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  • 02.11.2010

    Finanzgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 24.02.2010 – 2 K 90/08

    Die durch die Insolvenzschuldnerin aufgrund einer nach Insolvenzeröffnung ausgeübten nichtselbständigen Tätigkeit begründeten Einkommensteuerverbindlichkeiten sind nicht gegenüber dem Treuhänder festzusetzen, da es sich nicht um Masseverbindlichkeiten handelt.


    Tatbestand

    Streitig ist die Behandlung der für den Zeitraum nach Insolvenzeröffnung für die Insolvenzschuldnerin festgesetzten Einkommensteuer, Kirchensteuer und des Solidaritätszuschlages für das Jahr 2005 sowie das Jahr 2006 als Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Insolvenzordnung (InsO).

    Ferner ist streitig der Aufteilungsbescheid über die vorgehend angeführten Forderungen für das Jahr 2006.

    Die Insolvenzschuldnerin und ihr Ehegatte waren für den Veranlagungszeitraum 2005 und den Veranlagungszeitraum 2006 mit sonstigen Einkünften aus einer Leibrente des Ehemannes und mit Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit der Ehefrau einkommen-steuerpflichtig.

    Über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin ist mit Datum vom 20. April 2005, über das Vermögen des Ehemannes mit Datum vom 6. April 2005 das vereinfachte Insolvenzverfahren eröffnet worden. Treuhänder in beiden Verfahren ist der Kläger.

    Sowohl die Einkommensteuerzusammenveranlagung für das Jahr 2005 als auch die Einkommensteuerzusammenveranlagung für das Jahr 2006 erfolgten unter Ansatz der Besteuerungsgrundlagen laut Einkommensteuererklärung für die beiden Jahre.

    Für den Zeitraum 2005 vor Insolvenzeröffnung erging an den Kläger als Treuhänder eine Steuerberechnung für die Insolvenzschuldnerin über die auf diese Zeit anteilig entfallenden Steuerbeträge (Insolvenzforderungen). Für den Zeitraum 2005 nach Verfahrenseröffnung wurde dem Treuhänder mit Datum vom 7. November 2006 ein Einkommensteuerbescheid erteilt. Von den darin für die Eheleute als Gesamtschuldner festgesetzten Nachzahlungsbeträgen (Einkommensteuer 797,54 €, Kirchensteuer 71,15 €, Solidaritätszuschlag 0,00 €) entfielen laut Aufteilung in der Anlage zum angefochtenen Einkommensteuerbescheid auf die Insolvenzschuldnerin Einkommensteuer in Höhe von 776,48 € und Kirchensteuer in Höhe von 69,26 €.

    Der Einkommensteuerbescheid 2006 wurde dem Kläger mit Datum vom 13. September 2007 erteilt. Darin waren Nachzahlungsbeträge für die Eheleute als Gesamtschuldner wie folgt festgesetzt: Einkommensteuer 616,00 €, Kirchensteuer 55,44 €, Solidaritätszuschlag 0,00 €. Neben den Erläuterungen zu den Abweichungen von der Steuererklärung enthielt der Bescheid den Hinweis darauf, dass die Steuerfestsetzung die Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit betrifft. Auf Antrag des Treuhänders vom 25. Juli 2007 erging an ihn ein Aufteilungsbescheid über die im Einkommensteuerbescheid 2006 festgesetzten Forderungen mit Datum vom 13. September 2007. Danach entfiel auf die Insolvenzschuldnerin Einkommensteuer in Höhe von 534,75 € und Kirchensteuer in Höhe von 48,13 €.

    Gegen diese an ihn als Treuhänder der Insolvenzschuldnerin gerichteten Bescheide erhob der Kläger mit Schreiben vom 20. November 2006 (für 2005) bzw. mit Schreiben vom 8. Oktober 2007 (für 2006) Einspruch. Der Kläger rügte die Geltendmachung der für den Zeitraum nach Insolvenzeröffnung für die Insolvenzschuldnerin festgesetzten und auf diese entfallenden Beträge für Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag mit dem Rang von Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 InsO. Es sei vielmehr von Neuverbindlichkeiten der Schuldnerin auszugehen. Den Einspruch gegen den Aufteilungsbescheid legte der Kläger vorsorglich ohne weitergehende Begründung ein.

