03.12.2009
Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 16.06.2009 – 2 K 177/08
Wenn aufgrund einer irrigen Beurteilung des Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der aufgrund eines Einspruchs des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, können nach § 174 Abs. 4 AO aus einem bestimmten Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung des Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgen gezogen werden.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte berechtigt war, den Einkommensteuerbescheid 1999 zu ändern.
Die Kläger erzielten in dem Streitjahr Einkünfte aus Beteiligungen, aus nichtselbstständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung.
Der Kläger war zusammen mit einem Mitgesellschafter F zur Hälfte sowohl an der ... A GmbH (im Folgenden A GmbH) als auch an der ... B mbH (im Folgenden B GmbH) beteiligt. Nachdem die Gesellschafter im Jahr 1997 bereits eine Hälfte der Anteile an der A GmbH veräußert hatten, veräußerten sie am 7.12.1998 die andere Hälfte ihrer Anteile an die B GmbH zu einem Kaufpreis von 7.000.000 DM, wobei auf den Kläger 3.500.000 DM entfielen. Bei der Veräußerung wurde vereinbart, dass die B GmbH einen Kaufpreisrückerstattungsanspruch gegenüber den Gesellschaftern in Höhe der Differenz für den Fall haben sollte, dass sie im Falle der bereits verabredeten Weiterveräußerung die Beteiligung zu einem geringeren Preis als 7.000.000 DM verkauft. Die B GmbH veräußerte die Gesellschaftsanteile an der A GmbH 1999 weiter, erzielte dabei jedoch einen geringeren Preis, so dass ihr ein Kaufpreisrückerstattungsanspruch gegenüber dem Kläger in Höhe von 500.000 DM entstand. Der Kläger war in 1999 noch weiter als Geschäftsführer bei der A GmbH tätig. Mit notariellem Vertrag vom 19.05.1999 wurde das Anstellungsverhältnis vorzeitig gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 500.000 DM, fällig zum 01.01.2000, aufgelöst. Der Kläger trat den Abfindungsbetrag an die B GmbH ab, der er wegen der Kaufpreisrückerstattung 500.000 DM schuldete. Mit Schreiben vom 11.11.1999 zeigte er diese Abtretung der A GmbH an. Am 21.12.1999 zahlte A GmbH den Betrag direkt an die B GmbH, nachdem diese der A GmbH hierüber am 11.11.1999 eine Rechnung erteilt hatte.
Am 02.04.2004 erhielt das damals zuständige Finanzamt Hamburg-1 eine Kontrollmitteilung des Finanzamtes Hamburg-2, dass der Kläger eine Abfindungszahlung in Höhe von 500.000 DM aufgrund der vorzeitigen Aufhebung des Geschäftsführervertrages erhalten habe. Die Zahlung an die B GmbH sei am 21.12.1999 erfolgt.
Das zuständige Finanzamt Hamburg-1 änderte mit Bescheid vom 16.03.2005 den Einkommensteuerbescheid der Kläger für 1999, ohne die Kontrollmitteilung auszuwerten.
Auf die spätere Anhörung teilte der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 10.08.2005 mit, dass versehentlich eine steuerrechtliche Zuordnung der Abfindungszahlung an die B GmbH im Veranlagungsjahr 1999 erfolgt und der Betrag dort als Betriebseinnahme der Besteuerung unterworfen worden sei. Bei der Entschädigung handle es sich jedoch um Arbeitslohn des Klägers, der grundsätzlich bei dessen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit im Veranlagungsjahr 1999 zu versteuern sei. Die Steuerbescheide betreffend die B GmbH seien konsequenterweise zu ändern.
Am 16.12.2005 änderte der Beklagte den Einkommensteuerbescheid für 1999 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und setzte die Einkommensteuer unter Berücksichtigung der gezahlten Abfindung auf 271.811,97 € (531.618 DM) fest.
