02.11.2010
Finanzgericht Münster: Urteil vom 18.02.2010 – 6 K 390/08 AO
1) Eine Erstattung von nachträglich festgesetztem Kindergeld gemäß § 74 Abs. 2 EStG kommt nach der Rspr. des BFH in den Fällen und für Zeiträume nicht in Betracht, in denen Sozialleistungen an ein in einem eigenen Haushalt lebenden Kind erbracht worden sind, während das Kindergeld unter Geltung des BSHG als Einkommen beim anspruchsberechtigten Elternteil zu berücksichtigen war.
2) Ein Erstattungsanspruch gemäß § 74 Abs. 2 EStG besteht jedoch, wenn die minderjährigen Kinder zum Haushalt der Eltern gehörten und das Kindergeld auf die Sozialleistungen angerechnet worden wäre.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 6. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … ehrenamtlicher Richter … ehrenamtlicher Richter … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 18.02.2010 für Recht erkannt:
Tatbestand:
Streitig ist die Erstattung von Kindergeld an die Stadt M (Beigeladene) als Sozialleistungsträger i.S. des § 74 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG).
Die Klägerin (Kl.) stammt aus Syrien. Sie ist mit Herrn O verheiratet. Beide sind leibliche Eltern der Kinder S (geb. 25.05.1988), a (geb. 02.04.1989), J (geb. 29.05.1990), Sa (geb. 28.07.1991), Si (geb. 12.04.1995) und Y (geb. 29.05.1999). Die Familie hält sich seit Juni 1990 in Deutschland auf. Die Kinder lebten im Streitzeitraum – Juni 2000 bis Februar 2005 – mit den Eltern in einem gemeinsamen Haushalt. Die Kl. und ihr Ehemann bezogen für sich und ihre Kinder bis zum 31.12.2004 Sozialleistungen von der Beigeladenen in Form von Hilfe zum Lebensunterhalt, Unterkunftskostenzuschüssen und Bekleidungsgeldern nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), ab dem 01.01.2005 erhielten sie entsprechende Sozialleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Auf die Kinder entfiel dabei für den Zeitraum von Juni 2000 bis Februar 2005 ein Gesamtleistungsbetrag i.H. von insgesamt 74.096,30 EUR. Hinsichtlich der monatlichen Leistungsbeträge sowie weiterer Einzelheiten wird auf die Aufstellung der Beigeladenen zum Schriftsatz vom 15.08.2008 sowie die von der Beigeladenen vorgelegten Kostenblätter, Berechnungsprotokolle und Leistungsbescheide verwiesen (Bl. 32 u. 33 Gerichtsakte nebst Anlagenhefter).
Die Kl. hatte am 24.03.2000 und am 13.05.2005 die Festsetzung und Auszahlung von Kindergeld für ihre sechs Kinder bei der Beklagten (Bekl.) beantragt. Die Bekl. lehnte die Anträge mit Bescheiden vom 02.05.2000 und 15.06.2005 ab. Ein gegen den Ablehnungsbescheid vom 02.05.2000 geführtes Einspruchsverfahren blieb erfolglos. Gegen die Einspruchsentscheidung vom 06.11.2000 erhob die Kl. Klage zum Finanzgericht Münster (Aktenzeichen 11 K 7481/00 Kg).
Auf einen erneuten Antrag vom 21.10.2005 setzte die Bekl. mit Bescheid vom 18.11.2005 Kindergeld zugunsten der Kl. für deren sechs Kinder zunächst mit Wirkung ab Oktober 2005 fest und zahlte die entsprechenden Beträge an die Kl. aus.
Mit Schreiben vom 11.06.2007 teilte die Beigeladene der Bekl. mit, dass die Kl., ihr Ehemann und deren Kinder in der Vergangenheit Sozialleistungen bezogen hätten und machte insofern einen Erstattungsanspruch im Hinblick auf das der Kl. möglicherweise für zurückliegende Zeiträume zustehende Kindergeld i.S. des § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) geltend. Den Erstattungsanspruch wollte sie vor der Auszahlung noch präzisieren.
Im Anschluss an zwei Telefonate mit den zuständigen Bearbeitern des Sozialamtes der Beigeladenen setzte die Bekl. mit auf § 172 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) gestütztem Änderungsbescheid vom 07.09.2007 Kindergeld zugunsten der Kl. für deren sechs Kinder mit Wirkung ab Juni 2000 bis einschließlich September 2005 fest. Die nachträgliche Festsetzung des Kindergeldes führte zur Erledigung des finanzgerichtlichen Verfahrens 11 K 7481/00 Kg in der Hauptsache.
