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  • 02.11.2010

    Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 08.12.2009 – 15 K 6030/06 B

    1. Es ist ausgeschlossen, die Anrechnung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen, Kapitalertragsteuer und Körperschaftsteuer, die zu einem Ausgleichsanspruch i. S. d. § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG 1990 geführt haben, nach Ablauf der 5-jährigen Zahlungsverjährungsfrist zurückzunehmen und dadurch einen Erstattungsanspruch i. S. d. § 37 Abs. 2 AO zugunsten des Finanzamts auszulösen.

    2. Der Senat konnte im Streitfall offenlassen, ob er der Auffassung des I. Senats des BFH, nach der die Vorschrift des § 218 AO lex specialis für Streitigkeiten über die Verwirklichung von Steueransprüchen sei, weshalb der Abrechnungsbescheid der Anrechnungsverfügung vorgehe, ohne dass er die Anrechnungsverfügung aufhebe, oder aber derjenigen des VII: Senats des BFH folgen würde, nach der es sich bei der Anrechnungsverfügung um einen deklaratorischen Verwaltungsakt handle, der nach dem eindeutigen Wortlaut des § 130 Abs. 2 AO nur unter den dort geregelten Voraussetzungen geändert werden dürfe.

    3. Eine Anrechnungsverfügung über die Anrechnung von Kapitalertragsteuer und Körperschaftsteuer ist rechtswidrig, wenn der Steuerpflichtige weder rechtlicher noch wirtschaftlicher Eigentümer der von seiner Bank erworbenen Aktien geworden ist, weil dem Erwerb der Aktien durch die Bank, die ihrerseits die Wertpapiere zum Zwecke des Dividendenstrippings weiterveräußert hat, ein Leerverkauf des Veräußerers zugrunde lag.

    4. § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO ist einschränkend dahin auszulegen, dass der Tatbestand nur solche unrichtigen Angaben erfasst, die der Begünstigte selbst gemacht hat oder dem Begünstigten zuzurechnen sind, weil sie von seinem Bevollmächtigten oder Beistand gemacht wurden. Das Fehlverhalten Dritter braucht sich der Steuerpflichtige hingegen nicht entgegenhalten zu lassen. Kenntnis oder vorwerfbare Unkenntnis des Begünstigten von der Unrichtigkeit der Angaben sind jedoch nicht erforderlich.


    IM NAMEN DES VOLKES

    URTEIL

    In dem Rechtsstreit

    hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg – 15. Senat – aufgrund mündlicher Verhandlung vom 8. Dezember 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht …, den Richter am Finanzgericht …, den Richter am Verwaltungsgericht … sowie die ehrenamtlichen Richter Frau … und Herr … für Recht erkannt:

    Der Abrechnungsbescheid über Einkommensteuer 1990 vom 21. Oktober 2005 und die Einspruchsentscheidung vom 19. Dezember 2005 sowie der Abrechnungsbescheid vom 25. November 2009 und die Anrechnungsverfügung vom 3. Januar 2001 werden ersatzlos aufgehoben.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    Die Revision wird zugelassen.

    Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern zu 15 % und den Beklagten zu 85 % auferlegt.

    Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistungen in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

    Tatbestand:

    Der Kläger, der in den Streitjahren als Kursmakler gewerblich tätig war, wurde aufgrund der in den Jahren 1990 bzw. 1991 eingereichten Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1989 und 1990 zur Einkommensteuer veranlagt. Dabei wurden unter anderem folgende, von der Depotbank W in M ausgestellte Steuerbescheinigungen berücksichtigt:

    Dividendenausschüttung der X-AG vom 7.Juni 1989

    StückzahlDividendeKESTKörperschaftsteuerBruttodividende
    10.000120.000,00 DM30.000,00 DM67.500,00 DM187.500,00 DM
    Dividendenausschüttungen der Y-AG vom 23.März 1990 und der X-AG vom 13.Juni 1990

    StückzahlDividendeKESTKörperschaftsteuerBruttodividende
    30.000 Y-AG375.000,00 DM93.750,00 DM210.937,50 DM585.937,50 DM
    25.000 X-AG325.000,00 DM81.250,00 DM182.812,50 DM507.812,50 DM
    Die Depotbank W hatte die Steuerbescheinigungen als Depotbank des Klägers ausgestellt. Die in den Steuerbescheinigungen ausgewiesenen anrechenbaren Steuern waren Gegenstand der zu den Steuerbescheiden ergangenen Anrechnungsverfügungen. Unter Berücksichtigung einer festgesetzten Steuer in Höhe von 445.854,– DM ergab sich nach Anrechnung von Kapitalertragsteuer in Höhe von 96.470,– DM, Körperschaftsteuer in Höhe von 209.164,– DM und Einkommensteuervorauszahlungen in Höhe von 146.196,– DM für 1989 ein Guthaben in Höhe von 5.976,– DM, das mit einer Kirchensteuernachzahlung verrechnet wurde. Für 1990 wurden ausgehend von einer Einkommensteuer in Höhe von 351.360,– DM Kapitalertragsteuer in Höhe 269.413 DM, Körperschaftsteuer in Höhe von 606.179,– DM sowie 109.269,– DM Einkommensteuervorauszahlungen angerechnet und das hieraus resultierende Guthaben in Höhe von 633.501,– DM ausgezahlt.

