02.11.2010
Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 26.01.2010 – 5 K 2120/06
Eine Aufrechnung mit dem Vorsteuerbetrag aus der Rechnung des vorläufigen Insolvenzverwalters verstößt weder gegen § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da die Begründung des Vorsteueranspruchs mit der Leistungserbringung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt, noch gegen § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, weil die für das FA durch den Vorsteueranspruch entstandene Aufrechnungslage nicht auf einer nach der InsO anfechtbaren Rechtshandlung beruht (Anschluss an BFH v. 27.2.2009, VII B 96/08 und BFH v. 16.11.2004 VII R 75/03; entgegen BGH v. 22.10.2009 IX ZR 147/06).
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg – 5. Senat – aufgrund mündlicher Verhandlung vom 26. Januar 2010 durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht …, die Richterin am Finanzgericht …, den Richter am Verwaltungsgericht …, sowie die ehrenamtlichen Richter … und …
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Tatbestand:
Der Kläger war zunächst vorläufiger Insolvenzverwalter über das Vermögen der X-GmbH (im Folgenden: Gemeinschuldnerin). Mit Beschluss vom 16.12.2002 bestellte das Amts gericht M ihn zum Insolvenzverwalter. In einem weiteren Beschluss vom 3.7.2003 bewilligte das Amtsgericht M dem Kläger eine Vergütung für die Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter in Höhe von netto 6.823,00 EUR. Diesen Betrag entnahm der Kläger am 3.3.2005 der Insolvenzmasse. Den darauf entfallenden Vorsteuerbetrag in Höhe von 1.105,33 EUR machte er in der Umsatzsteuervoranmeldung für das erste Quartal 2005 geltend. Der Beklagte buchte den Vorsteuerbetrag auf Steuerforderungen gegen die Gemeinschuldnerin aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung um und teilte dies dem Kläger mit Schreiben vom 27.4.2005 mit (Blatt 7 der Gerichtsakte). Dem trat der Kläger entgegen. Daraufhin erließ der Beklagte am 16.3.2006 einen Abrechnungsbescheid zur Umsatzsteuer für das erste Quartal 2005, in dem er den geltendgemachten Vorsteuerbetrag nicht berücksichtigte. Auf den Bescheid wird Bezug genommen (Blatt 9 der Gerichtsakte). Den gegen den Abrechnungsbescheid eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit der Einspruchsentscheidung vom 1.12.2006, die am selben Tag zur Post gegeben wurde, als unbegründet zurück.
Mit dem am 7.12.2006 eingegangenen Schriftsatz vom 4.12.2006 hat der Kläger – wohl in Unkenntnis der ergangenen Einspruchsentscheidung – Untätigkeitsklage erhoben. In der Sache ist der Kläger der Auffassung, dass der Beklagte rechtsfehlerhaft davon ausgehe, dass er die dem Steueranspruch zu Grunde liegende Leistung bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht habe. Bei der Leistung handele es sich nicht um die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters, sondern um die Zahlung der darauf entfallenden Vergütung. Diese habe das Amtsgericht M erst nach der Insolvenzeröffnung festgesetzt. Er, der Kläger, habe die Vergütung daher auch erst nach der Insolvenzeröffnung der Masse entnommen. Da § 54 Nr. 2 Insolvenzordnung die Vergütung ausdrücklich als Masseverbindlichkeit behandele, sei die von dem Beklagten vorgenommene Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 Insolvenzordnung unzulässig. Abgesehen davon habe der Unternehmer nach § 16 Abs. 2 Satz 1 Umsatzsteuergesetz – UStG – ein Wahlrecht, zu welchem Zeitpunkt er die in den Veranlagungszeitraum fallenden Vorsteuerbeträge abziehe, verrechne oder deren Erstattung verlange. Im vorliegenden Fall sei die Erstattung erst nach Insolvenzeröffnung geltendgemacht worden.