Gegen diesen Bescheid legten die Kläger am 09.01.2006 Einspruch mit der Begründung ein, dass nach Berücksichtigung des Abfindungsbetrags bei der Einkommensteuer des Klägers konsequenterweise in Höhe dieses Betrages der Körperschaftsteuerbescheid der B GmbH berichtigt werden müsste. Das habe das für die B GmbH zuständige Finanzamt wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung abgelehnt. Es werde daher beantragt, dieses Verfahren im Hinblick auf das Verfahren gegen den Körperschaftsteuerbescheid ruhen zu lassen.
In dem inzwischen am Finanzgericht Hamburg anhängigen Verfahren der B GmbH (3 K 78/06) betreffend die Körperschaftsteuer 1999 erteilte das Gericht an den inzwischen für die Einkommensteuer zuständig gewordenen Beklagten den Hinweis, dass der an die B GmbH abgetretene Abfindungsbetrag von 500.000 DM eine Kaufpreiserstattung auf die im Jahr 1998 an die B GmbH veräußerte Beteiligung des Klägers an der A GmbH sei. Die Zahlung der 500.000 DM sollte nach Auffassung des Gerichts nicht nur isoliert im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit Berücksichtigung finden, sondern auch die damit verbundene Minderung des Veräußerungsgewinns. In der Folge wurde der Beklagte zu der mündlichen Verhandlung am 13.12.2006 in dem gerichtlichen Verfahren 3 K 78/06 geladen, obwohl er nicht Beteiligter war. Am 11.12.2006 unterbreitete der Beklagte dem damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers, Rechtsanwalt C, schriftlich unter Beifügung eines Probebescheides über die Einkommensteuer 1998 den Vorschlag, den Veräußerungserlös aus dem Verkauf der Beteiligung an der A GmbH in 1998 aufgrund der 1999 erfolgten Kaufpreiserstattung um 500.000 DM zu mindern. Die Einkommensteuer für 1998 werde entsprechend mit Änderungsbescheid herabgesetzt. Im Gegenzug erfolge eine Rücknahme des Einspruchs für 1999. Die zuständige Sachbearbeiterin D, nunmehr E, vermerkte in einer Gesprächsnotiz vom 11.12.2006: „Herr C nimmt den Vorschlag an. Wenn der ESt-Bescheid 1998 vorliegt, wird die Klage zurückgenommen, bei Bestandskraft ESt 98 wird der Einspruch 99 zurückgenommen.”
Das daraufhin nochmals übersandte Schreiben mit dem Einigungsvorschlag wurde durch den Zusatz ergänzt: „Aufgrund des Telefonats vom 11.12.2006 wird eine Anpassung der Einkommensteuer 1998 erfolgen. Der entsprechende Bescheid geht am 21.12. 2006 zur Post. Ich habe mir für die Rücknahme des Einspruchs betreffend 1999 den 31.01.2007 notiert.”
Der Beklagte erließ am 21.12.2006 einen entsprechend der Vereinbarung nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheid für 1998.
Mit Schriftsatz vom 25.01.2007 beantragte der Kläger die Fortsetzung des Einspruchsverfahrens gegen den Einkommensteuerbescheid 1999. Eine Änderung des Einkommensteuerbescheides 1999 vom 16.03.2005 sei nicht zulässig gewesen, denn es fehle an einer Änderungsvorschrift.
Mit Bescheid vom 12.11.2007 hob der Beklagte den geänderten Einkommensteuerbescheid 1999 vom 16.12.2005 auf. Gleichzeitig kündigte er an, dass er einen neuen Einkommensteuerbescheid für 1999 auf der Grundlage der Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 AO erlassen werde. Mit Bescheid vom 12.11.2007 erließ der Beklagte diesen nach § 174 AO geänderten Einkommensteuerbescheid für 1999 und setzte die Einkommensteuer wie in dem aufgehobenen Steuerbescheid auf 271.811,97 € fest.
Am 14.11.2007 legte der Kläger gegen diesen Einkommensteuerbescheid Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 15.09.2008 als unbegründet zurückwies.