    Im Rahmen einer bereits im Jahre 1997 eingeleiteten Steuerfahndungsprüfung des Finanzamtes O wurde folgender Sachverhalt festgestellt:

    Verschiedene Kursmakler, darunter auch der Kläger, waren an den ebenfalls als Kursmakler tätigen B, der bei der Z-Bank beschäftigt war, herangetreten, um Aktien vor dem Dividendentermin zu erwerben und diese im Gegenzug ohne Dividendenanspruch unmittelbar nach dem Dividendenstichtag an den Verkäufer zurück zu liefern. Die Z-Bank ihrerseits erwarb die Aktien von einem ebenfalls als Kursmakler tätigen C. Im Rahmen dieses Vorhabens wurden folgende Geschäfte abgewickelt, an denen auch der Kläger beteiligt war:

    Herr C verkaufte am 5.Juni 1989 640.000 Aktien der X-AG mit Dividendenanspruch zu einem Kurs von 319,40 DM pro Aktie an die Z-Bank. Die Z-Bank veräußerte am gleichen Tag 640.000 Aktien mit Dividendenanspruch an verschiedene Kursmakler, u.a. 10.000 Aktien mit Dividendenanspruch an den Kläger. Der Kläger veräußerte seinerseits am selben Tage 10.000 Aktien zum Kurs von 304,40 DM an die Z-Bank ohne Dividendenanspruch. Die Z-Bank verkaufte die Aktien für 305,10 DM an Herrn C.

    Am 22.März 1990 veräußerte Herr C 255.000 Stück Y-AGAktien zum Kurs von 822 DM an die Z-Bank. Der Kläger erwarb 30.000 Stück von der Z-Bank zum Kurs von 822,40 DM mit Dividendenanspruch, die er ohne Dividendeanspruch am gleichen Tage zum Preis von 806,90 DM an die Z-Bank zurück veräußerte. Die Z-Bank veräußerte die Aktien zum Preis von 807,20 DM an Herrn C.

    In einem weiteren Rechtsgeschäft verkaufte Herr C an die Z-Bank am 11.Juni 1990 180.000 Aktien der X-AG zu einem Kurs 291,20 DM mit Dividendenanspruch. Der Kläger erwarb 25.000 Stück davon zu einem Kurs von 291,65 DM und veräußerte sie am gleichen Tage ohne Dividende an die Z-Bank für 275,25 DM. Die Z-Bank veräußerte ihrerseits die Aktien an Herrn C zu einem Kurs von 275,55 DM.

    Herr C unterhielt nach Darstellung im Steuerfahndungsbericht beim Kassenvereins P ein Kassenvereinunterkonto mit der Nummer 1 und der Bezeichnung „S-Bank/C/D”, über das die Transaktionen abgewickelt wurden.

    Die Steuerfahndungsstelle vertrat die Auffassung, Herr C habe die von ihm verkauften Aktien tatsächlich nicht besessen. Dies sei durch die Unterlagen der Depotbank W in M sowie durch die Unterlagen der S-Bank in N belegt. Die Verpflichtung des Herrn C, dividendenberechtigte Aktien zu liefern, sei lediglich mit der gleichzeitig vereinbarten Rücklieferungsverpflichtung einer entsprechenden Anzahl junger Aktien verrechnet worden. Eine Lieferung sei tatsächlich niemals erfolgt, weshalb sämtliche Geschäfte als Luftgeschäfte zu qualifizieren seien, die ausschließlich den Zweck gehabt hätten, Steuerbescheinigungen zu generieren. Die Nettodividende habe Herr C und nicht die betreffende Körperschaft gezahlt. Für den Kläger habe sich jedoch der Zufluss wie eine tatsächliche Dividende der ausschüttenden Körperschaft dargestellt und zähle dementsprechend zu den steuerpflichtigen Einkünften aus Kapitalvermögen. Die von dem Kläger im Rahmen der Einkommensteuererklärung geltend gemachten Steueranrechnungsbeträge seien jedoch tatsächlich nie bezahlt worden. Die Steuerbescheinigungen seien daher falsch. Sie entsprächen nicht den Anforderungen des § 44 Abs. 1 KStG, weil weder ein Anteilseigner für die dort bescheinigten Erträge und Steuern existiere, noch die Leistungen geflossen seien. Auch sei kein Zahlungstag vorhanden und es fehle an einem anrechnungsfähigen Betrag im Sinne von § 36 Abs. 2 Nr. 3 S. 1 Einkommensteuergesetz.

    Gegen den Kläger wurde ausweislich des Einleitungsvermerks vom 23. Januar 1997 am 8. Januar 1997 ein Strafverfahren wegen Einkommensteuerhinterziehung eingeleitet. Nach dem Inhalt des Einleitungsvermerks, der auch dem Beklagten übersandt worden war, wurde dem Kläger vorgeworfen, zumindest für das Jahr 1991 mit Aktien Luftgeschäfte getätigt zu haben, die nur dazu gedient hätten, Steuerbescheinigungen zu produzieren.

    Der Beklagte, dem ausweislich des Posteingangsstempels der am 15. November 2000 erstellte Prüfungsbericht am 21. November 2000 bekannt geworden war, erließ am 27. Dezember 2000 und 3. Januar 2001 geänderte Abrechnungsverfügungen zu den Einkommensteuerbescheiden 1989 und 1990. Als Änderungsvorschrift wurde § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO genannt. Zur Begründung führte er aus, die Steuerbescheinigungen der Depotbank W seien ausweislich der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens gegen den Beschuldigten C falsch. Die Anrechnung von Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer müsse dementsprechend rückgängig gemacht werden.