Mit dem gleichen Bescheid vom 07.09.2007 teilte die Bekl. der Kl. ferner mit, dass der Kindergeldbetrag für den Zeitraum von Juni 2000 bis einschließlich Februar 2005 i.H. von 56.322,46 EUR an die Beigeladene erstattet werde, da diese für den entsprechenden Zeitraum Sozialleistungen ohne die Anrechnung von Kindergeld gewährt habe. Der Anspruch gelte insofern gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit den §§ 103, 104, 107 SGB X gegenüber der Kl. als erfüllt. Der auf die Monate März bis September 2005 entfallende Kindergeldbetrag i.H. von 6.993,– EUR werde dagegen an die Kl. ausgezahlt.
Ebenfalls mit Schreiben vom 07.09.2007 informierte die Bekl. die Beigeladene über die nachträgliche Kindergeldfestsetzung und die zu erwartenden Erstattungen. Die Erstattungsbeträge wurden am 11./12.09.2007 an die Beigeladene ausgezahlt.
Mit Schreiben vom 08.10.2007 legte die Kl. Einspruch gegen den Bescheid der Familienkasse vom 07.09.2007 ein, soweit darin über die Erstattung und Auszahlung des Kindergeldes an die Beigeladene entschieden worden war.
Mit Einspruchsentscheidung vom 15.01.2008 wies die Bekl. den Einspruch als unbegründet zurück. Dabei führte sie aus, dass die auf den Zeitraum von Juni 2000 bis Februar 2005 entfallenden Kindergeldnachzahlungsbeträge i.H. von 56.322,50 EUR zu Recht gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit den §§ 103, 104, 107 SGB X an die Beigeladene als nachrangigem Sozialleistungsträger, der für den streitbefangenen Zeitraum Sozialleistungen für die Kl. und deren Familie erbracht habe, erstattet und überwiesen worden seien. Der Erstattungsanspruch bestehe gemäß § 104 Abs. 2 SGB X nicht nur, wenn der andere Leistungsträger seine Leistungen an den kindergeldberechtigten Elternteil erbracht habe, sondern auch, wenn die Leistungen unmittelbar den Kindern gewährt worden seien.
Die Kl. hat am 07.02.2008 die vorliegende Klage erhoben.
Zur Begründung ihrer Klage führt sie aus, dass die Auszahlung des nachträglich festgesetzten Kindergeldes an die Beigeladene rechtswidrig sei. Auszugehen sei vom „Zuflussprinzip”. Soweit Kindergeld zu leisten sei, müsse dies ungeschmälert direkt dem Kindergeldberechtigten ausgezahlt werden. Es sei mit der Gesetzeslage nicht zu vereinbaren, dass Teilzahlungen an den Sozialleistungsträger überwiesen würden. Dafür sei schon keine gesetzliche Grundlage ersichtlich. Außerdem sei der Erstattungsanspruch von der Beigeladenen nicht bestimmt genug geltend gemacht worden. Im Ergebnis hätte daher keine Verrechnung bzw. Erstattung erfolgen dürfen. Eine solche sei rechtlich nicht haltbar (Verweis auf die Entscheidung des VG Ansbach, Gerichtsbescheid v. 18.11.2003, Az.: AN 13 K 02.01566).
Die Kl. beantragt,
die Bekl. unter teilweise Aufhebung des Bescheides vom 07.09.2007 und der Einspruchsentscheidung vom 15.01.2008 zu verpflichten, das für den Zeitraum von Juni 2000 bis einschließlich Februar 2005 festgesetzte Kindergeld für ihre Kinder S, a, J, Sa, Si und Y i.H. von 56.322,46 EUR an sie auszuzahlen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Bekl. weist im Rahmen ihrer Gegenäußerung erneut darauf hin, dass der Kl. seit Juni 2000 Sozialleistungen ohne Anrechnung von Kindergeld durch die Beigeladene gezahlt worden seien. Die Erstattung der nachträglich festgesetzten Kindergeldbeträge an die Beigeladene als im Bezug auf das Kindergeld nachrangigem Sozialleistungsträger für den deckungsgleichen Zeitraum sei daher zu Recht erfolgt.
Der 6. Senat des Finanzgerichts Münster hat die Stadt M mit Beschluss vom 07.08.2008 zu dem Verfahren beigeladen. Mit Beschluss vom 04.01.2010 hat der 6. Senat des Finanzgerichts Münster einen Antrag der Kl. auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Der erkennende Senat hat am 18.02.2010 mündlich in der Sache verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten 6 K 390/08 AO und 11 K 7481/00 Kg sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge (Kindergeldakte 200852) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, allerdings nur zum Teil begründet.
I. Der Abrechnungsteil des Bescheides vom 07.09.2007 und die Einspruchsentscheidung vom 15.01.2008 sind insoweit rechtmäßig und verletzen die Kl. nicht in ihren Rechten, als die von der Beigeladenen im Zeitraum von Juni 2000 bis Februar 2005 für die Kinder der Kl. erbrachten Sozialleistungen das für den Streitzeitraum festgesetzte Kindergeld bei monatsweiser Betrachtung übersteigen. Insofern besteht ein Anspruch der Beigeladenen auf Erstattung des monatlichen Kindergeldes aus § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit den §§ 103, 104, 107 SGB X.
