02.11.2010
Finanzgericht Thüringen: Urteil vom 18.02.2010 – 2 K 215/09
1. Der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im April 2006 erfolgten Aufrechnung der vollwirksamen und fälligen Forderung des FA auf Rückzahlung von Insolvenzzulage mit dem im September 2008, also nach Insolvenzeröffnung, festgesetzten Anspruch auf Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens für 2008 steht das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht entgegen.
2. Der Anspruch auf Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens ist nicht gem. § 37 Abs. 5 Satz 2 KStG 2006 erst nach Insolvenzeröffnung am 31.12.2006 insolvenzrechtlich begründet, sondern bereits am 31.12.2001.
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
hat der II. Senat des Thüringer Finanzgerichts … ohne mündliche Verhandlung am 18. Februar 2010 für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob der Anspruch des Klägers auf Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens für 2008 durch Aufrechnung des Beklagten erloschen ist.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der X-GmbH (Insolvenzschuldnerin). Das Insolvenzverfahren wurde am 27.04.2006 eröffnet.
Mit Bescheid über die gesonderte Feststellung der Endbeträge gem. § 36 Abs. 7 Körperschaftsteuergesetz (KStG) und Bescheid zum 31.12.2001 über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gem. § 27 Abs. 2, § 28 Abs. 1 Satz 3 und § 38 Abs. 1 KStG vom 11.03.2005 stellte der Beklagte gegenüber der Insolvenzschuldnerin das Körperschaftsteuerguthaben auf 14.040 EUR fest. In dieser Höhe setzte der Beklagte mit Bescheid vom 25.09.2008, also nach Insolvenzeröffnung, gegenüber dem Kläger den Anspruch auf Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens fest. Der sich hiernach ergebende Auszahlungsbetrag für 2008 ist mit (1/10 von 14.040 EUR =) 1.404 EUR ausgewiesen.
Zur Auszahlung dieses Betrags an den Kläger kam es jedoch nicht, da der Beklagte gegen die Forderung des Klägers i. H. v. 1.404 EUR eine Forderung auf Rückzahlung von Investitionszulage 2001 aufrechnete, indem er unter dem 01,10.2008 eine interne Umbuchung vornahm und dies dem Kläger mitteilte. Diesbezüglich erließ der Beklagte unter dem 13.11.2008 antragsgemäß einen entsprechenden Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 Abgabenordnung – AO –).
Mit seinem gegen diesen Abrechnungsbescheid eingelegten Einspruch machte der Kläger – ausschließlich – geltend, die vom Beklagten erklärte Aufrechnung sei nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 Insolvenzordnung (InsO) unzulässig, da die Verpflichtung des Beklagten zur Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens an den Kläger nicht schon vor Insolvenzeröffnung am 27.04.2006 insoivenzrechtlich begründet worden sei. Vielmehr sei der Anspruch auf Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens insoivenzrechtlich erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden, nämlich kraft Gesetzes gem. § 37 Abs. 5 Satz 2 KStG mit Ablauf des 31.12.2006. Die Vorschrift fingiere den ansonsten für eine Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens notwendigen Ausschüttungsbeschluss.
Den gegen den Abrechnungsbescheid eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 12.02.2009 als unbegründet zurück. Die Aufrechnung verstoße nicht gegen § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Die Forderung des Klägers auf Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens sei insolvenzrechtlich bereits durch den Aufbau des Körperschaftsteuerguthabens unter Geltung des Anrechnungsverfahrens mit Ablauf des 31.12.2001, also vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage.
Der Kläger beantragt,
den Abrechnungsbescheid vom 13.11.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.02.2009 aufzuheben und das sich ergebende Körperschaftsteuerguthaben i. H. v. 1.404 EUR auszuzahlen.
die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Das Gericht war gem. 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten befugt, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.
Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Abrechnungsbescheid des Beklagten verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die von dem Beklagten erklärte Aufrechnung ist rechtmäßig.
1. Die in § 226 AO i.V.m. § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) genannten, allgemeinen Voraussetzungen einer Aufrechnung lagen im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung des Beklagten am 01.10.2008 vor.
a) Bei den vom Beklagten aufgerechneten, auf Geldzahlungen gerichteten Forderungen handelt es sich unzweifelhaft um gegenseitige und gleichartige Forderungen. Der Beklagte als Aufrechnender war Gläubiger der Forderung auf Rückzahlung der Investitionszulage 2001 (Gegenforderung) und Schuldner der Forderung des Klägers auf Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens für 2008 (Hauptforderung). Umgekehrt schuldete der Kläger die Gegenforderung und war Gläubiger der Hauptforderung.
b) Die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung auf Rückzahlung der Investitionszulage 2001 war - unstreitig – vollwirksam und fällig.
c) Die Hauptforderung auf Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens für 2008, gegen die der Beklagte aufgerechnet hat, war für diesen – ebenfalls unstreitig – erfüllbar, d. h. der Beklagte hätte das Körperschaftsteuerguthaben i. H. v. 1.404 EUR auszahlen können.