Dagegen haben die Kläger am 26.09.2008 Klage erhoben. Zur Begründung führen sie aus, dass die Kläger davon ausgegangen seien, dass der Beklagte in dem undatierten Schreiben über eine einvernehmliche Beilegung der Rechtsstreitigkeiten eine Rücknahme der Klage der B GmbH und nicht die Rücknahme des Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid 1999 gemeint habe. Für eine Rücknahme dieses Einspruchs habe es keinen sachlichen Grund gegeben, denn der Einkommensteuerbescheid 1998 sei wegen des geringeren Veräußerungserlöses geändert worden. Ein Zusammenhang des Streitgegenstandes sei damals wie heute nicht zu erkennen. Die Grundsätze von Treu und Glauben seien nicht anwendbar, denn ihr Verhalten sei nicht ursächlich für das Vertrauen des Beklagten gewesen. Insbesondere habe der Beklagte vor Bestandskraft des geänderten Einkommensteuerbescheides 1998 nicht die Rücknahme des Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid 1999 angemahnt, denn insoweit wäre dem Beklagten eine Rückgängigmachung seines Handelns zumutbar gewesen. Eine tatsächliche Verständigung habe nicht vorgelegen, denn diese sei nur im Bereich der Sachverhaltsermittlung zulässig. Im Übrigen sei fraglich, ob dem Gespräch zwischen der Zeugin E und dem damaligen Vertreter des Klägers, Rechtsanwalt C, eine Verbindlichkeit zukomme. Ein Erledigungsvorschlag entfalte keine Bindung und auch ein Vertrag sei nicht zustande gekommen. Es sei von dem Beklagten nur eine einseitige Willenserklärung dargelegt worden, die von dem damaligen Vertreter des Klägers nicht angenommen bzw. der nicht zugestimmt worden sei. Die Voraussetzungen für eine Änderung des Einkommensteuerbescheides 1999 nach § 174 Abs. 4 AO lägen nicht vor. Insbesondere liege kein Irrtum über das Steuerobjekt, Steuersubjekt oder den Steuerzeitraum vor. Vielmehr versuche der Beklagte eine rechtswidrige Besteuerung mit Bescheid vom 16.12.2005 durch einen gleich lautenden Bescheid nachzuholen. Im Übrigen sei Festsetzungsverjährung mit Ablauf des 31.12.2005 eingetreten. Die Jahresfrist des § 174 Abs. 4 S. 3 AO gelte nicht, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Festsetzungsfrist für den Bescheid, in dem die Folgerungen richtigerweise zu ziehen wären, bereits abgelaufen gewesen sei. Nach Aufhebung des Bescheides vom 16.12.2005 sei sofort Festsetzungsverjährung eingetreten.
Der Kläger beantragt, den Einkommensteuerbescheid 1999 vom 12.11.2007 und die Einspruchsentscheidung vom 15.09.2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte nimmt Bezug auf die Einspruchsentscheidung und führt ergänzend aus, dass die mit dem damaligen Vertreter der Kläger getroffene Absprache sowohl die Rücknahme der Klage der B GmbH als auch die Rücknahme des Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid 1999 beinhaltet habe. Der Kläger habe es auch nicht so verstehen können, dass nur die Klage zurückgenommen werden solle. Der damalige Klägervertreter habe zugesagt, dass bei Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids 1998 der Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1999 zurückgenommen werden solle. Daher habe es für den Beklagten keine Veranlassung gegeben, noch vor Bestandskraft an die Einspruchsrücknahme zu erinnern. Der Beklagte sei auch weiterhin der Auffassung, dass eine Änderung nach § 174 Abs. 4 AO möglich sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei es unerheblich, dass die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 AO bei der ersten Änderung noch nicht vorgelegen hätten. Die Änderung des Einkommensteuerbescheids 1998 sei erst am 21.12.2006 erfolgt. Die Voraussetzungen für eine Änderung des Einkommensteuerbescheids 1999 seien erst im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Bescheid vom 16.12.2005 eingetreten. Die Kläger hätten damals eine Änderung des Einkommensteuerbescheids 1998 zu ihren Gunsten beantragt, dem der Beklagte entsprochen habe. Im Anschluss daran habe der Beklagte die richtigen steuerlichen Folgen nach § 174 Abs. 4 AO im Einkommensteuerbescheid 1999 ziehen können. Diese Änderung sei auch innerhalb der Jahresfrist des § 174 Abs. 4 S. 3 AO erfolgt.
