02.11.2010
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 21.01.2010 – 14 K 2364/08 E
-§ 31 Satz 4 EStG in der für das Jahr 2004 geltenden Fassung des Steueränderungsgesetzes vom 15.12.2003 stellt in Abkehr von der bis zum Jahr 2003 geltenden Gesetzesfassung für die Hinzurechnung des Kindergeldes auf die tarifliche Einkommensteuer im Rahmen der Günstigerprüfung nicht mehr auf die Festsetzung und tatsächliche Zahlung des Kindergeldes, sondern auf den Anspruch auf Gewährung von Kindergeld ab.
- Es ist daher unerheblich, ob auf das Kindergeld verzichtet worden ist und ob der Anspruch verfahrensrechtlich noch durchgesetzt werden kann.
- Die Hinzurechnung wird auch nicht durch die Festsetzungsverjährung des Kindergeldanspruches ausgeschlossen, da allein der im einkommensteuerlichen Veranlagungszeitraum zeitgleich abstrakt bestehende Kindergeldanspruch maßgeblich ist.
Tatbestand
Streitig ist die Hinzurechnung von Kindergeld im Rahmen der Günstigerprüfung nach § 31 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) im Veranlagungszeitraum 2004, nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit bezüglich des Veranlagungszeitraums 2003 übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.
Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden.
Der Einkommensteuerbescheid-Änderungsbescheid 2003 vom 01.04.2008 enthält eine Hinzurechnung von Kindergeld für den am 19.04.2000 geborenen Sohn „N” in Höhe von 1.848 Euro.
Der nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderte Einkommensteuerbescheid 2004 vom 14.03.2008, in dem der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wird, und der weitere Einkommensteuer-Änderungsbescheid 2004 vom 01.04.2008 weisen eine Hinzurechnung von Kindergeld für den Sohn „N” in Höhe von 1.848 Euro und für die am 09.06.2004 geborene Tochter „E” in Höhe von 1.078 Euro aus.
Gegen die Bescheide legten die Kläger am 07.04.2008 Einspruch ein, ohne diesen zu begründen. Der Beklagte wies den Einspruch in der Einspruchsentscheidung vom 02.06.2008 als unbegründet zurück.
Gegen die Einspruchsentscheidung haben die Kläger am 27.06.2008 Klage erhoben, zu deren Begründung sie vortragen: Die Hinzurechnungen von Kindergeld für die Kinder „N” und „E” seien zu Unrecht vom Beklagten vorgenommen worden. Für beide Kinder sei weder ein Kindergeldantrag gestellt noch Kindergeld bezogen worden. Im Veranlagungs- bzw. Einspruchsverfahren seien Verzichte auf das Kindergeld für beide Kinder erklärt worden. Zudem seien die Ansprüche mittlerweile verjährt. Soweit nach der für das Streitjahr 2004 geltenden Gesetzesfassung es für die Anrechnung genüge, dass ein Anspruch auf Kindergeld bestehe, sei zu berücksichtigten, dass ein Anspruch nur bestehe, wenn er nicht z. B. durch Verjährung oder Verzicht erloschen sei. Ein nicht mehr bestehender Anspruch könne nicht Grundlage für eine Anrechnung sein. Nach der Gesetzeslage komme es nicht darauf an, ob irgendwann einmal ein Anspruch bestanden habe, sondern ob der Anspruch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch bestehe.
Auf Anfrage des Gerichts hat die Familienkasse „A-Stadt” mit Schreiben vom 01.10.2009 und 22.12.2009 mitgeteilt, dass für die Kalenderjahre 2003 und 2004 kein Kindergeld von den Klägern bezogen worden sei.
Der Beklagte hat unter dem 21.12.2009 zur Einkommensteuer 2003 einen Abhilfebescheid erlassen, in dem von der Hinzurechnung des Kindergeldes für den Sohn „N” abgesehen wird. Die Beteiligten haben daraufhin das Verfahren bzgl. der Einkommensteuer 2003 übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt, die Kosten des Verfahrens dem jeweils anderen Beteiligten aufzuerlegen.
Die Kläger beantragen,
den Einkommensteuerbescheid 2004 vom 01.04.2008 dahingehend zu ändern, dass die Hinzurechnung des Kindergeldes für die Kinder „N” und „E” in Höhe von insgesamt 2.926 Euro aufgehoben wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor: § 31 Satz 4 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung des Steueränderungsgesetzes vom 03.12.2003 sehe aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und mit Rücksicht auf den bis zur Verjährungsgrenze möglichen Kindergeldanspruch nicht mehr die Verrechnung des gezahlten Kindergeldes, sondern die Verrechnung des Kindergeldanspruchs mit den Freibeträgen für Kinder vor. Auch wenn für die Kinder „N” und „E” kein Kindergeld gezahlt worden sei, sei für die Hinzurechnung allein der Anspruch entscheidend.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Schriftsätze nebst Anlagen sowie der Steuerakten Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Gründe
Der Senat war im Hinblick auf das von den Beteiligten erklärte Einverständnis nach § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung befugt.
