29.09.2009
Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 25.06.2009 – 4 K 329/07
Zur Frage der allgemeinen Verwendungsmöglichkeit eines Kunststofftransplantates
Tatbestand
Streitig ist die Tarifierung eines nagelartigen Kunststoffgegenstandes.
Am 02.01.2007 stellte die Klägerin einen Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft (VZTA) für ein ca. 50 mm langes, kanüliertes, resorbierbares Implantat aus Kunststoff, das als „A-Implantat” bezeichnet wurde. Das Implantat hat ein Durchmesser von ca. 5 mm und wird nach Angaben der Klägerin ausschließlich und dauerhaft im menschlichen Körper implantiert, wobei es zur Behebung von Funktionsschäden im Knie dient. Einsatzzweck ist die Umlenkung des Sehnenstransplantats nach einem Kreuzbandriss. Die Ware ist einzeln, steril verpackt und wird in einem handelsüblichen Karton verschickt.
Bereits mit Antrag vom 19.01.2006 hatte die Klägerin bei der zolltechnischen Prüf- und Lehranstalt (zPLA) München die Erteilung einer VZTA für eine als „A-Implantat” bezeichnete Ware beantragt. Die zPLA München hatte den Antrag an die zPLA Berlin abgegeben, da es sich nach ihrer Auffassung bei der Ware um eine orthopädische Vorrichtung zum Implantieren in den Körper gehandelt habe, die zum Beheben von Funktionsschäden oder Gebrechen vorgesehen sei. Von der zPLA Berlin wurde der Antrag an die zPLA der OFD Hamburg abgegeben, da die Ware sich nach Auffassung der zPLA Berlin aufgrund ihres Aufbaus und ihrer Funktion als ein „Teil mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit” darstellte (Anm. 1 f zu Kap. 90), und zwar als ein Nagel aus Kunststoff, der im Rahmen arthroskopischer Eingriffe zur Fixierung des Transplantats verwendet wird. Die zPLA der OFD Hamburg hat daraufhin die VZTA DE HH/.../06-1 über die KN-Unterposition 3926 9098 erteilt. Diese VZTA wurde wegen Änderung der KN-Unterposition zum 01.01.2007 ungültig, so dass die Klägerin Anlass hatte, den in diesem Verfahren streitigen neuen Antrag zu stellen.
Bei der Ware handelt es sich um einen ca. 5 cm langen, runden Gegenstand aus Kunststoff, der einen Durchmesser von ca. 5 mm aufweist. Die Form verjüngt sich zur Spitze, was dem Gegenstand ein nagelartiges Aussehen verleiht. Das andere Ende wird durch einen schraubenähnlichen Kopf mit einem Durchmesser von ca. 7 mm gebildet. In der Mitte befindet sich eine leichte Verdickung. Die Verwendung als Implantat soll der Fixierung des aus eigenem Körpergewebe rekonstruierten Kreuzbandes im Kniegelenk dienen. Zu diesem Zweck wird das Implantat in das Kniegelenk mittels eines Treibers (driver) in einen Bohrkanal eingeschlagen.
Die zPLA der Oberfinanzdirektion Hamburg erteilte unter Berufung auf das Ergebnis der Warenuntersuchung zur vorgenannten VZTA mit Bescheid vom 12.01.2007 die VZTA-Nr. DE HH/.../07-1 und nahm die Einreihung in die Zollnomenklatur 3926909790 vor.
Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Einspruch. Sie berief sich darauf, dass die sich verjüngende Form des „A-Implantats” einer allgemeinen Verwendungsmöglichkeit als Nagel entgegenstehe. Die Ware könne vielmehr nur als Implantat verwendet werden. Sie diene ausschließlich zur Behebung von Funktionsschäden im menschlichen Knie. Nachdem die OFD Hamburg eine dienstliche Weisung des Bundesministeriums der Finanzen eingeholt hatte, blieb der Rechtsbehelf erfolglos.