2. Der Aufrechnung des Beklagten steht nicht das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegen.
Die allgemeinen Aufrechnungsregeln der §§ 387 ff. BGB werden durch die Vorschriften der §§ 94 – 96 InsO modifiziert. Nach dem Grundsatz des § 94 InsO ist eine Aufrechung möglich, wenn der Insolvenzgläubiger bereits zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufrechnen konnte. Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung ausgeschlossen, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Die Voraussetzungen dieses Aufrechnungsverbots sind im Streitfall nicht erfüllt. Der Beklagte ist den Anspruch des Klägers auf Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens nicht erst, wie der Kläger meint, am 31.12.2006 und damit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 27.04.2006 schuldig geworden, sondern bereits vor der Eröffnung, nämlich mit Ablauf des 31.12.2001.
Wann ein Insolvenzgläubiger etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist, ist danach zu beurteilen, wann die Hauptforderung des Insolvenzschuldners insolvenzrechtlich ihrem Kern nach begründet worden ist (vgl. § 38 InsO). Maßgeblich hierfür ist, wann der zugrunde liegende zivilrechtliche Sachverhalt, der zur Entstehung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis führt, verwirklicht worden ist. Demgemäß steht es der Aufrechnung nicht entgegen, wenn eine der aufzurechnenden Forderungen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch aufschiebend bedingt war (§ 95 Abs. 1 Satz 1 InsO). Auf die steuerrechtliche Entstehung i.S.d. § 38 AO kommt es nicht an (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH –, Urteile vom 5.10.2004 VII R 69/03, Bundessteuerbiatt – BStBI – II 2005, 195; vom 16.01.2007 VII R 7/06, BStBi II 2007, 745; vom 17.04.2007 VII R 27/06, BFH/NV 2007, 1391).
Der zivilrechtliche Lebenssachverhalt, der zur Entstehung des Anspruchs auf Auszahlung des Körperschafsteuerguthabens führt, ist entgegen der Ansicht des Klägers nicht erst dadurch verwirklicht, dass der Auszahlungsanspruch gem. § 37 Abs. 5 Satz 2 KStG mit Ablauf des 31.12.2006 (oder des nach Absatz 4 Satz 2 oder Satz 3 maßgebenden Tages) entsteht (so aber ohne weitere Begründung Oberfinanzdirektion – OFD – Münster, Kurzinformation Verfahrensrecht Nr. 10/2007 vom 20.04.2007, Der Betrieb 2007, 1001; Grashoff/Kleinmanns, ZlnsO 2008, 609). Die steuerrechtiiche Vorschrift des § 37 Abs. 5 Satz 2 KStG regelt nur den steuerrechtlichen Entstehungszeitpunkt, auf den es für die insolvenzrechtliche Begründung des Auszahlungsanspruchs nicht ankommt.
Nach zutreffender Ansicht des Beklagten und überwiegender Ansicht in der Literatur (Fett, DStZ 2008, 768; Ladiges, DStR 2008, 2041; Sterzinger, BB 2008, 1480) wird der Anspruch auf Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens insolvenzrechtlich durch die Tatsache begründet, dass die Körperschaften ein Körperschaftsteuerguthaben während der Geltung des Anrechnungsverfahrens aufgebaut haben und dieses Verfahren durch das Halbeinkünfteverfahren abgelöst wurde. Nach dem grundsätzlich bis zum 31.12.2000 geltenden Anrechungsverfahren wurden die von der Kapitalgesellschaft erwirtschafteten, nicht ausgeschütteten (thesaurierten) Gewinne, also das für Ausschüttungen „verwendbare Eigenkapital” bei der Kapitalgesellschaft mit einer Körperschaftsteuer von zuletzt 40 v.H. besteuert (Tarifbelastung). Mit Ausschüttung der Gewinne an den Anteilseigner musste die Ausschüttungsbelastung hergestellt werden, die zuletzt 30 v. H. betrug, so dass es insoweit zu einer Minderung der ursprünglichen Steuerbelastung kam. Diese Differenz war der Körperschaft zu erstatten.