Dem Gericht haben Band VIII der Einkommensteuerakte und die Rechtsbehelfsakte zu der Steuernummer .../.../... vorgelegen. Des Weiteren hat das Gericht die Akte des Verfahren 3 K 78/06 beigezogen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 1999 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Der Beklagte war befugt, den Einkommensteuerbescheid auf der Grundlage von § 174 Abs. 4 AO zu ändern.
Nach § 174 Abs. 4 AO können aus einem bestimmten Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgen gezogen werden, wenn aufgrund irriger Beurteilung des Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird. War die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen, als der später aufgehobene oder geänderte Steuerbescheid erlassen wurde, gilt dies nur unter der Voraussetzung des § 174 Abs. 3 S. 1 AO (§ 174 Abs. 4 S. 3 und 4 AO).
Die Vorschrift ist in besonderem Maße durch den Grundsatz von Treu und Glauben geprägt. Die Finanzbehörde soll die Möglichkeit erhalten, in bestimmten Fällen der materiellen Richtigkeit Vorrang einzuräumen, in dem vermieden wird, dass Steuerfestsetzungen bestehen bleiben, die inhaltlich zueinander im Widerspruch stehen. Die Regelung bezweckt den Ausgleich einer zu Gunsten des Steuerpflichtigen eingetretenen Änderung. Derjenige der erfolgreich für seine Rechtsansicht gestritten hat, muss auch die damit verbundenen Nachteile hinnehmen. Die Vorschrift zieht somit die verfahrensrechtliche Konsequenz daraus, dass der andere Bescheid nunmehr eine „widerstreitende Steuerfestsetzung” enthält, wie das Gesetz nach seiner amtlichen Überschrift voraussetzt. (BFH, Urteil vom 28.01.2009 - X R 27/07, DStR 2009, 429, m. w. N.). Die Einheitlichkeit des Lebenssachverhalts und das Interesse an seiner übereinstimmenden steuerlichen Beurteilung erlauben es, einer zutreffenden Besteuerung den Vorrang vor dem Schutz des Vertrauens auf die Bestandskraft der Steuerfestsetzung zu geben. Der Steuerpflichtige weiß aufgrund der positiven Verbescheidung seines Antrags, dass Folgerungen in einem oder mehreren anderen Steuerbescheiden für andere Veranlagungszeiträume bzw. Steuerarten zu ziehen sind. Der Steuerpflichtige ist daher nicht schutzbedürftig (vgl. BFH, Urteil vom 28.01.2009 - X R 27/07, a. a. O.; Beschluss vom 21.05.2004 - V B 30/03, BFH/NV 2004, 1497).
Die Voraussetzungen der Änderungsvorschrift liegen vor. Der Beklagte hat aufgrund der irrigen Beurteilung des (auch) diesem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Lebenssachverhalts den Einkommensteuerbescheid 1998 auf den Antrag der Kläger hin geändert. Unter dem Begriff des „bestimmten Sachverhalts” ist ein einheitlicher Lebensvorgang zu verstehen, an den das Gesetz steuerrechtliche Folgen knüpft. Erfasst wird ein Lebensvorgang oder Sachverhaltskomplex, der deshalb als Ganzes anzusehen ist, weil er aufgrund des inneren Zusammenhangs der Ereignisse als zusammengehörig anzusehen ist, die einzelnen Ereignisse bilden Teile eines einheitlichen Ganzen (vgl. BFH, Urteil vom 26.02.2002 - X R 59/98, BStBl II 2002, 450; von Wedelstädt in Beerman/Gosch, Kommentar zur AO und FGO, § 174 AO Rn. 15 f.). Der Begriff des bestimmten Sachverhalts ist dabei nicht auf eine einzelne steuererhebliche Tatsache oder ein einzelnes Merkmal beschränkt, sondern erfasst den einheitlichen, für diese Besteuerung maßgeblichen Sachverhaltskomplex (BFH, Urteil vom 21.08.2007 - I R 74/06, GmbHR 2008, 44, m. w. N.). Entscheidend ist, dass aus demselben - unveränderten und nicht durch weitere Tatsachen ergänzten - Sachverhalt andere steuerrechtliche Folgerungen noch in einem anderen Steuerbescheid gegenüber dem Steuerpflichtigen zu ziehen sind (BFH, Urteil vom 18.02.1997 - VIII R 54/95, BStBl II 1997, 647; FG Köln, Urteil vom 20.03.2007 - 15 K 1487/03, EFG 2007, 