Mit der fristgerecht erhobenen Klage begehrt die Klägerin weiterhin die Einreihung der Ware in die Position 9021 der kombinierten Nomenklatur. Nach ihrer Auffassung ist die Ausweisungsvorschrift der Anmerkung 1 f zu Kap. 90 nicht einschlägig, denn das streitgegenständliche Implantat sei aufgrund seiner objektiven Merkmale und Eigenschaften nicht als Teil mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit als Ware oder ähnliche Ware der Position 7317 der kombinierten Nomenklatur einzuordnen. Eine Einreihung als Nagel bzw. nagelähnliche Ware bestimme sich allein nach den objektiven Merkmalen und Eigenschaften zur allgemeinen Verwendung und nicht nach dem äußeren Erscheinungsbild. Dies bedeute insbesondere, dass die allgemeine Verwendung als Nagel aufgrund der objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware möglich sein müsse. Die äußere Form der Ware, worauf die Beklagte abstelle, ermögliche nicht die allgemeine Verwendung als Nagel. Die allgemeine Verwendung als Nagel umfasse die Möglichkeit, einen spitzen und schmalen Gegenstand in dichte Materialien von außen einschlagen zu können. Das Implantat weise jedoch nicht die hierfür erforderliche Steifheit und Härte auf, die eine allgemeine Verwendung als Nagel ermögliche. Das Material sei daher nicht geeignet, in dichtes Material wie Holz oder andere Kunststoffe eingeschlagen zu werden (Beweis: Sachverständigengutachten). Zudem sei die Spitze des Implantats stumpf auslaufend. Auch aufgrund dieser stumpfen Spitze sei das Implantat nicht - wie ein Nagel - geeignet, in dichtes Material eingeschlagen zu werden (Beweis: Sachverständigengutachten). Das eingesetzte Material (Polylactid) sei zudem selbstauflösend. Auch deshalb scheide eine allgemeine Verwendung aus.
Auch der im Verfahren geänderten Auffassung des Beklagten, wonach die Ware eher als Stift denn als Nagel anzusehen wäre, könne nicht gefolgt werden. Das Implantat weise keine objektiven Eigenschaften bzw. Merkmale auf, die eine allgemeine Verwendung als Stift ermöglichten. Das Implantat weise in der Mitte ein Durchmesser von 5 mm und am Kopfende ein Durchmesser von 7 mm auf. Die Verdickung am Kopfende schließe eine Verwendung als Stift aus.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung der verbindlichen Zolltarifauskunft vom 12.01.2007 (DE HH/.../07-1) und der Einspruchsentscheidung vom 05.09.2007 zu verpflichten, eine verbindliche Zolltarifauskunft zu erteilen, welche das streitgegenständliche „A-Implantat” in die Position 9021 der kombinierten Nomenklatur einreiht.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach seiner Auffassung ließen die objektiven Beschaffenheitsmerkmale der Ware eine Einreihung als Nagel bzw. Stift mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit zu. Auch wenn man berücksichtige, dass sich das Implantat nicht in ein Arbeitsstück hineintreiben lasse, könne es eher mit einem Stift verglichen werden. Stifte unterschieden sich von Nägeln im Wesentlichen dadurch, dass erstere in vorgefertigte Bohrlöcher oder Kanäle eingeschoben wurden und Nägel sich beim Einschlagen ihren Weg durch das Werkstück gerade in diesem Moment selbst bahnten. Entsprechend dem Vortrag der Klägerin werde der Stift in einen sich bereits im Knochen befindlichen Bohrkanal hineingeschoben und verbinde damit die Sehne unter Fixierung mit dem Knochen. Das Implantat werde damit wie ein Stift im klassischen Sinne verwendet. Aufgrund der objektiven Beschaffenheitsmerkmale erscheine es nicht unmöglich, dass die streitgegenständliche Ware als Stift auch für andere, allgemeine Verstiftungen verwendet werden könne. Sowohl Nägel als auch Stifte seien in der Position 7317 genannt, und damit im Sinne des Zolltarifs als Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit anzusehen. Eine Einreihung des Implantats in das Kap. 90 sei deshalb durch die Ausweisungsnorm 1 f (zu Kap. 90) nicht möglich.
Drei Hefter Verwaltungsvorgänge haben vorgelegen.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Eine Verpflichtung des Beklagten, das streitgegenständliche Implantat in die Position 9021 der kombinierten Nomenklatur einzureihen, besteht nicht.
Nach ständiger Rechtsprechung ist das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen und in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln des gemeinsamen Zolltarifs festgelegt sind (vgl. die allgemeinen Vorschriften 1 und 6 für die Auslegung der kombinierten Nomenklatur - KN -). Soweit in den Positionen und Anmerkungen nicht anderes bestimmt ist, richtet sich die Einreihung nach den allgemeinen Vorschriften 2 bis 5 für die Auslegung der kombinierten Nomenklatur. Daneben gibt es nach dem Übereinkommen zum harmonisierten System (HS) Erläuterungen und Einreihungsavise, die ebenso wie die Erläuterungen zur KN, die von der Europäischen Kommission ausgearbeitet wurden, ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen (vgl. EuGH, Urteil vom 20.06.19996, RS. C-121/95, Slg 1996 I-3047, RZ. 13; und vom 09.12.1997, RS C-143/06, Slg 1997 I-7039, RZ. 14; BFH, Urteil vom 18.12.2001, VII R 78/00, ZFZ 2002, 203).