    Mit Datum vom 13. März 2008 erließ das beklagte Finanzamt Einspruchsentscheidungen, mit denen die Einsprüche als unbegründet zurückgewiesen wurden. Die Bescheide seien rechtmäßig, da es sich bei den Forderungen um Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 InsO handele.

    Mit der gegen diese Entscheidungen am 16. April 2008 beim Schleswig-Holsteinischen Finanzgericht eingegangenen Klage macht der Kläger weiterhin geltend, die Forderungen des Finanzamtes seien nicht Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 InsO, sondern vielmehr als Neuverbindlichkeiten der Schuldner anzusehen. Es hätte eine Festsetzung direkt gegenüber der Schuldnerin erfolgen müssen. Gegenstand der Einkommensteuer seien nach § 2 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) bestimmte Einkünfte, die der Steuerpflichtige erziele. Sofern sich gemäß § 34 Abs. 3 Abgabenordnung (AO) eine Verpflichtung für den Treuhänder ergäbe, sei diese nicht unbegrenzt, sondern nur „soweit ihre Verwaltung reicht”. Soweit die Einkommensteuer durch Einkünfte begründet würde, die der Verwalter mit der Masse erzielt habe, sei die Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu berichtigen. Soweit die Einkommensteuer durch vom Schuldner nach Verfahrenseröffnung erzielte Einkünfte begründet würde, verbleibe es bei der Steuerpflicht des Schuldners. Etwas anderes ergäbe sich auch nicht aus der Regelung des § 35 InsO hinsichtlich des Neuerwerbes. Die Erfassung des Neuerwerbs nach § 35 InsO dürfe nicht mit der Verwirklichung eines Steuertatbestandes mit der Masse nach § 34 AO verwechselt werden. Erst wenn der Verwalter mit dem neuerlangten Vermögen Umsätze ausführe und Einkünfte erziele, würde er steuerpflichtig. Der BFH habe in seiner Entscheidung vom 16. November 2004 Az. VII R 62/03 ausdrücklich festgestellt, dass ”... Verbindlichkeiten, die aufgrund eines dem Schuldner auch während der Dauer des Insolvenzverfahrens außerhalb desselben gestatteten rechtsgeschäftlichen oder steuerpflichtigen Handels ... entstehen, aus der Masse überhaupt nicht (weder bevorrechtigt als Masseverbindlichkeit noch anteilig als Insolvenzforderung) befriedigt werden dürften.”

    Im Übrigen sei auf den Gegenstand der Einkommensteuer abzustellen. Es sei für den Einkommensteuertatbestand belanglos, wieweit das bei der Erzielung der Einkünfte erlangte Vermögen von der Insolvenzmasse erfasst werde. Es sei nicht maßgeblich, ob etwaige Einkünfte „insolvenzfrei” wären, sondern ob der Treuhänder den Einkommensteuertatbestand mit den von ihm verwalteten Mitteln verwirklicht oder ob der Einkommensteuertatbestand durch den Schuldner verwirklicht werde. Der Treuhänder sei daher bezüglich der durch den Schuldner während des Verfahrens erzielten Einkünfte nicht einkommensteuerpflichtig.

    Im Übrigen sei auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des BFH durchaus davon auszugehen, dass es nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Einkommensteuerrecht einen von der Insolvenz nicht erfassten Bereich gäbe. So führe der BFH aus: „Die Umsatzsteuer aus der Erwerbstätigkeit von Personen, die durch ihre Arbeit mit Hilfe von nach § 811 Nr. 5 ZPO unpfändbaren Gegenständen steuerpflichtige Leistungen erbringen, zählt deshalb nicht nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu den Masseforderungen”. Am Ende der Entscheidung stelle der BFH dann nochmals fest, dass es auf die Frage, ob die Entgelte, die der Schuldner für seine steuerpflichtige Tätigkeit erhalte, gemäß § 35 InsO in die Insolvenzmasse fallen oder ob der Treuhänder sie zur Masse ziehen müsse, nicht ankomme.

