02.11.2010
Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 27.11.2008 – 1 K 143/08
-Bei laufenden Zahlungen des Kindergeldes von volljährigen Kindern, die Einkünfte und Bezüge erzielen, erfolgt eine Einkommensberechnung für das betreffende laufende Kalenderjahr zunächst im Rahmen einer Prognoseberechnung. Eine Prüfung dieser Prognoseentscheidung erfolgt in der Regel zum Jahresende. Stellt sich heraus, dass sich Änderungen im Laufe des Kalenderjahres gegenüber der ursprünglichen Prognoseberechnung ergeben haben, ist die Festsetzung des Kindergeldes nach § 70 Abs. 4 EStG zu korrigieren.
-Ob die Einkünfte und Bezüge eines Kindes hingegen den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschreiten, kann sich im Laufe eines Kalenderjahres unterschiedlich darstellen und kann regelmäßig abschließend erst nach Ablauf des Jahres geprüft werden. Gleichwohl ist die Behörde gehalten, das Kindergeld monatlich auszuzahlen. Diese gesetzliche Konzeption macht es erforderlich, Kindergeldfestsetzungen, die vor Beginn oder während eines Kalenderjahres erlassen worden sind, wieder aufheben zu können, wenn abzusehen ist oder bekannt wird, dass die Höhe der Einkünfte oder Bezüge des Kindes dazu führen wird, dass das Kind für das Kalenderjahr nicht berücksichtigungsfähig ist.
-Verwirkung setzt voraus, dass sich der zur Rückerstattung gemäß § 37 Abs. 2 AO Verpflichtete nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf verlassen durfte und verlassen hat, dass dieser das Recht in Zukunft nicht geltend machen werde. Der Zeitablauf allein (das sog. Zeitmoment) reicht für die Annahme der Verwirkung eines Rückforderungsanspruchs jedoch grundsätzlich nicht aus. Hinzu kommen muss ein Verhalten des Berechtigten, aus dem der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung den Schluss ziehen darf, dass er nicht mehr in Anspruch genommen werden solle (Umstandsmoment oder Vertrauenstatbestand). Schließlich muss der Verpflichtete auch tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich entsprechend eingerichtet haben.
Tatbestand
Es geht in diesem Verfahren darum, ob die Beklagte zu Recht von der Klägerin das Kindergeld für 2007 zurückgefordert hat, weil die Einkünfte des Sohnes der Klägerin den Grenzbetrag gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten haben.
Der 1984 geborene Sohn der Klägerin absolvierte in der Zeit vom 01.08.2004 bis zum 31.01.2008 eine Ausbildung. Auf der am 22.12.2006 unterzeichneten Ausbildungsbescheinigung machte der Arbeitgeber des Sohnes insbesondere Angaben über die gezahlten Vergütungen für die Jahre 2004 bis 2008. Auf Blatt 137 der Kindergeldakte wird in diesem Zusammenhang verwiesen.
Durch das Schreiben vom 28.02.2007 forderte die Beklagte die Klägerin unter Fristsetzung auf, eine Erklärung für 2007 über die Werbungskosten des Sohnes einzureichen und teilte mit, dass bei Nichteinreichen der Erklärung die Kindergeldfestsetzung aufgehoben werden würde. Im Zeitraum Januar bis März 2007 erfolgten zunächst keine Kindergeldzahlungen. Am 11.04.2007 ging auf dem Konto der Klägerin die Zahlung des Kindergeldes für den Zeitraum Januar bis April 2007 ein.
Durch die am 18.03.2007 unterzeichnete Erklärung zu den Werbungskosten erklärte der Sohn der Klägerin insbesondere Werbungskosten für Fahrten zu seiner Arbeitsstätte insgesamt in Höhe von 1.163,20 km, die er mit seinem Motorrad gefahren sei, Aufwendungen für Reinigung der Berufskleidung und Fachzeitschriften in Höhe von 6,27 € monatlich. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Erklärung und die in diesem Zusammenhang eingereichten Anlagen verwiesen.
Durch die am 10.01.2008 unterzeichnete Erklärung zu den Werbungskosten für das Kalenderjahr 2007 reichte die Klägerin auf Nachfrage eine weitere Erklärung ihres Sohnes ein, durch die der Sohn insgesamt 880,96 km gefahrene Km erklärte. Außerdem machte er Aufwendungen in Höhe von 208 € für HVV, Fahrtkosten zur Schule in Höhe von 147,51 €, Aufwendungen für Fachliteratur in Höhe von 6,27 € und monatliche Reinigungskosten in Höhe von 75,24 € geltend.
