen, nicht vor. Der eindeutige Wortlaut des § 24 b EStG lässt unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Absicht auch keine Auslegung zu, die der Klage zum Erfolg verhelfen könnte.
3. Ein Anspruch auf einen Freibetrag folgt auch nicht aus § 31 BVerfGG i.V.m. dem Beschluss des BVerfG vom 10.11.1998 (BStBl. II 1999, 182). Das BVerfG hat in dieser Entscheidung zwar ausgesprochen, dass dann, wenn die Neuregelung des Familienleistungsausgleichs nicht spätestens mit Wirkung zum 01.01.2002 in Kraft getreten sein sollte, für die Besteuerung des Einkommens der Eltern, denen ein Kinderfreibetrag oder Kindergeld für ein oder mehrere Kinder zusteht, in Höhe von 5.616 DM die gesetzliche Grundlage fehle. Der Gesetzgeber hat das Gesetz seither jedoch mehrfach zugunsten von Familien mit Kindern geändert (vgl. BFH-Urteil vom 05.10.2004 VIII R 38/03 unter Nr. 3 b) bb)) und die vom BVerfG als verfassungswidrig bezeichnete Vorschrift des § 32 Abs. 7 EStG im Haushaltsbegleitgesetz 2004 vom 29.12.2003 (BGBl. I 2003, 3076) aufgehoben. § 24 b EStG und das geltende Einkommensteuerrecht 2004 weisen gegenüber § 32 Abs. 7 EStG und den Vorschriften des der BVerfG-Entscheidung zugrundeliegenden Einkommensteuergesetzes signifikante Unterschiede auf (vgl. hierzu etwa Bernhard, NWB, Fach 3, S. 13029, Heft 39/2004, S. 3015, 3024 ff). Damit kann aus dem Urteil des BVerfG kein Anspruch auf Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte 2004 abgeleitet werden. Die streitgegenständliche Vorschrift des § 24 b EStG war nicht Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Überprüfung.
4. Die Voraussetzungen für eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG sind nicht erfüllt, weil der Senat nicht von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift überzeugt ist und es für die Entscheidung über die Gewährung des Freibetrags nicht auf die Gültigkeit von § 24 b EStG ankommt.
Der Senat ist insbesondere, anders als der Kläger, nicht davon überzeugt, dass die Regelung zum Entlastungsbetrag für Alleinerziehende gegen den Gleichheitssatz (Art 3 GG), den Schutz von Ehe und Familie (Art 6 GG) oder Art 2 und 12 GG verstößt.
Im Anschluss an den Beschluss des BVerfG vom 10.11.1998 (BStBl. II 1999, 182) hat der Gesetzgeber den Familienleistungsausgleich in § 31 EStG neu geregelt und der durch den Erziehungsbedarf ihrer Kinder verminderten Leistungsfähigkeit aller Eltern - unabhängig vom Familienstand - Rechnung getragen.
Demgegenüber soll der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende der zusätzlichen Mehrbelastung Rechnung tragen, die sich daraus ergibt, dass ein steuerpflichtiger Elternteil allein mit seinem Kind oder seinen Kindern ohne weitere erwachsene Person in einem Haushalt lebt. Alleinstehende Personen haben keine Möglichkeit, sich bei der Betreuung, Erziehung, Pflege und Sorge für die Kinder mit anderen abzuwechseln, zu ergänzen oder sich gegenseitig zu unterstützen. Hieraus ergeben sich in der täglichen Praxis und der persönlichen und beruflichen Lebensführung vielfältige Schwierigkeiten, die auszugleichen vielfach überhaupt nicht oder nur durch Inkaufnahme finanzieller Mehrbelastungen möglich ist. Es liegt im Rahmen des gesetzgeberischen Ermessens, spezifische Mehrbelastungen aus besonderen Lebenssituationen auszugleichen. Insofern lebt im Entlastungsbetrag für Alleinerziehende auch nicht lediglich der Haushaltsfreibetrag (§ 32 Abs. 7 EStG a.F.) wieder auf, der als allgemeiner Ausgleich für den Erziehungsaufwand für Kinder eine verfassungsgemäße Beschränkung auf unverheiratete Eltern nicht rechtfertigte.
Im übrigen kommt es für die Entscheidung über die Gewährung des Freibetrags nicht auf die Gültigkeit von § 24 b EStG an. Selbst wenn § 24 b EStG nichtig wäre und aufgehoben würde, hätte der Kläger erst recht keinen Anspruch auf einen Freibetrag in Höhe von 1.308 Euro (vgl. BFH-Urteil vom 05.10.2004 VIII R 38/03).
Wenn das BVerfG (lediglich) die Unvereinbarkeit des § 24 b EStG mit den Grundgesetz feststellen würde, ist eine für den Kläger günstigere Regelung nicht zu erwarten (zu einem solchen Fall vgl. BFH-Urteil vom 05.10.2004 VIII R 38/03 zu § 32 Abs. 7 EStG). Der Senat ist davon überzeugt, dass der Gesetzgeber § 24 b EStG, selbst wenn diese Vorschrift vom BVerfG für mit der Verfassung unvereinbar erklärt werden sollte, im Hinblick auf die schwierige Lage der öffentlichen Haushalte entweder aufheben oder auf weitere Personengruppen, insbesondere Ehepaare mit Kindern, allenfalls insoweit ausdehnen würde, als das Familieneinkommen einen bestimmten Höchstbetrag nicht übersteigt, der weit unter dem - überdurchschnittlich hohen und deutlich über das Existenzminimum hinausgehenden - Einkommen des Klägers und seiner Familie liegen würde (vgl. auch Ross, DStZ 2004, 437, 442).
Eine Vorlage an das BVerfG kommt entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht deswegen in Betracht, dass dem Kläger der Haushaltsfreibetrag unter Billigkeitsgesichtspunkten gewährt werden könnte. Angesichts der Höhe des klägerischen Einkommens erfolgt im Lohnsteuerabzugsverfahren kein Eingriff in das (Kinder-) Existenzminimum (BVerfG E. v. 10.11.1998 2 BvR 1220/93, BStBl II 1999, 193).
Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.