08.01.2010
Finanzgericht Münster: Urteil vom 16.11.2004 – 14 K 1288/01 Kg
1. Kindergeldberechtigt sind nur Deutsche iSd Art. 116 GG.
2. Die Aufenthaltserlaubnis gem. § 30 AuslG berechtigt nicht zum Bezug von Kindergeld gem. § 62 Abs. 2 S. 1 EStG.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
wegen Kindergeld
hat der 14. Senat des Finanzgerichts Münster in der Sitzung vom 16.11.2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht …,
Richter am Finanzgericht …,
Richterin am Finanzgericht …,
Ehrenamtliche Richterin …,
Ehrenamtlicher Richter …
auf Grund mündlicher Verhandlung für Recht erkannt:
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids.
Der Ehemann der Klägerin reiste am 20.03.1989 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 02.08.1989 zogen die Klägerin und die gemeinsamen Kinder J, geb. am 18.03.1983, und A, geb. am 05.04.1984, nach. Dem Ehemann wurde der Registrierschein P 58/, der Klägerin und den Kindern der Registrierschein P 13/ ausgestellt. Dem Ehemann wurden am 25.04.1989, der Klägerin am 28.08.1989 deutsche Ausweispapiere (Personalausweis, Reisepass) ausgestellt. Die Töchter erhielten am 24.03.1992 Kinderausweise.
Die Klägerin und ihr Ehemann beantragten im Folgenden die Anerkennung als Vertriebene. Die Klägerin hatte zunächst angegeben, sie sei selbst deutsche Volkszugehörige. Als sie dies nicht glaubhaft machen konnte, beantragte sie die Ausstellung eines Vertriebenenausweises nach ihrem Ehemann. Diesen Antrag sowie den Antrag des Ehemannes lehnte der Oberstadtdirektor der Stadt mit Bescheiden vom 12.11.1992 ab. Die dagegen erhobenen Widersprüche wies der Regierungspräsident als unbegründet zurück. Die Klägerin und ihr Ehemann erhoben dagegen Klage. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen am 12.03.1996 nahm die Klägerin im Hinblick auf die vorverhandelte Sache ihres Ehemannes die Klage zurück.
Unter dem 09.09.1996 stellte die Klägerin, die sich von ihrem Ehemann getrennt hatte, einen Antrag auf Kindergeld für die in ihrem Haushalt lebenden Töchter. In diesem Antrag, auf den verwiesen wird, gab sie als Staatsangehörigkeit „deutsch” an. Die Beklagte bewilligte das Kindergeld ab Oktober 1996.
Unter dem 10.10.1996 schrieb die Ausländerbehörde die Klägerin und ihren Ehemann an. Sie verwies auf einen Erlass des Innenministers vom 03.04.1996, der die Voraussetzungen eines möglichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland für abgelehnte Vertriebenenbewerber regelte. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben Bezug genommen.
Unter dem 09.01.1997 forderte das Einwohnermeldeamt die deutschen Ausweisdokumente zum Zwecke der Einziehung zurück. Zur Begründung führte es aus, die Eintragung der Staatsangehörigkeit „deutsch” sei unzutreffend. Aufgrund der ausgestellten Registrierscheine sei vermutet worden, dass durch die Aufnahme als Vertriebene die Eigenschaft von Deutschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit erworben werden könne. Nach Unanfechtbarkeit der Ablehnungsbescheide bestehe eine ausreichende Grundlage für die Deutscheneigenschaft nicht mehr.
Nach Abschluss eines Petitionsverfahrens ihres Ehemannes im Juli 1997 und erneutem Hinweis der Ausländerbehörde zu der Möglichkeit eines weiteren Aufenthalts im Bundesgebiet gab die Klägerin die deutschen Ausweispapiere am 04.09.1997 zurück. Sie beantragte am 09.09.1997 die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung. Sie legte eine Arbeitgeberbescheinigung vom 27.08.1997 vor, wonach sie seit dem 14.10.1996, befristet bis zum 12.02.1998, als gewerbliche Bedienstete beschäftigt war. Ergänzend bezog sie Sozialhilfe. Nachdem der Klägerin zunächst eine bis zum 09.03.1998 befristete Bescheinigung über die Beantragung einer Aufenthaltsgenehmigung gem. § 69 Abs. 3 Ausländergesetz erteilt worden war, erhielt sie am 26.02.1998 eine Aufenthaltsbefugnis bis zum 20.03.2000. Die Ausländerbehörde ging davon aus, dass die Gewährung der Sozialhilfe der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nicht entgegenstand, weil die Klägerin den Bezug der Sozialhilfe nicht zu vertreten hatte. Die ergänzende Sozialhilfe wurde gezahlt, weil der Ehemann seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber den Kindern nicht erfüllte. Die Aufenthaltsbefugnis wurde am 20.03.2000 bis zum 20.03.2002, und am 16.04.2002 rückwirkend zum 21.03.2002 bis zum 16.04.2004 verlängert.