Durch eine im Februar 2008 vorgenommene Überprüfung der Einkünfte des Sohnes stellte die Beklagte fest, dass der Sohn der Klägerin sowohl in 2006 als auch in 2007 die Einkommensgrenze von 7.680 € überschritten hatte und bat deshalb die Klägerin noch einmal um Überarbeitung der Erklärung zu den Werbungskosten für 2006. Dieser Bitte kam die Klägerin durch die Erklärung vom 07.03.2008 nach. In diesem Zusammenhang machte der Sohn auch noch detaillierte Angaben über die Werbungskosten in 2007, insbesondere über die angefallenen Fahrtkosten. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die entsprechende Erklärung Bezug genommen.
Durch die daraufhin, unter Einbeziehung der neuen Erklärungen über die Werbungskosten, durchgeführte Berechnung der Werbungskosten, kam die Beklagte für die Jahre 2006 und 2007 wieder zu dem Ergebnis, dass die Einkommensgrenze von 7.680 € überschritten worden sei. Nach der Berechnung der Beklagten waren für 2007 Werbungskosten in Höhe von 962,91 € zu berücksichtigen, wobei die Beklagte in diesem Zusammenhang davon ausging, dass entgegen der aktuellen Gesetzeslage auch Fahrtkosten unterhalb von 21 Entfernungskilometern absetzbar seien.
Mit dem Bescheid vom 27.05.2008 wurde die Kindergeldfestsetzung für das Kind A, geb. .....1984, ab Januar 2006 aufgehoben. Zugleich wurde das für den Zeitraum von Januar 2006 bis Dezember 2007 zu Unrecht gezahlte Kindergeld in Höhe von 3.696,00 EUR zurückgefordert. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) überstiegen.
Hiergegen richtet sich der Einspruch vom 17.06.2008. Die Rückforderung des gezahlten Kindergeldes sei rechtswidrig, da der Beklagten bereits bei Zahlung des Kindergeldes alle Angaben zu den Einnahmen und Werbungskosten vorgelegen hätten.
Durch den Bescheid vom 30.06.2008 half die Beklagte dem Einspruch teilweise ab und änderte die Festsetzung dahingehend, dass der Klägerin das Kindergeld für 2006 wieder gewährt wurde. Sie begründete diese Entscheidung damit, dass am 03.04.2007 das Kindergeld für das Kalenderjahr 2007 festgesetzt wurde und die Klägerin dadurch davon ausgehen konnte, dass auch eine entsprechende Prüfung für das Jahr 2006 erfolgt und abgeschlossen sei, da keine weiteren Unterlagen angefordert wurden.
Am 01.07.2008 überprüfte die Beklagte noch einmal die erklärten Werbungskosten des Sohnes für 2007 und gelangte dabei zu dem Ergebnis, dass nach geltender Rechtslage 947,11 € an Werbungskosten zu berücksichtigen seien. Alternativ berechnete die Beklagte die Werbungskosten bei voller Berücksichtigung der erklärten Fahrtkosten, da die entsprechende steuerrechtliche Regelung zur Überprüfung beim Bundesverfassungsgericht ist und errechnete zu berücksichtigende Werbungskosten in Höhe von 1.238,61 €, so dass noch Einkünfte in Höhe von 8.477,92 € verblieben.
Durch Einspruchsentscheidung vom 02.07.2008 wies die Beklagte den Einspruch bezüglich der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für 2007 und die entsprechende Rückforderung als unbegründet zurück.
Hiergegen richtet sich die Klage vom 29.07.2008. Zur Begründung trägt die Klägerin vor, die Beklagte berufe sich zu Unrecht auf § 70 Abs. 4 EStG, denn diese Vorschrift erfordere, dass nachträglich bekannt werde, dass der Grenzbetrag überschritten werde. Hierfür sei erforderlich, dass entgegen einer früheren Prognoseentscheidung die Einkünfte des Kindes den Grenzbetrag überschritten. Nicht erfasst sei die rechtsfehlerhafte Zahlung des Kindergeldes. Im Streitfall ergebe sich bereits aus der eingereichten Ausbildungsbescheinigung, dass der Grenzbetrag auch im Jahr 2007 überschritten würde. Die Klägerin habe sich darauf verlassen dürfen, dass ihr das Kindergeld endgültig gewährt werde.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 27.05.2008 über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für das Kind A sowie die Erstattung des Kindergeldes in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 01.07.2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage aufzuheben.
Die Beklagte verweist zur Begründung auf ihre Einspruchsentscheidung vom 01.07.2008. Für das Jahr habe es sich zunächst nur um eine Prognose handeln können, da eine endgültige Überprüfung erst nach Ablauf des Kalenderjahres bei Vorliegen aller relevanten Einkünfte sowie der Werbungskosten getroffen werden könne.