    Der Kläger beantragt,

    die Bescheide über die Festsetzung von Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag vom 7. November 2006 für das Jahr 2005 sowie vom 13. September 2007 für das Jahr 2006, den Aufteilungsbescheid über die im Einkommensteuerbescheid 2006 festgesetzten Forderungen vom 13. September 2007 sowie die hierzu ergangenen Einspruchsentscheidungen vom 13. März 2008 aufzuheben, soweit hier die Festsetzung hinsichtlich der auf die Insolvenzschuldnerin entfallenden Steuerschulden aus ihrer nichtselbstständigen Tätigkeit mit dem Rang von Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO erfolgt.

    Das beklagte Finanzamt beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Die Forderungen seien als Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 InsO zu qualifizieren. Zu den Masseverbindlichkeiten zählten nicht nur Verbindlichkeiten, die auf Handlungen des Treuhänders beruhten, sondern auch solche, die in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet würden, § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Insolvenzmasse sei das gesamte der Vollstreckung unterliegende Vermögen des Schuldners im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung (§§ 35 und 36 InsO). Des Weiteren gehörten dazu auch das vom Schuldner nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund von Arbeit, Schenkung, Erbschaft und Ähnlichem erlangte Vermögen. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens lasse die Rechtsstellung eines Insolvenzschuldners unberührt. Er bleibe zivilrechtlicher Eigentümer der Insolvenzmasse. Auch das Steuerschuldnerverhältnis gegenüber dem Insolvenzschuldner bleibe bestehen. Für die Geltendmachung der nach den Vorschriften des Steuerrechts entstandenen Steueransprüche sei jedoch das Insolvenzrecht maßgebend. Die entscheidende Wirkung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Insolvenzschuldner sei im Übergang des Verwaltungs- und Verfügungsrechts über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen auf den Insolvenzverwalter (§ 80 Abs. 1 InsO) zu sehen, im vereinfachten Insolvenzverfahren im Übergang auf den Treuhänder. Das bedeute, dass der Treuhänder die Rechte und Pflichten des Steuerpflichtigen während des Insolvenzverfahrens bis zu dessen Abschluss wahrzunehmen habe. Damit sei ihm auch im Rahmen der Verwaltung der Insolvenzmasse die Pflicht übertragen, die Steuerschulden des Insolvenzschuldners für die Zeit nach Verfahrenseröffnung aus der Masse zu entrichten. Der Kläger verkenne, dass der Treuhänder wegen der ihm nach den Vorschriften des Insolvenzrechts übertragenen Aufgaben (lediglich) Adressat der Steuerbescheide über Ansprüche aus dem Steuerverhältnis der Insolvenzschuldnerin würde, dass die angefochtenen Bescheide also keineswegs an ihn als Steuerpflichtiger ergangen seien, sondern nur im Hinblick darauf, dass die gegen die Insolvenzmasse gerichteten Forderungen dem Treuhänder gegenüber geltend zu machen seien. Einkommensteuerschulden, die als insolvenzfreie Verbindlichkeiten (Neuverbindlichkeiten) gegen das insolvenzfreie Vermögen eines Insolvenzschuldners zu richten und ihm selbst gegenüber zu verfolgen wären, könnten nur dadurch entstehen, dass der Insolvenzschuldner nicht zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen besitze und dieses zur Erzielung von Einkünften verwende. Davon sei im zu beurteilenden Fall nicht auszugehen.

    Zum übrigen Vorbringen wird auf die vorbereitenden Schriftsätze sowie die Steuerakten Bezug genommen. Sie waren beigezogen und Gegenstand der Entscheidung.

    Gründe

    Die Klage ist begründet. Die Bescheide vom 7. November 2006 sowie vom 13. September 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 13. März 2008 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). Das Finanzamt hat gegenüber dem Kläger die sich aus den zitierten Bescheiden ergebenden Forderungen zu Unrecht als Masseverbindlichkeiten festgesetzt.

    Die Insolvenzschuldnerin erzielte (vor und) nach Insolvenzeröffnung Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG, aufgrund derer das Finanzamt durch Bescheid nach Ablauf des jeweiligen Veranlagungszeitraumes nach § 36 Abs. 1 EStG die geschuldete Einkommensteuer festsetzte.

    Die Einkommensteuer ist nach § 2 Abs. 7 Satz 1 EStG eine Jahressteuer. Die Grundlagen für die Festsetzung sind für das jeweilige Kalenderjahr zu ermitteln (§ 2 Abs. 7 Satz 2 ESG). Der Veranlagungszeitraum für die Festsetzung der Einkommensteuer ist ebenfalls das Kalenderjahr (§ 25 Abs. 1 EStG).