Dagegen sind der Abrechnungsteil des angefochtenen Bescheides vom 07.09.2007 und die Einspruchsentscheidung vom 15.01.2008 insoweit rechtswidrig und verletzen die Kl. in ihren Rechten, als die von der Beigeladenen im Zeitraum von Juni 2000 bis Februar 2005 für die Kinder der Kl. erbrachten Sozialleistungen das für den Streitzeitraum festgesetzte Kindergeld bei monatsweiser Betrachtung unterschreiten, der jeweilige Kindergeldanspruch also betragsmäßig über den jeweils gewährten Sozialleistungen liegt. Insofern besteht ein Anspruch der Beigeladenen auf Erstattung des festgesetzten Kindergeldes aus § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit den §§ 103, 104, 107 SGB X lediglich in der Höhe der tatsächlich erbrachten und den monatlichen Kindergeldanspruch nicht erschöpfenden Sozialleistungen. Das diese Sozialleistungen bei monatsweiser Betrachtung übersteigende Kindergeld ist dagegen noch an die Kl. auszuzahlen.
Schließlich sind der Abrechnungsteil des angefochtenen Bescheides vom 07.09.2007 und die Einspruchsentscheidung vom 15.01.2008 insoweit rechtwidrig und verletzten die Kl. in ihren Rechten, als die Erstattung des Kindergeldes an die Beigeladene nur unter Berücksichtigung eines monatlichen Freibetrages i.H. von 20,50 EUR hätte erfolgen dürfen (§ 74 Abs. 2 EStG i.V. mit § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X, § 76 Abs. 2 Nr. 5 BSHG).
1) Die Bekl. hat zu Recht festgestellt, dass die Beigeladene wegen der Erbringung nachrangiger Sozialleistungen für die Kinder der Kl. dem Grunde nach einen Anspruch auf Erstattung des für den Zeitraum von Juni 2000 bis Februar 2005 festgesetzten Kindergeldes hat und dass der Anspruch der Kl. auf Auszahlung des Kindergeldes insofern als erfüllt gilt. Diese Rechtswirkungen folgen aus § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit den §§ 104 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 107 SGB X und § 47 AO.
a) Gemäß § 74 Abs. 2 EStG (bis zum Streitjahr 2001 noch § 74 Abs. 3 EStG) gelten die §§ 102 bis 109 und 111 bis 113 SGB X für Erstattungsansprüche gegen die Familienkasse im Kindergeldrecht entsprechend.
§ 104 Abs. 1 S. 1 SGB X bestimmt Folgendes: Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der vorrangig verpflichtete Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Ein Erstattungsanspruch besteht gemäß § 104 Abs. 2 SGB X auch dann, wenn von einem nachrangig verpflichteten Leistungsträger für einen Angehörigen Sozialleistungen erbracht worden sind und ein anderer mit Rücksicht auf diesen Angehörigen einen Anspruch auf Sozialleistungen gegenüber einem vorrangig verpflichteten Leistungsträger hat. Soweit ein entsprechender Erstattungsanspruch besteht, gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den vorrangig zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt (§ 107 Abs. 1 SGB X) und ist damit erloschen (§ 47 AO).
Die in den zitierten Vorschriften zum Ausdruck kommenden Tatbestandsmerkmale der Gleichartigkeit sowie des Vor- und Nachrangverhältnisses sieht der erkennende Senat im Streitfall für das zugunsten der Kl. festgesetzte Kindergeld einerseits und die den Kindern der Kl. gewährten Sozialleistungen andererseits als erfüllt an.
b) Das der Kl. zustehende Kindergeld und die den Kindern der Kl. seitens der Beigeladenen in der Vergangenheit gewährten Sozialleistungen sind gleichartige Leistungen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt § 104 Abs. 1 SGB X eine Gleichartigkeit der Leistungen der beiden im Erstattungsverhältnis stehenden Sozialleistungsträger voraus, weil nach dem gesetzlichen Tatbestand ein Erstattungsanspruch nur ausgelöst werden kann, wenn der erstleistende Träger eine Verpflichtung des in Anspruch genommenen zweiten Trägers erfüllt hat (vgl. BSG, Urteile v. 22.09.1988, 2 RU 9/88, BSGE 57, 218; v. 25.04.1990, 5 J 12/89, BSGE 67, 6). Der Bundesfinanzhof hat sich dieser Rechtsauffassung auch für den Anwendungsbereich des § 74 Abs.2 EStG angeschlossen. Eine Gleichartigkeit der Leistungen soll dabei jedenfalls vorliegen, wenn beide Leistungen demselben Zweck dienen (vgl. BFH, Urteile 25.05.2004, VIII R 21/03, BFH/NV 2005, 171; v. 07.12.2004, VIII R 59/04, BFH/NV 2005, 864).