Die Beteiligten haben im Erörterungstermin auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und sich mit einer Entscheidung der Berichterstatterin einverstanden erklärt.
Dem Gericht hat die Kindergeldakte der Beklagten vorgelegen. Auf das Sitzungsprotokoll des Erörterungstermins vom 31.10.2008 wird verwiesen.
Gründe
Die Berichterstatterin entscheidet im Einverständnis der Beteiligten gem. § 79a Abs. 3 FGO ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Beklagte hat zu Recht die Kindergeldfestsetzung für 2007 aufgehoben und von der Klägerin das an sie gezahlte Kindergeld für 2007 zurückgefordert. Der Klägerin stand kein Kindergeld für 2007 zu, weil ihr Sohn die Einkunftsgrenze in Höhe von 7.680 € gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten hat.
Es bestand kein Anspruch auf Kindergeld.
Anspruch auf Kindergeld für volljährige Kinder besteht u. a. nur in den Monaten, in denen die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 i. V. m. § 32 Abs. 4 Nr. 2 EStG an mindestens einem Tag erfüllt sind. Ein Anspruchsmonat liegt insbesondere vor, wenn das Kind an mindestens einem Monatstag eine Berufsausbildung absolviert.
Zusätzliche Voraussetzung ist gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, dass
die Einkünfte des Kindes und
seine Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind,
den gesetzlich festgelegten Grenzbetrag für das jeweilige Kalenderjahr nicht überschreiten. Der Grenzbetrag für das Kalenderjahr 2007 beträgt 7.680,00 €.
Im vorliegenden Fall liegen die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Nr. 2 EStG durchgehend während des gesamten Kalenderjahres vor, so dass der Grenzbetrag nicht zu kürzen ist.
Als Einkünfte sind die Bruttoeinnahmen des Kindes aus den sieben steuerlichen Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 EStG abzüglich der Werbungskosten bzw. der Betriebsausgaben anzurechnen. Insbesondere sind danach Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (z.B. Ausbildungsvergütung, Arbeitslohn), aus Kapitalvermögen (z.B. Sparzinsen, soweit sie den Sparerfreibetrag übersteigen) und aus Gewerbebetrieb bzw. einer selbständigen Tätigkeit zu berücksichtigen. Zu den Einkünften gehören auch Sonderzuwendungen, d.h. nicht monatlich gezahlte Vergütungen wie z.B. Weihnachts- und Urlaubsgeld. Bezüge sind alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert, die keine Einkünfte im Sinne von § 2 Abs. 1 EStG darstellen, insbesondere Lohnersatzleistungen, Unfall- und Versorgungsrenten sowie sonstige Unterstützungsleistungen der Sozialbehörden.
Von den Bruttoeinnahmen des Kindes sind dessen Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben abzuziehen; bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ist dabei mindestens der Arbeitnehmerpauschbetrag von 920,00 EUR zu berücksichtigen, sofern nicht höhere Werbungskosten nachgewiesen werden.
Weiterhin sind die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung in Höhe des Arbeitnehmeranteils, die vom Arbeitgeber abgeführt werden und nicht in den Verfügungsbereich des Arbeitnehmers gelangen, nicht als Einkommen des Kindes zu berücksichtigen (Beschluss des BVG vom 11.01.2005 - 2 BvR 167/02).
Von den Einkünften und Bezügen des Kindes können dessen besondere Ausbildungskosten abgesetzt werden. Dabei handelt es sich um ausbildungsbedingte Ausgaben, die nicht bereits Werbungskosten sind, jedoch der Höhe nach wie Werbungskosten berücksichtigt werden.
Für den streitigen Zeitraum sind folgende Einnahmen anzurechnen:
Art der Einkünfte/Bezüge bzw. der Abzugsbeträge sowie Zeitraum | mtl. EUR | Anz. d. Monate | Summe |
EUR | |||
Lfd. Vergütung f. Jan. 2007 bis Mai 2007 (*) | 656,58 | 5 | 3.282,90 |
Lfd. Vergütung f. Juni 2007 bis Juli 2007 (*) | 686,19 | 2 | 1.372,38 |
Lfd. Vergütung f. Aug. 2007 bis Dez. 2007 (*) | 730,74 | 5 | 3.653,70 |
Sonderzahlung, Urlaubsgeld insg.(*) | 1.407,55 | 1 | 1.407,55 |
Summe: | 9.716,53 |
Es kann an dieser Stelle offen bleiben, ob lediglich der Arbeitnehmerpauschbetrag in Höhe von 920 € berücksichtigt werden muss oder zugunsten der Klägerin davon ausgegangen werden muss, dass die steuerrechtliche Beschränkung der Fahrtkosten verfassungswidrig ist (so dass zu berücksichtigen wären: die monatlichen Reinigungskosten in Höhe von 75,24 €, Fachliteratur in Höhe von 6,27 € und alle gefahrenen Kilometer, unabhängig von den gesetzlichen Bestimmungen auch bereits vor dem 21. Entfernungskilometer), denn auch wenn alle vom Sohn des Klägers erklärten Werbungskosten berücksichtigt würden, überschreiten die Einkünfte des Sohnes den Grenzbetrag. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.