    Hiergegen richtete sich der Einspruch der Kläger. Sie machten geltend, es sei Verjährung eingetreten. Zudem dürfe die Anrechnungsverfügung nur nach den Vorschriften der §§ 129 bis 131 Abgabenordnung geändert werden. Deren Voraussetzungen lägen nicht vor. Begünstigende rechtswidrige Verwaltungsakte könnten nur innerhalb der Frist des § 130 Abs. 3 Abgabenordnung zurückgenommen werden. Nach dem Bericht des Finanzamtes O aus dem Jahr 1996 habe das Finanzministerium jedoch bereits im Jahr 1992 Kenntnis von den Fällen des Dividendenstrippings gehabt. Auf der Grundlage eines Untersuchungsberichtes einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft aus dem Jahr 1993 habe das Finanzamt Q bereits damals eine Betriebsprüfung durchgeführt. Gegen ihn, den Kläger, sei schon im Januar 1997 ein Strafverfahren eröffnet und darauf hingewiesen geworden, dass die in den Steuerbescheinigungen als anrechenbar ausgewiesene Körperschaft- und Kapitalertragsteuerbeträge tatsächlich nie ausgezahlt worden seien. Dies entspreche dem im Rechtsbehelfsverfahren zu Grunde liegenden Sachverhalt. Die Jahresfrist habe deshalb im Januar 1997 begonnen. Es komme entgegen der Auffassung des Beklagten auf die Kenntnis der Finanzverwaltung und nicht auf die Kenntnis des Beklagten oder des zur Entscheidung berufenen Amtsträgers an. Es gehe um Anrechnung einer von Dritten einbehaltenen Steuern. Dabei spiele die Kenntnis des Amtsträgers im Finanzamt keine Rolle. Im Übrigen setze die Anrechnung der Steuerbeträge lediglich eine formal ordnungsmäßige Steuerbescheinigung voraus. Zudem sei bislang nicht nachgewiesen worden, dass es sich um reine Luftgeschäfte gehandelt habe. Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Aktien nicht real angeschafft worden seien. Der Beklagte trage die Beweislast hinsichtlich des Vorliegens der behaupteten Geschäfte. Das Steuerstrafverfahren gegen Herrn C sei auch aus diesen Gründen eingestellt worden.

    Der Beklagte erließ am 21.Oktober 2005 einen Abrechnungsbescheid zur Einkommensteuer für die Jahre 1989 und 1990. Gegen diesen Bescheid legten die Kläger Einspruch ein. Der Einspruch ist mit Einspruchsentscheidung vom 19. Dezember 2005 als unbegründet zurückgewiesen worden.

    Der Beklagte vertrat zur Begründung die Auffassung, es komme entgegen der Auffassung der Kläger auf die Kenntnis des für die Änderung der Anrechnungsverfügung zuständigen Beamten im Finanzamt an. Die Kenntnis anderer Finanzbehörden sei unerheblich. Eine Wechselwirkung zwischen § 130 AO und der Vorschriften der §§ 169 bis 171 AO bestehe nicht. Die Änderung sei zulässig gewesen, da es auf die Kenntnis des Steuerpflichtigen nach der Vorschrift des § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO nicht ankomme. Der Nachweis, dass Herr C nicht Inhaber der Aktien gewesen sei, lasse sich nur über Indizien führen. Im Rahmen der umfangreichen Ermittlungen hätte weder bei Herrn C noch bei den beteiligten Banken oder den Kassenvereinen ein entsprechender Wertpapierbestand zum jeweiligen Stichtag festgestellt werden können. In der Liste „Zins- und Dividendendienst” sei zudem für das von Herrn C genutzte Kassenvereinskonto kein Dividendenanspruch ausgewiesen. Die einzelnen Kassenvereine hätten jedoch sonst üblicherweise die entsprechende Bruttodividende in der Zins- und Dividendenliste, sowie für offene Börsengeschäfte in der so genannten Kompensationsliste (früher PU 55-Listen) festgehalten. Sofern Herr C die Aktien erst unmittelbar vor dem Dividendenstichtag erworben haben sollte, hätte die so genannte PU55-Liste, in der alle zum Stichtag offenen Geschäfte ausgewiesen würden, einen entsprechenden Ausweis enthalten müssen. In der Liste hätte dementsprechend ein Vorgang für den Kauf der Aktien von einem Dritten sowie ein Vorgang für den Verkauf an die Z-Bank ausgewiesen werden müssen. Der Kauf sei jedoch in den Listen nicht dokumentiert. Ein Anschaffungsvorgang über die Aktien beziehungsweise die im Bestand befindlichen Aktien hätten zwingend in den Listen des Kassenvereins dokumentiert werden müssen. Insoweit könne der nicht belegte Vortrag der Kläger, die täglichen Lieferlisten bzw. die Kontounterlagen des Kontos 1 seien von der Steuerfahndung nicht eingesehen worden, auf die rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes keinen Einfluss haben. Aber auch für die Z-Bank, die ein Konto beim Kassenverein in M geführt habe (Konto Nr. 2), weise das Dividendenjournal keine entsprechenden Bestände beziehungsweise Zukäufe aus, so dass an die Z-Bank keine Lieferung erfolgt sein könne. Zudem sei davon auszugehen, dass eine derartige Kette von Geschäften wirtschaftlich nur dann einen Sinn mache, wenn tatsächlich keine Papiere vorhanden seien. Sofern Herr C tatsächlich die Papiere aus dem Ausland erworben haben sollte, hätte er aus diesem Geschäft einen Gewinn von 4.980.486,- DM abzüglich des Kursverlustes erzielt. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb er sich über den aufwändigen Weiterverkauf und Rückkauf der Aktien diesen Gewinn mit anderen habe teilen wollen. Da weder der Kläger, noch Herr C, noch die Z-Bank an den jeweiligen Stichtagen über die Aktien verfügt hätten, habe der Kläger keine Dividende von den Aktiengesellschaften erhalten. Der Kläger habe zwar Zahlungen in Höhe der Nettodividende erhalten. Diese Einnahmen resultierten jedoch aus der Umbuchung zu Lasten der Z-Bank. Da Herr C nicht Inhaber der Aktien gewesen sei, handle es sich nicht um Dividendenausschüttungen. Es könne demnach weder die Körperschaftsteuer noch die Kapitalertragsteuer angerechnet werden. Es entspreche billigem Ermessen, die Abrechnungsverfügungen mit Wirkung für die Vergangenheit zu ändern. Die Kläger seien durch die ungerechtfertigt bescheinigten Steuerabzugsbeträge begünstigt. Dabei könne dahinstehen, ob die Banken für die fehlerhaften Steuerbescheinigungen in Anspruch genommen werden könnten. Mit der Rückforderung der Rechnungsbeträge würden die Kläger lediglich so gestellt, wie sie stünden, wenn die beteiligten Banken ordnungsgemäße Steuerbescheinigungen ausgestellt hätten. Der Kläger habe als Kursmakler den üblichen Geschehensablauf, die Folgen bei dieser Art des Geschäftes und damit verbundene Gefahr kennen müssen. Die Steuerbescheinigungen stellten auch keine Beweisurkunde dar, die bei formeller Ordnungsmäßigkeit zur Berücksichtigung der Anrechnungsbeträge zwinge. Auch aus der Tatsache, dass das Strafverfahren gegen Herrn C eingestellt worden sei, könne nicht der Schluss gezogen werden, dass an dem Vorwurf, es habe sich um Luftgeschäfte gehandelt, nicht mehr festgehalten werde. Die Einstellung des Strafverfahrens könne aus unterschiedlichsten Gründen erfolgen. Es könne daher dahingestellt bleiben, dass das erwähnte Strafverfahren gegen Herrn C nicht das sich hier strittige Geschäft betroffen habe.