1221). Der vorliegende Rechtsstreit als auch die mit Änderungsbescheid vom 21.12.2006 erfolgte Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für 1998 betreffen die Zahlung eines Betrages von 500.000 DM von der A GmbH an die B GmbH am 21.12.1999 aufgrund einer entsprechenden Abtretungserklärung des Klägers. Diese Zahlung führt einerseits in 1999 bei dem Kläger zu Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (Abfindungszahlung) und andererseits zu einer Verminderung des Veräußerungsgewinns in 1998. Der Senat verkennt nicht, dass hierbei steuerrechtlich zwei unterschiedliche Tatbestände erfüllt worden sind, die auch unabhängig von einander hätten erfasst bzw. korrigiert werden können. Die Beurteilung der Ereignisse als einheitliches Ganzes und damit als einen einheitlichen, untrennbar verknüpften Lebenssachverhalt folgt daraus, dass sie durch die Abtretungserklärung des Klägers in einer Weise verbunden worden sind, dass die zutreffenden steuerrechtlichen Folgerungen nicht gezogen wurden. Die Kläger und in der Folge auch der Beklagte haben diesen Sachverhalt als einen einheitlichen Vorgang betrachtet und behandelt. Der Kläger hat in seiner Einkommensteuererklärung für 1999 diesen Betrag nicht bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit erklärt, weil das Geld auf Grund der Abtretung an die B GmbH geflossen ist. Gleichzeitig hat er nicht die Kaufpreiserstattung und damit eine Herabsetzung des Veräußerungsgewinns in 1998 geltend gemacht. Der Beklagte hat erst aufgrund der Kontrollmitteilung des Finanzamtes Hamburg-2 vom 31.03.2004 von der Abfindungszahlung erfahren. In dem dann folgenden Schriftverkehr über die beabsichtigte Änderung des Einkommensteuerbescheides 1999 haben die Kläger die Besteuerung der Abfindungszahlung wiederholt damit verknüpft, dass dann die entsprechenden steuerlichen Folgen auch im Hinblick auf die von dem Kläger der B GmbH geschuldeten - und durch die Abtretung beglichene - Kaufpreisrückerstattung gezogen werden müsse. Damit haben die Kläger auch ihren Einspruch gegen den am 16.05.2005 geänderten Einkommensteuerbescheid 1999 begründet, obwohl sie zu dem Zeitpunkt grundsätzlich mit einer Besteuerung der Abfindungszahlung in 1999 einverstanden waren. Dies hat wiederum den Beklagten dazu veranlasst, den Einkommensteuerbescheid 1998 zu ändern. Die durch die Abtretung verbundenen steuerrechtlich relevanten Tatbestände sind danach als ein einheitlicher Lebenssachverhalt zu behandeln.
Der Beklagte hat aufgrund einer irrigen Beurteilung die steuerlichen Folgen nicht zutreffend gezogen. Irrig ist die Beurteilung eines Sachverhalts, wenn sie sich nachträglich als unrichtig erweist. Ob der Fehler im tatsächlichen oder rechtlichen Bereich anzusiedeln ist, ist unerheblich (BFH, Beschluss vom 21.05.2004 - V B 30/03, BFH/NV 2004, 1497, m. w. N.). Die Finanzbehörde muss sich bei einem bestimmten Sachverhalt, aus dem sie steuerliche Folgerungen ziehen wollte, darüber geirrt haben, welches Steuerobjekt, welches Steuersubjekt oder welchen Zeitraum diese Folgerungen betreffen (Loose in Tipke/Kruse, § 174 AO Rn. 39). Der Beklagte hatte zunächst im Einkommensteuerbescheid 1998 einen Veräußerungsgewinn von 3.500.000 DM der Besteuerung zugrunde gelegt. Aufgrund der Einlassungen des Klägers im Verwaltungs- bzw. Einspruchsverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid 1999 änderte der Beklagte am 21.12.2006 den Einkommensteuerbescheid für 1998 auf der Grundlage von § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO und berücksichtigte entsprechend dem Begehren des Klägers nunmehr den Umstand, dass der Zahlung der A GmbH an die B GmbH aufgrund der Abtretungserklärung eine Kaufpreisrückerstattung zu Grunde lag und setzte den in 1998 erzielten Veräußerungsgewinn entsprechend herab.
