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  • 02.11.2010

    Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 17.06.2010 – 5 K 79/08

    Wird im Zusammenhang mit einer öffentlichen Zustellung gem. § 15 VwZG a. F. nicht der Tag der Abnahme, sondern tatsächlich schon vor der Abnahme der Tag notiert, bis zu dem die öffentliche Benachrichtigung aushängen muss, so ist die öffentliche Zustellung mangels Abnahmevermerks unwirksam.

    Jedenfalls wenn im Zusammenhang mit der Anzeige der Niederlegung des Mandats durch den bisherigen Steuerberater Hinweise auf den Ort des Aufenthalts des Steuerpflichtigen gegeben wurden, liegt es nahe, vor einer öffentlichen Zustellung den bisherigen Berater nach der genauen Anschrift des Steuerpflichtigen zu fragen. Dies gilt auch, wenn sich der Steuerpflichtige einem Strafverfahren durch Flucht ins Ausland entzogen hat.

    § 169 Abs. 1 Nr. 2 AO ist dahingehend auszulegen, dass die notwendige Dauer des Aushangs gem. § 15 VwZG a. F. zw. § 10 VwZG n. F. ohne Folgen für die Einhaltung der Festsetzungsfrist sein sollte mit der Maßgabe, dass es für die Einhaltung der Festsetzungsfrist genügt, wenn das Aushängen vor Ablauf der Frist erfolgt - sofern der Aushang nach Ablauf der Festsetzungsfrist für die gesetzlich vorgesehene Dauer fortdauert und die übrigen Wirksamkeitsvoraussetzungen betreffend den Vermerk über die Abnahme erfüllt sind. Mittels der Regelung in § 169 Abs. 1 Satz 3 AO soll nicht die Wirksamkeitsvoraussetzungen der öffentlichen Zustellung im Übrigen verzichtet werden. Ebenso wenig sollen solche Verzögerungen für die Wahrung der Festsetzungsfrist unschädlich sein, die durch Verletzung von Wirksamkeitsvoraussetzungen der Bekanntgabe und deren notwendige Heilung verursacht werden.


    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung von Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermessbetragsbescheiden 1990 - 1992 sowie um die Wahrung der Festsetzungsfrist.