Am 19.10.2000 gab die Klägerin gegenüber der Familienkasse an, die Vertriebeneneigenschaft sei ihr und ihrem geschiedenen Ehemann aberkannt worden. Sie legte ein im März 1997 ausgestelltes polnisches Ausweispapier sowie die ihr erteilte Aufenthaltsbefugnis vor.
Die Beklagte stellte die Kindergeldzahlung mit Ablauf Oktober 2000 ein und bat um die Vorlage weiterer Unterlagen. Die Klägerin reichte daraufhin Vorgänge über das Verfahren auf Anerkennung als Vertriebene ein.
Mit Bescheid vom 19.12.2000 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung ab Oktober 1996 gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) auf, da die Klägerin weder die deutsche Staatsangehörigkeit besessen habe, noch im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder -berechtigung gewesen sei. Sie forderte das von Oktober 1996 bis Oktober 2000 gezahlte Kindergeld in Höhe von 23.160 DM zurück.
Die Klägerin legte dagegen Einspruch ein. Sie trug vor, sie sei im Wege der Familienzusammenführung eingereist und habe im August 1989 die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Ihr Mann, von dem sie sich im Oktober 1996 getrennt habe, habe die deutschen Ausweispapiere bis März 1999 besessen. Sie selbst sei seit März 1998 im Besitz einer gültigen Aufenthaltsbefugnis und einer unbefristeten Arbeitsgenehmigung.
Die Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 26.01.2001, auf die Bezug genommen wird, zurück.
Mit der dagegen erhobenen Klage trägt die Klägerin vor, sie sei, als sie das Kindergeld beantragt habe, im Besitz eines deutschen Personalausweises und eines deutschen Reisepasses gewesen. Sie sei auch nach dem Abschluss des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht davon ausgegangen, weiterhin Deutsche zu sein. Zur Rückgabe der Ausweise sei sie erstmals im Januar 1997 aufgefordert worden. Dies könne nicht anders bewertet werden, als bei einem Ausländer, der in der Folgezeit Erlaubnis oder Berechtigung nach aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen wieder verliere. Nach der Rückgabe der Papiere sei sie davon ausgegangen, gleich vielen anderen Ausländern auch einen Anspruch auf Kindergeld zu haben. Sie sei nicht darüber belehrt worden, einen späteren Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft anzugeben. Ein Merkblatt zum Kindergeldbezug sei ihr nicht ausgehändigt worden. Außerdem habe sich bereits bei ihrer Einreise abgezeichnet, dass Polen absehbar der Europäischen Union beitreten werde. Ihr Aufenthalt sei seit 1989 bis heute ausreichend gesichert gewesen.
Für die Zeit ab 01.05.2004 hat die Klägerin einen neuen Antrag auf Bewilligung von Kindergeld gestellt, der nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 19.12.2000 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 26.01.2001 aufzuheben, soweit der Zeitraum bis zum 30.04.2004 betroffen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Begründung der Einspruchsentscheidung.
Gründe
Die Klage ist nicht begründet.
Der Klägerin steht für die Zeit vom 1.10.1996 – 30.04.2004 ein Anspruch auf Kindergeld nicht zu.
Die Klägerin ist nicht Deutsche und damit nicht als solche kindergeldberechtigt. Wer Deutscher ist, bestimmt sich nach Art. 116 Grundgesetz (GG). Danach ist, vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, Deutscher, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht.
Die Klägerin besaß und besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit nicht. Insbesondere hat sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht nach § 3 Nr. 4 des Staatsangehörigkeitsgesetzes, nämlich durch Ausstellung der Bescheinigung gem. § 15 Abs. 1 oder 2 des Bundesvertriebenengesetzes, erworben. Das Verfahren der Klägerin auf Anerkennung als Vertriebene ist erfolglos geblieben. Die Klägerin erfüllt weder selbst die Vertriebeneneigenschaft noch ist sie nichtdeutsche Ehegattin eines Vertriebenen.
Der ihr erteilte Registrierschein, wonach die Frage „Deutscher durch Aufnahme als Aussiedler” bejaht worden ist, stellt keine Anerkennung als Vertriebene dar. Diese Entscheidung bei der Registrierung ergeht aufgrund einer lediglich vorläufigen Prüfung. Sie hat im Verfahren auf Ausstellung eines Vertriebenenausweises keine verbindliche Wirkung (BVerwG, Beschluss vom 25.04.1988 9 B 30/88, Beschluss vom 21.11.1994 1 B 143/94). In dem -sich anschließenden- Verfahren auf Feststellung der Vertriebeneneigenschaft ist der Antrag der Klägerin durch Bescheid des Oberstadtdirektors der Stadt vom 12.11.1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidenten vom 23.08.1993 abgelehnt worden. Dieser Bescheid ist bestandskräftig geworden, denn die Klägerin hat die dagegen erhobene Klage am 12.03.1996 zurückgenommen.
Die der Klägerin ausgestellten deutschen Ausweispapiere beruhten ebenfalls auf den nur vorläufigen Feststellungen im Registrierungsverfahren. Nach Ablehnung der Anerkennung als Vertriebene, spätestens aber nach Bestandskraft dieser Entscheidung, waren die Personaldokumente einzuziehen (vgl. zur Einziehung bereits vor Bestandskraft VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.11.1995 1 S 1311/95). Die darin enthaltene Eintragung „deutsch” war unzutreffend. Personalausweis und Pass waren ungültig (§ 6 PAuswG NW, § 11 PaßG).