Nachdem der Beklagte mit Bescheid vom 12.11.2007 den fehlerhaften, nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Bescheid betreffend die Einkommensteuer 1999 aufgehoben hatte, fehlte es an einer steuerlichen Würdigung der dem Kläger gezahlten Abfindung durch die A GmbH. Die zutreffenden steuerlichen Folgerungen konnte der Beklagte nach § 174 Abs. 4 AO mit dem geänderten Einkommensteuerbescheid 1999 vom 12.11.2007 ziehen, obwohl er diese Besteuerung bereits mit dem rechtsfehlerhaften Bescheid vom 16.12.2005 hatte vornehmen wollen. Der Wortlaut enthält keine Einschränkung, nach der zwar eine Änderung des angefochtenen Bescheids aufgrund des Rechtsbehelfs zulässig sein sollte, die Änderung der irrigen Beurteilung in anderen Bescheiden aber deswegen unterbleiben müsste, weil das Finanzamt vorsätzlich fehlerhaft gehandelt hat (BFH, Beschluss vom 21.05.2004 - V B 30/03, a. a. O.). Die Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 AO lässt jedoch auch keine uneingeschränkte Fehlerkorrektur zu; sie dient insbesondere nicht dazu, Fristversäumnisse auszugleichen, um das materiell richtige Ergebnis zu erreichen. Sie bietet aber eine Ermächtigung für den Erlass oder die Änderung einer anderen Steuerfestsetzung nach Änderung eines unrichtigen Bescheids auf Betreiben des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten, um nunmehr den unberücksichtigten Sachverhalt in dem richtigen Bescheid zu erfassen (Loose in Tipke/Kruse, § 174 AO Rn. 39). Führt die auf Betreiben des Steuerpflichtigen erfolgte Änderung eines Steuerbescheides dazu, dass eine widerstreitende Steuerfestsetzung in der Weise vorliegt, dass der Sachverhalt einerseits durch Änderung des Einkommensteuerbescheids 1998 einer zutreffenden Besteuerung zu Gunsten des Klägers zugeführt worden ist, andererseits aber die damit zusammenhängenden steuerlichen Konsequenzen für den Veranlagungszeitraum 1999 nicht gezogen werden können, so ist der Anwendungsbereich der Änderungsvorschrift trotz vorangegangenem fehlerhaften Bescheid eröffnet. § 174 Abs. 4 S. 1 AO beschränkt sich nach ständiger Rechtsprechung des BFH nicht auf die Fälle der alternativen Erfassung eines bestimmten Sachverhalts. Der BFH ist unter Hinweis auf den Wortlaut der Vorschrift nicht der Auffassung gefolgt, die Vorschrift setze zwingend ein wechselseitiges Ausschließlichkeitsverhältnis voraus, dass nur die alternative Berücksichtigung desselben Sachverhalts erlaube (BFH, Urteil vom 28.01.2009 - X R 27/07, a. a. O., m. w. N.).