    Der Kläger ist griechischer Staatsangehöriger. Er betrieb in den Streitjahren verschiedene gewerbliche Betriebe in Hamburg. U. a. belieferte er als Großhändler Gastronomiebedarf an griechische Restaurants. Im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen griechische Gastronomen wegen Steuerhinterziehung aufgrund Verdachts von Schwarzeinnahmen und fehlender Verbuchung eines Teils des Wareneinkaufs geriet auch der Kläger in das Blickfeld der Ermittlungsbehörden. Gegen ihn wurde wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung ermittelt und am 25.01.1996 ein Haftbefehl erlassen, der jedoch nicht vollstreckt werden konnte. Das Strafverfahren wurde im April 2005 wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung eingestellt. Die Staatsanwaltschaft teilte dies mit Schreiben vom 20.05.2005 dem seinerzeit im Ermittlungsverfahren für den Kläger tätigen Rechtsanwalt A mit (Anlage K5), der auch als Bevollmächtigter in 1996 bei dem beim Beklagten und dem Finanzamt Hamburg-1 geführten Verfahren wegen Haftung aufgetreten war (Anlagen K1 und K2). Am 16.12.1996 hatte inzwischen aufgrund Prüfungsanordnung vom 01.12.1996 u. a. wegen Umsatzsteuer und Gewerbesteuermessbetrag 1990 - 1992 eine Betriebsprüfung im Unternehmen des Klägers begonnen, die am 21.08.2001 und mit Bericht vom 31.08.2001, später neu datiert auf 01.06.2005, abgeschlossen wurde (Betriebsprüfungsakte - BpA - Bl. 58 ff., 172 ff., Prüfungsanordnung BpA Bl. 40). Auf dieser Grundlage erließ der Beklagte, nachdem zunächst im Hinblick auf die Einschätzung mangelnder Einziehungsmöglichkeit nachzuzahlender Steuern von berichtigten Festsetzungen abgesehen worden war (Vermerke BpA Bl. 133 f., 145, 157, 160), am 15.06.2005 Änderungsbescheide gem. §§ 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO -Bescheide Anlagenband zur Gerichtsakte). Der Kläger war seinerzeit aufgrund Vollmacht vom 27.08.1991 (ausgestellt unter Angabe der Steuernummer .../.../..., Einkommensteuerakte - EStA - IV Bl. 117) von dem Steuerberater B vertreten, der gleichzeitig Zustellungsbevollmächtigter war. An den Steuerberater B war auch die Prüfungsanordnung vom 02.12.1996 gesandt worden. Aus Anlass eines gegen den Kläger gerichteten Arrestes fanden Gespräche an Amtsstelle unter Mitwirkung von Steuerberater B und dem Schwager des Klägers, C, statt, der nach Hinweis in dem Gesprächsvermerk vom 22.03.1996 (Vollstreckungsakte - VO - I Bl. 73) seinerzeit die Geschäfte des Klägers führte. Laut Gesprächsvermerk wurde der Aufenthalt des Klägers in Griechenland und die fehlende Auslieferungsmöglichkeit für ein hiesiges Strafverfahren erörtert, darüber hinaus von dem seinerzeitigen Verteidiger auf fehlende Vollstreckungsmöglichkeiten im Inland hingewiesen. Auch danach fanden Gespräche in Tilgungs- und Vollstreckungsfragen mit dem Schwager C - sowohl auf Initiative des Amtes als auch des Schwagers selbst - wenigstens bis September 1997 statt (Schriftverkehr VO I Bl. 89-98). Mit Schreiben vom 16.08.1996 teilte Steuerberater B dem Beklagten im Hinblick auf angemahnte Steuererklärungen mit, dass der Kläger aufgrund der Steuerfahndungsmaßnahmen den Gewerbebetrieb nicht mehr unterhalte. Der Betrieb würde abgewickelt, der Kläger wohne seit Februar des Jahres in Griechenland und habe nicht die Absicht, nach Deutschland zurückzukehren (EStA IV Bl. 9). Einen im Februar 1998 von Steuerberater B für den Kläger bei der Vollstreckungsstelle des Beklagten gestellten Antrag auf Erlass von Säumniszuschlägen zu fälligen Umsatzsteuerforderungen für 1996 (VO I Bl. 111) trat das Amt mit Hinweis auf die „Umstände, wegen derer sich Ihr Mandant in Griechenland aufhält”, entgegen (VO I Bl. 112). Mit Schreiben vom 19.03.1998 betonte Steuerberater B, dass sich sein Mandant ungeachtet des Aufenthalts in Griechenland um Begleichung seiner Steuerschulden bemühe (VO I Bl. 113). Mit Schreiben vom 15.04.1998 wies er die Vollstreckungsstelle des Beklagten darauf hin, dass der Kläger „wie Ihnen bekannt ist” in D lebe, es aber keine zustellfähige Anschrift des Klägers selbst in Hamburg gebe, unter der Beitreibungsmaßnahmen vorgenommen werden könnten (EStA IV Bl. 114). Entsprechendes wiederholte der Berater in einem Schreiben vom 28.03.2000 mit der weiteren Erklärung, dass sich der Kläger in D zwischenzeitlich eine tragfähige Existenz aufgebaut habe (EStA IV Bl. 2). Mit Schreiben vom 31.03.2000 teilte der Berater schließlich mit, dass er den Kläger und dessen Ehefrau nicht mehr betreue, und bat um Löschung der Zustellungsvollmacht (EStA IV Bl. 1). An einer Besprechung im Rahmen der Betriebsprüfung in den Räumen des Unternehmens des Klägers am 07.10.1997 hatten noch der Berater B sowie Herr C, der Schwager des Klägers, teilgenommen (s. Tz. 21 des Betriebsprüfungsberichts). Meldeamtsanfragen des Beklagten vom 01.03., 27.08.2001 und 11.11.2002 zu den unterschiedlichen Anschriften des Klägers in Deutschland wiesen allein auf einen Aufenthalt des Klägers in Griechenland hin (EStA IV Bl. 183 ff.). Die Aufgabe des Betriebs in Hamburg wegen Wegzugs nach Griechenland zum ... 2000 ergab sich auch aus einer Mitteilung des Wirtschafts- und Ordnungsamtes vom 08.08.2001 (EStA IV 6, 10). Am 27.02.2004 und am 17.11.2005 wurden Suchvermerke des Finanzamts beim Bundeszentralregister unter Angabe des Geburtsorts des Klägers (E) hinterlegt (VO I Bl. 165, 176; zum Geburtsort Bl. 161). Versuche, den Betriebsprüfungsbericht im Juni 2005 an die bis dahin bekannten 3 Anschriften des Klägers zuzustellen (BpA Bl. 161 ff.), schlugen fehl. Die einzelnen Ermittlungshandlungen des Amtes sind in einer (als nicht abschließend dargestellten) Aufzählung im Anhang zu der EStA IV (Hefter Bl. 2 ff.; s. a. EStA IV Bl. 105 ff.) zusammengefasst. Schließlich verfügte der Betriebsprüfer F mit drei verschiedenen undatierten Schreiben die öffentliche Zustellung der Bescheide für 1990 - 1992 über Umsatzsteuer sowie Gewerbesteuermessbetrag und Gewerbesteuer (EStA IV Nachheftung Bl. 128, 130, 132). Auf dem jeweils selben Blatt findet sich unterhalb der Bescheinigung der öffentlichen Zustellung ein Vordruck betreffend den Tag des Aushangs, den der Abnahme und die Aushändigung des Schriftstücks/der Schriftstücke. Als Tag des Aushangs ist jeweils handschriftlich der 16.06.2005, als Tag der Abnahme der 30.06.2005 vermerkt. Nebenstehend findet sich die Namensunterschrift der Mitarbeiterin der Geschäftsstelle des Beklagten, Frau (...) G. Jeweils nachgeheftet findet sich eine von dem Betriebsprüfer F unterzeichnete Verfügung vom 15.06.2005, die der Geschäftsstelle mit dem/den „auf der Vorderseite aufgeführten Schriftstück(en)” zur weiteren Veranlassung übergeben wurde. Dies geschah mit der ausdrücklichen Maßgabe, den Tag des Aushangs „auf der umstehenden Bescheinigung” zu vermerken und diese, „gerechnet ab dem darauffolgenden Tag”, zwei Wochen lang auszuhängen sowie den Tag der Abnahme auf der umstehenden Benachrichtigung zu vermerken. Am 21.12.2006 richtete der Beklagte ein Vollstreckungsersuchen an die zuständige griechische Behörde (VO II Bl. 5). In dem Ersuchen war unter Hinweis auf eine beigefügte Internetrecherche (nach Angabe des Beklagten abgelegt in einer Sonderheftung in der VO II) als mutmaßliche Anschrift eine Anschrift der Firma H in J, K in Griechenland genannt, deren Teilhaber der Kläger sein soll. Aufgrund der hierdurch veranlassten Maßnahmen der griechischen Behörden wandte sich der gegenwärtige Prozessbevollmächtigte des Klägers am 15.06.2007 an den Beklagten und überreichte mit Schriftsatz vom 18.06.2007 eine Vollmacht des Klägers vom 15.06.2007. Mit am selben Tag eingegangenen Schriftsatz vom 26.06.2007 (EStA IV Bl. 22) legte er für den Kläger Einspruch u. a gegen die Umsatzsteuerbescheide 1990 - 1992 und die Bescheide betr. „GewSt” 1990 - 1992 ein und beantragte für den Fall abgelaufener Rechtsmittelfristen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, da sein Mandant von den öffentlichen Zustellungen keine Kenntnis gehabt habe. Eine Zustellanschrift des Klägers hätte der Beklagte, so trägt der Klägervertreter in seinem Schriftsatz vom 17.10.2007 (EStA IV Bl. 137) vor, z. B. über Steuerberater B, den Schwager C oder ihn, Rechtsanwalt A, erfragen können. Mit Schreiben vom 06.07.2007 übersandte der Beklagte dem Prozessbevollmächtigten eine Kopie der Bescheide (s. S. 4 des Schreibens, EStA IV B. 45, 48). Mit Schriftsatz vom 09.11.2007 wies er zudem die Verpflichtung zu weitergehenden als den ergriffenen Ermittlungsmaßnahmen zum Erhalt einer Anschrift zurück (EStA IV Bl. 169). In einem amtsinternen Vermerk des Betriebsprüfers F zu einem Gespräch mit dem Prozessbevollmächtigten an Amtsstelle am 26.06.2007 (VO II Bl. 28) heißt es (auf S. 2): „Hinweise von Herrn B ... auf nachfolgende Vertreter oder Bevollmächtigte wurden trotz Nachfrage nicht gegeben”. In einem internen Entwurf zu einem Antwortschreiben auf den Schriftsatz des Klägervertreters vom 17.10.2007 heißt es u. a.: ” Herr B machte während der Zeit 1996 - 2000 keine Angaben über den Aufenthaltsort ... Immer nur allgemein, dass sich Herr L in Griechenland aufhält” (EStA IV Bl. 163). In einer amtsinternen Mail des Betriebsprüfers F vom 05.09.2007 (EStA IV Bl. 105) heißt es zu Fragen an den Steuerberater B „im Rahmen der BP”: „Fragen nach Aufenthalt blieben bei Antworten im Ungefähren...” Mit Einspruchsentscheidung vom 08.05.2008 verwarf der Beklagte den Einspruch als unzulässig (Rechtsbehelfsakte - RbA - Bl. 29 ff.). Die öffentliche Zustellung sei mangels bekannten Aufenthalts des Klägers zu Recht und zudem formal wirksam erfolgt. Nach dem Erlöschen der Zustellungsvollmacht für Steuerberater B sei keine zustellungsfähig Anschrift und kein neuer Zustellungsvertreter bekannt geworden. Versuche, beim Einwohnermeldeamt bzw. Wirtschafts- und Ordnungsamt eine Anschrift des Klägers zu erhalten, seien fehlgeschlagen. Eine Verpflichtung, weitergehende Ermittlungen insbesondere bei dem Schwager C oder dem jetzigen Vertreter, Rechtsanwalt A, vorzunehmen, habe angesichts der eindeutig auf Verheimlichung des Wohnsitzes gerichteten Verhaltensweise des Klägers nicht bestanden. Ein Einspruch sei ausgehend von der Bekanntgabe der Bescheide mit Ablauf des 30.06.2005 nicht rechtzeitig bis zum 30.07.2005 eingelegt worden; Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien schon wegen nicht auf höherer Gewalt beruhenden Ablaufs der Jahresfrist gem. § 110 Abs. 3 AO nicht ersichtlich. Hiergegen hat der Kläger am 06.06.2008 Klage erhoben. Mit Schreiben vom 29.06.2009 hat die Vorsitzende die Beteiligten darauf hingewiesen, dass nach Aktenlage die Aushangzeit zu kurz bemessen gewesen sei, da nach dem Vermerk des Beklagten der Aushang schon am 30.06.2005, also vor Ablauf des 30.06.2005 abgenommen worden sei. Hierauf hat der Beklagte eine eidesstattliche Versicherung des seinerzeitigen Betriebsprüfers F vom 12.08.2009 (Gerichtsakte Bl. 60) vorgelegt, auf die verwiesen wird.

    Der Kläger trägt vor: Die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung hätten nicht vorgelegen, da der Beklagte die strengen Anforderungen an die Aufenthaltsermittlung des Klägers nicht erfüllt habe. Der Beklagte habe versäumt, Kontaktpersonen des Klägers wie z. B. den Steuerberater B, den Schwager C oder Rechtsanwalt A nach der Adresse des Klägers zu befragen. Die genannten Personen hätten auf Nachfrage Auskunft erteilt. Aus den mit den Anlagen K1-K7 vorgelegten Schreiben zeige sich, dass verschiedene Hamburger Behörden von der Bevollmächtigung des gegenwärtigen Prozessbevollmächtigten in verschiedenen Verfahren gewusst hätten. U. a. habe der Beklagte Schriftwechsel mit dem Bevollmächtigten in einer Haftungsangelegenheit des Klägers geführt. Von den besonderen Sorgfaltsanforderungen bei der Aufenthaltsermittlung sei die zustellende Behörde nur befreit, wenn der Adressat versucht habe, eine Zustellung bewusst zu verhindern. Dies sei im Streitfall jedoch nicht der Fall gewesen. Der Kläger habe vielmehr seine Familie nach D umgesiedelt, weil er Morddrohungen erhalten habe. Die von den Maßnahmen der Ermittlungsbehörden betroffenen griechischen Gastronomen hätten nämlich vermutet, dass der Kläger die gegen sie gerichteten Maßnahmen zu verantworten habe. So habe der Kläger sein Reihenhaus in der X-Straße schließlich allein bewohnt. Allerdings sei er im Wochenabstand zwischen seiner Firma in Hamburg und seiner Familie in D gependelt. Hierfür verweist der Kläger auf die schriftliche Erklärung seines Schwagers C vom 12.12.2008 (Anlage K9). Als der Haftbefehl gegen den Kläger habe vollstreckt werden sollen, habe sich der Kläger planmäßig in D aufgehalten. Da er durch den Vollstreckungsversuch auch in der Y-Straße gewarnt worden sei, habe er sich entschlossen, vorerst nicht nach Hamburg zurückzukehren. Dieses Verhalten erfülle allerdings nicht die Merkmale einer Flucht. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Bescheide mit dem Schreiben des Beklagten vom 06.07.2007 sei schon Festsetzungsverjährung eingetreten gewesen. Im Übrigen schließe er sich der Rechtsauffassung des Gerichts zur fehlenden wirksamen öffentlichen Zustellung an. Die vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Betriebsprüfers F sei insofern unstimmig, als hiernach am 16.06.2005 Einkommensteuerbescheide vom 14.07.2005 ausgehängt gewesen sein sollen. Der Beweiswert der eidesstattlichen Versicherung sei auch deshalb fragwürdig, weil sie einen Vorgang betreffe, der über vier Jahre vergangen ist, und zudem auf das - unzutreffende - Aktenzeichen 5 K 79/98 Bezug nehme. § 169 Abs. 1 S. 3 AO greife nicht, da die Bescheide den Bereich der Finanzbehörde nicht im Jahr 2005 verlassen hätten. Zudem sei eine Anwendung des § 169 Abs. 1 S. 3 AO angesichts der jahrelangen Verzögerung, die keineswegs dem Kläger vorzuwerfen sei, nicht mehr gerechtfertigt.