Im vorliegenden Fall ist diese Zweckübereinstimmung gegeben. Die Beigeladene hat den Kindern der Kl. im Streitzeitraum Regelleistungen in Geld nach dem BSHG (Juni 2000 bis Dezember 20004) und später nach dem SGB II (Januar und Februar 2005) in Form von Hilfe zum Lebensunterhalt, Zuschüssen zu den Kosten der Unterkunft sowie Bekleidungsgelder gewährt. Hierbei handelt es sich insgesamt um Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Die Leistungen dienen der Gewährung einer sozialen Grundsicherung in Form des verfassungsrechtlichen Existenzminimums. Diesem Zweck dient – jedenfalls teilweise – auch das nach der Neugestaltung im Einkommensteuergesetz durch das Jahressteuergesetz 1996 als Steuervergütung ausgezahlte Kindergeld (§ 31 S. 1 EStG). Soweit es darüber hinaus auch der Förderung der Familie dient (§ 31 S. 2 EStG), stellt es zwar keine Sozialleistung im formellen Sinne dar, ist jedoch – jedenfalls wegen der ausdrücklichen Verweisung in § 74 Abs. 2 EStG – trotzdem als eine gegenüber der Sicherung des Lebensunterhalts nach dem BSHG bzw. dem SGB II vorrangige Leistung i.S. des § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X anzusehen (vgl. etwa BFH, Urteile v. 14.05.2002, VIII R 88/01, BFH/NV 2002, 1156; v. 07.12.2004, VIII R 59/04, BFH/NV 2005, 864; Beschluss v. 31.01.2007, III B 167/06, BFH/NV 2007, 685; FG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 18.10.2002, 3 K 1503/02, juris; Hessisches FG, Urteile v. 23.06.2004, 3 K 1659/02, EFG 2004, 1783; v. 07.09.2006, 13 K 3592/04, ZFSH/SGB 2007, 494; FG Niedersachsen, Urteile v. 04.08.2005, 10 K 293/03, EFG 2006, 988; v. 16.10.2007, 15 K 647/04, juris; FG Münster, Urteil v. 01.07.2004, 6 K 2517/03 AO, EFG 2004, 1780; FG München, Urteil v. 11.09.2007, 12 K 1275/05, juris).
c) Die beigeladene Stadt M war im Verhältnis zur beklagten Familienkasse auch ein nachrangiger Sozialleistungsträger i.S. des § 104 Abs. 1 SGB X.
Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (§ 104 Abs. 1 S. 2 SGB X).
Der Kl. stand rechtlich ein Anspruch auf Kindergeld für den streitbefangenen Zeitraum von Juni 2000 bis Februar 2005 zu. Dieser Anspruch stand allerdings erst nach der Festsetzung durch den angefochtenen Bescheid vom 07.09.2007 zur Auszahlung an, obwohl er zu den von der Beigeladenen in der Vergangenheit monatlich erbrachten Sozialleistungen eigentlich in einem Vorrangverhältnis gestanden hätte, die Leistungen nach dem BSHG sowie nach dem SGB II also nachrangig zu erbringen gewesen wären. Denn sowohl § 2 Abs. 1 BSHG als auch §§ 1 ff. SGB II bestimmen, dass Sozialhilfe bzw. Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes u.a. nicht erhält, wer die erforderliche Hilfe von anderen, insbesondere von Trägern anderer Sozialleistungen bekommt (sog. Systemsubsidiarität). Das Kindergeld als mit der Sozialhilfe bzw. der Hilfe zum Lebensunterhalt zweckidentischer Leistung stellt nach den sozialrechtlichen Vorschriften anrechenbares Einkommen dar. Seine Gewährung wirkt sich daher anspruchsmindernd auf die dem Kindergeldberechtigten oder einer in seinem Haushalt lebenden Bedarfsgemeinschaft – Eltern nebst minderjährige Kinder – zustehenden Sozialleistungen nach dem BSHG und dem SGB II aus (vgl. §§ 11 Abs. 1 S. 1 u. 2, 28 Abs. 1 S. 1 sowie §§ 76, 77 BSHG, ferner die ab dem 01.01.2005 geltenden Regelungen der §§ 9 Abs. 1 u. Abs. 2 sowie 11 Abs. 1 S. 1 u. 3 SGB II). Vor diesem Hintergrund hätte die beigeladene Stadt M, wenn der Anspruch auf Kindergeld durch die beklagte Familienkasse nur rechtzeitig (vor Auszahlung der nach dem BSHG und dem SGB II gewährten Sozialleistungen) festgesetzt worden wäre, der Höhe nach verminderte (nämlich um das gesetzliche Kindergeld gekürzte) Sozialleistungen gegenüber der Familie der Kl. als Bedarfsgemeinschaft erbracht. Die nach dem BSHG bzw. dem SGB II gewährten Sozialleistungen sind angesichts dieser sozialrechtlichen Vorgaben also im Verhältnis zum Kindergeld nachrangige Leistungen. Vor diesem Hintergrund führt die Anwendung der Erstattungsvorschriften des § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit den §§ 103, 104, 107 SGB X im Streitfall dazu, das eigentliche Vor- und Nachrangverhältnis zur Geltung zu bringen.
d) Einem Erstattungsanspruch der Beigeladenen wegen der den Kindern der Kl. gewährten Sozialleistungen steht nicht entgegen, dass das Kindergeld nach sozialrechtlichen Maßstäben unter Geltung des BSHG prinzipiell nicht den Kindern selbst, sondern dem Einkommen des kindergeldberechtigten Elternteils zuzurechnen war.
