02.11.2010
Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 14.04.2010 – 8 K 1846/07
Auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz) vom 20.12.2001 (BGBl I 2001, 3983) bleibt es dabei, dass die selbstständig ausgeübte Tätigkeit als Prostituierte keine gewerbliche und damit gewerbesteuerpflichtige Tätigkeit i. S. d. § 2 Abs. 1 S. 1 und 2 GewStG i. V. m. § 15 EStG darstellt, sondern zu sonstigen Einkünften nach § 22 Nr. 3 EStG führt (hier: Streitjahr 2006).
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 8. Senat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht … des Richters am Finanzgericht … des Richters am Finanzgericht … der ehrenamtlichen Richterin … des ehrenamtlichen Richters … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 14. April 2010
für Recht erkannt:
1. Der Gewerbesteuermessbescheid 2006 vom 13. September 2007 wird aufgehoben.
2. Dem Beklagten werden die Kosten des Verfahrens auferlegt.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 EStG erzielt.
Die Klägerin arbeitete ab dem Streitjahr 2006 als Prostituierte. Sie bietet in eigener Person Dritten die Ausübung von Geschlechtsverkehr gegen Entgelt in einer hierfür angemieteten Privatwohnung an. Aus dieser Tätigkeit erzielte die Klägerin im Streitjahr Einkünfte in Höhe von 38.115 EUR, die sie als sonstige Einkünfte beim Beklagten (dem Finanzamt) angab.
Gegen den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 2006 vom 13. September 2007, mit dem der Messbetrag auf 152 EUR festgesetzt worden ist, hat die steuerlich vertretene Klägerin zulässig Sprungklage erhoben.
Sie macht im Wesentlichen geltend, dass es bei der hier vorliegenden sog. eigenen Prostitution an einer Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr fehle.
An dieser Wertung, die sich auch in der einschlägigen BFH-Rechtsprechung findet (vgl. BFH-Urteile vom 23. Juni 1964) habe sich weder durch das BFH-Urteil vom 23. Februar 2000 X R 142/95 noch durch das sog. Prostituiertengesetz etwas geändert. Das genannte BFH-Urteil sei zu einem Fall der sog. Fremdprostitution ergangen. Das genannte Gesetz habe nichts daran ändern können, dass Prostituierte nach wie vor ein Schattendasein führen würden. Prostituierte würden nach wie vor in weiten Teilen der Bevölkerung auf Ablehnung stoßen. Auch sei es Prostituierten nur in engen gesetzlichen Grenzen gestattet, ihrer Tätigkeit nachzugehen; auf die sog. Sperrbezirksverordnungen werde verwiesen. Schließlich würden auch die Kunden keine offizielle Verbindung wünschen, was ein gleichberechtigtes Auftreten im Wirtschaftsleben ausschließe. Es komme nicht auf gesetzgeberische Absichten, sondern auf die tatsächlichen Gegebenheiten an.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 2006 vom 13. September 2007 aufzuheben.
Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.
Auf Grund der Änderung der Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 23.02.2000,BStBl II 2000, 610) und dem Wandel der gesellschaftlichen Auffassung zur Prostitution (Prostitutionsgesetz vom 20.12.2001) gehe das Finanzamt davon aus, dass Einkünfte aus Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG nicht mehr vorliegen würden. Eine Unterscheidung zwischen eigener und Fremdprostitution sei nicht mehr vorzunehmen.
Auf gerichtlichen Hinweis führt das Finanzamt aus, dass es zwar zutreffe, dass der BFH in dem Urteil vom 23.02.2000 nicht darüber entscheiden musste, ob die eigene Prostitution eine gewerbliche Leistung darstelle. Er habe allerdings in den Gründen bemerkt, dass die bisherige Rechtsprechung (BFH-Urteile vom 23. Juni 1964,BStBl III 1964, 500 und vom 17. April 1970, BStBl II 1970, 620) im Hinblick auf veränderte gesellschaftliche Anschauungen zur Sexualität möglicherweise überholt sei. Die Finanzverwaltung vertrete bundeseinheitlich die Auffassung, dass sich die gesellschaftliche Anschauung zur Prostitution geändert habe. Dies zeige sich auch in dem Prostitutionsgesetz, mit dem der Gesetzgeber die Sittenwidrigkeit des Geschlechtsverkehrs gegen Entgelt beseitigt habe. Die Geltendmachung von Forderungen für solche Betätigungen sei mit dem Gesetz als rechtswirksam anerkannt worden. Daraus ergebe sich eine neue steuerliche Beurteilung. Sofern die Prostituierten nicht Arbeitnehmer seien, erzielten sie Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Für die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr genüge es, dass die Prostituierte ihre Dienste durch ihre Anwesenheit an bestimmten, dem Kundenkreis bekannten Orten oder durch Anzeigen in Printmedien oder im Internet anbiete und dass eine gewisse Zahl von Personen bereit sei, für diese Dienste ein Entgelt zu zahlen. Es sei deshalb nicht entscheidend, dass gegenüber Prostituierten in weiten Teilen der Bevölkerung weiterhin Vorbehalte bestehen würden und, dass das Gewerbe nur in engen gesetzlichen Grenzen ausgeübt werden dürfe.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Gewerbsteuerakte des Finanzamtes sowie auf den protokollierten Vortrag in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 2006 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Klägerin unterliegt mit ihren Einkünften aus der Prostitution nicht der Gewerbesteuer.