    Der Kläger beantragt, die Bescheide für 1990 - 1992 über Umsatzsteuer und Gewerbesteuermessbetrag vom 15.06.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.05.2008 aufzuheben.

    Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

    Zur Darlegung der Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung verweist er zunächst auf die Einspruchsentscheidung. Im Übrigen trägt er vor: Der neue Vortrag des Klägers, er sei im Wochentakt zwischen Hamburg und D gependelt, sei vor dem Hintergrund der Mitteilungen des Steuerberaters B nicht glaubhaft. Vielmehr sei seine Handlungsweise auf die Verheimlichung seines Aufenthaltsortes gerichtet gewesen. Es habe dem Kläger oblegen, dem Beklagten seinen Aufenthaltsort mitzuteilen oder eine empfangsbevollmächtigte Person zu benennen. Unerheblich sei, ob er sich den Behörden durch aktive Flucht nach Griechenland entzogen habe. Der Beklagte habe seiner Ermittlungspflicht genüge getan. Im Erörterungstermin vom 20.01.2010 hat der Beklagte vorgetragen, der Steuerberater B sei vergeblich nach dem Aufenthalt des Klägers befragt worden. Den Handakten des Beklagten sei eine Bleistiftnotiz, möglicherweise von dem Betriebsprüfer F gefertigt, zu entnehmen, wonach auch der Berater B den Aufenthaltsort des Klägers geheim gehalten habe. Eine Kontaktaufnahme mit dem Steuerberater B, dem Rechtsanwalt A bzw. dem Schwager C habe das Amt (auch) nach der dem Amt seinerzeit bekannten Einstellung des Strafverfahrens nicht für naheliegend gehalten. Aufgrund der Aktenlage könne keine Aussage dazu getroffen werden, ob die zuzustellenden Schriftstücke zu früh und damit unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften abgenommen worden seien. Das eingetragene Datum des 30.06.2005 sei nach Auskunft der auch heute noch auf der Geschäftsstelle tätigen Mitarbeiterin G als der Tag zu verstehen, bis zu dem die Schriftstücke hätten hängen müssen. Das Datum werde vor dem Aushang notiert und treffe keine Aussage darüber, wann die Abnahme tatsächlich erfolgt sei. Die Schriftstücke würden von dem Hausmeister des Finanzamts, M, abgenommen, der sich zwar an den von der Geschäftsstelle eingetragenen Daten orientiere, aber die Abnahme nicht zwingend an demselben Tag vornehme. Wann die Abnahme tatsächlich erfolgt sei, könne heute nicht mehr mit Sicherheit festgestellt werden. Der Hausmeister könne sich aufgrund des Zeitablaufs und der Vielzahl der von ihm durchzuführenden Aushänge nicht mehr an den damaligen Vorgang erinnern. Nach seinen Bekundungen sei es jedoch üblicherweise so, dass die Schriftstücke noch ein paar Tage länger als in der Verfügung notiert hängen blieben. Ausweislich der eidesstattlichen Versicherung des Betriebsprüfers F vom 12.08.2009 hätten sich auch im Streitfall die in Rede stehenden Schriftstücke noch am Morgen nach Ablauf der 2-Wochen-Frist im Aushang unter Glas befunden. Der Zeuge F könne sich an die Vorgänge noch gut erinnern, weil es sich hier um einen sich von üblichen Vorgängen abhebenden Fall gehandelt habe. Dass die Einkommensteuerbescheide vom 14.07.2007 am 16.06.2005 ausgehängt worden seien, habe er in der eidesstattlichen Versicherung nicht erklärt. Selbst für den Fall, dass der Nachweis für die Dauer des Aushangs nicht erbracht werden könne, seien die Bescheide nicht aufzuheben, da sie spätestens im Zeitpunkt der unstreitigen Kenntniserlangung im Juni 2007 wirksam geworden seien. Festsetzungsverjährung sei gem. § 169 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AO auch im Juni 2007 noch nicht eingetreten. Das Aushängen der Schriftstücke sei innerhalb der Festsetzungsfrist erfolgt, ein etwaiger Mangel der öffentlichen Zustellung gem. § 8 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) im Zeitpunkt der Kenntniserlangung im Juni 2007 geheilt. Dass die tatsächliche Bekanntgabe erst zwei Jahre nach der öffentlichen Zustellung erfolgte, sei unschädlich. Insbesondere könne der Kläger insoweit keinen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen, da er sich den steuerlichen Erklärungs- und sonstigen Mitwirkungspflichten und zudem den Ermittlungen der Steuerfahndung durch Flucht entzogen habe.

    Dem Senat haben je ein Band Gewinnfeststellungs- und Gewerbesteuer-, Umsatzsteuer-, Betriebsprüfungs- und Rechtsbehelfsakten sowie Band IV der Einkommensteuerakten, jeweils zur Steuernummer .../.../..., sowie eine weitere Rechtsbehelfsakte betr. Haftung nebst Akte Haftungsvorgänge, letztere zur Steuernummer .../.../..., vorgelegen. Auf die Niederschrift des Erörterungstermins vom 20.01.2010 und die mündliche Verhandlung vom 17.06.2010 wird Bezug genommen.

    Gründe

    I.

    Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg. Die angefochtenen Bescheide sind wegen eingetretener Festsetzungsverjährung aufzuheben.

    Die öffentliche Zustellung der angefochtenen Bescheide ist fehlerhaft durchgeführt worden (1.) und damit unwirksam (2.). Eine Heilung durch tatsächlichen Zugang (3.a) hindert den Erfolg der Klage nicht. Denn zum Zeitpunkt der Heilung durch Übergabe einer Bescheidkopie und damit nachgeholter Bekanntgabe war bereits Festsetzungsverjährung eingetreten (3.b).

    Die formalen und sachlichen Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung sind im Streitfall nicht eingehalten worden.

    a) Auf der Grundlage der erfolgten Beurkundung des Tages des Aushangs bzw. der Abnahme der Bescheinigung bzw. der Schriftstücke sind die formalen Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung hinsichtlich des Aushangs nicht gewahrt.