Allerdings hat der 3. Senat des Bundesfinanzhofs in letzter Zeit in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass eine Erstattung von nachträglich festgesetztem Kindergeld gemäß § 74 Abs. 2 EStG in den Fällen und für die Zeiträume ausscheiden soll, in denen Sozialleistungen an ein in einem eigenen Haushalt lebendes Kind erbracht worden sind, während das Kindergeld unter Geltung des BSHG (bis zum 31.12.2004) regelmäßig als Einkommen beim anspruchsberechtigten Elternteil zu berücksichtigen war. Das eine Erstattung rechtfertigende Tatbestandsmerkmal der Gleichartigkeit i.S. des § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X zwischen Kindergeld und der Hilfe zum Lebensunterhalt sei – so der Bundesfinanzhof – nur dann gegeben, wenn der Kindergeldanspruch und der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt in einer Person zusammen fielen, das Kindergeld also zum Einkommen des Hilfeempfängers gehöre, dem der Sozialleistungsträger Sozialhilfeleistungen erbracht habe. Soweit Hilfeempfänger dagegen nicht der Elternteil, der Anspruch auf das Kindergeld habe, sondern das im eigenen Haushalt lebende Kind sei, scheide eine Erstattung von nachträglich festgesetztem Kindergeld gemäß § 74 Abs. 2 EStG grundsätzlich aus, es sei denn, das Kindergeld sei ausnahmsweise als Einkommen des Kindes anzusehen, weil es an das Kind gemäß § 74 Abs. 1 EStG abgezweigt werde oder ihm zumindest tatsächlich zufließe (vgl. BFH, Urteile v. 17.04.2008, III R 33/05, BStBl. II 2009, 919; v. 19.06.2008, III R 89/07, BFH/NV 2008, 1995; v. 17.07.2008, III R 87/06, BFH/NV 2008, 1833). Folgerichtig hat der 3. Senat des Bundesfinanzhofs in einer weiteren Entscheidung, in der das Kindergeld an ein Hilfe zum Lebensunterhalt erhaltendes Kind abgezweigt worden war (§ 74 Abs. 1 EStG), die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs zugunsten des Sozialhilfeträgers mit der Begründung bejaht, dass das Kindergeld nach sozialrechtlichen Maßstäben dem Sozialleistungen empfangenden Kind als Einkommen zuzurechnen sei (vgl. Beschluss v. 15.10.2009, III B 57/08, BFH/NV 2010, 196).
Die vorgenannten Entscheidungen führen nach Ansicht des erkennenden Senats jedoch nicht dazu, vorliegend einen Erstattungsanspruch der Beigeladenen gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit § 104 Abs. 1 u. 2 SGB X zu verneinen. Zwar besteht auch zwischen der kindergeldberechtigten Kl. und ihren Hilfe zum Lebensunterhalt empfangenden Kindern rein formal betrachtet keine Personenidentität. Der Sachverhalt im Streitfall unterscheidet sich jedoch insofern maßgeblich von den Gegebenheiten der Entscheidungen des Bundesfinanzhofes, als hier die Kinder der Kl. minderjährig sind und zum Haushalt der Eltern gehören, mit der Kl. und ihrem Ehemann also eine sozialrechtliche Bedarfsgemeinschaft bilden, während es sich dort (in den vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fallgestaltungen) um volljährige Kinder handelte, die in einem eigenen Haushalt lebten und folglich keine sozialrechtliche Bedarfsgemeinschaft mit dem kindergeldberechtigtem Elternteil mehr bestand.
Diese Unterschiede in tatsächlicher Hinsicht sind aufgrund der für Bedarfsgemeinschaften geltenden besonderen sozialrechtlichen Regelungen auch in rechtlicher Hinsicht beachtlich. Bei minderjährigen und im Haushalt der Eltern lebenden Kindern war das Kindergeld unter der Geltung des BSHG (bis zum 31.12.2004) nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte zwar prinzipiell den Eltern als Einkommen zuzurechnen (Zuflussprinzip, vgl. etwa BVerwG, Urteile v. 17.12.2003, 5 C 25/02, NJW 2004, 2541; v. 28.04.2005, 5 C 28/04, NJW 2005, 2873; BSG, Urteil v. 08.02.2007, B 9b SO 6/06 R, HFR 2008, 74). Es wurde jedoch über §§ 11 Abs. 1 S. 2 und über § 28 Abs. 1 S. 1 BSHG als Einkommen der Bedarfsgemeinschaft behandelt und insgesamt auf die Sozialleistungen der Bedarfsgemeinschaft angerechnet. Anders als in den vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fallgestaltungen des Auseinanderfallens von elterlichem Haushalt einerseits und dem Haushalt des Kindes andererseits, wird das Einkommen (und damit auch das Kindergeld) eines Elternteils im Rahmen einer sozialrechtlichen Bedarfsgemeinschaft auch dem anderen Elternteil und den zum Haushalt gehörenden minderjährigen Kindern zugerechnet und führt damit im Ergebnis zu einer Kürzung von der Bedarfsgemeinschaft insgesamt zustehenden Sozialleistungen.
