29.09.2009
Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 08.06.2009 – 5 K 1541/07 (Kg)
1. Nach der BFH-Rechtsprechung „besitzt” ein Ausländer erst dann eine Aufenthaltserlaubnis i. S. v. § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG in der ab 1.1.2006 anzuwendenden Fassung, wenn er eine Aufenthaltsgenehmigung der gesetzlich vorgeschriebenen Art tatsächlich in Händen hält, ihm also das Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik durch entsprechenden Verwaltungsakt mit Wirkung für die Bezugszeit des Kindergeldes zugebilligt worden ist.
2. Das ist nicht der Fall, wenn eine Ausländerin zwar im Besitz einer befristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) und danach grundsätzlich mit Erlaubnis der Ausländerbehörde zur Aufnahme einer Beschäftigung berechtigt ist, die Erlaubnis zur Beschäftigungsaufnahme bislang aber weder beantragt noch erteilt worden ist.
2. Da der Gesetzgeber nach der Dauer des Aufenthalts und der Integration in den Arbeitsmarkt differenziert hat und im Übrigen davon ausgehen durfte, dass das Existenzminimum des Kindes eines nicht kindergeldberechtigten Ausländers durch Sozialhilfe oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in ausreichendem Maße gewährleistet ist, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 5. Senat durch die Richterin am Finanzgericht L. gemäß §§ 5 Abs. 3 Satz 1, 6 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung als Einzelrichterin auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 08. Juni 2009 für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin im Zeitraum Oktober 2006 bis März 2007 zum Bezug von Kindergeld berechtigt ist.
Die Klägerin stammt aus der Ukraine. Sie ist im Jahr 2004 im Wege des Kindernachzugs nach Deutschland eingereist und vor der Geburt ihres eigenen Kindes volljährig geworden (Aufenthaltstitel Blatt 5 der Kindergeldakte). Seit dem 08. September 2006 ist sie im Besitz einer befristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Eine selbständige Erwerbstätigkeit ist ihr nicht gestattet; eine Beschäftigung nur mit Erlaubnis der Ausländerbehörde (Blatt 26 der Kindergeldakte). Im November 2006 beantragte die Klägerin für ihren am 10. Oktober 2006 geborenen Sohn A. Kindergeld. Die Beklagte hat mit Verwaltungsakt vom 02. März 2007 und der Einspruchsentscheidung vom 09. Juli 2007 die Gewährung von Kindergeld mit der Begründung abgelehnt, der Aufenthaltstitel des Klägers rechtfertige keine Berücksichtigung bei der Kindergeldfestsetzung (Blatt 22 und 31 der Kindergeldakte).
Die Klägerin macht geltend, nach § 62 Abs. 2 EStG habe ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer Anspruch auf Kindergeld, wenn er eine Aufenthaltserlaubnis besitze, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtige. Sie sei im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gemäß … § 34 Abs. 3 AufenthG. Streitig sei, ob dieser Aufenthaltstitel zur Erwerbstätigkeit berechtige. Unter Verweis auf eine Bundestagsdrucksache (16/1368 S. 14) vertritt die Klägerin die Auffassung, der Gesetzgeber meine, daß einer Berechtigung zur Erwerbstätigkeit eine Zustimmung zur Ausübung zur Ausübung einer Beschäftigung gleichgestellt sei. Demgemäß berechtige sie ihr Aufenthaltstitel zur Erwerbstätigkeit, so daß eine Anspruch auf Kindergeld bestehe.
Die Klägerin verweist ferner darauf, daß sie die Tochter einer ausländischen Staatsangehörigen sei, die mit einem Deutschen verheiratet sei und eine Niederlassungserlaubnis besitze. Nach der Kommentierung von Weber-Grellet in Schmidt, EStG 26. Auflage 2007 zu § 62 Rn. 8 seien uneingeschränkt erwerbstätig diejenigen, die einen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis hätten, insbesondere Familienangehörige von ausländischen Staatsangehörige mit Niederlassungserlaubnis.
Die Klägerin reichte eine geänderte Aufenthaltserlaubnis vom 07. August 2007 nach, wonach ihr die Beschäftigung eingeschränkt gestattet wurde (Blatt 14 der Gerichtsakte).
Der Kindergeldanspruch der Klägerin richte sich nach § 62 Abs. 2 EStG. Dort werde anders als bei § 62 Abs. 2 Nr. 3b EStG, wo an die tatsächlich Erwerbstätigkeit angeknüpft werde, lediglich verlangt, daß die Aufenthaltserlaubnis zur Erwerbstätigkeit berechtige. Die Klägerin habe eine Aufenthaltserlaubnis gehabt, die mit Zustimmung der Ausländerbehörde zur Erwerbstätigkeit berechtige. Daß dies ausreiche ergebe sich aus den Motiven des Gesetzgebers, welche in der Klageschrift ausführlich zitiert worden seien.
Zum weiteren Vorbringen der Klägerin wird auf die Schriftsätze vom 03. August 2007, 07. Januar 2008, 15. Mai 2008, 28. April 2009 und 30. Mai 2009 verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 02. März 2007 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 09. Juli 2007 für ihren Sohn A. für den Zeitraum Oktober 2006 bis März 2007 Kindergeld zu bewilligen;
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt außerdem, die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer in der Einspruchsentscheidung vertretenen Rechtsauffassung fest. Ein Ausländer erhalte dann Kindergeld, wenn er eine Aufenthaltserlaubnis besitze, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtige. Dabei seien die Familienkassen an die Statusentscheidung der zuständigen Behörde gebunden. Bis zum März 2007 sei die Klägerin nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen, die eine Beschäftigung erlaube. Diese sei ihr erst am 07. August 2007 erteilt worden. Es sei der Klägerin freigestellt, ab August 2007 erneut Kindergeld zu beantragen.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Kindergeldakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
II.