Soweit der Bundesfinanzhof letztmalig mit Beschluss vom 27.2.2009 (VII B 96/08) die Aufrechnung mit dem Vorsteuerbetrag aus der Rechnung des vorläufigen Insolvenzverwalters für zulässig erachtet habe, bestehe eine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, namentlich zum Urteil vom 22.10.2009 (IX ZR 147/06). Eine Klärung durch den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes sei erforderlich.
Der Kläger beantragt,
die Einspruchsentscheidung vom 1.12.2006 aufzuheben und den Abrechnungsbescheid zur Umsatzsteuer für das erste Quartal 2005 vom 16.3.2006 dahingehend zu ändern, dass sich ein Guthaben in Höhe von 1297,33 EUR ergibt.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Neben der Gerichtsakte hat dem Gericht bei der Entscheidung eine Heftung mit dem Einspruchsvorgang des Beklagten vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Da die Einspruchsentscheidung am 1.12.2006 ergangen und zur Post gegeben worden ist und damit gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 Abgabenordnung – AO – am 4.12.2006 als zugestellt gilt, konnte der Kläger die am 7.12.2006 beim Finanzgericht eingegangene Klage wirksam erheben, ohne dass es auf die Frage ankommt, ob die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 AO zum Zeitpunkt der Klagerhebung vorgelegen haben.
Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –).
Die von dem Beklagten vorgenommene Aufrechnung ist zulässig. Ihr steht insbesondere nicht die Vorschrift des § 96 Abs. 1 Nr. 1 Insolvenzordnung entgegen. Danach ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Das ist beim Vorsteuerabzug aus der Rechnung des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht der Fall. Der Vorsteueranspruch ist nämlich vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden, weil der vorläufige Insolvenzverwalter seine Leistungen vor diesem Zeitpunkt erbracht hat. Der Zeitpunkt der Geltendmachung des Vorsteueranspruchs ist dabei ohne Bedeutung, weil die Geltendmachung des Vorsteueranspruch – entgegen der Auffassung des Klägers – keine Leistung ist. Insoweit verweist der Senat auf die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, der er sich anschließt (siehe z.B. Beschluss vom 27.2.2009 VII B 96/08, BFH/NV 2009, 892 m.w.N.).
Die Unzulässigkeit der Aufrechnung ergibt sich auch nicht aus § 96 Abs. 1 Nr. 3 Insolvenzordnung. Danach ist eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Das ist deshalb nicht der Fall, weil die für den Beklagten durch den Vorsteueranspruch der Gemeinschuldnerin entstandene Aufrechnungslage nicht auf einer nach der Insolvenzordnung anfechtbaren Rechtshandlung beruht. Der Senat folgt auch insoweit der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urteil vom 16.11.2004 VII R 75/03, Bundessteuerblatt – BStBl. – II 2006, 193) und vermag sich der gegenteiligen Auffassung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 22.10.2009 IX ZR 147/06, Wertpapiermitteilungen – WM – 2009, 2394) nicht anzuschließen. Die vom BGH vorgenommene Auslegung des Begriffs der Rechtshandlung geht nach Meinung des Senats zu weit. Sie führt zu einem vollständigen Ausschluss der Aufrechnung von Steuerforderungen im Insolvenzfall, weil – wie der BGH selbst einräumt – letztendlich alle steuerrechtlich relevanten Geschehnisse auf Handlungen des Steuerpflichtigen oder eines Dritten zurückzuführen sind, die – nach dem Verständnis des BGH – Rechtshandlungen darstellen würden. § 96 Abs. 1 Nr. 3 Insolvenzordnung erfasst nach Auffassung des Senats nur diejenigen Fälle, in denen die Möglichkeit der Aufrechnung unmittelbar durch eine Rechtshandlung des Aufrechnenden entsteht. Das ist im vorliegenden Fall unstreitig nicht gegeben.
Angesichts der bestehenden Divergenz zwischen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und des Bundesgerichtshofs hat der Senat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.