1. Der Gewerbesteuer unterliegen stehende Gewerbebetriebe, soweit diese im Inland betrieben werden. Unter Gewerbebetrieb ist ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des Einkommensteuergesetzes zu verstehen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG). Das Vorliegen eines Gewerbebetriebes nach § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG setzt eine selbständige nachhaltige Betätigung voraus, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, wenn die Betätigung weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als andere selbständige Tätigkeit anzusehen ist. Sind die Voraussetzungen gegeben, liegt ein Gewerbebetrieb auch dann vor, wenn die Gewinnerzielungsabsicht nur ein Nebenzweck ist (§ 15 Abs. 2 Satz 3 EStG).
a) Es entspricht der vorliegenden Rechtsprechung des BFH, auf die sich die Klägerin zu Recht beruft, dass die Einkünfte der Prostituierten ertragssteuerlich unter § 22 Nr. 3 EStG erfasst werden, weil sich jemand, der gewerbsmäßige Unzucht betreibt, nicht als Unternehmer am Wirtschaftsleben im Sinne des allgemeinen wirtschaftlichen Güter- und Leistungsaustausch am Markt beteiligt. Während der Große Senat die gewerbsmäßige Unzucht noch als „Zerrbild” des Gewerbes bezeichnet hatte (BFH – Urteil vom 23. Juni 1964 GrS 1/64, BStBl III 1964, 500), hat der VI. Senat festgestellt, dass nach einhelliger Auffassung an der Besteuerung nach § 22 Nr. 3 EStG auch unter Berücksichtigung eines gesellschaftlichen Wandels weg von einer polizeilich gestützten Abwehrhaltung der Gesellschaft hin zu einer gesundheitlichen Überwachung und Fürsorge der Prostituierten festzuhalten sei (BFH – Urteil vom 28. November 1969 VI R 128/68, BStBl II 1970, 185; vgl. nachfolgend auch Urteil vom 17. April 1970 VI R 164/68, BStBl II 1970, 620). Wegen der von der Vorinstanz geäußerten Vorbehalte hat der BFH die Besteuerung weiter damit begründet, dass der Begriff der Leistung in § 22 Nr. 3 EStG nicht erfordere, dass diese einen Marktwert habe. Wer im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG leiste, sei weder Gewerbetreibender noch Freiberufler oder Vermieter, sondern Privatmann. Seine Leistung werde zwar in der Regel den wirtschaftlichen Interessen desjenigen dienen, der das Entgelt zahlt. Sie gehöre gleichwohl zum privaten Bereich und stelle keineswegs notwendig eine Beteiligung am Wirtschaftsgeschehen dar.
Auch wenn das Interesse des Leistungsempfängers kein wirtschaftliches sei, könne für die einkommensteuerrechtliche Einordnung einer Leistung nicht unberücksichtigt bleiben, dass sie von dem Leistenden nur um des Entgelts willen und damit aus wirtschaftlichen Gründen erbracht worden ist. Eben diese Sicht hat dazu geführt, dass der BFH die Prostituierte als Unternehmerin im Sinne des § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 UStG angesehen hat, da sie ihre Leistungen gegen Entgelt und damit im Rahmen eines Leistungsaustauschs erbringe. Für die Annahme einer nachhaltigen Tätigkeit im Sinne des UStG komme es nicht darauf an, ob die Prostituierte am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnehme (vgl. BFH-Urteil vom 4. Juni 1987 V R 9/79, BStBl II 1987, 653).
