02.11.2010
Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 10.11.2009 – 6 K 3110/06
- Eine Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 15 a UStG liegt auch dann vor, wenn bei tatsächlich gleichbleibenden Verwendungsumsätzen die rechtliche Beurteilung der Verwendung des Wirtschaftsgutes im Erstjahr, die der Gewährung des Vorsteuerabzugs im Abzugsjahr zu Grunde lag, sich in einem der Folgejahre aufgrund der Richtlinie 77/388 EG als unzutreffend erweist, sofern die Steuerfestsetzung für das Abzugs bestandskräftig unabänderbar ist.
- Eine Berichtigung des Vorsteuerabzuges ist bei Unabänderbarkeit der für die Abzugsjahre ergangenen Steuerfestsetzungen ausgeschlossen, sofern der Finanzbehörde eine Änderung der Festsetzung des Abzugsjahr aus Anlass der Änderung der Rechtslage zumindest in dem auf das Abzugsjahr folgenden Jahr möglich war eine entsprechende Änderung jedoch unterlassen wurde.
- Die Finanzbehörde darf eine für den Steuerpflichtigen im Vergleich zur nationalen Regelung günstigere Regelung des sekundären Europarechts erst berücksichtigen, wenn sich der Steuerpflichtige hierauf beruft.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den Ansatz von Vorsteuerkorrekturbeträgen nach § 15a UStG im Zusammenhang mit der Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zur Steuerfreiheit von Glücksspielumsätzen. Die Klägerin firmierte bis Mitte 1998 unter dem Namen A GmbH und ist Rechtsnachfolgerin der mit Vertrag vom 28.07.1998 auf sie verschmolzenen B GmbH und des Einzelunternehmens C Spielhalle : Firma D.
In ihren für die Besteuerungszeiträume 1994 bis 1998 beim Beklagten (dem Finanzamt, im Folgenden: ,FA') abgegebenen Umsatzsteuererklärungen machten die Klägerin, die B GmbH und die Firma D Vorsteuerbeträge aus der Anschaffung von Geldspielautomaten und anderen Wirtschaftsgütern geltend. Die Umsatzsteuerjahreserklärungen der Jahre 1994 bis 1998 gingen allesamt jeweils im Laufe des auf den jeweiligen Besteuerungszeitraum folgenden Kalenderjahres beim FA ein. In diesen sowie in den für die Jahre 1999 bis 2003 (d.h. für die Streitjahre) abgegebenen Umsatzsteuererklärungen setzte die Klägerin die mit den Geldspielautomaten erzielten Umsätze als zum Regelsteuersatz steuerpflichtige Lieferungen und Leistungen an.
Am 06.10.2005 reichte die Klägerin beim FA für die Streitjahre berichtigte Umsatzsteuerjahreserklärungen ein, in denen sie die mit den Geldspielautomaten erzielten Umsätze als steuerfrei behandelte und die für die Streitjahre geltend gemachten Vorsteuerbeträge entsprechend kürzte. Dabei berief sie sich auf die Urteile des EuGH vom 17.02.2005 (C-453/02 u.a. – „Linneweber” – Slg. 2005, I-1131) und des BFH vom 12.05.2005 (V R 7/02, BStBl. II 2005, 617). Wegen des Inhalts der berichtigten Steuererklärungen wird auf Bl. 7 f., 22 f., 37 f., 50 f. und 62 f. der Umsatzsteuerakten der Klägerin 1999 bis 2003 Bezug genommen.