Entgegen der Auffassung der Klägerin kann eine Einreihung des Implantats in die Position 9021 der kombinierten Nomenklatur nicht erfolgen. Wie auch die Klägerin nicht übersieht, gehören nach der Ausweisungsvorschrift Anm. 1 f zu Kap. 90 KN „Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit im Sinne der Anm. 2 zu Abschnitt XV”, aus unedlen Metallen (Abschnitt XV) und gleichartige Waren aus Kunststoffen (Kap. 39); in Anm. 2 zu Abschnitt XV heißt es: „In der Nomenklatur gelten als „Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit”: u. a. Waren der Position u. a. 7317”. Zum KN-Code 7317 gehören Stifte, Nägel, Reißnägel, Krampen und ähnliche Ware, aus Eisen oder Stahl. Gleichartige Waren aus Kunststoffen (Kap. 39) werden nach der Anm. 1 f zu Kap. 90 gleichgestellt. Position 7317 ist eine Spezialposition u. a. für Stifte, Nägel, Reißnägel, Krampen ... und ähnliche Waren. Mithin sind Stifte aus Eisen oder Stahl - wie auch die gleichgestellten aus Kunststoff - in Position 7317 KN einzureihen, auch wenn es sich um spezielle Stifte handelt, die besonders konstruiert und daher teuer sind und nur für einen ganz bestimmten Verwendungszweck eingesetzt werden. Insoweit folgt der Senat den Erwägungen, von denen der Bundesfinanzhof im Beschluss vom 07.05.2002 VII B 189/01, Juris, für den ähnlich gelagerten Fall von Spezialschrauben ausgegangen ist.
Im Streitfall weist die Ware zwar, was für einen Stift eher ungewöhnlich ist, eine längs laufende Durchbohrung aus und eine unterschiedliche Verdickung, die sich von 5 mm zum Kopfende auf 7 mm erweitert; diese Besonderheiten schließen aber nach Auffassung des Senats eine Verwendung als Kunststoffstift nicht aus. So kann eine leichte Verdickung des Stiftes auch dazu geeignet sein, die Festigkeit der Verbindung zwischen Stift und Bohrloch zu fördern. Dass die Ware nach den Angaben der Klägerin, die vom Senat nicht im Zweifel gezogen werden, ausschließlich für operative Zwecke im Gelenkbereich verwendet wird, vermag an ihrer allgemeinen Verwendungsmöglichkeit nicht zu ändern. Auch die von der Klägerin dargestellte medizinische Verwendung beinhaltet, dass das Implantat als Stift zur Festigung des Gewebematerials in das Gelenk implantiert wird. Die Verbreitung des Kopfes macht die Verwendung als Stift nicht ungeeignet, wenn man davon ausgeht, dass die Aufnahmebohrung entsprechend ausgeformt ist.
Es bedarf nicht der Einholung eines Sachverständigengutachtens, um die allgemeine Verwendungsmöglichkeit des Implantats festzustellen. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass sich die Verwendungseignung oder die Tauglichkeit bzw. Untauglichkeit der Ware nicht erst aus einem Sachverständigengutachten ergeben darf. Die ausschließliche oder hauptsächliche Verwendungseignung muss grundsätzlich im Augenblick der Zollabfertigung und auf der Grundlage durchschnittlicher Sachkunde anhand der objektiven Beschaffenheitsmerkmale der Ware erkennbar sein (vgl. BFH, Urteil vom 17.10.2006 VII 41/05, juris). Die objektiven Beschaffenheitsmerkmale ermöglichen die eindeutige Erkennung der streitigen Ware als Stift, ohne dass es hierzu besonderer Sachkunde bedarf.
Sowohl Nägel als auch Stifte sind in Position 7317 genannt und damit im Sinne des Zolltarifs Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit. Eine Einreihung des Implantats in das Kap. 90 ist deshalb durch die Ausweisungsnorm Anm. 1 f (zu Kap. 90) ausgeschlossen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.