Die Klage ist unbegründet.
1. Die Sache war zu entscheiden, denn es waren keine erheblichen Gründe für eine Vertagung gegeben (§ 155 der Finanzgerichtsordnung – FGO – i.V. mit § 277 Zivilprozeßordnung – ZPO). Die Vertreterin der Beklagten ist der mündlichen Verhandlung ferngeblieben, obwohl sie ordnungsgemäß geladen und gemäß § 91 Abs. 2 FGO über die Folgen ihres Ausbleibens belehrt worden war. Ein ausdrücklicher Antrag auf Vertagung wurde nicht gestellt; die Beklagtenvertreterin hat sich vielmehr telefonisch entschuldigt und mitgeteilt, das Gericht möge in ihrer Abwesenheit entscheiden.
2. Die Anspruchsberechtigung von Ausländern bezüglich des Kindergeldes beurteilt sich seit dem 01. Januar 2006 nicht mehr nach § 62 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) i.d.F. des JStG 1996 bzw. der geänderten Fassung aufgrund des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004, sondern nach § 62 Abs. 2 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (BGBl. I 2006, 2915). Die Regelung ist mit Wirkung vom 01. Januar 2006 in Kraft getreten und erfaßt alle Sachverhalte, bei denen – wie im Streitfall – das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (§ 52 Abs. 61a Satz 2 EStG).
Nach § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer Kindergeld dann, wenn er eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat. § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG in der nunmehr gültigen Fassung stellt darauf ab, ob der Ausländer eine Niederlassungserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis „besitzt”. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (vgl. Bundesfinanzhof – BFH – Beschluß vom 01. Dezember 1997, VI B 147/97, BFH/NV 1998, 696) ist diese Voraussetzung nur und erst dann erfüllt, wenn der Ausländer eine Aufenthaltsgenehmigung der gesetzlich vorgeschriebenen Art tatsächlich in Händen hält, ihm also das Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik durch entsprechenden Verwaltungsakt mit Wirkung für die Bezugszeit des Kindergeldes zugebilligt worden ist. Danach kann für den Streitzeitraum nur auf den Aufenthaltstitel abgestellt werden, über den die Klägerin in dieser Zeit tatsächlich verfügte.
Für den hier maßgeblichen streitigen Zeitraum (Oktober 2006 bis März 2007) ist dies eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 34 Abs. 3 AufenthG, mit der der Klägerin eine selbständige Erwerbstätigkeit ausdrücklich nicht gestattet wird. Die Aufnahme einer Beschäftigung ist nur mit Erlaubnis der Ausländerbehörde gestattet. Im Streitfall hat die Klägerin eine Erlaubnis der Ausländerbehörde zur Aufnahme einer Beschäftigung jedoch weder beantragt noch ist ihr eine solche erteilt worden.
Das Gericht folgt der Rechtsauffassung der Klägerin, aufgrund ihres Aufenthaltstitels sei sie zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt und damit auch kindergeldberechtigt, nicht. Denn zu einer berechtigten Aufnahme einer Beschäftigung durch die Klägerin bedurfte es eines weiteren Tätigwerdens der Ausländerbehörde, nämlich einer Erteilung einer ausdrücklichern Arbeitserlaubnis. Ein diesbezüglicher Verwaltungsakt liegt in dem hier streitigen Zeitraum Oktober 2006 bis März 2007 gerade nicht vor. Auch das eigene Vorbringen der Klägerin stützt ihre Rechtsauffassung nicht, denn nach der von ihr zitierten Bundestagsdrucksache „stellt der Gesetzesentwurf darauf ab, daß nicht allein an die Möglichkeit zur Berechtigung zu einer Erwerbstätigkeit angeknüpft werden soll, sondern daß nur diejenigen Anspruch auf Familienleistungen haben, die tatsächlich im Besitz der Berechtigung sind oder schon einmal waren.” Dem aus der Bundestagsdrucksache ersichtlichen Einwand des Bundesrates, es sollte auch den Ausländern Kindergeld gewährt werden, die im Besitz eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund der §§ 32, 33, 34 AufenthG seien, bei der eine Berechtigung zur Erwerbstätigkeit grundsätzlich möglich sei, ist der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG ausweislich des Wortlauts der Norm nicht gefolgt.
Da der Gesetzgeber nach der Dauer des Aufenthalts und der Integration in den Arbeitsmarkt differenziert und im übrigen davon ausgehen durfte, daß das Existenzminimum des Kindes eines nicht kindergeldberechtigten Ausländers durch Sozialhilfe oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in ausreichendem Maße gewährleistet ist, bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG (vgl. BFH Urteile vom 15. März 2007,III R 93/03, BFH/NV 2007, 1234 und 54/05, BFH/NV 200, 1298 sowie Urteil vom 22. November 2007,III R 54/02, BFH/NV 2008, 457; FG Köln, Urteil vom 14. Juni 2007, 15 K 1928/02, EFG 2008, 66; FG Münster, Urteil vom 24. April 2007, 15 K 3830/04 Kg, EFG 2007, 1700; FG Düsseldorf, Urteil vom 23. Januar 2007, 10 K 5107/05 Kg, EFG 2007, 600 und FG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Juli 2008, 15 K 227/06, Juris). Die Klage konnte nach alledem keinen Erfolg haben.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).