Seit dem Außerkrafttreten des BSHG (mit Wirkung ab dem 01.01.2005) wird das Kindergeld sozialrechtlich sogar ausdrücklich den in der Bedarfsgemeinschaft lebenden minderjährigen Kindern als Einkommen zugerechnet, vgl. § 11 Abs. 1 S. 3 SGB II (s.a. § 82 Abs. 1 S. 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB XII). Den Neuregelungen soll nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte im Hinblick auf die §§ 11, 28 BSHG möglicherweise sogar nur eine klarstellende Bedeutung zukommen (vgl. BSG, Urteil v. 08.02.2007, B 9b SO 6/06 R, HFR 2008, 74 unter Verweis auf BVerwG, Urteil v. 28.04.2005, 5 C 28/04, NJW 2005, 2873).
Mit Blick auf die genannten Vorschriften sowohl des BSHG als auch des SGB II hätte die Beigeladene also, wenn der Anspruch der Kl. auf Kindergeld rechtzeitig festgesetzt worden und ihr bekannt gewesen wäre, aufgrund der sozialrechtlichen Zuordnung des Einkommens eines Elternteils zur Bedarfsgemeinschaft (quasi als Gesamteinkommen beider Elternteile und der im Haushalt lebenden minderjährigen Kinder) insgesamt lediglich um das Kindergeld gekürzte Sozialleistungen an die Bedarfsgemeinschaft erbringen müssen. Im Streitfall war zum Zeitpunkt der Erbringung der Sozialleistungen (ab Juni 2000) über den Kindergeldanspruch allerdings noch nicht entschieden, so dass die Gewährung der Sozialleistungen an die Bedarfsgemeinschaft zunächst ungekürzt erfolgte. Die Auszahlung des nachträglich festgesetzten Kindergeldes an die Kl. hätte jetzt zur Folge, dass die genannten Vorschriften über die Einbeziehung des Kindergeldes als Einkommen bei der Ermittlung des sozialrechtlichen Leistungsbedarfs der Bedarfsgemeinschaft unterlaufen würden. Der Familie der Kl. als Bedarfsgemeinschaft würde sozial- und kindergeldrechtlich (bei einer Zusammenschau) mehr gewährt, als ihr bei Beachtung des gesetzlich angelegten Vor- und Nachrangverhältnisses eigentlich zugestanden hätte. Dies ist mit Blick auf den im Sozialhilfe- und im Kindergeldrecht gleichermaßen angelegten Leistungszweck der Sicherung des verfassungsrechtlichen Existenzminimums unvereinbar. Vor diesem Hintergrund ist die Anwendung des § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit den §§ 103 ff. SGB X im vorliegenden Fall sachgerecht, denn sie bewirkt, dass die eigentlich vom Gesetzgeber vorgesehene sozial- und kindergeldrechtliche Rechtslage wieder hergestellt wird.
Bei Verneinung eines entsprechenden Erstattungsanspruchs wegen des Fehlens einer formalen Personenidentität auch in Fällen von sozialrechtlichen Bedarfsgemeinschaften hätte der Kindergeldberechtigte es im Übrigen durch eine von ihm hinausgezögerte Stellung des Kindergeldantrags (und damit eine provozierte nachträgliche Kindergeldfestsetzung) selbst in der Hand, die sozialgesetzlich vorgesehene Anrechnung von Kindergeld als Einkommen der Bedarfsgemeinschaft zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Denn nachträglich festgesetztes Kindergeld wäre – anders als vor der Gewährung von Sozialleistungen festgesetztes Kindergeld – regelmäßig zusätzlich zu den bisher ungekürzten Sozialleistungen an den Kindergeldberechtigten auszuzahlen. Dies aber widerspricht nach Ansicht des erkennenden Senats der sowohl im BSHG als auch im SGB II und in den § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit den §§ 103, 104, 107 SGB X angelegten Systemsubsidiarität der Sozialhilfe (bzw. Hilfe zum Lebensunterhalt) und Kindergeld.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Anwendung der skizzierten Rechtsprechung des 3. Senats des Bundesfinanzhofes auch auf Fälle sozialrechtlicher Bedarfsgemeinschaften dazu führen würde, dass die Vorschrift des § 104 Abs. 2 SGB X in ihrem Anwendungsbereich weitestgehend leer laufen würde.