    Maßgeblich ist hier die in dem fraglichen Zeitraum für die öffentliche Zustellung i. V. m. § 122 Abs. 5 S. 2 AO bis zum 31.01.2006 geltende Regelung in § 15 VwZG, dessen Absatz 2 für die öffentliche Zustellung den Aushang des zuzustellenden Schriftstücks selbst, hier der Bescheide, oder aber den Aushang einer auf die mögliche Abholung dieser Schriftstücke hinweisenden Bescheinigung vorsah. Auf der Grundlage von Art. 4 des Gesetzes zur Novellierung des Verwaltungszustellungsrechts vom 12.08.2005 (BGBl I, 2354) trat die neue Fassung zum 01.02.2006 in Kraft. Nach den Grundsätzen des intertemporären Prozessrechts finden, sofern sich aus Überleitungsvorschriften oder aus Sinn und Zweck der Regelung nichts anderes ergibt, geänderte Vorschriften auch in laufenden Verfahren oder Verfahrensabschnitten vom Tage ihres Inkrafttretens an Anwendung (BVerfG Beschluss vom 07.07.1992 2 BvR 1631/90, 2 BvR 1278/90, BVerfGE 87, 48; BFH Beschluss vom 08.06.2005 V S 12/04 (PKH). NV 2005, 1383). Demgemäß findet - wie im Falle der Neuregelung der zivilprozessualen Zustellungen durch das Zustellungsreformgesetz vom 25.06.2001 - für die einzelnen Zustellungsakte das jeweils zu deren Zeitpunkt geltende Recht Anwendung (vgl. Hans. OLG Hamburg Beschluss vom 21.10.2002 II - 66/02 - 1 Ss 131/02, NStZ-RR 2003, 46). Gem. § 15 Abs. 2 VwZG gilt ein Schriftstück, das keine Ladung enthält, an dem Tag als zugestellt, an dem seit dem Tag des Aushängens zwei Wochen verstrichen sind. Der Tag des Aushängens und der Tag der Abnahme sind von dem zuständigen Bediensteten auf dem Schriftstück zu vermerken - und mit dem vollen Namen des zuständigen Bediensteten zu unterzeichnen (BVerwG Urteil vom 18.04.1997 8 C 43/95, BVerwGE 104, 301 Tz. 24 Juris). Dabei soll es genügen, wenn der Vermerk nicht auf dem zuzustellenden Schriftstück selbst, sondern auf der Benachrichtigung - und dies wohl auch nicht notwendigerweise auf dem für den Aushang bestimmten Exemplar- angebracht wird (vgl. BVerwG Urteil vom 18.04.1997 8 C 43/95, BVerwGE 104, 301 Tz. 24 Juris). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - der sich der Senat anschließt - hat das zuzustellende Schriftstück (bzw. die Benachrichtigung) während der gesamten Dauer des in § 15 VwZG genannten Zeitraums auszuhängen (BVerwG Beschluss vom 08.04.1998 8 B 218/97, NJW 1998, 2377; vgl. a. BFH Urteil vom 08.07.1982 IV R 147/78, n. v. juris). Die Aushangfrist endet hiernach mit Ablauf desjenigen Tages, welcher dem Aushangtag kalendermäßig entspricht (§ 108 Abs. 1 AO i. V. m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -). Da die Fristen in vollen Tagen berechnet werden, endet die Aushangfrist um 24 Uhr des jeweiligen Tages. Anlass, in Ausnahme hiervon für die Dauer des Aushangs auf die Zeit des jeweiligen Dienstschlusses in der Behörde abzustellen, sieht der Senat schon aus Gründen der Rechtssicherheit und Einheitlichkeit der Handhabung nicht (and. ggf. in Fallgestaltungen, in denen es auf eine Mitwirkung eines Erklärungsempfängers ankommt, s. BGH Urteil vom 14.02.1957 II ZR 190/55, BGHZ 23, 302; Palandt BGB 69. Aufl. 2010 § 188 Rn. 3). Hiergegen spricht zudem, dass das Gesetz zur Dokumentation einen Vermerk über den Tag der Abnahme, nicht aber auch die Uhrzeit der Abnahme verlangt; letzteres wäre aber erheblich, wenn die Abnahme im Laufe eines Tages relevant wäre. Nach der in den Einkommensteuerakten abgelegten Beurkundung erfolgte der Aushang im Streitfall am Donnerstag, den 16. Juni 2005, so dass die Aushangfrist erst mit Ablauf des Donnerstag, den 30. Juni 2005, verstrichen war. Der 30.06.2005 ist demgegenüber als Tag der Abnahme vermerkt. Danach ist die Abnahme bereits an diesem Tage - also vor seinem Ablauf - und mithin verfrüht erfolgt. Darin liegt eine Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften (vgl. BVerwG a. a. O.; zu der ab 01.01.2006 geltenden Fassung in § 10 VwZG s. a. Linßen in: Beermann VwZG § 10 Rn. 29 f.; Engelhardt/App VwZG 7. Aufl. § 10 Rn. 15, 8. Aufl. Rn. 44; Sadler VwZG 6. Aufl. § 10 Rn. 44; vgl. a. Brandis in: Tipke/Kruse FGO § 53 Tz. 30 und Kruse in: Tipke/Kruse § 10 VwZG Tz. 8; vgl. demgegenüber zur öffentlichen Zustellung nach den - abweichend formulierten - Vorschriften der Zivilprozessordnung Gräber FGO 6. Aufl. § 53 Rn. 131 und Stöber in: Zöller ZPO 26. Aufl. § 188, 4: „unbefugtes” frühzeitiges Abhängen unschädlich; unklar Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 65. Aufl. und geringfügig abweichend 66. Aufl., jeweils § 188 Rn. 2). Zwar ist in der neuen Fassung der Regelung der öffentlichen Zustellung in § 10 VwZG nicht mehr vorgesehen, dass der Tag der Abnahme notiert wird, und knüpft der Wortlaut des § 15 VwZG a. F. für die Berechnung der jeweiligen Frist ohne Hinweis auf die Dauer des Aushangs an den Tag des „Aushängens” und § 10 VwZG n. F. an den Tag der Bekanntmachung der Benachrichtigung an. Letzteres ist vermutlich der Tatsache geschuldet, dass seit der Neuregelung der öffentlichen Zustellung in § 10 VwZG neben dem Aushang auch die Bekanntmachung im Bundesanzeiger zulässig ist. Angesichts der ohnehin schon als Fiktion ausgestalteten öffentlichen Zustellung („gilt...”) ist mit Blick auf das gem. Art. 103 Abs. 1 GG zu gewährleistende rechtliche Gehör nach Ansicht des Senats jedoch allein die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass das Schriftstück bzw. die Benachrichtigung während der gesamten Dauer des in § 15 Abs. 3 VwZG genannten Zeitraums aushängen muss. Dies entspricht § 15 Abs. 5 S. 2 VwZG, wonach die Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung (allein) von der Beachtung der Absätze 2 und 3 abhängig ist.

    Der Vermerk i. S. v. § 15 Abs. 3 S. 3 VwZG ist seinem Wesen nach eine Zustellungsurkunde (BVerwG Urteil vom 18.04.1997 a. a. O. Tz. 24). Damit müssen nach Ansicht des Senats auch hinsichtlich der Beweiskraft entsprechende Regelungen gelten. Wie im Falle einer Postzustellungsurkunde begründet daher auch der Vermerk den vollen Beweis der bezeugten Tatsache und ist der Gegenbeweis möglich, allerdings nicht mit einer - allenfalls der Glaubhaftmachung dienenden - eidesstattlichen Versicherung zu erbringen (vgl. BFH Beschluss vom 09.09.1994 III B 29/94, NV 1995, 276, ausdrücklich auch für die Zustellung im Verwaltungsverfahren unter Hinweis auf § 418 ZPO; vgl. a. BFH Beschluss vom 12.11.2003 X B 57/03, NV 2004, 602).

    Der Senat kann im Ergebnis offen lassen, ob der Aushang tatsächlich wie beurkundet schon am 30.06.2005 abgenommen wurde und insoweit auf eine etwaige Beweisaufnahme hierzu verzichten. Denn auch wenn der Vortrag des Beklagten hierzu als wahr unterstellt würde und von einer Abnahme erst nach dem 30.06.2005 auszugehen wäre, wäre die öffentliche Zustellung unwirksam.

    Auf der Grundlage des eigenen Vorbringens des Beklagten ist nämlich entgegen dem Anschein der Beurkundung nicht der Tag der tatsächlichen Abnahme an dem jeweiligen Tag selbst bzw. nach der Abnahme beurkundet worden, sondern schon vorher am 15.06.2005 der Tag vermerkt worden, bis zu dem die zuzustellenden Schriftstücke hängen müssen. Diese Vorgehensweise widerspricht der ausdrücklichen Regelung in § 15 Abs. 3 S. 3 VwZG a. F., wonach der Tag der Abnahme von dem zuständigen Beamten auf dem Schriftstück zu vermerken ist. Gem. § 15 Abs. 5 S. 2 VwZG a. F. ist die Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung (allein) von der Beachtung der Absätze 2 und 3 abhängig. Folglich ist auch der Vermerk über die Abnahme Wirksamkeitsvoraussetzung der öffentlichen Zustellung (BGH Urteil vom 19.05.1981 IX ZR 15/80, BGHZ 80, 320 Tz. 10 Juris gegen die z. T. gegenteilige Ansicht im Schrifttum). Dass in der neuen, erst ab 01.02.2006 geltenden Fassung des VwZG für die öffentliche Zustellung (§ 10) eine entsprechende Regelung nicht mehr aufgenommen ist, ist unbeachtlich. Maßgeblich ist nach dem Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts wie dargelegt allein das im Zeitpunkt der Vornahme des jeweiligen Aktes der Zustellung geltende Recht.

    b) Auch die sachlichen Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung liegen nach Ansicht des Senats nicht vor, da der Aufenthaltsort des Klägers nicht unbekannt war.

    Gem. § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG i. V. m. § 122 Abs. 5 Satz 2 AO kann „durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt werden, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist ...” Die Entscheidung steht zwar im Ermessen der Behörde. Dieses Ermessen greift aber erst dann, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung vorliegen. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist vollen Umfangs überprüfbar (BFH Urteil vom 15.01.1991 VII R 86/89, NV 1992, 81 Tz. 19 Juris).