    Der Beklagte hat am 25. November 2009 berichtigende Abrechnungsbescheide erlassen. Zur Begründung seines Ermessens führt der Beklagte aus, dass allein die Begünstigten der falschen Steuerbescheinigungen durch die Versagung der Anrechnung in Anspruch zu nehmen seien. Nur sie seien Nutznießer. Mit der Rückgängigmachung der Anrechnung werde lediglich ein zu Unrecht erlangter Vorteil rückgängig gemacht. Mit der Rückgängigmachung der Anrechnung stünden die Steuerpflichtigen letztlich nicht anders, als wenn die Anrechnung von Anfang an versagt worden wäre.

    Mit ihrer Klage machen die Kläger geltend, der Beklagte habe nicht nachgewiesen, dass die Steuerbescheinigungen falsch seien. Der Beklagte stütze sich vielmehr auf pauschale Behauptungen aus Ermittlungen gegenüber Dritten. Die behaupteten Leergeschäfte seien nicht belegt. Es hätte näher gelegen, die Sachverhalte durch Einblick in die Lieferlisten bzw. Schlussnoten zum Kassenvereinskonto 1 „S-Bank/C/D” zu verfolgen. Zudem könne aus den Feststellungen der Steuerfahndung nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass Herr C tatsächlich nicht Inhaber der Aktien gewesen sei. Zum einem sei nicht beachtet worden, dass außerbörsliche Geschäfte nicht in Lieferlisten erfasst würden, sondern durch Wertpapierschecks dokumentiert würden. Nach solchen Unterlagen sei jedoch nicht gesucht worden. Es sei nicht geprüft worden, ob die Aktien im Ausland verwahrt worden seien. In diesem naheliegenden Fall lasse sich den inländischen Lieferlisten nicht entnehmen, ob die Aktien geliefert wurden bzw. geliefert werden sollten. Die Bestellung eines unabhängigen Gutachters zur Aufklärung des Sachverhaltes liege zwar nahe, er, der Kläger, könne sich jedoch nicht vorstellen, dass das nahezu 20 Jahre zurückliegende Geschehen heute noch aufgeklärt werden könne. Zudem sei die Rücknahmefrist abgelaufen, weil der Beklagte aus den Vermerken über die Einleitung der Strafverfahren gewusst habe, dass der Kläger einen Handel mit nicht existenten Aktien getätigt habe. Er, der Kläger, habe auch die vermeintlich falsche Steueranrechnung nicht erwirkt, weil er keine Kenntnis von der Fehlerhaftigkeit der Steuerbescheinigungen gehabt habe. Die Rücknahme sei zudem ermessensfehlerhaft, da der Beklagte ausführe, der Kläger habe als Kursmakler damit rechnen müssen, dass den Steuerbescheinigungen ein Leergeschäft zu Grunde liege, obwohl die Steuerfahndung festgestellt habe, dass der Kläger keinerlei Kenntnis davon gehabt habe. Er, der Kläger, habe keinen Einblick in das Back Office der Banken gehabt. Zudem sei der Börsenhandel anonym. Information über einen etwaigen Leerverkauf hätten ihm, dem Kläger, nicht vorgelegen. Einen Hinweis der Bank habe es entgegen der Unterstellung des Beklagten nicht gegeben. Da die Fehlerhaftigkeit einer Steuerbescheinigung für den Außenstehenden nicht erkennbar sei, sei vorrangig der Aussteller als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen. Zudem sei eine Rücknahme nicht mehr zulässig, weil für die Einkommensteuer Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Eine geänderte Anrechnung dürfe daher nicht mehr ergehen. Die Depotbank W sei für das Geschäft aus dem Jahr 1989, soweit das Finanzamt R zuständig war, als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen worden, so dass der Beklagte sein Ermessen nicht korrekt habe.

    Er, der Kläger, habe gegen die Depotbank W eine Feststellungsklage angestrengt, das zuständige Gericht habe jedoch Zweifel hinsichtlich des Feststellungsinteresses geäußert, da ein Schaden noch nicht feststünde. Die Durchführung des Feststellungsverfahrens verdeutliche, dass er alles ihm Mögliche unternommen habe, um seine Gutgläubigkeit nachzuweisen.