Die Klage ist nicht begründet. Die Kläger sind durch die noch streitige Hinzurechnung des Kindergeldes im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung 2004 nicht in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Der Beklagte hat zu Recht nach § 31 Satz 4 EStG in der für das Jahr 2004 geltenden Fassung des Steueränderungsgesetzes vom 15.12.2003 (Bundesgesetzblatt – BGBl – I 2003, 2645) auf die tarifliche Einkommensteuer Kindergeld in Höhe von insgesamt 2.926 Euro hinzugerechnet.
§ 31 EStG regelt den sogenannten Familienleistungsausgleich. Er verknüpft das Kindergeld mit dem tariflichen Kinderfreibetrag gemäß § 32 EStG in der Weise, dass von Amts wegen die für den Steuerpflichtigen günstigere Lösung gewählt wird. In § 31 Satz 4 EStG 2004 heißt es: „Ist der Abzug der Freibeträge für Kinder günstiger als der Anspruch auf Kindergeld, erhöht sich die unter Berücksichtigung des Abzugs der Freibeträge für Kinder ermittelte tarifliche Einkommensteuer um den Anspruch auf Kindergeld”.
Die gesetzliche Neufassung stellt in Abkehr von der bis zum Jahr 2003 geltenden Gesetzesfassung für die Hinzurechnung nicht mehr auf die Festsetzung und tatsächliche Zahlung des Kindergeldes, sondern maßgebend auf den Anspruch auf Gewährung von Kindergeld ab. Auf Grund dessen kommt es nicht mehr darauf an, ob Kindergeld beantragt wird, in welcher Höhe, wann und an wen es gezahlt worden ist, ob es zurückgeführt wird und ob der Anspruch verfahrensrechtlich noch durchgesetzt werden kann (vgl. Lohschelder in Schmidt, EStG, 28. Aufl., § 31 Rz. 11; EStR 2004 31 Abs. 2 Satz 2). Auch der Bundesfinanzhof – BFH – führt im Beschluss vom 15. Dezember 2006 VII B 7/06 (Sammlung aller nicht amtlich und amtlich veröffentlichten Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFH/NV – 2007, 908) im Zusammenhang mit der Frage, ob bei Abzug des Freibetrags im Rahmen der Günstigerprüfung die Einkommensteuer um den Anspruch auf Kindergeld zu erhöhen sei, aus, es sei unerheblich, „ob Kindergeld gezahlt worden ist oder nicht, oder ob es – wie im Streitfall – zurückgefordert wird”.
Da vorliegend im Jahr 2004 unstreitig für die Kinder „N” und „E” Kindergeldansprüche in Höhe der Hinzurechnung bestanden haben und zugleich der Ansatz der Kinderfreibeträge für die Kläger günstiger ist, sind die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Hinzurechnung erfüllt.
Der Hinzurechnung ist entgegen der Rechtsauffassung der Kläger nicht durch die im Laufe des Klageverfahrens eingetretene Festsetzungsverjährung des Kindergeldanspruches für das Jahr 2004 ausgeschlossen. Der Gesetzgeber hat durch das Jahressteuergesetz 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250) das Kindergeld im X. Abschnitt des EStG neu geregelt und gemäß § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung (§ 37 Abs. 1 der Abgabenordnung – AO –) ausgestaltet. Verfahrensrechtlich hat die Zahlung des Kindergeldes nach dem EStG als Steuervergütung zur Folge, dass im Verwaltungsverfahren die AO anzuwenden ist (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss des BFH vom 28. April 2009 III B 36/08, BFH/NV 2009, 1595 m.w.N.). Die Festsetzungsfrist für Steuervergütungen wie dem Kindergeld beträgt grundsätzlich vier Jahre gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO. Nach § 170 Abs. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer bzw. die Steuervergütung entstanden ist. Da das Kindergeld nach § 66 Abs. 1 EStG monatlich gezahlt wird, begann die Festsetzungsfrist für das in den einzelnen Monaten gezahlte Kindergeld vorliegend mit Ablauf des Jahres 2004. Demzufolge ist mit Ablauf des Jahres 2008 eine Festsetzungsverjährung für die Kindergeldansprüche 2004 eingetreten. Die Festsetzungsverjährung führt bei einem Anspruch aus einem Steuerschuldverhältnis wie dem Kindergeld als Steuervergütung (§ 37 Abs. 1 AO) nach § 47 AO zum Erlöschen des Anspruchs.