    Auch in der Insolvenz ist für den jeweiligen Besteuerungszeitraum eine einheitliche Veranlagung durchzuführen, in die sämtliche Einkünfte einzubeziehen sind, die der Insolvenzschuldner in dem Veranlagungszeitraum bezogen hat. Die steuerlichen Rechtsfolgen der Tatbestandsverwirklichung, also der Grund und die Höhe des Einkommensteueranspruchs, richten sich allein nach dem Steuerrecht (BFH-Urteil vom 25. Juli 1995 VIII R 61/94, BFH/NV 1996, 117 m.w.N.). Im Falle einer Insolvenz ist diese einheitlich ermittelte Einkommensteuer aber den verschiedenen insolvenzrechtlichen Forderungskategorien nach insolvenzrechtlichen Maßgaben zuzuordnen.

    Soweit die Einkommensteuerschuld für das Jahr 2005 teilweise und für das Jahr 2006 insgesamt erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Grund der Ausübung einer nichtselbstständigen Tätigkeit durch die Insolvenzschuldnerin entstanden ist, ist das Finanzamt kein Insolvenzgläubiger nach § 38 InsO.

    Eine wie im Streitfall nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Steuerforderung kann als Masseverbindlichkeit zu qualifizieren sein und damit aus der Masse zu befriedigen sein oder sich gegen das insolvenzfreie Vermögen des Insolvenzschuldners richten.

    1. Zu den Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO gehören Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters/des Treuhänders (im Folgenden vereinfachend Insolvenzverwalter) oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Sie werden durch den Insolvenzverwalter innerhalb seines gesetzlichen Wirkungskreises durch Rechtsgeschäft oder Rechtshandlung zu Lasten der Masse begründet. Diese Forderungen werden nach § 53 InsO vorweg aus der Masse befriedigt und sind durch Steuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend zu machen.

    Gemäß § 80 Abs. 1 InsO hat nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur der Verwalter das Recht, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten. Aus Wortlaut und Systematik des Gesetzes ergibt sich also, dass nur der Verwalter Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründen kann (siehe auch Braun, Insolvenzordnung, § 55 Rz. 3, 15). Hierfür spricht auch, dass es sich nach dem Gesetzeszweck bei den in § 55 InsO geregelten Masseverbindlichkeiten um vom Insolvenzverwalter im Interesse der Abwicklung des Verfahrens begründete Forderungen handelt. Bei anderer Ansicht könnte der Gemeinschuldner die Masse willkürlich schmälern und so letztlich die Tätigkeit des Insolvenzverwalters unterminieren (Thüringer Finanzgericht vom 11. September 2003 IV 966/02, EFG 2004, 1171).

    Die persönlichen Steuern des Schuldners gehören zu den sonstigen Masseverbindlichkeiten, wenn und soweit die für das Entstehen der Steuerschuld maßgeblichen Tatbestandsmerkmale im Verwaltungsbereich des Insolvenzverwalters erfüllt sind, also die Einkommensteuer, soweit die Masse (der Schuldner) durch den Insolvenzverwalter Einkünfte erzielt.

    Die Insolvenzmasse umfasst nach § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Legaldefinition). Nicht zur Insolvenzmasse gehören hingegen Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen (§ 36 Abs. 1 Satz 1 InsO).

    Somit gehört neben dem im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vorhandenen Vermögen auch der so genannte Neuerwerb zur Insolvenzmasse.

    Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass Verbindlichkeiten, die an den Neuerwerb anknüpfen (so genannte Neuverbindlichkeiten), Masseverbindlichkeiten sind. Vielmehr legen die §§ 35, 38, 53, 55, 80 und 81 InsO fest, dass die durch § 35 InsO definierte Insolvenzmasse den Altgläubigern sowie zur Befriedigung der Verfahrenskosten und der durch den Insolvenzverwalter begründeten Masseverbindlichkeiten zur Verfügung steht (siehe auch Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 1. Oktober 2009 15 K 110/09, EFG 2010, 332; Braun, InsO, § 55 Rz. 15). Im Gegensatz dazu stellen die durch den Insolvenzschuldner begründeten Neuverbindlichkeiten, beispielsweise durch die Nutzung insolvenzfreien Vermögens oder durch Einsatz der eigenen Arbeitskraft, keine Masseverbindlichkeiten dar. Die Arbeitskraft des Schuldners gehört, anders als die hieraus erzielten Entgelte, nicht zu der Insolvenzmasse (Braun, Insolvenzordnung, § 35 Rz. 80).