    Die Kläger beantragen,

    den Abrechnungsbescheid vom 21. Oktober 2005 und die Einspruchsentscheidung vom 19. Dezember 2005 sowie den Abrechnungsbescheid vom 25. November 2009 sowie die Anrechnungsverfügungen vom 17. Dezember 2000 und 03. Januar 2001 ersatzlos aufzuheben,

    hilfsweise die Revision zuzulassen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen,

    hilfsweise die Revision zuzulassen.

    Er trägt vor, dass durch einen Auszug aus dem sachlichen Dividendenjournal vom 5.Juni 1989 belegt sei, dass ein entsprechender Bestand an X-AG-Aktien bei der Z-Bank nicht vorhanden gewesen sei. Auch die mit gleichem Datum erklärte Rückgabe der Wertpapiere sei im Bestand der Z-Bank nicht feststellbar. Auch lägen Unterlagen in Form eines Vermerks und Schriftwechsel vor, aus denen sich eindeutig ergebe, dass es sich um einen Leerverkauf gehandelt habe und entsprechende Steuerguthaben nicht geltend zu machen seien. Für das Geschäft vom 22.März 1990 liege ein Auszug des sachlichen Dividendenjournals des Deutschen Kassenvereins vor, wonach die das Geschäft ausführende Z-Bank nur 37.209 Stück von Y-AG-Aktien in ihrem Depot gehabt habe und demgemäß ein Verkauf in der hier relevanten Größenordnung nicht habe stattfinden können. Dies gelte auch für die Rückgabe. Dieser Sachverhalt werde durch die gutachterliche Stellungnahme der Clearstream Banking AG vom 15. November 2004 bestätigt. Auch hinsichtlich der am 11. Juni 1990 durchgeführten Transaktion ergebe sich aus dem sachlichen Dividendenjournal des Kassenvereins P bzw. dem sachlichen Dividendenjournal des Deutschen Kassenvereins AG, dass die Z-Bank nicht über eine entsprechende Stückzahl an Aktien der X-AG verfügt habe. Der Einwand des Klägers, die Aktien hätten sich auch im Ausland befinden können, gehe fehl, da jedenfalls der Bestand bei der geschäftsführenden Bank vorhanden gewesen sein müsse.

    Es sei zu beachten, dass die Kläger nicht den Nachweis über die Existenz einer Anweisung hätten erbringen können, wonach bei fehlenden Wertpapieren keine Steuerbescheinigung ausgestellt werden dürfe. Eine Inanspruchnahme der depotführenden Bank hätte lediglich zu einer Verlagerung der durch den Kläger gezogenen wirtschaftlichen Vorteile geführt. Die Versagung der Anrechnung sei daher unabhängig von der Kenntnis des Klägers zu Recht erfolgt.

    Der Senat hat Beweis durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens der Clearstream AG in M erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten Bezug genommen.

    Dem Senat haben die Steuerakten, die Hinweisakte mit Unterlagen des Finanzamtes O sowie die Akte des Landgericht N zum Aktenzeichen 10a O 187/05 vorgelegen.

    Entscheidungsgründe:

    Die Klage ist, soweit sich die Kläger gegen die geänderte Anrechnungsverfügung zur Einkommensteuer 1990 und die Abrechnungsbescheide für Einkommensteuer 1990 wenden, begründet.

    Der Senat lässt in diesem Zusammenhang offen, ob den im Jahre 1990 abgewickelten Geschäften tatsächlich Leerverkäufe zu Grunde lagen. Einer Änderung der Anrechnungsverfügungen stand jedenfalls der Eintritt der Zahlungsverjährung entgegen.

    Nach § 228 Abs. 1 AO unterliegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis einer besonderen Verjährung, die 5 Jahre beträgt. Die Verjährung beginnt nach § 229 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist, nicht jedoch vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Festsetzung wirksam geworden ist. Der Einkommensteuerbescheid für 1990 ist am 10. Januar 1991 erlassen worden, so dass auch in diesem Jahr die Festsetzung wirksam wurde. Die Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnissen richtet sich gemäß § 220 Abs. 1 AO nach den Vorschriften der Steuergesetze. Die Regelung des § 36 Abs. 4 EStG beinhaltet nach der Rechtsprechung des BFH eine umfassende und abschließende Fälligkeitsanordnung für den Einkommensteueranspruch, wobei ein nach Abrechnung verbleibender Überschuss zuungunsten des Steuerpflichtigen einen Monat nach Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheides fällig wird, während der Überschuss zugunsten des Steuerpflichtigen sofort mit der Bekanntgabe fällig wird (BFH-Urteil vom 18.7.2000 VII R 32, 33/99, BStBl. II 2001, 133). Festgesetzte Einkommensteuer wird demnach nur in dem Umfang fällig, in dem in der Anrechnungsverfügung eine Abschlusszahlung ausgewiesen wird.

    Da die Kläger im Jahr 1990 keine Abschlusszahlung zu leisten hatten, sondern sich vielmehr ein Erstattungsanspruch zugunsten der Kläger ergab, ist der Einkommensteueranspruch im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 1 EStG mit Erlass des Einkommensteuerbescheides 1990 nicht fällig geworden. Der Einkommensteueranspruch für 1990 ist aber auch nach Änderung der Anrechnungsverfügung nicht fällig geworden. Die Einkommensteuer war auf 351.360,– DM festgesetzt und ein Anrechnungsguthaben bestehend aus Körperschaftssteuer, Kapitalertragsteuer und Einkommensteuervorauszahlungen in Höhe von insgesamt 984.861,– DM berücksichtigt worden. Durch die Rücknahme der Anrechnungsverfügung in Höhe von insgesamt 568.750,– DM kann nunmehr (nur noch) ein Betrag in Höhe von 416.111,– DM auf die festgesetzte Einkommensteuer angerechnet werden. Da der Anrechnungsbetrag die festgesetzte Einkommensteuer übersteigt, ist der Einkommensteueranspruch für 1990 im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 1 EStG 1990 weiterhin nicht fällig. Die Rückforderung der bereits geleisteten Auszahlungen für das Jahr 1990 beruht demnach nicht auf einer erstmalig fällig gewordenen Abschlusszahlung im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 1 EStG 1990 sondern auf einer Minderung des Ausgleichsanspruchs im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG 1990.