Das FA führte daraufhin für die Streitjahre eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch, die es mit Bericht vom 21.02.2006 abschloss. Darin kam die Betriebsprüfung (im Folgenden: ,Bp') zu dem Ergebnis, dass die in früheren Jahren geltend gemachten Vorsteuerbeträge wegen der für die Streitjahre beanspruchten Umsatzsteuerfreiheit der Glücksspielumsätze nach § 15a UStG zu korrigieren seien. Hinsichtlich der aus der Anschaffung der Geldspielautomaten geltend gemachten Vorsteuerbeträge legte die Bp einen vierjährigen Berichtigungszeitraum zu Grunde. Wegen der Berechnung der für die Streitjahre jeweils in Betracht kommenden Vorsteuerkorrekturbeträge wird auf Bl. 501 bis 524 des Fallheftes der Betriebsprüfung Bezug genommen. Im Einzelnen errechnete die Bp für die Streitjahre zum Zwecke der Vorsteuerkorrektur die folgenden negativen Vorsteuerbeträge, deren Höhe zwischen den Beteiligten unstreitig ist:
Jahr | Korrekturbetrag sonstige Wirtschaftsgüter (Euro) | Korrekturbetrag Geldspielgeräte (Euro) | Korrekturbetrag insgesamt (Euro) |
1999 | ./. 10.053,24 | ./. 5.865,18 | ./. 15.918,42 |
2000 | ./. 8.303,76 | ./. 3.795,76 | ./. 12.099,52 |
2001 | ./. 7.031,26 | ./. 2.089,27 | ./. 9.120,53 |
2002 | ./. 6.805,55 | ./. 505,51 | ./. 7.311,06 |
2003 | ./. 5.251,44 | 0,00 | ./. 5.251,44 |
Mit ihrer am 23.10.2006 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Rechtsbegehren weiter. Am 23.12.2008 hat das FA für die Streitjahre geänderte Umsatzsteuerbescheide erlassen. Zusammenfassend ergeben sich aus den Steuerakten sowie den Änderungsbescheiden vom 23.12.2008 die folgenden Umsatzsteuerbeträge (sämtliche Beträge in Euro):
Jahr | Ursprüngliche Erklärung | Berichtigte Erklärung | Festsetzung FA vom 20.03.2006 | Festsetzung FA vom 23.12.2008 |
1999 | 102.744,05 | ./. 10.992,17 | 18.211,19 | 17.854,31 |
2000 | 97.248,18 | 6.903,38 | 18.829,35 | 18.448,43 |
2001 | 85.496,03 | ./. 17.384,25 | ./. 8.060,01 | ./. 8.416,89 |
2002 | 121.861,38 | 8.962,75 | 21.405,52 | 21.408,38 |
2003 | 113.589,12 | 1.821,69 | 16.276,24 | 16.075,45 |
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Umsatzsteuer unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 09.10.2006 für 1999 auf 2.292,77 Euro, für 2000 auf 7.780,71 Euro, für 2001 auf ./. 16.230,87 Euro, für 2002 auf 16.723,80 und für 2003 auf 13.952,40 Euro herabzusetzen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA vertritt die Auffassung, dass der Ansatz der Korrekturbeträge nach § 15a UStG zulässig und geboten sei. Denn eine „Änderung der Verhältnisse” im Sinne dieser Vorschrift liege nach der Rechtsprechung des BFH (vom 12.06.1997 – V R 36/95, BStBl. II 1997, 589) auch dann vor, wenn sich bei tatsächlich gleichbleibenden Verwendungsumsätzen die rechtliche Beurteilung der Verwendung des fraglichen Wirtschaftsgutes in den auf die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs nachfolgenden Jahren als unzutreffend erweise, sofern die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr bestandskräftig und unabänderbar sei. Dies sei vorliegend der Fall. Die für die Jahre 1994 bis 1998 bestehenden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis seien festsetzungsverjährt. Eine Änderung der entsprechenden Festsetzungen komme daher nicht mehr in Betracht. Soweit jedoch der hinsichtlich der in diesen Jahren geltend gemachten Vorsteuerbeträge anwendbare Berichtigungszeitraum bis in die Streitjahre fortdaure, sei eine Vorsteuerkorrektur nach § 15a UStG durchzuführen.
Auf die vorgelegten Steuerakten (1 Band Umsatzsteuerakten der Firma A GmbH 1994 bis 1997, 1 Band Umsatzsteuerakten der Firma B GmbH 1994 bis 1998, 1 Band Umsatzsteuerakten der Firma C Spielhalle „D” 1994 bis 1998, 1 Band Umsatzsteuerakten der Klägerin 1998, 1 Band Umsatzsteuerakten der Klägerin 1999 bis 2003, 1 Band Rechtsbehelfvorgänge Umsatzsteuer 1999 bis 2003, 1 Sonderband Betriebsprüfungsberichte, 2 Bände Fallheft der Betriebsprüfung) wird ergänzend Bezug genommen. Sie waren Gegenstand des Verfahrens.
