14.10.2009
Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 29.04.2009 – 2 K 2153/06
1. Die Anrechnung von einbehaltener Zinsabschlagsteuer und Kapitalertragsteuer ist im Wege eines Abrechnungsbescheides nach § 218 Abs. 2 AO zu klären und nicht im Streit über die festzusetzende Körperschaftsteuer. Den Erlass eines Abrechnungsbescheides hat der Kläger jedoch nicht zuvor bei dem Beklagten beantragt und dort ein Rechtsbehelfsverfahren durchgeführt.
2. Bei Steuerpflichtigen, die nach dem DMBilG eine Eröffnungsbilanz für den 1.7.1990 aufzustellen haben, beträgt die Festsetzungsfrist abweichend von § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO für Steuern vom Einkommen, die nach dem 30.6.1990 und vor dem 1.1.1993 entstehen, sechs Jahre.
3. § 50 Abs. 3 Satz 3 DMBilG, nach dem die Festsetzungsfrist in den Fällen des § 36 Abs. 4 Satz 2 DMBilG mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Berichtigung der steuerlichen Eröffnungsbilanz und etwaiger Folgebilanzen erfolgt, ist nur für den Fall der Änderung von bereits erlassenen Steuerbescheiden anzuwenden, aber nicht im Falle der erstmaligen Festsetzung.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 2. Senat unter Mitwirkung von Vizepräsidentin des Finanzgerichtes …, Richterin am Finanzgericht … und Richter am Finanzgericht … sowie den ehrenamtlichen Richtern … und … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 29. April 2009 für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob für 1990 bis 1997 Steuerbescheide zu erlassen sind.
Am 10. August 1990 wurde die Umwandlung der VEB gemäß § 15 TreuhG vom 17. Juni 1990 in die GmbH im Aufbau (im Folgenden: GmbH) in das Handelsregister eingetragen. Gegenstand des Unternehmens war die Herstellung und der Vertrieb von beschichteten und veredelten Flächengebilden, Vliesstoffen, spezieller Chemieprodukte, weiterer Erzeugnisse auf Basis vorhandener Technologien sowie Vergabe von Know how. Mit Beschluss vom 28. März 1991 eröffnete das Amtsgericht auf Antrag vom 22. Februar 1991 das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der GmbH (Az.: VK /91) und bestellte den Kläger zum Gesamtvollstreckungsverwalter.
Am 23. August 1990, geprüft durch eine Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft am 14. September 1990, erstellte die GmbH für ihre Betriebsstätte in T eine DM-Eröffnungsbilanz. Eine Betriebsstätte in E sollte ursprünglich ausgegliedert und in eine eigenständige GmbH umgewandelt werden. Für die Betriebsstätte in E wurde eine eigenständige DM-Eröffnungsbilanz erstellt. Nachträglich wurde das Werk in E in das Gesamtvollstreckungsverfahren einbezogen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass dieses nicht ordnungsgemäß abgespalten worden war.
Am 22. August 2005 reichte der Kläger erstmals folgende Steuererklärungen ein:
| Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer 1990 | |
| (1. Juli 1990 bis 31. Dezember 1990): | Gewinn aus Gewerbebetrieb: – DM 6.001.459 |
| Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer 1991 | |
| (1. Januar 1991 bis 28. März 1991): | Gewinn aus Gewerbebetrieb: – DM 35.625.780 |
| Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer 1993 | |
| (28. März 1991 bis 31. Dezember 1993): | Gewinn aus Gewerbebetrieb: – DM 4.363.185 |
| Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer 1994: | Gewinn aus Gewerbebetrieb: DM 716.219 |
| Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer 1995: | Gewinn aus Gewerbebetrieb: DM 218.807 |
| Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer 1996: | Gewinn aus Gewerbebetrieb: DM 335.867 |
| Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer 1997: | Gewinn aus Gewerbebetrieb: – DM 808.794 |
Er erstellte zudem die Jahresabschlüsse ab 1990 bis 1997. Mit dem Jahresabschluss zum 31. Dezember 1993 reichte er zugleich einen geänderten Jahresabschluss zum 31. Dezember 1993 sowie eine geänderte DM-Eröffnungsbilanz und geänderte Jahresabschlüsse zum 31. Dezember 1990 bis 31. Dezember 1992 ein. Die Änderungen in der DM-Eröffnungsbilanz ergaben sich aus der Einbeziehung der Betriebsstätte in E und der Berücksichtigung von Restitutionsansprüchen. Des Weiteren flossen in die geänderte Bewertung der Vermögensgegenstände Umweltbeeinträchtigungen und die dazu erforderlichen Maßnahmen ein. Außerdem berücksichtigte er die geänderten Bewertungen, die ein von ihm beauftragter Sachverständiger ermittelt hatte.