    Der Ausgleichsanspruch nach § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG 1990 ist mit der Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheides 1990 im Jahre 1991 fällig geworden, die Zahlungsverjährung trat demnach am 31.12.1996 ein. Das Institut der Zahlungsverjährung soll nach der Rechtsprechung des BFH im Erhebungsverfahren dafür sorgen, dass nach Ablauf einer angemessenen Frist endgültig Rechtssicherheit darüber einkehrt, was der Steuerpflichtige aufgrund der Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung anzurechnender Beträge im Sinne des § 36 Abs. 2 EStG 1990 noch zu zahlen hat bzw. was ihm zu erstatten ist (BFH, Urteil vom 12.2.2008 VII R 33/06, BStBl. II 2008, 504). Soweit es nach dieser Rechtsprechung aus diesem Grunde ausgeschlossen ist, auf fällig gewordene Steuern nach Ablauf dieser Frist etwas anzurechnen und dadurch einen Erstattungsanspruch zugunsten des Steuerpflichtigen im Sinne des § 37 Abs. 2 AO auszulösen, muss es im umgekehrten Fall, in dem – wie hier – der Ausgleichsanspruch im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG 1990 durch Anrechnungen fällig geworden ist, ausgeschlossen sein, die Anrechnungsbeträge, die Grundlage für die Erstattung waren, nach Ablauf der Fünf-Jahres-Frist zurück zu nehmen und dadurch ein Erstattungsanspruch im Sinne des § 37 Abs. 2 AO zugunsten des Finanzamtes auszulösen.

    Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Der Abrechnungsbescheid zur Einkommensteuer 1989 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.

    Nach der Rechtsprechung des I. Senats des BFH besteht im Verfahren nach § 218 Abs. 2 AO keine Bindung an eine Anrechnungsverfügung. Nach dieser Auffassung ist die Vorschrift des § 218 AO lex specialis für Streitigkeiten über die Verwirklichung von Steueransprüchen, weshalb der Abrechnungsbescheid der Anrechnungsverfügung vorgeht, ohne dass er die Anrechnungsverfügung aufhebt (grundlegend BFH, Urteil vom 28. April 1993 I R 100/92, BStBl. II 1993, 836). Demgegenüber vertritt der VII. Senat des BFH die Auffassung, dass es sich bei der Anrechnungsverfügung um einen deklaratorischen Verwaltungsakt handle, der nach dem eindeutigen Wortlaut des § 130 Abs. 2 AO nur unter den dort geregelten Voraussetzungen geändert werden dürfe. Denn durch die Anrechnungsverfügung werde ein rechtlich erheblicher Vorteil bestätigt (grundlegend BFH, Urteil vom 16.10.1986 VII R 159/83, BStBl. II 1987, 405). Der I. Senat des BFH hat bislang offen gelassen, ob er der Auffassung des 7. Senats beitreten könne (BFH, Urteil vom 22. August 2006 I R 42/05, BFH/NV 2007, 404, vom 18.September 2007 I R 54/06, BFH/NV 2008, 290).

    Der erkennende Senat braucht nicht zu entscheiden, welche der beiden Rechtsauffassungen zu folgen ist. Selbst wenn man mit dem VII. Senat eine Bindungswirkung der Anrechnungsverfügung an den nachfolgenden Abrechnungsbescheid annehmen wollte, wäre der Abrechnungsbescheid rechtmäßig, weil die Voraussetzungen für die Rücknahme der Anrechnungsverfügung zur Einkommensteuer 1989 vorlagen.

    Gemäß § 130 Abs. 1 AO kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise zurück genommen werden. Begründet oder bestätigt der Verwaltungsakt – wie hier – ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil, so richtet sich seine Rücknahme nach § 130 Abs. 2 AO. Nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO, der hier allein als Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Abrechnungsverfügung in Betracht kommt, ist für die Rücknahme Voraussetzung, dass der Begünstigte den rechtswidrigen Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren.

    Die Anrechnungsverfügung im Einkommensteuerbescheid für 1989 vom 19. September 1990 war rechtswidrig. Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass es sich bei den am 7. Juni 1989 getätigten Geschäft um einen so genannten Leerverkauf handelte, der Börsenmakler C also weder über Aktien der X-AG in der hier in Rede stehenden Größenordnung noch über einen Lieferanspruch gegen Dritte verfügte. Der Senat stützt seine Überzeugung zum einen auf die Ausführungen der Clearstream Banking AG in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 18.November 2009, wonach zweifelsfrei nur das die Order ausführende Kreditinstitut einen Leerverkauf feststellen könne. In diesem Zusammenhang gewinnt das an Herrn C gerichtete Schreiben der Depotbank W vom 13. Februar 1990 (Blatt 150 der Hinweisakte, Band I) an Bedeutung, in dem die Depotbank W darauf hinwies, dass es sich beim dem Effektengeschäft über 640.000 Aktien der X-AG vom 5. Juni 1989 um einen Leerverkauf gehandelt habe und deshalb Herrn C bat, den Handelspartner zu informieren, um zu vermeiden, dass ein eventuell auf dieses Geschäft zurückzuführendes Steuerguthaben bei der Finanzbehörde geltend gemacht werde. Das die Order ausführende Institut hat demnach einen Leerverkauf festgestellt. Hiervon ist die Depotbank W auch noch in dem Berufungsverfahren im dem Rechtsstreit des Klägers gegen die Depotbank W vor dem Kammergericht N (Az. 25 U 175/05) ausgegangen (vgl. Blatt 189 und 242 der Zivilstreitakte). Zum anderen hat auch Herr C selbst in seiner Stellungnahme vom 13. Juni 2001 (Blatt 180 der Hinweisakte, Band. I) einen Leerverkauf für dieses Geschäft nicht in Abrede gestellt. Schließlich hat sich der Kläger in dem gegen die Depotbank W geführten Verfahren beim LG N (Az. 10a 187/95) darauf berufen, dass es sich bei dem Geschäft aus dem Jahr 1989 um ein Leergeschäft gehandelt habe.