Nach § 174 Abs. 4 AO kommt es nicht darauf an, ob die Änderungsmöglichkeit „nachträglich” nach Erlass des erstmaligen Steuerbescheids eingetreten ist. Die Vorschrift stellt auch nicht darauf ab, wer den Widerstreit der Steuerfestsetzungen verursacht hat. Vielmehr stehen Vertrauensschutzgedanken einer Änderung der Veranlagung auch dann nicht entgegen, wenn das Finanzamt die Fehlerhaftigkeit der Veranlagung selbst herbeigeführt hätte. Entscheidend ist ausschließlich, dass eine Steuerfestsetzung aufgrund eines Einspruchs oder Antrags des Steuerpflichtigen zu dessen Gunsten geändert worden ist (BFH, Urteil vom 28.01.2009 - X R 27/07, a. a. O.). Diese Voraussetzungen lagen für den Änderungsbescheid vom 12.11.2007 vor; auf den aufgehobenen Bescheid vom 16.12.2005 kommt es insoweit nicht an.
Die Änderung des Einkommensteuerbescheid 1998 ist auch auf Antrag des Klägers erfolgt. Zwar hat er nicht ausdrücklich sein Begehren als Antrag auf Änderung des Einkommensteuerbescheides 1998 bezeichnet. Aber sowohl in dem Schreiben vom 21.09.2005 als auch mit seinem Einspruch vom 09.01.2006 gegen den Einkommensteuerbescheid 1999 vom 16.12.2005 bringt er sein Anliegen zum Ausdruck, dass bei einer Besteuerung der Abfindungszahlung in 1999 der steuermindernde Umstand der Kaufpreisrückerstattung Berücksichtigung finden müsse. Er bezeichnet damit konkret das Begehren, auch wenn er in diesem Zusammenhang fälschlicherweise den Körperschaftsteuerbescheid 1999 der B GmbH als zu ändernden Bescheid angibt.
Der Änderung des Einkommensteuerbescheids für 1999 stand auch nicht der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegen. Nach § 174 Abs. 4 S. 3 AO ist der Ablauf der Festsetzungsfrist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, denn der Beklagte hat nach Änderung des Einkommensteuerbescheids 1998 am 21.12.2006 den Einkommensteuerbescheid 1999 innerhalb der Jahresfrist am 12.11.2007 geändert. § 174 Abs. 4 S. 4 AO greift nicht ein, denn die Festsetzungsfrist für den Einkommensteuerbescheid 1999 war am 21.12.2006, dem Zeitpunkt, in dem der geänderte Einkommensteuerbescheid 1998 erlassen wurde, noch nicht abgelaufen. Der Beklagte hatte den Einkommensteuerbescheid 1999 am 16.12.2005 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert. Diese Änderung war nicht nichtig, so dass der gegen diese Änderung eingelegt Einspruch, der im Zeitpunkt der Änderung des Einkommensteuerbescheids 1998 am 21.12.2006 noch anhängig war, dazu führte, dass der Einkommensteuerbescheid 1999 im Umfang der Änderung nicht bestandskräftig war. Zwar hat der Beklagte mit Bescheid vom 12.11.2007 den am 16.12.2005 geänderten Einkommensteuerbescheid 1999 aufgehoben. Dies führt jedoch nicht dazu, dass § 174 Abs. 4 S. 4 AO zur Anwendung kommt, denn es kommt auf den Zeitpunkt der Änderung des Einkommensteuerbescheids 1998 am 21.12.2006 an.
Gegenüber Dritten ist eine Änderung nach § 174 Abs. 4 AO nur zulässig, wenn der Dritte an dem Verfahren zur Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids beteiligt war (§ 174 Abs. 5 AO). Im vorliegenden Fall betrifft die Erhöhung der Einkommensteuer 1999 auch die Klägerin. Sie war jedoch an dem Verfahren, das zur Änderung des fehlerhaften Einkommensteuerbescheids 1998 geführt hat, beteiligt. Zum einen erging der geänderte Einkommensteuerbescheid 1998 auch an sie. Zum anderen war sie an dem Verfahren gegen den Einkommensteuerbescheid 1999 vom 16.12.2005 beteiligt, denn auch sie hat diesen Steuerbescheid mit dem Einspruch angefochten und mit der Einspruchsbegründung eine Änderung der maßgeblichen Steuerbescheide aufgrund der Kaufpreisrückerstattung beantragt.
Die Klage ist danach abzuweisen.
Die Kläger haben nach § 135 Abs. 1 FGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.