Gegen eine Anwendung der skizzierten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes auf den Streitfall spricht schließlich, dass eine Gleichartigkeit von Kindergeld einerseits und Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. ähnlichen Geldleistungen nach dem BSHG andererseits im Rahmen der (bisherigen) Rechtsprechung der Finanzgerichte prinzipiell anerkannt war und auch noch anerkannt wird (vgl. etwa BFH, Urteile v. 14.05.2002, VIII R 88/01, BFH/NV 2002, 1156; Urteil v. 07.12.2004, VIII R 59/04, BFH/NV 2005, 864; FG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 18.10.2002, 3 K 1503/02, juris; FG Niedersachsen, Urteile v. 04.08.2005, 10 K 293/03, EFG 2006, 988; v. 16.10.2007, 15 K 647/04, juris; FG München, Urteil v. 11.09.2007, 12 K 1275/05, EFG 2008, 1135; FG Hessen, Urteile v. 07.09.2006, 13 K 3592/04, ZFSH/SGB 2007, 494; v. 07.11.2008, 3 K 2236/03, EFG 2009, 674; v. 09.11.2009, 13 K 1931/06, juris, letztere unter ausdrücklichem Rekurs auf § 104 Abs. 2 SGB X). Der erkennende Senat hält es für geboten, an dem Ergebnis der Gleichartigkeit trotz fehlender formaler Personenidentität jedenfalls im Hinblick auf die Fälle sozialrechtlicher Bedarfsgemeinschaften festzuhalten.
2) Allerdings hat die Bekl. den Erstattungsanspruch zugunsten der Beigeladenen der Höhe nach in zweifacher Hinsicht fehlerhaft festgestellt.
a) Die Bekl. hat zunächst nicht berücksichtigt, dass bei der Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 5 BSHG ein Freibetrag zugunsten der Bedarfsgemeinschaft i.H. von 20,50 EUR monatlich anzusetzen gewesen wäre. In dieser Höhe hätte das Sozialamt der Beigeladenen als nachrangig verpflichteter Sozialleistungsträger seine Leistungen auch bei vorrangiger Auszahlung des Kindergeldes erbringen müssen. Folglich ist der Erstattungsanspruch insofern zu mindern (vgl. § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X). Für den gesamten Zeitraum, in dem seitens der Beigeladenen Leistungen nach dem BSHG unter Beachtung der Einkommensverschonung hätten erfolgen müssen (Juni 2000 bis einschließlich Dezember 2004), beläuft sich die Reduzierung des Erstattungsbetrages mithin auf 1.127,50 EUR (55 Monate × 20,50 EUR). Dieser (erstattungsfreie) Anteil des Kindergeldes ist noch an die Kl. auszuzahlen.
b) Darüber hinaus hat die Bekl. nicht beachtet, dass das für den Zeitraum von Juni 2000 bis einschließlich Dezember 2001 festgesetzte Kindergeld i.H. von monatlich 966,34 EUR sowie das für den Zeitraum von Januar 2002 bis Februar 2005 festgesetzte Kindergeld i.H. von monatlich 999,– EUR die von der Beigeladenen für die Kinder der Kl. im jeweiligen Monat erbrachten Sozialleistungen teilweise überschreitet. Eine Erstattung des Kindergeldes ist nach Auffassung des erkennenden Senats jedoch nur insoweit gerechtfertigt, als die Beigeladene monatlich mindestens dem festgesetzten Kindergeld entsprechend hohe Sozialleistungen tatsächlich erbracht hat. Eine entsprechende monatsweise Betrachtung ist schon deshalb geboten, weil sowohl das Kindergeld als auch die seitens der Beigeladenen erbrachten Sozialleistungen nach dem BSHG und dem SGB II nach dem sog. Monatsprinzip gewährt werden (vgl. für das Kindergeld § 66 Abs. 1 EStG). Darüber hinaus enthält das in § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X angelegte Tatbestandsmerkmal der Gleichartigkeit neben einer zweckbezogenen auch eine zeitliche Komponente (s.a. FG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 18.10.2002, 3 K 1503/02, juris). Erstattungsfähig sind daher überhaupt nur Sozialleistungen, die zeitgleich erbracht werden. Eine Verrechnung der Kindergeld-Überhänge mit Sozialleistungs-Überhängen anderer Monate, also mit solchen Differenzen, um die die von der Beigeladenen gewährten Sozialleistungen den monatlichen Kindergeldanspruch übersteigen, hält das Gericht nicht für zulässig.