    Da Herr C demnach weder rechtlicher noch wirtschaftlicher Eigentümer von 640.000 X-AG-Aktien war, konnte der Kläger auch nicht die vertraglich vereinbarten 10.000 Stück Aktien von der Z-Bank erwerben, die ihrerseits von Herrn C die Aktien 640.000 Stück Aktien gekauft hatte. Der Senat verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass die Z-Bank am Dividendenstichtag über 34.366 Stück Aktien der X-AG verfügte und damit die geschuldeten Aktien an den Kläger hätte liefern können. Da jedoch die Z-Bank an ein und denselben Tag 640.000 Stück X-AG Aktien von Herrn C erwarb, dieselbe Anzahl von Aktien an den Kläger und andere Makler zum Zwecke des Dividendenstrippings mit Dividendenanspruch weiterveräußerte, ohne Dividendenanspruch zurück erwarb und schließlich an Herrn C zurück veräußerte, kann unter Beachtung des wirtschaftlichen Hintergrunds für dieses Geschäft nicht davon ausgegangen werden, dass die Z-Bank andere als die von Herrn C angebotenen Aktien zum Gegenstand des Wertpapiergeschäfts gemacht hatte.

    Der Umstand, dass der Kläger am Dividendenstichtag hiernach weder wirtschaftlicher noch rechtlicher Eigentümer von Aktien der X-AG werden konnte, führt zur Rechtswidrigkeit der Anrechnungsverfügung. Die Zahlungen der Nettodividende des Herrn C an die Z-Bank stellt keine Dividendenausschüttung einer Körperschaft dar, so dass keine Körperschaftssteuer im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG 1990 entstanden ist. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass Herr C Kapitalertragsteuer angemeldet und abgeführt hat.

    Der Senat setzt sich mit diesem Ergebnis nicht in Widerspruch zum Urteil des BFH vom 22. November 2007 (I R 85/95, BFH/NV 2008, 551). Den Ausführungen des BFH liegt die Annahme zu Grunde, dass im Rahmen der Wertpapiergeschäfte zum Zwecke des Dividendenstrippings der Steuerpflichtige zumindest wirtschaftliches Eigentum an den Aktien erwirbt. Hiervon weicht der Streitfall ab, da Herr C nicht über Aktien der X-AG verfügte und auch kein entsprechendes Beschaffungsgeschäft zur Deckung seiner Lieferverbindlichkeit getätigt hatte.

    Der Kläger hat die rechtswidrige, ihn begünstigende Anrechnungsverfügung erwirkt. Ein Erwirken im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO liegt vor, wenn der Steuerpflichtige gegenüber der Finanzbehörde Angaben macht, die objektiv falsch sind. Dabei kommt es nach der Rechtsprechung des BFH nicht darauf an, ob der Begünstigte die Unrichtigkeit seiner Angaben kannte oder hätte kennen können (z.B. BFH, Urteil vom 22. August 2008 I R 42/05, BFH/NV 2007, 404). Die Vorschrift beruht auf dem Gedanken, dass es im Verantwortungsbereich des Steuerpflichtigen liegt, richtige und vollständige Angaben zu machen (vgl. Wernsmann in H/H/Sp AO § 130 Rdnr. 38). Hat er die Ursache für den begünstigenden Verwaltungsakt selbst gesetzt, erscheint der Steuerpflichtige nicht schutzwürdig. § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO ist vor diesem Hintergrund einschränkend dahin gehend auszulegen, dass nur solche unrichtigen Angaben vom Tatbestand des § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO erfasst sind, die der Begünstigte selbst gemacht hat oder dem Begünstigten zuzurechnen sind, weil sie von seinem Bevollmächtigten oder Beistand gemacht wurden. Das Fehlverhalten Dritter braucht sich der Steuerpflichtige hingegen nicht entgegenhalten zu lassen (Wernsmann in H/H/Sp § 130 AO, Rdnr. 38, Pahlke/König, AO, § 103 Rdnr. 41).

    Bei den Angaben der Kläger über die Höhe der anrechenbaren Körperschaftssteuer und Kapitalertragsteuer handelt es sich um „eigene” Angaben, denn sie haben die Angaben aus den entsprechenden Steuerbescheinigungen der Depotbank W übernommen und sich damit zu eigen gemacht. Unerheblich ist nach Auffassung des Senats in diesen Zusammenhang der Umstand, dass die Kläger die Fehlerhaftigkeit der Steuerbescheinigung weder kannten noch kennen mussten. Würde man neben der objektiven Unrichtigkeit für die Anwendung des § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO auch Kenntnis oder vorwerfbare Unkenntnis voraussetzen, hätte die Vorschrift gegenüber § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO keinen eigenständigen Regelungsbereich.