    Wegen des Anspruchs des Zustellungsempfängers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes -GG-) ist die Zustellungsfiktion des § 15 Abs. 3 Satz 2 VwZG verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Form der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar ist. § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG setzt deshalb voraus, dass nicht nur die betreffende Behörde die Anschrift nicht kennt, sondern der Aufenthaltsort des Zustellungsempfängers allgemein unbekannt ist. Sie ist nur als „letztes Mittel” zulässig, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln. Die Anforderungen an die Behörde dürfen jedoch im Einzelfall nicht überspannt werden. Unzumutbare Anforderungen sind an den Zustellenden nicht zu stellen; es genügt der Nachweis, dass er alle der Sache nach möglichen und geeigneten Nachforschungen angestellt hat. Die Behörde genügt ihrer Prüfungspflicht in aller Regel, wenn sie versucht, die Anschrift des Adressaten durch das Einwohnermeldeamt oder die Polizei zu ermitteln, und sich ggf. bei einem Bevollmächtigten erkundigt. Die öffentliche Zustellung ist z. B. zulässig, wenn die Behörde durch unrichtige Auskünfte Dritter, die sie nicht durchschauen konnte, zu der Annahme verleitet wird, der Empfänger sei unbekannten Aufenthaltsortes. Dass ein Angehöriger den Aufenthaltsort des Empfängers dennoch kennt, ist unerheblich und reicht nicht aus, um das Vorliegen der Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung in Frage zu stellen; denn die Möglichkeit, dass der Aufenthaltsort einer Person irgendjemandem bekannt ist, liegt stets vor (vgl. zu allem BFH Urteil vom 13.01.2005 V R 44/03, NV 2005, 998). Eine Nachfrage des Finanzamts bei der Polizeibehörde ist ggf. entbehrlich, wenn dem Amt bekannt war, dass der Steuerpflichtige erfolglos mit Haftbefehl gesucht wurde. Nach der Rechtsprechung des BFH wie auch des BGH ist auch zu berücksichtigen, wenn sich der Steuerpflichtige auf der Flucht befand, um sich einer Strafverfolgung wegen Steuerhinterziehung zu entziehen, und deshalb daran interessiert war, den Behörden seinen Aufenthaltsort nicht bekannt zu geben. Bei einer solchen, auf Verheimlichung des Wohnsitzes gerichteten Handlungsweise eines Steuerpflichtigen erscheint es unbillig und ungerechtfertigt, besonders eingehende Ermittlungen des FA zu fordern, die im Regelfall notwendig sind. In solchen Fällen obliegt es vielmehr dem Steuerpflichtigen, sofern er mit der Bekanntgabe von Bescheiden rechnen musste, nach Niederlegung des Mandats durch seine frühere Steuerberaterin dem Finanzamt entweder seinen Aufenthaltsort mitzuteilen oder eine neue Person zu benennen, die ermächtigt war, für ihn die Bescheide in Empfang zu nehmen (BFH a. a. O.; vgl. a. BGH Beschluss vom 28.04.2008 II ZR 61/07, NJW-RR 2008, 1310: ggf. missbräuchliche Berufung auf die Fehlerhaftigkeit der Zustellung, wenn zielgerichtet versucht werde, eine Zustellung, mit der sicher zu rechnen war, zu verhindern). Im Hinblick auf die schwerwiegenden Folgen einer öffentlichen Zustellung ist es jedoch auch in diesen Fällen nicht gerechtfertigt, naheliegende, bei objektiver Betrachtung nicht von vornherein aussichtslose und nicht besonders kostenaufwändige Ermittlungen zu unterlassen (vgl. BFH Urteil vom 15.01.1991 VII R 86/89, NV 1992, 81 Tz. 22, 23 Juris zum Fall erfolgter Abmeldung bei der Meldebehörde und unterlassener behördlicher Anmeldung, den Umfang der Ermittlungspflicht allerdings offen lassend für den Fall der Verheimlichung des Aufenthaltsortes; Linßen in: Beermann VwZG § 10, 5). Sind naheliegende Ermittlungen über den Aufenthalt des Steuerpflichtigen unterlassen worden, hat schon dies allein vielmehr zur Folge, dass die Feststellung, der Aufenthalt des Steuerpflichtigen sei unbekannt, nicht getroffen werden kann (BFH Urteil vom 15.01.1991 a. a. O. Tz. 22). Ggf. drängen sich auch Nachfragen bei einem Bevollmächtigten auf. Dies gilt ungeachtet dessen möglichen Aussageverweigerungsrechts gem. § 102 AO, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dieser von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen werde und die Nachfrage daher eine bloße Förmelei wäre (BFH Urteil vom 15.01.1991 a. a. O. Tz. 21; vgl. demgegenüber den Hinweis im BFH Urteil vom 18.03.1971 V R 25/67, BStBl II 1971, 555, Tz. 16 juris, wonach es keinen Erfahrungssatz gebe, dass ein Rechtsanwalt, der einmal einen Bürger vertreten hat, diesen in allen zukünftigen Verfahren vertreten werde). Der entsprechende Hinweis des BFH im Urteil vom 13.01.2005 (Tz. 23 Juris) auf Kausalitätserwägungen diente allein zur Untermauerung der getroffenen Entscheidung im Sinne einer dort nicht naheliegenden Ermittlung. Im Falle einer erfolgten Mandatsniederlegung muss die Behörde gerade bei unbekanntem Aufenthalt des Steuerpflichtigen zudem ggf. prüfen, ob die Niederlegung wirksam erfolgt ist. Auch die Wirksamkeit einer entsprechend § 80 Abs. 1 S. 4 AO mitgeteilten Mandatsniederlegung setzt voraus, dass die Kündigung des Vollmachtsvertrages im Innenverhältnis wirksam geworden, d. h. dem Vollmachtgeber zugegangen ist (vgl. Rüsken in: Beermann AO § 80 Lfg. Mai 1996 Rn 93 m. w. N.). Konnte dies nicht geschehen, weil der Vollmachtgeber nicht erreichbar war, ist eine Zustellung weiterhin an den Bevollmächtigten vorzunehmen (vgl. FG Köln Urteil 12.03.1998 2 K 7526/96, EFG 1998, 988; a. A. FG München Urteil vom 08.02.2007 11 K 3990/04, EFG 2008, 999, Rev. vom BFH zugelassen, VIII R 8/08). Für die heutige Fassung des § 10 VwZG ist die entsprechende Prüfungspflicht der Zustellmöglichkeit an einen Vertreter in Absatz 1 Nr. 1 ausdrücklich normiert. Sie entsprach nach Ansicht des Senats aber auch schon vorher der Rechtslage, da die öffentliche Zustellung gerade nur letztes Mittel sein soll. Im Streitfall lassen die Schreiben des Steuerberaters B keinen sicheren Schluss darauf zu, ob ihm der genaue Aufenthaltsort des Klägers bekannt war. Allerdings sprechen die vorliegenden Schreiben (EStA IV Bl. 1, 9, 114) dafür, dass ein zumindest (fern-)mündlicher Kontakt mit dem Mandanten bestand (so ausdrücklich im Schreiben 15.04.1998 EStA IV Bl. 114: Kontakt aufgenommen), so dass eine mündliche Kündigung möglich war. Dennoch wäre angesichts des Gebots der Wahl des geringsten Mittels vor einer öffentlichen Zustellung eine Nachprüfung angezeigt gewesen. Ungeachtet dessen lag es nahe, den Berater nach seiner Kenntnis von dem Aufenthaltsort zu fragen. Die Tatsache, dass er schon 1996 bzw. 1998 den Hinweis auf den Aufenthalt des Klägers in D gab, spricht nicht dafür, dass er den weitergehenden genauen Aufenthaltsort in Griechenland verheimlichen wollte. Der Inhalt der seinerzeitigen Gespräche und Schriftwechsel mit dem Beklagten spricht vielmehr dafür, dass man allein die Frage der Auslieferung nach Deutschland bzw. der Vollstreckung im Inland im Auge hatte, nicht aber eine etwaige Vollstreckung des Haftbefehls oder von Steuerschulden in Griechenland oder eine Zustellung in Griechenland. Anlass zur Verheimlichung seines Aufenthaltsortes aus Gründen der Strafverfolgung bestand jedenfalls zum Zeitpunkt der öffentlichen Zustellung nicht mehr, da seinerzeit das Strafverfahren wegen Verfolgungsverjährung eingestellt war (s. Anlage K5). Dass die Nachfrage bei dem Berater B selbst mehrere Jahre nach der Niederlegung des Mandats von vornherein aussichtslos gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Dass eine solche Anfrage an den Berater B nach der Niederlegung des Mandats gerichtet wurde, ist aus den Akten nicht hinreichend erkennbar. Der von der Vertreterin des Beklagten angesprochene Bleistiftvermerk „B hielt Ort auch geheim” ist allenfalls als nachträgliche Würdigung der vorliegenden Schreiben des Steuerberaters B und dessen Verhalten in der Betriebsprüfung auszulegen. Bei den etwaigen laut der Mail des Prüfers vom 05.09.2007 während der Prüfung gestellten Nachfragen zum Aufenthaltsort bleibt unklar, ob diese zu einer Zeit erfolgten, als die Vertretung durch den Steuerberater B noch andauerte und grundsätzlich kein Anlass zur Aufenthaltsermittlung bestand. Die im internen Entwurf zu dem Antwortschreiben auf den Schriftsatz des Klägervertreters vom 17.10.2007 enthaltenen Hinweise (1996-2000 keine Angaben zum Aufenthaltsort ...) sind zudem nach Aktenlage nicht in offizielle Schreiben eingeflossen. Aus einer Auflistung der im Hinblick auf die ggf. erforderliche öffentliche Zustellung getroffenen Maßnahmen seitens des seinerzeitigen Prüfers F (Hefter in EStA IV Bl. 2 ff.) ergibt sich schließlich nur, dass der Berater wegen der Frage einer Nachfolge in der Vertretung befragt wurde. Damit hat der Beklagte eine etwaige Nachfrage nach der genauen Anschrift des Klägers im Zusammenhang mit der seinerzeitigen Niederlegung des Mandats nicht substantiiert vorgetragen. Eine Nachfrage nach der Einstellung des Strafverfahrens ist auch nach dem Vortrag des Beklagten nicht erfolgt. Angesichts dessen, dass schon früher Hinweise zum Ort des Aufenthalts in D gegeben worden waren und eine klare Ablehnung weitergehender Auskunft nicht erkennbar ist, hätte sich nach Ansicht des Senats spätestens zu diesem Zeitpunkt eine Nachfrage aufgedrängt. Auch unter Berücksichtigung dessen, dass eine Wechselwirkung zwischen dem Verhalten des Empfängers einerseits und dem Umfang der notwendigen Ermittlungen der Behörde andererseits besteht und der Kläger von der seinerzeit laufenden Prüfung wusste und mit dem Erlass von Änderungsbescheiden rechnen konnte, ist es nicht gerechtfertigt, wenn der Beklagte auf eine naheliegende, nicht aufwändige schlichte Nachfrage verzichtet.