    Auch an den Neuerwerb anknüpfende Steueransprüche (Umsatzsteuer, Einkommensteuer) sind daher nicht zwangsläufig Masseverbindlichkeiten (Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, Seite 66; so im Ergebnis auch BFH vom 21. Juli 2009 VII R 49/08 BStBl II 2010, 13, der davon ausgeht, dass die aus „dem Arbeitseinsatz” resultierenden Ansprüche und Verbindlichkeiten nicht schon durch die Einbeziehung der Einkünfte aus der Erwerbstätigkeit in den Neuerwerb damit zu Masseverbindlichkeiten werden). Im Streitfall beruhen die Steueransprüche auf den Handlungen der Insolvenzschuldnerin, nicht auf einem Handeln des Insolvenzverwalters oder auf der Verwaltung, Verwertung oder Verteilung der Insolvenzmasse.

    Auch aus dem Umstand, dass gemäß § 80 Abs. 1 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur der Verwalter das Recht hat, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen und damit auch den zur Masse gehörenden Neuerwerb zu verwalten, ergibt sich nicht, dass er die aus dem Neuerwerb resultierenden Verbindlichkeiten zu erfüllen hat.

    Der Einkommensteuertatbestand knüpft an die Einkünfteerzielung an, unabhängig davon wie die daraus gewonnenen Mittel verwendet werden. Es ist für die Verwirklichung des Einkommensteuertatbestandes demnach entscheidend, wer die Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit erzielt und nicht, wem die Einkünfte zur Verfügung stehen. Die Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit erzielte jedoch die Insolvenzschuldnerin und nicht der Insolvenzverwalter.

    2. Die Einkommensteuerschulden sind auch nicht als auf dem Neuerwerb im Sinne des § 35 Abs. 1 InsO lastende Verbindlichkeiten quasi vom Neuerwerb vor dessen Einbeziehung in die Insolvenzmasse abzuziehen, da der Neuerwerb als Bruttoerwerb in die Insolvenzmasse fällt.

    Zwar leitet eine Meinung aus Wortlaut, systematischer Stellung und Zweck dieser Norm ab, dass unter Neuerwerb im Sinne der Vorschrift das neu erworbene Nettovermögen, also das Aktivvermögen nach Abzug der Neuverbindlichkeiten zu verstehen ist. Somit sei gewährleistet, dass die Neugläubiger auf eine Haftungsmasse zugreifen könnten (hierzu FG Nürnberg 4 K 1394/2007, EFG 2009, 867 m.w.N. aus der Literatur).

    Für diese Meinung findet sich aber kein Anhaltspunkt im Gesetz. Zwar ergibt sich aus Wortlaut, systematischer Stellung und Zweck des § 35 InsO, dass die Norm nur den Umfang der Insolvenzmasse, nicht aber explizit die Frage regelt, welche Verbindlichkeiten von der Masse zu tragen sind. Es wurde auch insbesondere in der Vergangenheit immer wieder problematisiert, wie der „Neuerwerb” im Sinne des § 35 InsO zu definieren ist, ob es sich also um den „Bruttoerwerb” (d. h. ohne Abzug der damit zusammenhängenden Verbindlichkeiten) oder um den „Nettoerwerb” (nach Abzug der Verbindlichkeiten, und damit auch der Steueransprüche) handelt. Auch mag es billig erscheinen, dass die Masse nur insoweit bereichert werden kann, als die mit der Bereicherung der Masse im Zusammenhang stehenden Verbindlichkeiten schon abgezogen sind.

    Der Gesetzeswortlaut spricht jedoch dafür, dass der Bruttoerwerb in die Insolvenzmasse fällt. § 36 As. 1 InsO bestimmt, dass nur unpfändbare Gegenstände nicht zur Insolvenzmasse gehören. Damit fällt der gesamte Neuerwerb, mit Ausnahme der unpfändbaren Gegenstände, in die Insolvenzmasse. Die Unpfändbarkeit nach § 850 ff ZPO berücksichtigt die Frage, ob der Erwerb des Gegenstandes Verbindlichkeiten hervorgerufen hat, nicht.