    Entgegen der Auffassung der Kläger stand der Rücknahme auch die Vorschrift des § 130 Abs. 3 AO nicht entgegen. Nach § 130 Abs. 3 AO ist die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes nur innerhalb eines Jahres von dem Zeitpunkt an zulässig, in dem die Finanzbehörde von den die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen Kenntnis erhalten hat. Diese Frist ist im Streitfall gewahrt. Denn sie wurde in Lauf gesetzt, als der Beklagte durch Übersendung des Ermittlungsberichts vom 15.November 2000 davon erfuhr, dass die Steuerbescheinigung falsch war. Die Änderung der Anrechnungsverfügungen, die anschließend durch den streitigen Abrechnungsbescheid bestätigt wurde, ist vor Ablauf eines Jahres nach diesem Zeitpunkt erfolgt. Entgegen der Auffassung der Kläger ist auf die Kenntnis des für den Erlass des Rücknahmebescheides zuständigen Amtsträgers abzustellen (vgl. nur Klein/Rüsken AO § 130 Rz. 54). Ob andere Finanzbeamte, wie hier die Steuerfahnder des Finanzamtes O oder der Kläger selbst bereits früher von dem Sachverhalt Kenntnis hatten, ist für die Frist des § 130 Abs. 3 AO ohne Bedeutung.

    Die Rücknahme der Anrechnungsverfügung steht nach dem Wortlaut des § 130 AO im Ermessen der Behörde, das der Senat nach § 102 FGO nur darauf hin zu überprüfen hat, ob Ermessensfehler vorliegen. Gegenstand der Prüfung ist der Bescheid 25.November 2009, der den vorangegangen Abrechnungsbescheid nach § 68 FGO ersetzt hat. Der Erlass eines ersetzenden Bescheides ist nach der Rechtsprechung des BFH auch dann zulässig, wenn der ersetzte Bescheid eine Ermessensentscheidung zum Gegenstand hat (BFH, Urteil vom 16.12.2008 I R 29/08, BStBl. II 2009, 539).

    Der ersetzende Bescheid vom 29. November 2009 ist frei von Ermessensfehlern. Mit der Erwägung, der ungerechtfertigt gewährte Vorteil sei zu Lasten des Klägers rückgängig zu machen, da er, und nicht die beteiligten Geschäftsbanken Nutznießer des begünstigenden Verwaltungsaktes gewesen sei, hat der Beklagte sein Entschließungs- und Auswahlermessen ausreichend begründet. Es ist mit der gegebenen Begründung vertretbar und entspricht insofern den Grundsätzen billigen Ermessens, trotz der fehlenden Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Steuerbescheinigung die Kläger und nicht die an der Transaktion beteiligten Banken in Anspruch zu nehmen. Besondere Umstände, die nur eine vorrangige Befriedigung einer der Banken als ermessensgerecht erscheinen lassen, vermag der Senat nicht zu erkennen.

    Der Beklagte war auch nicht wegen Eintritts der Zahlungsverjährung gehindert, seinen Zahlungsanspruch geltend zu machen. Da der Kläger im Jahr 1989 keine Abschlusszahlung zu leisten hatte, sondern sich vielmehr ein Erstattungsanspruch zugunsten des Klägers ergab, ist der Einkommensteueranspruch im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 1 EStG mit Erlass des Einkommensteuerbescheides 1989 nicht fällig geworden. Fälligkeit des Einkommensteueranspruchs 1989 trat danach erstmalig durch den Wegfall des anzurechnenden Betrags in Höhe von 97.500,– DM ein, da eine Zahlung auf die Einkommensteuer gefordert wurde.

    Eine Verwirkung des Zahlungsanspruchs des Beklagten kann ebenfalls nicht angenommen werden.

    Verwirkung setzt nach der Rechtsprechung des BFH voraus, dass sich der Verpflichtete – hier der Kläger – nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf verlassen durfte und verlassen hat, dass dieser das Recht in Zukunft nicht geltend machen werde. Der bloße Zeitablauf reicht für die Annahme der Verwirkung eines Rückforderungsanspruchs grundsätzlich nicht aus (BFH-Urteil vom 22. Mai 1984 VIII R 60/79, BStBl. II 1984, 697). Es muss vielmehr ein Verhalten des Berechtigten – hier des Beklagten – hinzu kommen, aus dem der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung den Schluss ziehen darf, dass er nicht mehr in Anspruch genommen werden solle (vgl. BFH-Urteil vom 21. Juli 1988 V R 97/83, BFH/NV 1989, 356). Zudem muss der Verpflichtete auch tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich entsprechend eingerichtet haben (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1989, 356).

    Die Verwirkung des Einkommensteueranspruchs kommt im Streitfall schon in Ermangelung eines Verhaltens des Beklagten nicht in Betracht, welches für die Kläger bei objektiver Auslegung den eindeutigen Schluss zuließ, dass ihnen die zu Unrecht angerechnete Körperschaftssteuer und die Kapitalertragsteuer belassen werde. Die bloße Untätigkeit des Beklagten, dem bis zur Übersendung des Steuerfahndungsberichts der Sachverhalt unbekannt war, stellt kein vertrauensbegründendes Verhalten im Sinne der oben genannten Rechtsprechung dar. Das Verhalten der … Finanzverwaltung ist für die Frage der Verwirkung ohne Belang.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung – ZPO –.

    Der Senat hat die Revision im Hinblick auf die vorstehenden, bislang höchstrichterlich nicht oder nur teilweise geklärten Rechtsfragen wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr.1 FGO.

    VorschriftenEStG 1990 § 36 Abs. 2 Nr. 3, EStG 1990 § 36 Abs. 4, KStG 1991 § 44 Abs. 1, AO § 37 Abs. 2, AO § 228, AO § 229, AO § 218 Abs. 1, AO § 130 Abs. 2 Nr. 3