    Kausalitätserwägungen dahingehend, ob RA A Auskunft erteilt hätte und hätte erteilen können, sind grundsätzlich nicht anzustellen. Dass von vornherein damit zu rechnen war, dass eine förmliche Nachfrage bei Steuerberater B erfolglos geblieben wäre, vermag der Senat nicht festzustellen.

    Ob noch weitere Gründe vorliegen, aufgrund derer der Beklagte zu Unrecht davon ausgegangen war, der Kläger sei unbekannten Aufenthalts, kann im Ergebnis offen bleiben. So erscheint nach der abgehefteten Internetrecherche (VO II Sonderhefter) unklar, ob die Erkenntnis über die Teilhabe an dem griechischen Unternehmen Fa. H schon im Jahr 2005 gewonnen wurde (zum Teil Hinweis auf google 2005). Jedenfalls stellt sich die Frage, ob die entsprechende Abfrage im Internet nicht auch schon zum Zeitpunkt der öffentlichen Zustellung nahegelegen hätte. Mag es auch keinen Erfahrungssatz dahin geben, dass ein Rechtsanwalt, der einen Bürger einmal vertreten hat, diesen in allen zukünftigen Verfahren vertreten wird (BFH Urteil vom 18.03.1991 V R 25/67, BStBl II 1971, 555 Tz. 16), erschien es möglicherweise auch naheliegend, den gegenwärtigen Prozessbevollmächtigten als denjenigen Rechtsanwalt zu befragen, der den Kläger offenbar auch im Strafverfahren und z. B. in einem steuerlichen Haftungsverfahren vertreten hat (Anlage K4 und K5). Hierüber hätten ggf. bei den Ermittlungsbehörden Erkundigungen eingezogen werden können. Zudem erscheint erwägenswert, dass der Beklagte angesichts eines bekannten und eingrenzbaren Aufenthalts in Griechenland (D) eine Auskunft dortiger Behörden, ggf. der Steuerbehörden, zu erlangen versuchen konnte - auch wenn es - wie ein im Internet eingestelltes Merkblatt der Deutschen Botschaft vom September 2008 bestätigt - ein Meldewesen in Griechenland nicht gibt. Dass Nachforschungen im Ausland generell nicht naheliegen bzw. zumutbar sind, scheint zumindest in heutiger Zeit globaler Vernetzung zweifelhaft (vgl. a. FG Köln Urteil vom 18.10.2006 10 K 2019/05, EFG 2007, 158 mit Hinweis auf den Rechtsgedanken des § 14 VwZG a. F. - notwendige Einschaltung der zuständigen Behörde des fremden Staates oder der in diesem Staate befindlichen konsularischen oder diplomatischen Vertretungen des Bundes für eine Zustellung im Ausland -; s. a. das nachgehende Urteil des BFH vom 09.12.2009 X R 54/06, DB 2010, 884 mit Hinweis auf die EG-Amtshilferichtlinie und das seinerzeit gültige Merkblatt der Verwaltung BStBl I 1999, 228; dieses verweist in der Anlage 1 für Griechenland auf einen umfassenden Informationsaustausch u. a. betr. ESt und GewSt; s. aber noch BGH Urteil vom 02.07.1970 IX ZR 318/69, MDR 1970, 1006). Schließlich war im Streitfall auch die Übermittlung des Vollstreckungsersuchens zeitnah erfolgreich. Offen gelassen werden kann auch, ob es nahe lag, den Schwager C nach dem Aufenthaltsort des Klägers zu befragen. Der Schwager wird im Betriebsprüfungsbericht ausdrücklich unter Tz. 13 als zur Information im Rahmen der Betriebsprüfung herangezogene Person benannt. Ausweislich Tz. 21 (Schlussbesprechung) hat er zudem an einer Besprechung am 07.10.1997 teilgenommen. Dass dies - im Rahmen der Betriebsprüfung - ein einmaliger Vorgang war (s. Einspruchsentscheidung S. 11), ist ggf. unerheblich, zumal der Schwager auch in anderen, insbesondere vollstreckungsrechtlichen Angelegenheiten des Klägers aufgetreten ist.

    c) Der Beklagte kann sich für die Rechtfertigung der öffentlichen Zustellung im Ergebnis auch nicht auf § 15 Abs. 1 Buchstabe c) VwZG berufen. Hiernach kann öffentlich zugestellt werden, wenn die Zustellung außerhalb des Geltungsbereiches des Grundgesetzes erfolgen müsste, aber unausführbar ist oder keinen Erfolg verspricht. Hierfür bestehen - zumal angesichts des Erfolgs der Übermittlung des Vollstreckungshilfeersuchens - keine Anhaltspunkte. Der Beklagte hat sich hierauf auch nicht berufen. Selbst der Umstand, dass Zustellungen ggf. mangels Mitwirkung der zuständigen ausländischen Behörden über die konsularischen oder diplomatischen Vertretungen erfolgen müssen und ggf. zwei Jahre in Anspruch nehmen können, reicht nicht aus, um einen Bescheid nach § 15 Abs. 1 Buchst. c VwZG wirksam öffentlich zuzustellen (BFH Urteil vom 06.06.2000 VII R 55/99, BStBl II 2000, 560; vgl. a. ausführlich BFH Urteil vom 09.12.2009 a. a. O. Tz. 37 ff., 41: zeitnah gescheiterter Zustellversuch erforderlich).

    Ist die Aushangzeit nicht gewahrt bzw. sind die weiteren formalen Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung nicht erfüllt sind oder fehlen die sachlichen Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung, weil die Feststellung unbekannten Aufenthalts des Klägers nicht zu recht erfolgt ist, so ist die öffentliche Zustellung unwirksam (BFH Beschluss vom 13.03.2003 VII B 196/02, BStBl II 03, 609 Tz. 19 juris; BFH Urteil vom 06.06.2000 VII R 55/99, BStBl II 2000, 560; BFH Urteil vom 26.06.1986 IV R 202/84, NV 1987, 98; s. a. BGH Urteil vom 19.12.2001 VIII ZR 282/00, BGHZ 149, 311 Tz. 33; BGH Urteil vom 19.05.1981 IX ZR 15/80, BGHZ 80, 320; vgl. BVerfG 1 BvR 198/87, NJW 1988, 2361).