Die Festsetzungsverjährung ist jedoch für das gesetzliche Tatbestandsmerkmal des Anspruchs auf Kindergeld im Rahmen des § 31 Satz 4 EStG ohne Bedeutung. Denn der Senat legt den Begriff des Anspruchs auf Kindergeld in der ab 2004 geltenden Gesetzesfassung dahin aus, dass für die Hinzurechnung nach § 31 Satz 4 EStG allein der im einkommensteuerlichen Veranlagungszeitraum zeitgleich abstrakt bestehende Kindergeldanspruch maßgeblich ist. Diese Auslegung folgt aus dem Zweck der gesetzlichen Neuregelung. Die Günstigerprüfung beim Familienleistungsausgleich soll zur Verwaltungsvereinfachung auf der Basis des Anspruchs auf Kindergeld vorgenommen werden. Dies soll – so die Begründung des Finanzausschusses zum Gesetzesentwurf (vgl. BT-Drucks. 15/1945, 8 f.) – bereits deshalb gerechtfertigt sein, „weil die Antragsfrist für das Kindergeld in § 66 EStG durch das 1. SGB III-ÄndG entfallen ist (der Kindergeldantrag ist bis zur Verjährung möglich)”.
Dieser gesetzgeberische Zweck würde unterlaufen, wenn nach Ablauf des Veranlagungszeitraums den Kindergeldanspruch ausschließende Tatsachen wie die – im Streitfall zudem bewusst abgewartete – Festsetzungsverjährung bzw. vorausgehend eine Nichtbeantragung der Kindergeldes (§ 67 EStG) verbunden mit der Erklärung, den Kindergeldanspruch nicht realisieren zu wollen, die Hinzurechnung ausschließen könnten. Denn grundsätzlich ist es nach der gesetzlichen Neuregelung Sache des Kindergeldberechtigten, den ihm zustehenden Kindergeldanspruch bei der Familienkasse zu realisieren. Es soll keine Wahlmöglichkeit mehr zwischen der Inanspruchnahme des Freibetrages und dem Kindergeld bestehen (vgl. Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach A, § 31 EStG A Rz. 21).
Diese Beurteilung steht auch nicht im Widerspruch zum grundgesetzlich verankerten Gebot der Sicherung des Familienexistenzminimums und zwangsläufiger kindbedingter Aufwendungen (vgl. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 10. November 1998 2 BvL 42/93, Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts – BVerfGE – 99, 246, 259, und vom 13. Oktober 2009 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164, 175). Denn dem Steuerpflichten steht im Hinblick auf die vierjährige Festsetzungsfrist ein ausreichender Zeitraum zur Realisierung seiner Kindergeldansprüche zur Verfügung und der Gesetzgeber ist im Rahmen der gesetzlichen Neuregelung zu Recht davon ausgegangen, dass bei bestehendem Anspruch auch eine Antragstellung vorgenommen wird.
Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Einkommensteuer 2004 auf § 135 Abs. 1 FGO.
Darüber hinaus waren den Klägern die Kosten auch bezüglich der unstreitigen Erledigung des Rechtsstreits zur Einkommensteuer 2003 aufzuerlegen. Wird der Rechtsstreit dadurch erledigt, das dem Antrag des Steuerpflichtigen durch eine Änderung entsprochen wird, sind die Kosten grundsätzlich der Behörde aufzuerlegen (§ 138 Abs. 2 Satz 1 FGO). Die Kosten sind jedoch dem Kläger aufzuerlegen, wenn die abhelfende Verwaltungsentscheidung im Gerichtsverfahren auf Tatsachen beruht, die der Kläger früher hätte geltend machen können (§ 137 Satz 1 FGO). Dies ist vorliegend der Fall, weil die Kläger den von ihnen gegen die Steuerfestsetzung 2003 allein geltend gemachten Einwand der unzulässigen Hinzurechnung von Kindergeld erst im Klageverfahren vorgetragen haben. Die Anlage Kind zur Einkommensteuererklärung 2003 enthält hinsichtlich der Anfrage zum im Jahr 2003 gezahlten Kindergeld nur die Angabe „von Amts wegen einsetzen”. Zudem oblag den Klägern der Nachweis der Nichtzahlung im Rahmen der bis 2003 geltenden Gesetzesfassung (vgl. Glanegger in Schmidt, EStG, 23. Aufl., § 31 Rz. 30).
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).