Die Klägerin war in dem streitigen Zeitraum einer Deutschen auch nicht gleichzustellen. Durch die ihr ausgestellten deutschen Ausweispapiere durfte sie zwar zunächst darauf vertrauen, als Deutsche behandelt zu werden. Ihr sollte gerade ermöglicht werden, weitere Betreuungsleistungen und auch die Gewährung finanzieller Leistungen in Anspruch zu nehmen (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.04.1994 11 S 171/94). Der Schutz dieser Rechtsstellung endete aber, als die Klägerin ihre Klage auf Anerkennung der Vertriebeneneigenschaft zurücknahm. Ab diesem Zeitpunkt musste sie wissen, dass sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht mehr durch Ausstellung der Bescheinigung gem. § 15 Abs. 1 oder 2 des Bundesvertriebenengesetzes erwerben konnte.
Als Ausländerin war die Klägerin nicht kindergeldberechtigt. Nach § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG hat ein Ausländer nur dann Anspruch auf Kindergeld, wenn er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis ist. Der Senat hält diese gesetzliche Regelung für verfassungskonform (vgl. Urteil des Senats vom 06.05.2004 14 K 3862/00 Kg, so auch FG Münster, Urteil vom 17.11.2003 4 K 4828/02 Kg, EFG 2004, 273 und Urteil vom 05.05.2000 11 K 7518/99 Kg, EFG 2002, 1461, Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 22.08.2002 3 K 2028/01, EFG 2003, 49, FG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.05.2003 4 K 172/02, EFG 2004, 844, FG München, Urteil vom 23.07.2003 12 K 4205/02, EFG 2004, 682). Er hält es nicht für willkürlich, wenn der Gesetzgeber mit der Anknüpfung an einen bestimmten Aufenthaltsstatus nur den Ausländern Kindergeld gewähren will, die ein auf Dauer angelegtes Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland haben.
Die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG lagen nicht vor. Die Klägerin war weder im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung (§ 27 Ausländergesetz -AuslG-) noch einer Aufenthaltserlaubnis (§ 15 AuslG). Die der Klägerin erteilte Aufenthaltsbefugnis (§ 30 AuslG) berechtigt nach dem eindeutigen Wortlaut des § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht zum Kindergeldbezug. Sie ist im konkreten Fall einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis auch nicht gleichzustellen. Die Aufenthaltsbefugnis ermöglichte der Klägerin kein auf Dauer angelegtes Bleiberecht. Sie wurde nur für jeweils zwei Jahre erteilt und hatte nach der für abgelehnte Vertriebenenbewerber getroffenen Regelung zur Voraussetzung, dass der Lebensunterhalt der Familie einschließlich eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes durch legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Mittel der Sozialhilfe gesichert war, wobei in besonderen Härtefällen Ausnahmen gemacht werden konnten. Ein Daueraufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland war dadurch nicht hinreichend gewährleistet.
Die Beklagte konnte die Kindergeldfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) aufheben. Ihr ist nachträglich bekannt geworden, dass die Klägerin nicht, wie von ihr angegeben, deutsche Staatsangehörige war. Da die Klägerin auch nicht im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis war, bestand ein Anspruch auf Kindergeld nicht. Eine Verletzung von Ermittlungspflichten, die einer Änderung entgegenstehen könnte, liegt nicht vor. Die Beklagte hatte keinen Anlass, die Angaben der Klägerin über die Staatsangehörigkeit in Zweifel zu ziehen.
Da aufgrund der rechtmäßigen Aufhebung der Kindergeldfestsetzung der rechtliche Grund für die Zahlung des Kindergelds weggefallen war, konnte die Beklagte gem. § 37 Abs. 2 AO das zuviel gezahlte Kindergeld in Höhe von 23.160 DM zurückfordern. Der Grundsatz von Treu und Glauben stand dem nicht entgegen. Die Klägerin musste, wie ausgeführt, wissen, dass sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erwerben konnte. Sie durfte auch nicht darauf vertrauen, als Ausländerin zum Kindergeldbezug berechtigt zu sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Die Frage, ob die Beschränkung der Aufenthaltstitel in § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG verfassungsgemäß ist, ist von grundsätzlicher Bedeutung. Dazu sind mehrere Revisionsverfahren beim BFH anhängig (vgl. Az. VIII R 39/02, VIII R 40/02, VIII R 79/02, VIII R 83/03, VIII R 86/03, VIII R 98/03, VIII R 100/03, VIII R 3/04).
Den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.07.2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97 zu § 1 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes in der Fassung vom 21.12.1993 und dessen Bedeutung für § 62 Abs. 2 EStG hat der erkennende Senat nicht in seine Entscheidung einbezogen. Dieser Beschluss ist ihm erst durch die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 111/2004 vom 10.12.2004 und damit nach Verkündung des Urteils bekannt geworden.