    Es liegt nach Ansicht des Senats auch keine Situation vor, die einer Berufung des Klägers auf die Unwirksamkeit ausnahmsweise entgegensteht (vgl. hierzu OLG Hamm Beschluss vom 28.07.1997 29 U 104/97, NJW RR 1998, 497: Berufung auf Unwirksamkeit nach Jahren nicht mehr möglich, es sei denn die öffentliche Zustellung verstößt gegen Art 103 GG, weil die Behörde erkennen konnte, dass die Voraussetzungen nicht vorlagen).

    Zwar ist der formale bzw. sachliche Mangel der öffentlichen Zustellung im Streitfall geheilt worden (a), dies hindert indes den Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht (b).

    a) Eine Heilung auch einer verfahrensfehlerhaften öffentlichen Zustellung ist gem. § 9 VwZG bzw. nach Maßgabe des seit 01.01.2006 geltenden § 8 VwZG grundsätzlich möglich. Nach diesen Vorschriften gilt das Schriftstück als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat (§ 9) bzw. es ihm tatsächlich zugegangen ist (§ 8). Auch wenn der Zugang des zuzustellenden Schriftstücks gerade nicht Ziel der öffentlichen Zustellung ist, ist eine Heilung einer fehlerhaften öffentlichen Zustellung dennoch auch durch Übersendung des Bescheides an die Bevollmächtigten möglich (BVerwG Urteil vom 18.04.1997 a. a. O. Tz 26 ff. juris; BFH Urteil vom 05.03.1985 VII R 156/82, BStBl II 1985, 597; BFH Beschluss vom 14.03.2000 V B 187/99, NV 2000, 1252; BFH Urteil 06.06.2000 VII R 55/99, BStBl II 2000, 560 Tz. 21 juris; FG Düsseldorf Urteil vom 17.02.2006 1 K 2677/05 E,U, EFG 2006, 865 Tz. 18; Schwarz in: HHS § 10 VwZG, 37; Linßen in: Beermann § 10 VwZG, 33 Lfg. Nov. 2006; a. A: Engelhardt/App VwZG 6. Aufl. § 15 Rn. 14, 8. Aufl. § 10, 19: grds. nicht heilbar, da der Zugang des Schriftstücks gerade nicht Ziel der öffentlichen Zustellung sei; meint aber i. Erg. doch, dass Heilung ausn. möglich, wenn der Aushang, die Bekanntmachung oder das Dokument tatsächliche zur Kenntnis genommen oder einem Empfangsber. der Bescheid als Aktenbestandteil zur Kenntnis gebracht wird; s. a. Kruse in: Tipke/Kruse VwZG § 10 Lfg. Okt. 2006 Tz. 10: Heilung nur theoretisch denkbar, weil Adressat das Dokument i. d. R. nicht zur Kenntnis nimmt). Gleichermaßen genügt die von dem Bekanntgabewillen der Behörde getragene Übersendung einer Bescheidkopie (BFH Urteil vom 06.06.2000, a. a. O.), wobei der erforderliche Bekanntgabewille hinreichend in dem missglückten Zustellungsversuch zum Ausdruck kommt, ohne dass auch die erst nachträgliche Kenntniserlangung durch den Adressaten von dem Willen der Behörde erfasst sein muss (BVerwG a. a. O. Tz. 29; BFH Urteil vom 28.08.1990 VII R 59/89, NV 1991, 215 Tz. 29, 35, 39; BFH Urteil vom 06.06.2000 a. a. O. Tz 27). Dabei ist eine Heilung nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 06.06.2000 a. a. O. Tz. 22) auch möglich, wenn die öffentliche Zustellung wegen einer Verletzung der Ermittlungspflicht der Behörde über den Aufenthalt des Empfängers unwirksam ist. Ausweislich der von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers dem Beklagten eingereichten Vollmacht vom 15.06.2007 war der Prozessbevollmächtigte zum Empfang von Verwaltungsakten, also auch von Steuerbescheiden, berechtigt. Mithin sind die Übersendung der Bescheidkopien am 06.07.2007 und deren - mangels entgegenstehenden Vortrags anzunehmender - Zugang wenige Tage später zur Heilung ausreichend.

    b) Zum Zeitpunkt der eingetretenen Heilung war allerdings die Festsetzungsfrist schon abgelaufen.

    (1) Die Festsetzungsfrist für die in Rede stehenden Bescheide endete mit Ablauf des Jahres 2005. Sie begann gem. § 170 Abs. 2 AO frühestens mit Abgabe der ersten Steuererklärung für die Streitjahre, hier für die Gewerbesteuer 1990 im Jahre 1992 (Gewerbesteuerakte - GewStA - Bl. 1), und spätestens mit Abgabe der letzten Erklärung für die Streitjahre, nämlich der Abgabe der Gewerbesteuer- und Umsatzsteuererklärungen für 1992 im Jahre 1994 (Umsatzsteuerakte Bl. 75, 111, GewStA Bl. 58). Die reguläre 4-jährige Festsetzungsfrist gem. § 169 Abs. 4 Nr. 2 AO endete damit frühestens Ende 1996 und spätestens Ende 1998. Anhaltspunkte dafür, dass etwa wegen Steuerhinterziehung eine 10-jährige Festsetzungsfrist greifen könnte, liegen nicht vor. Die Festsetzungsfrist war gem. § 171 Abs. 4 AO infolge des Beginns der Betriebsprüfung am 16.12.1996 gehemmt. Sie endete gem. § 171 Abs. 4 S. 3 AO spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem die - erneut zu laufen beginnende - Festsetzungsfrist gem. § 169 Abs. 2 AO seit Ablauf des Jahres der Schlussbesprechung (die nach den unter der Überschrift „Schlussbesprechung” enthaltenen Ausführungen in dem Bericht tatsächlich nicht stattgefunden hat) oder der letzten Ermittlungshandlungen (ausweislich des Betriebsprüfungsbericht spätestens am 21.08.2001) verstrichen ist. Danach ist Festsetzungsverjährung grundsätzlich spätestens mit Ablauf des Jahres 2005 eingetreten.

    (2) § 169 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AO hindert - entgegen der Ansicht des Beklagten - den Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht. Nach dieser Vorschrift ist die Festsetzungsfrist gewahrt, wenn - so die bis Ende 2005 geltende Fassung - vor ihrem Ablauf im Falle einer öffentlichen Zustellung der Steuerbescheid oder eine Benachrichtigung gem. § 15 Abs. 2 VwZG a. F. ausgehängt wird bzw. - nach der ab 01.02.2006 geltenden Fassung des § 169 AO - die Benachrichtigung gem. § 10 Abs. 2 S. 1 VwZG n. F. bekannt gemacht oder veröffentlicht wird. In der Sache ist mit der - an die Änderung des VwZG anknüpfenden - Änderung des Wortlauts keine Änderung erfolgt; insbesondere ist mit Bekanntmachung der Benachrichtigung nicht die abgeschlossene Bekanntgabe des Bescheides gemeint (denn dann bedürfte es der Unterbrechung nicht); ausweislich der Formulierung des § 10 Abs. 2 S. 6 VwZG n. F. - wonach die Zustellung als erfolgt gilt, wenn seit dem Tag der Bekanntmachung zwei Wochen vergangen sind - gilt als Bekanntmachung schon der Tag, also der Beginn des Aushängens, nicht erst der Ablauf der Aushangfrist.

    Für die entsprechende, eine reguläre Postaufgabe oder Zustellung betreffende Vorschrift in § 169 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 AO hat der Große Senat des BFH entschieden (Beschluss vom 25.11.2002 GrS 2/01, BStBl II 2003, 548; vgl. BFH Urteil vom 28.01.2004 II R 21/01, NV 2004, 761; BFH Urteil vom 01.07.2003 VIII R 92/02, n. v. juris), dass der rechtzeitig abgesandte Bescheid dem Steuerpflichtigen auch tatsächlich zugehen muss - wenn auch erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist. Der BFH folgert dies aus dem Begriff des Steuerbescheids gem. § 155 Abs. 1 S. 2 AO, der eine Bekanntgabe voraussetze; diese werde auch durch § 169 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AO nicht ersetzt. Darüber hinaus ist es nach dieser Rechtsprechung nicht ausreichend, wenn irgendwann später ein Schriftstück gleichen Inhalts wie der abgesandte Bescheid den Steuerpflichtigen erreicht. Es genüge nicht, wenn nach Ablauf der Festsetzungsfrist ein fehlgeschlagener Bekanntgabeversuch erneuert wird und der Bescheid darauf hin erfolgreich bekannt gegeben wird. Denn dieser Bescheid habe den Bereich der Behörde erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist verlassen (BFH GrS a. a. O. Tz. 34 juris). Damit knüpft der BFH an die Bekanntgabe des nämlichen, noch vor Ablauf der Festsetzungsfrist abgesandten Bescheides, an den identischen Bekanntgabevorgang (vgl. Frotscher AO § 169 Lfg. 11/2007 Rn. 35; Pahlke AO 2. Aufl. § 169, Rn. 38) an. Der GrS (Tz. 37 f.) begründet dies zu Recht damit, dass die Vorschrift ersichtlich Fälle erfassen wolle, in denen der Ablauf der Festsetzungsfrist droht, und die Einhaltung der Festsetzungsfrist allein von Zufälligkeiten des Bekanntgabevorgangs (vgl. BTDrucks VI 1982 S. 150), von Verzögerungen, die sich auf den Zeitpunkt des Zugangs beziehen, unabhängig machen, nicht aber auf eine wirksame Bekanntgabe des zur Post gegebenen Bescheides verzichten wolle.