    Folge ist, dass den Neugläubigern damit zunächst jede Haftungsgrundlage entzogen wird (Münchener Kommentar, InsO, Lwowski, § 35 Rz. 43). Neugläubiger können aufgrund der Einbeziehung des Neuerwerbs in die Masse nur in das insolvenzfreie Vermögen vollstrecken bzw. in das Vermögen, welches dem Schuldner nach Beendigung des Verfahrens gehört oder das er erwirbt (Braun, InsO, § 35 Rz. 79, Andres/Leithaus, InsO, § 35 Rz. 12). Die Regelung des § 35 InsO benachteiligt die Neugläubiger – und somit auch das Finanzamt im Streitfall - zugunsten der Masse- und Insolvenzgläubiger (Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, S. 67; Nerlich/Römermann/Andres, InsO, § 35 Rz. 90).

    Auch der BFH scheint sich allein am Gesetzeswortlaut zu orientieren. In einer zur Frage der Haftungsinanspruchnahme des Insolvenzverwalters ergangenen Entscheidung (BFH-Urteil vom 21. Juli 2009 VII R 49/08 BStBl II 2010, 13) geht er davon aus, dass aus dem Umstand, dass Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit in den Neuerwerb einzubeziehen sind, nicht folgt, dass die aus „dem Arbeitseinsatz” resultierenden Ansprüche und Verbindlichkeiten zu Masseverbindlichkeiten werden. Darüber hinaus bezieht er sich für Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit in derselben Entscheidung ausdrücklich auf die ständige Rechtsprechung des BGH, nach der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Einkünfte des Schuldners in vollem Umfang und nicht lediglich in Höhe des nach Abzug der Ausgaben verbleibenden Gewinns zur Insolvenzmasse gehören (BGH-Beschluss vom 18. Mai 2004 IX ZB 189/03, NZI 2004, 444, Beschluss vom 20. März 2003 IX ZB 388/02, NZI 2003, 389). Der BGH beruft sich darauf, dass sich diese Folge aus dem zweifelsfreien Wortlaut der Vorschrift ergibt und sich mit dem Willen des Gesetzgebers deckt (BT-Drucks. 12/2443, S. 122).

    Der Gesetzgeber, der mit Einbeziehung des Neuerwerbs einen Schritt zur Rechtsangleichung im europäischen Raum getan hat (s. Münchener Kommentar, InsO, Lwowski, § 35 Rz. 43) ging davon aus, dass durch die Restschuldbefreiung der Schuldner eine tragfähige Grundlage für einen späteren Neuerwerb erhalte und im Übrigen auch nach der alten Konkursordnung für die Neugläubiger durch Verpfändung des - nach der Konkursordnung insolvenzfreien - Neuerwerbs den Neugläubigern in der Regel keine Haftungsmasse zur Verfügung stand.

    Wenn aber – nach BGH – schon die zur Erzielung der Einkünfte eingegangenen Verbindlichkeiten nicht vom in die Insolvenzmasse fallenden Neuerwerb abgezogen werden können, können die sich erst aufgrund des zu ermittelnden Gewinns ergebenden Einkommensteuerforderungen erst recht nicht abgezogen werden.

    Auf die nichtselbstständige Tätigkeit übertragen bedeutet dies, dass die Einkünfte grundsätzlich (zwar nach Abzug der Lohnsteuer wegen § 850 e ZPO) ohne Abzug der der Einkünfteerzielung dienenden Verbindlichkeiten (auch der Werbungskosten) als Neuerwerb in die Insolvenzmasse fallen und damit auch die sich erst auf die ermittelten Einkünfte gründenden Einkommensteuerverbindlichkeiten nicht vorweg abgezogen werden können.