Mit Bescheid vom 9. Februar 2006 lehnte der Beklagte den Erlass der Körperschaftsteuerbescheide, Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 47 KStG, Bescheide über den verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer, Gewerbesteuermessbetragsbescheide und Bescheide über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes von 1990 bis 1997 wegen Ablauf der Festsetzungsfrist ab. Dagegen legte der Kläger am 21. Februar 2006 Einspruch ein, den der Beklagte am 30. Oktober 2006 zurückwies.
Der Kläger bringt vor, die Festsetzungsfrist sei nicht abgelaufen. Die DM-Eröffnungsbilanz hätte nach § 36 DMBilG berichtigt werden müssen, da die Wertansätze unzutreffend gewesen seien. Für die steuerliche Beurteilung sei es unerheblich, dass die Treuhandanstalt die vorherige DM-Eröffnungsbilanz nicht bestätigt hätte. Die Festsetzungsfrist beginne gemäß § 50 Abs. 3 Satz 3 DMBilG ab der Änderung der DM-Eröffnungsbilanz, vorliegend am 31. Dezember 2005.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Februar 2006 und der Einspruchsentscheidung vom 30. Oktober 2006
die Körperschaftsteuer 1990 bis 1997 auf jeweils DM 0 festzusetzen,
die in den Jahren 1993 bis 1997 einbehaltene Zinsabschlag- und Kapitalertragsteuer mit entsprechendem Solidaritätszuschlag anzurechnen,
die Gewerbesteuermessbeträge 1990 bis 1997 auf jeweils DM 0 und
den vortragsfähigen Gewerbeverlust zum 31. Dezember 1990 auf DM 5.848.280
den vortragsfähigen Gewerbeverlust zum 31. Dezember 1991 auf DM 41.370.745
den vortragsfähigen Gewerbeverlust zum 31. Dezember 1993 auf DM 45.733.930
den vortragsfähigen Gewerbeverlust zum 31. Dezember 1994 auf DM 45.017.711
den vortragsfähigen Gewerbeverlust zum 31. Dezember 1995 auf DM 44.798.904
den vortragsfähigen Gewerbeverlust zum 31. Dezember 1996 auf DM 44.463.037
den vortragsfähigen Gewerbeverlust zum 31. Dezember 1997 auf DM 45.271.831
festzusetzen und
den verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 1990 auf DM 6.001.459
den verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 1991 auf DM 41.627.239
den verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 1993 auf DM 45.990.424
den verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 1994 auf DM 45.274.205
den verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 1995 auf DM 45.055.398
den verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 1996 auf DM 44.719.531
den verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 1997 auf DM 45.528.325 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält an der Ansicht fest, die Festsetzungsfrist sei abgelaufen.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorbereitenden Schriftsätze, die zu Gericht gereichten Behördenakten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29. April 2009 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.
I.
Soweit der Kläger beantragt, die einbehaltene Zinsabschlagsteuer und Kapitalertragsteuer mit dem entsprechenden Solidaritätszuschlag anzurechnen, ist die Klage unzulässig. Diese Anrechnung ist im Wege eines Abrechnungsbescheides nach § 218 Abs. 2 AO zu klären (Urteile des Bundesfinanzhofes vom 26. November 1997, BFH/NV 1998, 581 und vom 28. April 1993, BStBl. II 1993, 836) und nicht im Streit über die festzusetzende Körperschaftsteuer. Den Erlass eines Abrechnungsbescheides hat der Kläger jedoch nicht zuvor bei dem Beklagten beantragt und dort ein Rechtsbehelfsverfahren durchgeführt.
II.
Die Körperschaftsteuerbescheide und Gewerbesteuermessbetragsbescheide nebst Verlustfeststellungsbescheiden sind nicht zu erlassen, da die Festsetzungsfrist abgelaufen ist.