    Nach Ansicht des Senats ist diese Rechtsprechung auch auf die öffentliche Zustellung gem. § 122 Abs. 5 AO i. V. m. dem VwZG als eine Form der Bekanntgabe zu übertragen. Es ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass § 169 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AO auf den wirksamen Abschluss des Bekanntgabevorgangs, der mit dem Aushängen der Benachrichtigung erst seinen Anfang nimmt, verzichten wollte.

    Der weitere von dem GrS des BFH angeführte Aspekt der Nämlichkeit des Bescheides und der Identität des Bekanntgabevorgangs im Zusammenhang mit dem späteren Zugang hat für die öffentliche Zustellung zwar grundsätzlich keinen Anwendungsbereich, da ein Zugang in diesem Sinne bei der öffentlichen Zustellung nicht statt findet. Er greift aber entsprechend, sobald die Bekanntgabe des zuzustellenden Bescheides aufgrund einer Heilung eines Zustellungsfehlers durch Übersendung der Bescheide bzw. einer Bescheidkopie in Betracht kommt.

    Jedenfalls dann, wenn wie im Streitfall nicht der Bescheid selbst, sondern nur die Bescheinigung im Sinne des § 15 Abs. 2 VwZG ausgehängt wird, und erst recht, wenn wie im Streitfall eine Kopie des Bescheides übersandt wird, geht ein mit dem ausgehängten nicht identisches Schriftstück zu und vollzieht sich ein Vorgang, der nicht mehr der nämliche ist, der mit dem Aushang seinen Anfang nahm.

    Allerdings liegt eine Neubekanntgabe des Bescheids im Streitfall möglicherweise nicht vor. Denn für die (Neu-)Bekanntgabe ist anders als für die Heilung auch ein neuer/nachträglicher Bekanntgabewille erforderlich. Dieser fehlt im möglicherweise im Streitfall. Ob ein neuer Bekanntgabewille im Falle der Übersendung einer Zweitschrift oder Bescheidkopie vorhanden ist, wird nicht einhellig beurteilt (pro: BFH Urteil vom 23.02.1994 X R 27/92, NV 1994, 768 Tz. 16 selbst für den Fall, dass der Beamte meint, eine Bekanntgabe sei schon erfolgt; BFH Urteil vom 09.08.1991 III R 169/90, NV 1992, 433 Tz. 17 ohne jede Prüfung des Bekanntgabewillens; offen gelassen in BFH Urteil vom 28.08.1990 a. a. O. Tz. 36, da es dort nur um den Fall einer Heilung ging, die keinen nachträglichen Bekanntgabewillen erfordert; Güroff/Beermann § 122 AO, 6: VA bei Übersendung einer Zweitschrift z. K., wenn der ursprüngliche VA nicht nachweisbar zugegangen ist, mit Hinweis auf BStBl II 1975, 894; gem. BFH Beschluss vom 24.11.1999 V B 137/99, NV 2000, 550: Einzelfallbeurteilung; einschränkende Auslegung des neuen Bekanntgabewillens FG Hamburg 1 K 258/06, EFG 2007, 1665). Im Streitfall spricht gegen einen neu gebildeten Bekanntgabewillen, dass der Beklagte die Bescheidkopien im Zweifel nicht mit der Intention einer neuen Rechtsbehelfsfrist übersandt hat; denn er hat den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung und den Wiedereinsetzungsantrag gleichzeitig abgelehnt.

    Ob der Große Senat des BFH in der vorerwähnten Entscheidung vom 25.11.2002 primär die tatsächliche Nämlichkeit des letztlich zugegangenen Schriftstücks verlangt oder allein die Nämlichkeit des Bekanntgabevorgangs mit der Folge, dass allein ein neuer Bekanntgabewille, nicht aber schon die Auswechselung des jeweiligen Schriftstücks die Einhaltung der Festsetzungsfrist hinderte, ist der Entscheidung nicht eindeutig zu entnehmen. Der mitgeteilte Sachverhalt (Tz. 8) dürfte auf einen in dem dortigen Fall vorliegenden neuen Bekanntgabewillen schließen lassen. In dem der Entscheidung des BFH vom 28.01.2004 (II R 21/01, a. a. O.) zu § 169 Abs. 1 Nr. 1 AO zugrunde liegenden Sachverhalt einer Bekanntgabe gem. § 122 Abs. 1 AO lagen die Voraussetzungen einer Heilung eines zunächst fehlerhaften - unter Verletzung von allerdings nicht zwingenden Zustellungsvorschriften leidenden - Bekanntgabevorganges durch tatsächlichen Bescheidzugang vor; allerdings war hier letztlich der nämliche Bescheid, zudem ohne erneuerten Bekanntgabewillen, tatsächlich zugegangen.

    Nach Ansicht des Senats kommt es im Streitfall auf Einzelheiten zu dem Aspekt der Nämlichkeit und auf die Qualifikation der Übermittlung der Bescheidkopien als Verwaltungsakt und damit als Neubekanntgabe für die Frage der Hemmung der Festsetzungsverjährung im Ergebnis nicht an. Vor dem Hintergrund des von dem Großen Senat zutreffend dargelegten Zwecks des § 169 Abs. 1 Nr. 1 AO ist auch für den Bereich des § 169 Abs. 1 Nr. 2 AO davon auszugehen, dass die Vorschrift maßgeblich den Einfluss rein zeitlicher Zugangsverzögerungen für die Fristwahrung ausschalten will. Auf dieser Grundlage legt der Senat § 169 Abs. 1 Nr. 2 AO dahingehend aus, dass die - mit Rücksicht auf Art. 103 GG geschaffene - Regelung der Dauer des Aushangs ohne Folge für die Einhaltung der Festsetzungsfrist sein sollte mit der Maßgabe, dass es für die Einhaltung der Festsetzungsfrist genügt, wenn das Aushängen vor Ablauf der Frist erfolgt - sofern der Aushang nach Ablauf der Festsetzungsfrist für die gesetzlich vorgesehene Dauer fortdauert und die übrigen, sich nach dem VwZG anschließenden Wirksamkeitsvoraussetzungen betreffend den Vermerk über die Abnahme erfüllt sind. Denn ebenso wenig wie mittels der Regelung in § 169 Abs. 1 S. 3 AO auf den Abschluss der Bekanntgabe verzichtet werden sollte, soll hierdurch auf die Wirksamkeitsvoraussetzungen der öffentlichen Zustellung im Übrigen verzichtet werden. Ebenso wenig sollen solche Verzögerungen für die Wahrung der Festsetzungsfrist unschädlich sein, die durch Verletzung von Wirksamkeitsvoraussetzungen der Bekanntgabe und deren notwendige Heilung verursacht werden. Diese Wirksamkeitsvoraussetzungen sind im Streitfall wenigstens hinsichtlich des Vermerks der Abnahme und der sachlichen Voraussetzung des unbekannten Aufenthalts nicht erfüllt, so dass § 169 Abs. 1 Nr. 2 AO den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht zu hemmen vermag.

    Die Heilung der fehlerhaften öffentlichen Zustellung durch die Übersendung der Bescheidkopien - sei es mit oder ohne neuen Bekanntgabewillen - hat damit zwar für den Lauf der Rechtsmittelfrist, nicht aber für die Hemmung der Festsetzungsfrist Bedeutung.

    Auf die Frage, ob für den Fall, dass die Festsetzungsfrist gem. § 169 Abs. 1 S. 3 AO im Grundsatz gewahrt ist, zugunsten des Klägers eine Berufung auf diese Vorschrift wegen der Länge des Zeitablaufs zwischen Aushang und Abschluss der Bekanntgabe aus Gründen des Vertrauensschutzes versagt ist (vgl. Kruse a. a. O. § 169 Tz. 30; gegen Vertrauensschutz Frotscher § 169 Rn. 33) kommt es damit nicht mehr an.

    II.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 155, 151 Abs. 3 FGO, 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO). Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO insbesondere im Hinblick auf die Frage der Festsetzungsverjährung gem. § 169 Abs. 1 Nr. 2 AO zugelassen.

    Anmerkung

    Revision eingelegt (BFH III R 46/10)

    VorschriftenAO § 122, AO § 169, VwZG § 15 a. F.