Gründe
Die Klage ist unbegründet. Die Umsatzsteuerfestsetzungen vom 23.12.2008, die nach § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Klageverfahrens geworden sind, sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, da das FA die streitgegenständlichen Vorsteuerkorrekturbeträge nach § 15a UStG zu Recht angesetzt hat.
1. Hat der Steuerpflichtige die aus der Anschaffung oder Herstellung eines Wirtschaftsgutes resultierenden Vorsteuern nach § 15 Abs. 1 UStG in einem bestimmten Kalenderjahr abgezogen und wird das Wirtschaftsgut über mehrere Kalenderjahre hinweg nicht nur einmalig genutzt, so schreibt § 15a Abs. 1 UStG vor, dass einer Änderung bezüglich der den seinerzeitigen Vorsteuerabzug rechtfertigenden Verhältnisse innerhalb eines Beobachtungs- bzw. Berichtigungszeitraums von fünf (§ 15a Abs. 1 Satz 1 UStG) bzw. zehn (§ 15a Abs. 1 Satz 2 UStG) Jahren seit der Anschaffung oder Herstellung dadurch Rechnung zu tragen ist, dass für jedes Kalenderjahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen ist. Nach § 15a Abs. 5 UStG ist für jedes Kalenderjahr der Änderung von einem Fünftel bzw. einem Zehntel der Vorsteuerbeträge auszugehen. Eine kürze Verwendungsdauer ist zu berücksichtigen. Eine Änderung der „Verhältnisse” tritt in diesem Sinne auch dadurch ein, dass bei tatsächlich gleichbleibenden Verwendungsumsätzen die rechtliche Beurteilung der Verwendung im Erstjahr, die der Gewährung des Vorsteuerabzugs im Abzugsjahr zu Grunde lag, sich in einem der Folgejahre als unzutreffend erweist, sofern die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr bestandskräftig und unabänderbar ist (BFH vom 12.06.1997 – V R 36/95, BStBl. II 1997, 589; BFH vom 31.08.2007 – V B 193/06, BFH/NV 2007, 2366). Gegen eine derartige Auslegung bestehen weder verfassungs- noch europarechtliche Bedenken (BFH vom 12.06.1997 a.a.O.).
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt im vorliegenden Fall hinsichtlich der in den Jahren 1994 bis 1998 angeschafften Wirtschaftsgüter eine Änderung der Verhältnisse vor, die das FA zutreffenderweise zum Anlass genommen hat, in den Streitjahren die von der Bp errechneten und der Höhe nach zwischen den Beteiligten nicht streitigen Vorsteuerkorrekturbeträge anzusetzen.
a) Die Klägerin hat sich durch Einreichung berichtigter Steuererklärungen für die Streitjahre im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 17.02.2005 – C-453/02 u.a. – „Linneweber” – Slg. 2005, I-1131) und des BFH (Urteil vom 12.05.2005 – V R 7/02, BStBl. II 2005, 617) unmittelbar auf die Richtlinie 77/388/EWG berufen und (– entgegen der nationalen Rechtsvorschrift des § 4 Nr. 9 lit. b UStG in der Fassung der Streitjahre –) die von ihr erzielten Ausgangsumsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten als steuerfrei behandelt. Aufgrund dieses Berufens ist hinsichtlich dieser Umsätze eine Rechtsänderung eingetreten, die eine „Änderung der Verhältnisse” i.S.d. § 15a Abs. 1 UStG darstellt (so auch FG Nürnberg vom 12.05.2009 – II 262/2006, EFG 2009, 1688 rkr. unter 2. a.). Aufgrund der steuerfreien Behandlung der
Ausgangsumsätze sind die hiermit zusammenhängenden Vorsteuerbeträge nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG vom Abzug ausgeschlossen.