    Für den selbstständig Tätigen hat der Gesetzgeber mit Wirkung vom 1. Juli 2007 die Regelung des § 35 Abs. 2 und 3 InsO eingeführt. Danach obliegt es nun in diesen Fällen dem Insolvenzverwalter, sich darüber zu erklären, ob Vermögen (d. h. Aktivwerte) aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Die Regelung fügt sich damit insoweit in das Regelungskonzept des Insolvenzrechtes ein, als wieder ein Tätigwerden des Insolvenzverwalters Grundlage für Ansprüche gegen die Masse sein muss. Außerdem führt die Anwendung des § 35 Abs. 2 InsO dazu, dass für die Fälle eines selbstständig tätigen Insolvenzschuldners durch eine strikte Trennung der Insolvenzmasse vom insolvenzfreien Vermögen gewährleistet ist, dass auf der einen Seite die Insolvenzmasse den Altgläubigern als Haftungsmasse verbleibt und auf der anderen Seite die Neugläubiger des Insolvenzschuldners auf eine Haftungsmasse (das insolvenzfreie Vermögen) zugreifen können (Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 1. Oktober 2009 15 K 110/09, EFG 2010, 332).

    Somit ist für den selbstständig Tätigen mit der Neuregelung des § 35 Abs. 2 InsO die Frage, ob es sich beim Neuerwerb um einen Netto- oder Bruttoerwerb handelt, nicht mehr wesentlich. Vielmehr ist hier eine Trennung vollzogen mit der Folge, dass die sich auf die verschiedenen Tätigkeiten gründenden Verbindlichkeiten auch gegen die jeweils verschiedenen Haftungsmassen geltend gemacht werden müssen.

    Für die Fälle, in denen der Insolvenzschuldner unselbstständig tätig ist, gibt es keine entsprechende Regelung, da sie in der Regel unproblematisch sind (so auch Nerlich/Römermann, InsO, § 35 Rz. 91). Da nach § 36 Abs. 1 InsO unpfändbare Gegenstände nicht zur Insolvenzmasse gehören, wird über die §§ 850 ff ZPO und insbesondere nach § 850 e Nr. 1 ZPO der Lohnanspruch nur in Höhe des um die Lohnsteuer verminderten Bruttolohnes pfändbar. Damit fällt der Lohn als Neuerwerb nur in Höhe des Nettolohnes in die Insolvenzmasse. Der als Lohnsteuer an das Finanzamt abgeführte Betrag gehört zu dem unpfändbaren Teil des Lohnes (siehe auch Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, Seite 67). Die Lohnsteuer ist demnach vor Abführung des Neuerwerbs an die Insolvenzmasse zu entrichten. In den Fällen, in denen wie im Streitfall die abgeführte Lohnsteuer nicht mit dem tatsächlich aus der unselbstständigen Tätigkeit entstehenden Steueranspruch übereinstimmt, führt dies unter Anwendung der oben dargestellten Grundsätze dazu, dass sich die an die Erzielung von Einkünften aus nichtselbstständiger Tätigkeit anknüpfenden Einkommensteuerforderungen des Finanzamtes als mit dem Neuerwerb verbundene und durch Tätigkeit des Insolvenzschuldners begründete Verpflichtungen gegen das insolvenzfreie Vermögen des Insolvenzschuldners richten (siehe im Ergebnis auch BFH vom 7. April 2005 V R 5/04, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2005, 848, BFHE 210, 156, Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, Seite 66 f), welches aber, da der Neuerwerb selbst zu Insolvenzmasse gehört, nur aus pfändungsfreien Gegenständen besteht.

    3. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist der Kläger nicht Bekanntgabeadressat der Bescheide, soweit diese auf die Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit Einkommensteuern festsetzen.

    Nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein Verwaltungsakt demjenigen bekanntzugeben, für den er bestimmt oder der von ihm betroffen ist. Im Insolvenzverfahren sind Bescheide über Steuerforderungen, die zu den Masseverbindlichkeiten gehören, an den Insolvenzverwalter zu richten. Die Steuernachforderungen gehören im Streitfall jedoch nicht zu den Masseverbindlichkeiten.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache gemäß § 115 Abs. 2 FGO zugelassen, da die Frage, ob im Rahmen des Neuerwerbs nach § 35 InsO bei Einkünften aus nichtselbstständiger Tätigkeit die darauf beruhende Einkommensteuerschuld vorweg abzuziehen ist, durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs bisher nicht geklärt ist.

    VorschriftenEStG § 9 Abs. 1 Nr. 1, InsO § 35, InsO § 36, InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1, InsO § 80, ZPO § 850e Abs. 1