Nach dem grundsätzlich ab dem Veranlagungszeitraum 2001 geltenden Halbeinkünfteverfahren werden sowohl thesaurierte als auch ausgeschüttete Gewinne einheitlich mit einem niedrigeren Steuersatz versteuert (vgl. § 23 Abs. 1 KStG). Eine Minderung der Körperschaftsteuer erfolgt beim Halbeinkünfteverfahren nicht mehr.
Damit das unter der Geltung des Anrechungsverfahrens aufgebaute und mangels einer Gewinnausschüttung noch vorhandene Körperschaftsteuerminderungs Potenzial (von 40 v. H. auf 30 v. H.) nicht verloren geht, sondern der Körperschaft – wenn auch mit zeitlicher Verzögerung durch das sog. Körperschaftsteuermoratorium – erstattet werden kann, ist nach § 36 KStG der Endbestand des für Ausschüttungen verwendbaren Eigenkapitals, das mit 40 v. H. versteuert wurde (EK 40), zu ermitteln und gesondert festzustellen (§ 36 Abs. 7 KStG). Aus dem mit 40 v. H. belasteten Teilbetrag wird gem. § 37 Abs. 1 KStG ein Körperschaftsteuerguthaben ermittelt. Dazu wird der mit 40 v. H. belastete Teilbetrag auf eine Steuerbelastung von 30 v. H. herabgeschleust. Die Minderung, die eingetreten wäre, wenn sämtliche thesaurierten Gewinne noch innerhalb des Anrechungsverfahrens für eine Ausschüttung verwendet worden wären, bildet das Körperschaftsteuerguthaben. Es beträgt 1/6 des Endbestands des mit 40 v. H. belasteten Teilbetrags (§ 37 Abs. 1 Satz 2 KStG). Das am 31.12.2006 noch vorhandene Körperschaftsteuerguthaben wird nach § 37 Abs. 5 KStG in zehn gleichen Jahresbeträgen beginnend ab dem Jahr 2008 an die Kapitalgesellschaft ausgezahlt (§ 37 Abs. 5 KStG).
Die Begründung des Körperschaftsteuerguthabens sowie des Anspruchs auf dessen Auszahlung war entgegen der Ansicht der OFD Koblenz (RundVerfügung vom 7.12.2007 – S 0453A/S 0550 A/S 0166 A – St 341/St 342/St 35 8, ZlnsO 2008, 503), auf die sich der Kläger stützt, gerade nicht von einem Ausschüttungsbeschluss abhängig (Ladiges, DStR 2008, 2041, 2044). Das zur Erstattung vorgesehene Körperschaftsteuerguthaben entstand allein durch die Verwirklichung der körperschaftsteuerrechtlichen Tatbestände bis zum Ablauf des Anrechnungsverfahrens, ohne dass es eines weiteren Zutuns von Seiten der betroffenen Körperschaft bedurft hätte. Die ursprünglich zu gewährende Minderung der Körperschaftsteuer sollte durch die Umstellung auf das Halbeinkünfteverfahren nicht verloren gehen, sondern erhalten bleiben. Der für die Auszahlung des Erstattungsbetrags notwendige Ausschüttungsbeschluss, an dessen Stelle die Regelung des § 37 Abs. 5 KStG getreten ist, stellte lediglich eine aufschiebende Bedingung für das Entstehen des Erstattungsanspruchs dar. Weder der ursprünglich notwendige Ausschüttungsbeschluss noch die Regelung des § 37 Abs. 5 KStG über die ratierliche Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens regeln den Kern des Erstattungsanspruchs, sondern bedingen lediglich dessen hier unbeachtliche steuerrechtliche Entstehung i.S.d. § 38 AO.
Es handelt sich um eine Situation, die vergleichbar ist mit den vom BFH entschiedenen Fällen, in denen vor Insolvenz- bzw. Konkurseröffnung geleistete, überhöhte Vorauszahlungen bereits vor Insolvenz- bzw. Konkurseröffnung einen aufschiebend bedingten Erstattungsanspruch begründen, gegen den die Finanzbehörde im Insoivenzverfahren aufrechnen kann, obwohl das die Erstattung auslösende Ereignis selbst erst nach Eröffnung des Verfahrens, nämlich mit Ablauf des Veranlagungszeitraums eintritt (vgi. zur KSt BFH-Urteil vom 12.01.1984 VII R 155/82, juris; zur Grunderwerbsteuer Urteil vom 17.04.2007 VII R 27/06, BStBI II 2009, 589).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
4. Über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im außergerichtlichen Vorverfahren musste wegen des Unterliegens des Klägers nicht entschieden werden.
5. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen. Die streitgegenständliche Rechtsfrage betrifft eine Vielzahl gleichartiger Fälle und ist vom Bundesfinanzhof noch nicht entschieden worden.