b) Auch die von der Rechtsprechung für die Anwendung des § 15a Abs. 1 UStG zusätzlich aufgestellte Anforderung, wonach die für die Abzugsjahre ergangenen Steuerfestsetzungen bestandskräftig und unabänderbar sein müssen, ist im vorliegenden Fall erfüllt. Die Steuerfestsetzungen der Jahre 1994 bis 1998 waren im Zeitpunkt der Einreichung der berichtigten Steuererklärungen für die Jahre 1999 bis 2003 am 06.10.2005 bereits nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO festsetzungsverjährt und konnten nach §§ 172 ff. AO nicht mehr geändert werden. Für den Besteuerungszeitraum 1998 begann die nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vierjährige Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Jahres 1999 und endete somit mit Ablauf des Jahres 2004. Die für die Vorjahre laufenden Festsetzungsfristen endeten entsprechend früher.
Gründe für eine Ablaufhemmung nach § 171 AO sind nicht ersichtlich. Auch die Grundsätze der sog. Emmottschen Fristenhemmung (EuGH vom 25.07.1991 – C-208/90, Slg. 1991, I-4269) sind in Bezug auf den vom EuGH im Urteil vom 17.02.2005 a.a.O. festgestellten Rechtsverstoß nicht anwendbar (BFH vom 23.11.2006 – V R 51/05, BStBl. II 2007, 433). Den betroffenen Steuerpflichtigen wurde es nicht infolge einer Täuschung praktisch unmöglich gemacht, sich auf die unmittelbare Wirkung der Richtlinienvorschrift zu berufen (vgl. EuGH vom 01.12.1998 – C 326/96, Slg. 1998, I-7835; Leonard / Szczekalla UR 2005, 420 [428]).
c) Darüber hinaus scheidet eine Anwendung des § 15a UStG auch nicht bei Berücksichtigung der einschränkenden Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „Änderung der Verhältnisse” durch den BFH im Urteil vom 05.02.1998 (V R 66/94, BStBl. II 1998, 361) aus. Nach dieser Entscheidung ist eine Berichtung des Vorsteuerabzugs bei Unabänderbarkeit der für die Abzugsjahre ergangenen Steuerfestsetzungen ausgeschlossen, sofern der Finanzbehörde eine Änderung
der Festsetzung des Abzugsjahres aus Anlass der Änderung der Rechtslage zumindest in dem auf das Abzugsjahr nachfolgenden Jahr möglich war, eine entsprechende Änderung jedoch unterlassen wurde.
Diese Grundsätze können im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung kommen, da eine „Änderung der Verhältnisse” i.S.d. § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG erst durch den Umstand eingetreten ist, dass sich die Klägerin in Zusammenhang mit der Einreichung geänderter Steuererklärungen am 06.10.2005 auf die für sie günstige unmittelbare Anwendung der Richtlinie 77/388/EWG berufen hat. Zuvor war es dem FA verwehrt, die gegenüber der Klägerin ergangenen Steuerfestsetzungen entsprechend zu ändern. Denn dem Steuerpflichtigen steht hinsichtlich der Berufung auf die unmittelbare Anwendung einer für in günstigeren Richtlinienvorschrift ein Wahlrecht zu (vgl. Leonard / Szczekalla UR 2005, 420 [425]; Drüen in Tipke / Kruse, AO/FGO-Kommentar, Stand 4/2006, § 2 AO Rn. 49; FG Köln vom 13.05.2009 – 13 K 1501/07, EFG 2009, 1604). Die Finanzbehörde darf eine für den Steuerpflichtigen im Vergleich zur nationalen Regelung günstigere Regelung des sekundären Europarechts erst berücksichtigen, wenn sich der Steuerpflichtige hierauf beruft.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
4. Gründe für die Zulassung der Revision i.S.d. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor. Insbesondere hat die Sache keine grundsätzliche Bedeutung, da die vom Senat vorgenommene Auslegung des § 15a UStG auf der gefestigten Rechtsprechung des BFH beruht. Entscheidungserhebliche Zweifel an der Auslegung des Gemeinschaftsrechts ergaben sich im vorliegenden Fall nicht, so dass auch eine Vorlage an den EuGH nach Art. 234 EG nicht in Betracht kam.