02.11.2010
Finanzgericht Köln: Urteil vom 03.03.2010 – 10 K 3312/08
Ein Kind, das während eines Zeitraums von 14 Monaten jeweils eine Woche im Monat ein Berufspraktikum bei einem Podologen absolviert, befindet sich auch dann in Berufsausbildung, wenn es in der übrigen Zeit keinerlei Tätigkeit nachgeht.
für Recht erkannt:
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Kindergeld für die Tochter H (geb. 13.02.1987) zusteht.
H hat bis einschließlich Juni 2007 die Berufsfachschule für Sozial- und Gesundheitswesen besucht. Während sie auf dem Halbjahreszeugnis vom 19. Januar 2007 noch Noten von gut bis ausreichend und nur zwei mangelhaft hatte, wies das Abschlusszeugnis nur noch als Note „ungenügend” auf bis auf ein Fach, in dem die Note bei mangelhaft bleiben musste, da dieses im zweiten Halbjahr nicht mehr unterrichtet wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf die Zeugnisse Bezug genommen (Bl. 30 und 31 GA).
Die Beklagte hob die Kindergeldfestsetzung mit Verfügung vom 21. Mai 2008 ab Juni 2006 auf und forderte das für Juli 2006 bis November 2007 gezahlte Kindergeld in Höhe von 2.772,– EUR zurück.
Während des Einspruchsverfahrens änderte die Beklagte den Bescheid mit Verfügung vom 14. August 2008 und gewährte bis einschließlich Februar 2007 Kindergeld. Anschließend wies sie den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 28. August 2008 als unbegründet zurück.
Mit der Klage trägt der Kläger vor:
H habe bis einschließlich Juni 2007 die Berufsfachschule besucht. Ab Juni 2007 bis September 2008 habe sie ein Praktikum beim Podologen R in F absolviert.
Der Kläger beantragt,
den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 21. Mai 2006 in Gestalt des Bescheids vom 14. August 2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Senat hat gemäß Beschluss vom 20.1.2010 Beweis darüber erhoben, ob die Tochter des Klägers von Juni 2007 bis September 2008 beim Podologen R ein Praktikum absolviert hat. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Protokollniederschrift vom 3. März 2010 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Anfechtungsklage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Insoweit ist der angefochtene Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid rechtswidrig und verletzt den Kläger deshalb in seinen Rechten, vgl. § 100 Abs. 1 S. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –.
Entgegen der Auffassung der Beklagten stand dem Kläger für den Zeitraum ab Juni 2007 Kindergeld für die Tochter H zu.
Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 und 2 i. V. m. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes – EStG – besteht ein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, dass das 18. Lebensjahr, aber noch nicht das 27. (heute 25.) Lebensjahr vollendet hat, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, der sich der Senat anschließt, ist unter Berufsausbildung die Ausbildung zu einem künftigen Beruf zu verstehen. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft darauf vorbereitet. Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen dabei alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind. Dabei ist nicht erforderlich, dass die Ausbildungsmaßnahme in einer Ausbildungs- oder Studienordnung vorgeschrieben ist oder – mangels solcher Regelungen – jedenfalls dem Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten dienen muss, die für den angestrebten Beruf zwingend notwendig sind.
Auch eine praktische Tätigkeit, die ausbildungswillige Kinder vor Annahme einer vollbezahlten Beschäftigung absolvieren, ist grundsätzlich als Berufsausbildung anzuerkennen. Dabei spielt es keine Rolle, ob für das Praktikum eine Vergütung gezahlt wird oder nicht. Aus der gesetzlichen Formulierung „für einen Beruf ausgebildet” ist allerdings zu folgern, dass die Tätigkeit der Erlangung der angestrebten beruflichen Qualifikation dienen und somit der Ausbildungscharakter im Vordergrund stehen muss. Es darf sich nicht lediglich um ein gering bezahltes Arbeitsverhältnis handeln (vgl zusammenfassend FG Münster, Urteil vom 30.10.2008 4 K 4113/07 Kg, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2009, 357, BFH-Az.: III R 88/08; Urteil des erkennenden Senats vom 16.9.2004 10 K 411/02, EFG 2004, 1848; s. auch Bundesfinanzhof, Beschluss vom 10.2.2000 VI B 108/99, Bundessteuerblatt II 2000, 398 zum juristischen Referendariat als Berufsausbildung).
Auf die von den Beteiligten gewählte Bezeichnung als „Trainee”, „Praktikum”, „Schulung” oder anderes kommt es nicht an. Ausschlaggebend ist allein der Charakter der Maßnahme.
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze befand sich H in der Zeit von März bis Mai 2007 nicht in Berufsausbildung, jedoch anschließend ab Juni 2007.
Von März bis Mai 2007 hat H sich nicht ernsthaft auf ein Berufsziel vorbereitet. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Abschlusszeugnis vom 20. Juni 2007. Wenn dort alle Leistungen nur noch mit ungenügend benotet werden, während im Halbjahreszeugnis noch überwiegend gute und befriedigende Leistungen bescheinigt werden, spricht dies dafür, dass sich H im 2. Halbjahr nicht mehr um schulische Belange gekümmert hat. Das Auseinanderklaffen der Noten zwischen Halbjahres und Abgangszeugnis kann nicht mit einem normalen Leistungsabfall begründet werden. Vielmehr ergibt sich, dass H sich nicht mehr ernsthaft, wenn auch vergeblich, in Berufsausbildung befand.
Demgegenüber kann für die Zeit ab Juni 2007 wiederum von einem ernsthaften Bemühen um Berufsausbildung ausgegangen werden. Ab diesem Zeitpunkt ist H gemäß den glaubhaften Aussagen des Zeugen R einmal im Monat jeweils für eine Woche ganztägig mit ihm mitgegangen, da sie sich für den Beruf einer Podologin interessierte und dort erste Eindrücke gewinnen wollte. Die Zeit beim Podologen R ist als Berufspraktikum anzusehen, das nach den vorstehenden Grundsätzen ebenfalls als Berufsausbildung zu werten ist. Ein als Berufsausbildung zu wertendes Praktikum setzt nicht voraus, dass es ununterbrochen ausgeübt wird (vgl. BFH, Urteil vom 14.1.2000 VI R 11/99, BStBl II 2000, 199, 200). Nach Auffassung des erkennenden Senats reicht es aus, wenn das Kind dem Praktikum für einen nicht unerheblichen Zeitraum im Monat regelmäßig nachgeht. Von einem unerheblichen Zeitraum kann zumindest bei einer während eines Monats jeweils einwöchigen Teilnahme nicht gesprochen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
Der Senat lässt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zu, ob ein jeweils einwöchiges Praktikum während eines Zeitraums von 14 Monaten, wenn das Kind in der übrigen Zeit keinerlei Tätigkeit nachgeht, als ernsthafte Vorbereitung auf ein Berufsziel anzusehen ist.