Eine Steuerfestsetzung ist nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 S. 1 AO). Gemäß Art. 97a § 2 Nr. 5 EGAO gelten die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung für die Festsetzung sowie die Aufhebung und Änderung der Festsetzung von Steuern, die nach dem Wirksamwerden des Beitritts entstehen. Da vorliegend die Steuerfestsetzung ab 1990 in Streit steht, sind die Vorschriften der AO über die Festsetzungsverjährung anzuwenden. Die Festsetzungsfrist beträgt nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO vier Jahre. Bei Steuerpflichtigen, die nach dem DMBilG eine Eröffnungsbilanz für den 1. Juli 1990 aufzustellen haben, beträgt die Festsetzungsfrist abweichend von § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO für Steuern vom Einkommen, die nach dem 30. Juni 1990 und vor dem 1. Januar 1993 entstehen, sechs Jahre. Die Klägerin war gemäß § 1 Abs. 1, 2 Nr. 1 DMBilG verpflichtet, eine DM-Eröffnungsbilanz zu erstellen, so dass in Verbindung mit der Regelung des § 8 KStG die Festsetzungsfrist für die Körperschaftsteuerbescheide 1990 bis 1992 sechs Jahre beträgt. Die Feststellungsfrist für die Verlustfeststellungsbescheide zur Körperschaftsteuer beträgt ebenfalls sechs bzw. vier Jahre. § 10d Abs. 3 EStG in der in den Streitjahren jeweils gültigen Fassung i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG. § 50 Abs. 1 DMBilG ist nicht anzuwenden, da vorliegend kein Steuerbescheid zu ändern ist oder eine Änderung des Steuerbescheides mangels steuerlicher Auswirkungen unterbleibt, sondern die erstmalige Festsetzung der Körperschaftsteuer und der Verlustfeststellung nach der erstmaligen Einreichung von Steuererklärungen streitig ist.
Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO, wenn eine Steuererklärung einzureichen ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Die Festsetzungsfrist beginnt demnach für die Körperschaft- und Gewerbesteuer nebst Verlustfeststellungsbescheiden 1990 am 31. Dezember 1993 und für die nachfolgenden Steuerjahre jeweils ein Jahr später.
Aus den Vorschriften des DMBilG ergibt sich für die erstmalige Steuerfestsetzung nichts anderes. Nach § 50 Abs. 3 S. 3 DMBilG beginnt die Festsetzungsfrist in den Fällen des § 36 Abs. 4 Satz 2 DMBilG mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Berichtigung der steuerlichen Eröffnungsbilanz und etwaiger Folgebilanzen erfolgt. § 50 Abs. 3 S. 3 DMBilG ist jedoch nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit dem vorherigen Satz zu lesen, wonach, wenn bereits Steuerbescheide erlassen worden sind, diese zu ändern sind, soweit die Berichtigung von Bilanz- und Wertansätzen zu einem geänderten Gewinn oder Verlust führt. § 50 Abs. 3 Satz 3 DMBilG ist demnach nur für den Fall der Änderung von bereits erlassenen Steuerbescheiden anzuwenden, aber nicht im Falle der erstmaligen Festsetzung. Würde § 50 Abs. 3 Satz 3 EStG anders ausgelegt werden, wäre eine erstmalige Steuerfestsetzung ohne jegliche Befristung, also unendlich möglich. Dies ist jedoch nicht mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift vereinbar und widerspricht zudem Art. 97a § 3 EGAO.
Die Festsetzungsfrist für die Körperschaftsteuer 1990 bis 1992 nebst Verlustfeststellungsbescheiden lief daher am 31. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2001, die für die Gewerbesteuermessbescheide 1990 bis 1992 nebst Verlustfeststellungsbescheiden am 31. Dezember 1997 bis 31. Dezember 1999 und die für die Körperschaftsteuerbescheide, Gewerbesteuermessbescheide 1993 bis 1997 nebst Verlustfeststellungsbescheiden am 31. Dezember 2000 bis 31. Dezember 2004 ab. Die am 22. August 2005 eingereichten Steuererklärungen gingen demnach nach Ablauf der Festsetzungsfrist ein.
Darauf, ob die Voraussetzungen des § 36 DMBilG vorliegen, kam es daher nicht an.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.