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  • 18.09.2025 · IWW-Abrufnummer 250230

    Bundesfinanzhof: Beschluss vom 30.04.2025 – XI R 15/23

    1. Handels- und Geschäftsbriefe im Sinne von § 147 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) können auch E-Mails sein.

    2. (Digitale) Unterlagen über Konzernverrechnungspreise unterfallen dem Anwendungsbereich des § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO .

    3. Die Finanzverwaltung ist im Rahmen der Außenprüfung grundsätzlich berechtigt, vom Steuerpflichtigen sämtliche E-Mails mit steuerlichem Bezug anzufordern.

    4. Mangels Rechtsgrundlage ist es der Finanzverwaltung aber verwehrt, ein sogenanntes Gesamtjournal zu verlangen, das einerseits erst noch erstellt werden müsste und andererseits auch Informationen zu solchen E-Mails enthält, die keinen steuerlichen Bezug haben.


    Tenor:

    Die Revision der Klägerin und die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 23.03.2023 - 2 K 172/19 werden als unbegründet zurückgewiesen.

    Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Klägerin und der Beklagte jeweils zur Hälfte zu tragen.

    Gründe

    I.

    1

    Die Beteiligten streiten anlässlich einer Außenprüfung über die Pflicht zur Vorlage von Handels- und Geschäftspapieren sowie sonstiger Unterlagen einschließlich eines sogenannten Gesamtjournals.

    II.

    2

    Der beschließende Senat ist für das vorliegende Verfahren nach Teil A III. Nr. 3 Buchst. a der Ergänzenden Regelungen i.V.m. Teil A XI. Senat Nr. 2 des Geschäftsverteilungsplans des Bundesfinanzhofs (BFH) als zuständiger Ertragsteuersenat zur Entscheidung berufen.

    III.

    3

    Die Entscheidung kann im Verfahren gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO) ergehen. Der Senat hält die Revisionen der Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) und des Beklagten, Revisionsbeklagten und Revisionsklägers (Finanzamt --FA--) für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.

    4

    1. Der Senat hat die Sache in der Sitzung vom 11.12.2024 in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung beraten und ist einstimmig zu dem Ergebnis gelangt, dass er beide Revisionen für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hiervon mit Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 12.12.2024 unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

    5

    2. Eine Entscheidung nach § 126a FGO ist --entgegen der Auffassung der Klägerin-- im Streitfall zulässig. Ihr steht die --wie die Klägerin meint-- Ungeklärtheit und Komplexität der Rechtsfragen nicht entgegen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 01.09.2021 - VI R 18/19 , BFH/NV 2022, 13, Rz 27; vom 18.10.2023 - XI R 22/20 , BFH/NV 2024, 182, Rz 16).

    6

    3. Das Verfahren nach § 126a FGO verletzt auch nicht das Recht der Klägerin aus Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) auf rechtliches Gehör (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.09.1996 - 1 BvR 1485/89 , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1996, 827). Nachdem der Senat beschlossen hatte, das Verfahren nach § 126a FGO einzuleiten, bestand für die Klägerin Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen. Hiervon hat sie mit Schriftsatz vom 14.03.2025 Gebrauch gemacht.

    7

    4. Dass der Senatsvorsitzende wegen Erkrankung am vorliegenden Beschluss nicht mitwirken kann und sich folglich die Richterbank gegenüber der Sitzung vom 11.12.2024 geändert hat, steht der Anwendung des § 126a FGO nicht entgegen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 15.09.2021 - XI R 12/21 (XI R 25/19) , BFHE 274, 317, BStBl II 2022, 417, Rz 21; vom 07.07.2022 - V R 10/20 , BFHE 276, 445, Rz 9; vom 18.10.2023 - XI R 22/20 , BFH/NV 2024, 182, Rz 18).

    IV.

    8

    1. Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

    9

    Rechtsfehlerfrei hat das FG angenommen --und die Klage insoweit zu Recht abgewiesen--, dass die Außenprüfung auf Grundlage der streitgegenständlichen Bescheide von der Klägerin insbesondere die Vorlage sämtlicher E-Mails verlangen darf, welche die Vorbereitung, den Abschluss und die Durchführung des sogenannten "..." (Agreements) mit der anderen Konzerngesellschaft einschließlich der Verrechnungspreisdokumentation betreffen. Davon ausgenommen sind zutreffend solche E-Mails, die lediglich privater Natur sind oder die firmeninterne Kommunikation betreffen.

    10

    a) Der Senat hält das Vorlageverlangen zunächst für hinreichend bestimmt.