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich eine weitere Reduzierung des zugunsten der Beigeladenen festgestellten Erstattungsbetrages wie folgt:
| Zeitraum | Monatliches Kindergeld | Sozialleistungen zugunsten der Kinder der Kl. | Differenzbetrag |
| 09/2001 | 966,34 EUR | 917,54 EUR | 48,80 EUR |
| 10/2001 | 966,34 EUR | 746,25 EUR | 220,09 EUR |
| 11/2001 | 966,34 EUR | 961,01 EUR | 5,33 EUR |
| 02/2003 | 999,00 EUR | 479,38 EUR | 519,62 EUR |
| 03/2003 | 999,00 EUR | 944,98 EUR | 54,02 EUR |
| 10/2003 | 999,00 EUR | 571,26 EUR | 427,74 EUR |
| 11/2003 | 999,00 EUR | 342,41 EUR | 656,59 EUR |
| 12/2003 | 999,00 EUR | 875,67 EUR | 123,33 EUR |
| 2.055,52 EUR |
c) Im Übrigen begegnet der Erstattungsanspruch der Beigeladenen der Höhe nach keinen Bedenken. Einwände hat die Kl. insofern auch nicht erhoben.
3) Den Vortrag der Kl., die beigeladene Stadt M habe ihren Erstattungsanspruch nicht hinreichend detailliert gegenüber der Bekl. geltend gemacht, erachtet der erkennende Senat für nicht durchgreifend.
Zwar ist es richtig, dass die Familienkassen einen Erstattungsanspruch i.S. des § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X erst prüfen sollen und können, wenn der erstattungsberechtigte Sozialleistungsträger diesen detailliert geltend macht (vgl. Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs, 74.2.1 Abs. 1 DA-FamEStG, Weber-Grellet in Schmidt28, München 2009, § 74 EStG Rz. 5; FG Niedersachsen, Urteil v. 04.08.2005, 10 K 293/03, EFG 2006, 988).
Eine entsprechende Geltendmachung und betragsmäßige Konkretisierung des Erstattungsanspruchs ist jedoch vorliegend während des Verwaltungsverfahrens zum Einen durch das Schreiben der Beigeladenen vom 11.06.2007 und zum Anderen durch die anschließenden Telefonate der beklagten Familienkasse mit den Sachbearbeitern des Sozialamtes der Beigeladenen geschehen. Auch während des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens fand noch Korrespondenz zwischen der Beigeladenen und der Bekl. im Hinblick auf die Konkretisierung und Auszahlung des Erstattungsbetrages statt (vgl. Schreiben der Beigeladenen vom 29.10.2007, Bl. 66 Kindergeldakte). Schließlich ist zu beachten, dass die Beigeladene ihren Erstattungsanspruch für den streitigen Zeitraum spätestens im finanzgerichtlichen Verfahren durch die Vorlage einer Aufstellung über die den Kindern der Kl. monatsweise gewährten Sozialleistungen nebst Kostenblättern, Leistungsbescheiden und Berechnungsprotokollen hinreichend dargelegt hat. Das Gericht erachtet diese nachträgliche Konkretisierung mit Blick auf die Regelung des § 126 Abs. 2 AO als zulässig. Im Übrigen weist es darauf hin, dass ein Erstattungsanspruchs i.S. des § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X – anders als Ansprüche im Anwendungsbereich des § 104 Abs. 1 S. 4 SGB X – keinen vorherigen Kostenbeitragsbescheid gegenüber der Bekl. oder der Kl. voraussetzt.
4) Die von der Kl. im Rahmen der Klagebegründung zitierte Entscheidung des VG Ansbach (Gerichtsbescheid v. 18.11.2003, AN 13 K 02.01566) ist nach Ansicht des erkennenden Senats auf den Streitfall weder anwendbar noch übertragbar. In der Entscheidung geht es um einen sozialrechtlichen Kostenerstattungsanspruch i.S. des § 7 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Dessen Voraussetzungen und Rechtsfolgen sind von den im Streitfall einschlägigen Ermächtigungsgrundlagen des § 74 Abs. 2 EStG i.V. mit den §§ 103 ff. SGB X zu unterscheiden.
5) Die Tilgungswirkung der Erstattung gemäß § 107 SGB X ist auch nicht im Hinblick auf die durch § 111 S. 1 SGB X angeordnete Ausschlussfrist für die Geltendmachung der Erstattungsansprüche entfallen. Der Lauf der Jahresfrist beginnt frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (§ 111 S. 2 SGB X). Die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Kl. für den Streitzeitraum datiert vom 07.09.2007. Erst in diesem Zeitpunkt wurden die bis dato gewährten Sozialleistungen durch die Beigeladene zu einer gegenüber dem (nunmehr festgesetzten) Kindergeld nachrangigen Sozialleistung.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO.
III. Die Revision wird im Hinblick auf eine Abgrenzung zu den Entscheidungen des Bundesfinanzhofes vom 17.04.2008 (III R 33/05, BStBl. II 2009, 919), vom 19.06.2008 (III R 89/07, BFH/NV 2008, 1995) und 17.07.2008 (III R 87/06, BFH/NV 2008, 1833) zugelassen.