Von dieser Rechtsprechung ist der X. Senat des BFH in seinem Urteil vom 23. Februar 2000 X R 142/95, BStBl II 2000, 610, wonach „Telefonsex” unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 EStG zu Einkünften aus Gewerbebetrieb führt, ersichtlich nicht abgewichen. Vielmehr hat er ausdrücklich auf die gesonderte Rechtsprechung zur gewerbsmäßigen Unzucht hingewiesen und festgestellt, dass die Unterscheidung zwischen der nicht gewerbesteuerbaren „gewerbsmäßigen Unzucht” und anderen sittenwidrigen Tätigkeiten nicht gegen den Gleichheitssatz verstoße. Soweit der BFH ausgeführt hat, dass die Bewertung der Leistungen beim Telefonsex durch die Entscheidungen zur sog. eigenen Prostitution nicht präjudiziert werde und deshalb auch nicht entschieden werden müsse, ob die Rechtsprechung zur gewerbsmäßigen Unzucht „möglicherweise überholt” oder „im Hinblick auf die veränderten gesellschaftlichen Anschauungen zur Sexualität dieser noch gefolgt werden könne”, lässt sich hieraus eine in der Tendenz erkennbare Änderung der Rechtsprechung nicht entnehmen (so aber z.B. Verfügung der OFD Düsseldorf S 2240 A – St 11 vom 30. Juli 2004; vgl. aber auch Anmerkungen von RiBFH Weber-Grellet in FR 2000, S. 988 ff, wonach kein Grund ersichtlich sei, die Einkünfte nicht als solche nach § 15 EStG anzusehen, bzw. von RiBFH Dr. P. Fischer in DStR 2000, S. 1341, der auf den weiter fortschreitenden Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen, insbesondere in Gestalt der Gesetzesbemühungen zur Schaffung des sog. Prostitutionsgesetzes hingewiesen hat).
b) Vor diesem Hintergrund sieht sich das Gericht auch durch das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten – Prostitutionsgesetz vom 20. Dezember 2001, BGBl I S. 3983 nicht zu einer abweichenden steuerrechtlichen Bewertung veranlasst. Der mit diesem Gesetz bezweckte Schutz der Prostituierten (vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der Prostituierten, BT-Drucksache 14/5958 vom 08.05.2001) hat nicht zu einer umfassenden Legalisierung der Prostitution geführt.
Der Gesetzgeber ist nicht so weit gegangen, die Prostitution einem „Beruf wie jedem anderen” gleichzustellen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 6. Mai 2009, B 11 AL 11/08 R, BSGE 103, 134; vgl. auch Bericht der Bundesregierung vom 24.01.2007 zu den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes, Abschnitt B.I.). Eben dies führt dazu, dass Prostitution nach wie vor nicht als Gewerbe angesehen wird (vgl. Ergebnis der Frühjahrssitzung 2007 des Bund-Länder Ausschusses „Gewerberecht”, Ziffer 2 Prostitutionsgesetz, GewArch 2007, 320 unter Bezugnahme auf den o.g. Bericht der Bundesregierung), bzw. die Bundesagentur für Arbeit nicht verpflichtet werden kann, Bordellbetreibern Prostituierte als Arbeitnehmer zu vermitteln (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 6. Mai 2009, B 11 AL 11/08 R, a.a.O.).
Die mit dem Prostitutionsgesetz (§ 1 Satz 1) bewirkte Legalisierung des Entgeltanspruchs der Prostituierten ist für die Besteuerung grundsätzlich ohne Belang (§ 40 AO 1977). Eine steuerrechtliche Neubewertung wird auch nicht dadurch indiziert, dass mit dem Prostitutionsgesetz der Wegfall des generellen Sittenwidrigkeitsurteils beabsichtigt gewesen sein soll (so Bericht der Bundesregierung vom 24.01.2007 zu den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes, Abschnitt A.III.3.). Auch wenn dies im öffentlichen Recht der Gefahrenabwehr dazu führt, dass nicht mehr mit der Unsittlichkeit der Prostitution als solcher argumentiert werden könne, sondern auf deren konkreten Öffentlichkeitsbezug oder auf Verstöße gegen Rechtsvorschriften abgestellt werden müsse (vgl. BVerwG Beschluss vom 23. März 2009 8 B 2/09, NVwZ 2009, 909 zu § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Gaststättengesetz), ändert dies nichts daran, dass die Rechtsordnung unverändert eine wirksame Verpflichtung der Prostituierten zur Erbringung der von ihr versprochenen Leistung nicht anerkennen kann (Ellenberger in Palandt, BGB, Kommentar, § 138 BGB, Rz. 52).
II. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 135 Finanzgerichtsordnung.
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1 und 3 Finanzgerichtsordnung i.V.m. § 708 Nr. 10 und 711 Zivilprozessordnung.
IV. Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Finanzgerichtsordnung antragsgemäß zugelassen.