Da die ermittelten Einkünfte und Bezüge des Sohnes den maßgeblichen Grenzbetrag von 7.680,00 € überschreiten, besteht somit für alle Anspruchsmonate nach § 32 Abs. 4 Nr. 2 EStG innerhalb des Kalenderjahres kein Anspruch auf Kindergeld.
Die Beklagte konnte die Kindergeldfestsetzung aufheben und das Kindergeld zurückfordern.
Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung ist § 70 Abs. 4 EStG. Hiernach ist die Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern, soweit nachträglich bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 EStG über- oder unterschreiten.
Der nachträglich eingeführte § 70 Abs. 4 EStG stellt sicher, dass eine bereits ergangene Kindergeldfestsetzung in den Fällen des § 32 Abs. 4 EStG bei nachträglichem Bekanntwerden der Überschreitung des Grenzbetrages aufgrund von nachträglich bekanntgewordenen Tatsachen auch nach Ablauf des Kalenderjahres korrigiert werden kann. Insbesondere war bei der Einführung dieser Vorschrift an die Fälle eine unzutreffenden Prognoseentscheidung gedacht (siehe Schmidt-Weber-Grellet § 70 EStG Rn. 9 m.w.N.). Bei laufenden Zahlungen des Kindergeldes von volljährigen Kindern, die Einkünfte und Bezüge erzielen, erfolgt eine Einkommensberechnung für das betreffende laufende Kalenderjahr zunächst im Rahmen einer Prognoseberechnung. Eine Prüfung dieser Prognoseentscheidung erfolgt in der Regel zum Jahresende. Stellt sich heraus, dass sich Änderungen im Laufe des Kalenderjahres gegenüber der ursprünglichen Prognoseberechnung ergeben haben, ist die Festsetzung des Kindergeldes nach § 70 Abs. 4 EStG zu korrigieren.
Im vorliegenden Fall erfolgte die Berechnung der Einkünfte und Bezüge für den Sohn der Klägerin zunächst im Rahmen einer Prognoseentscheidung für das Kalenderjahr 2007 am 02.04.2007. Grundlage dieser Berechnung waren Einkommensdaten der Ausbildungsbescheinigung der Fa. B AG, ausgestellt am 22.12.2006. Gegenüber dieser Ausbildungsbescheinigung haben sich im Laufe des Kalenderjahres 2007 laut der Ausbildungsbescheinigung der Fa. B AG, ausgestellt am 04.01.2008, sowohl bei der monatlichen Ausbildungsvergütung als auch bei der tariflichen/betrieblichen Sonderzahlung bzw. bei dem Urlaubsgeld Änderungen ergeben. Auch variierten die Angaben des Sohnes der Klägerin zu seinen Werbungskosten.
Die Familienkasse war nicht gehindert, die Festsetzung des Kindergeldes mit dem angefochtenen Bescheid rückwirkend aufzuheben. Dies ergibt sich daraus, dass § 31 Satz 3 einerseits vorsieht, dass das Kindergeld laufend (monatlich) zu zahlen ist und § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG andererseits bestimmt, dass ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, nur dann berücksichtigt wird, wenn die Einkünfte und Bezüge einen bestimmten Betrag pro Kalenderjahr (Jahresgrenzbetrag) nicht überschreiten. Ob der Jahresgrenzbetrag überschritten wird, entscheidet sich erst im Laufe des Kalenderjahres. Insoweit besteht ein grundlegender Unterschied zu feststehenden Tatbestandsmerkmalen wie etwa der Haushaltszugehörigkeit eines Kindes oder der Absolvierung einer Ausbildung. Über das Vorliegen oder Nichtvorliegen solcher feststehender Tatbestandsmerkmale kann die Behörde jederzeit befinden und somit die Leistung des Kindergeldes stets zeitnah den tatsächlichen Verhältnissen anpassen. Ob die Einkünfte und Bezüge eines Kindes hingegen den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschreiten, kann sich im Laufe eines Kalenderjahres unterschiedlich darstellen und kann regelmäßig abschließend erst nach Ablauf des Jahres geprüft werden. Gleichwohl ist die Behörde gehalten, das Kindergeld monatlich auszuzahlen. Diese gesetzliche Konzeption macht es erforderlich, Kindergeldfestsetzungen, die vor Beginn oder während eines Kalenderjahres erlassen worden sind, wieder aufheben zu können, wenn abzusehen ist oder bekannt wird, dass die Höhe der Einkünfte oder Bezüge des Kindes dazu führen wird, dass das Kind für das Kalenderjahr nicht berücksichtigungsfähig ist.
Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin der Familienkasse Anfang 2007 mitgeteilt hatte, wie sich die voraussichtlichen Einkünfte und Werbungskosten ihres Sohnes zusammensetzten, so dass die Familienkasse bereits zu diesem Zeitpunkt an der Entstehung der Werbungskosten in der von der Klägerin angenommenen Höhe hätte zweifeln können. Maßgeblich ist, dass die tatsächliche Höhe der im Jahr 2007 anfallenden Werbungskosten zum Zeitpunkt der Prognoseentscheidung der Familienkasse weder ihr noch der Klägerin selbst bekannt war, so dass eine abschließende Entscheidung über die Berücksichtigungsfähigkeit des Sohnes noch nicht getroffen werden konnte. Erst nach dem Ablauf des Kalenderjahres kann endgültig festgestellt werden, ob der Grenzbetrag tatsächlich überschritten wurde, denn es können auch noch am letzten Tag des Jahres anzurechnende Werbungskosten entstehen, die dazu führen, dass der Grenzbetrag nicht mehr überschritten wird. Vor Ablauf des Jahres ist die Prognose immer mit Unsicherheiten behaftet. Der Kindergeldempfänger ist an einer zügigen Entscheidung interessiert, muss sich dann aber auch bewusst sein, dass das Behaltendürfen des Kindergeldes erst gesichert ist, wenn der Prognosezeitraum abgelaufen ist.
Die Erstattungspflicht ergibt sich aus § 37 Abs. 2 AO. Hiernach ist eine Steuervergütung zu erstatten, soweit sie ohne rechtlichen Grund gezahlt wurde. Dies ist vorliegend der Fall, weil ein Anspruch nicht bestand und die Kindergeldfestsetzung deshalb insoweit aufgehoben wurde. Der Rückforderungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO ist Ausdruck des übergeordneten und allgemeinen Grundsatzes, dass derjenige, der vom Staat zu Lasten der Allgemeinheit eine Leistung ohne Rechtsanspruch erhalten hat, diese erstatten muss.
Da aufgrund der rechtmäßigen Aufhebung der Kindergeldfestsetzung der rechtliche Grund für die Zahlung des Kindergeldes weggefallen war, konnte die Beklagte gemäß § 37 Abs. 2 AO das zuviel gezahlte Kindergeld in Höhe von 1.848 € zurückfordern.
Der auch im Steuerrecht Geltung beanspruchende Grundsatz von Treu und Glauben steht dem nicht entgegen. Hier käme als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben allein die Verwirkung des Rückforderungsanspruchs des Beklagten in Betracht. Es ist jedoch keine Verwirkung eingetreten. Verwirkung setzt voraus, dass sich der --hier zur Rückerstattung gemäß § 37 Abs. 2 AO -- Verpflichtete nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf verlassen durfte und verlassen hat, dass dieser das Recht in Zukunft nicht geltend machen werde. Der Zeitablauf allein (das sog. Zeitmoment) reicht für die Annahme der Verwirkung eines Rückforderungsanspruchs jedoch grundsätzlich nicht aus. Hinzu kommen muss ein Verhalten des Berechtigten, aus dem der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung den Schluss ziehen darf, dass er nicht mehr in Anspruch genommen werden solle (Umstandsmoment oder Vertrauenstatbestand). Schließlich muss der Verpflichtete auch tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich entsprechend eingerichtet haben (zum Ganzen vgl. BFH-Urteil vom 14. Oktober 2003 VIII R 56/01, BFHE 203, 472, BStBl II 2004, 123, m.w.N.).
Die Verwirkung des Rückforderungsanspruchs scheitert daran, dass es an einem Verhalten des Beklagten fehlt, welches für die Klägerin bei objektiver Auslegung den eindeutigen Schluss zuließ, dass ihr das für ihren Sohn zu Unrecht gezahlte Kindergeld belassen werde.
II.
Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 115 FGO und aus § 135 Abs. 1 FGO.
Anmerkung
Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (BFH III B 6/09)
Revision eingelegt (BFH III R 7/10)