    11

    In der Rechtsprechung des BFH ist geklärt, dass die Anforderung von Unterlagen "en bloc" im Rahmen der steuerlichen Außenprüfung zulässig ist und nicht gegen § 119 Abs. 1 AO verstößt (etwa BFH-Urteil vom 28.10.2009 - VIII R 78/05 , BFHE 227, 338, BStBl II 2010, 455, unter II.4.b). Insbesondere wegen der oftmals vorhandenen Unkenntnis der Verwaltung über das Vorhandensein konkreter Unterlagen ist ein Vorlageverlangen regelmäßig noch hinreichend bestimmt, das sich beispielsweise auf "Eingangs- und Ausgangsrechnungen", "Belege zu baren Geschäftsvorfällen", "Unterlagen über die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung" oder "Unterlagen über die Einkünfte aus Kapitalvermögen" erstreckt ( BFH-Urteil vom 28.10.2009 - VIII R 78/05 , BFHE 227, 338, BStBl II 2010, 455, unter II.4.b).

    12

    Hiervon ausgehend ist auch das streitgegenständliche Vorlageverlangen nicht zu beanstanden. Die nach dem Tenor der Bescheide zwar offen gestaltete Aufforderung, alle den Prüfungszeitraum betreffenden Handelsbriefe im Sinne des § 147 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AO sowie die sonstigen Unterlagen im Sinne des § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO vorzulegen, findet durch die Bezugnahme auf das Agreement bereits eine Präzisierung. In der Begründung des Bescheids vom 11.07.2018 verweist das FA --weiter konkretisierend-- auf die Korrespondenz, der Aussagen über aufzeichnungspflichtige Vorgänge zu entnehmen sind, sowie auf Unterlagen, die für die Überprüfung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Buchungen und Aufzeichnungen unumgänglich sind. Eine weitere, das Vorlageverlangen hinreichend bestimmende Konkretisierung erfolgt abschließend noch einmal durch die Begründung im Rahmen der Einspruchsentscheidung vom 03.09.2019, die nur auf die "steuerlich relevante" E-Mail-Kommunikation verweist.

    13

    Dem wesentlichen Zweck des Bestimmtheitserfordernisses, nämlich dem Betroffenen eines Verwaltungsakts klar zu machen, was von ihm gewollt wird (vgl. Seer inTipke/Kruse, § 119 AO Rz 1; Söhn inHübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 119 AO Rz 9), hat das FA damit hinreichend Rechnung getragen. Hierfür bedurfte es --anders als die Klägerin meint-- nicht weiterer Beschränkungen, etwa in Form bestimmter Suchbegriffe, Mitarbeiter oder kürzerer Zeiträume. Das FA war damit nicht gehalten, ohne nähere Kenntnis die E-Mails noch weiter zu konkretisieren, sondern konnte es der Klägerin überlassen, die einschlägigen E-Mails herauszusuchen.

    14

    b) In der Sache folgt die Pflicht zur Vorlage der E-Mails aus § 147 Abs. 6 AO ; denn diese sind aufzubewahren ( BFH-Urteile vom 24.06.2009 - VIII R 80/06 , BFHE 225, 302, BStBl II 2010, 452, unter II.1.b aa; vom 12.02.2020 - X R 8/18 , BFH/NV 2020, 1045, Rz 16).

    15

    aa) Nach § 147 Abs. 1 Nr. 2 AO hat der Steuerpflichtige die empfangenen Handels- oder Geschäftsbriefe geordnet aufzubewahren. Gleiches gilt nach § 147 Abs. 1 Nr. 3 AO für Wiedergaben der abgesandten Handels- oder Geschäftsbriefe.

    16

    (1) Aufbewahrungspflichtig sind danach nicht nur die Ein- und Ausgangsrechnungen von Handelsgesellschaften (dazu BFH-Beschluss vom 26.09.2007 - I B 53, 54/07, BFHE 219, 19, BStBl II 2008, 415 [BFH 26.09.2007 - I B 54/07] , unter II.1.), sondern aufzubewahren ist die gesamte, den betrieblichen Bereich betreffende Korrespondenz, soweit sie sich auf die Vorbereitung, Durchführung oder Rückgängigmachung eines Handelsgeschäfts im Sinne des §§ 343 , 344 des Handelsgesetzbuchs (HGB) bezieht (Drüen inTipke/Kruse, § 147 AO Rz 17b; Koenig/Haselmann, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 147 Rz 9). Auf die Form kommt es dabei nicht an; auch Fernschreiben, Telegramme und insbesondere E-Mails sind grundsätzlich aufbewahrungspflichtig (vgl. Drüen inTipke/Kruse, § 147 AO Rz 17b; Koenig/Haselmann, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 147 Rz 9). Dies gilt nach Auffassung des erkennenden Senats jedenfalls insoweit, als die E-Mail selbst --und nicht lediglich ihr Anhang-- rechnungslegungsrelevante Informationen enthalten; ansonsten ist jedenfalls der Anhang aufzubewahren.

    17

    (2) Ausgehend hiervon ist revisionsrechtlich nichts dagegen zu erinnern, wenn das FA die Vorlage derjenigen E-Mails verlangt, welche sich auf die Vorbereitung, den Abschluss und auch auf die Durchführung des Agreements beziehen.

    Durch die Konkretisierung des Vorlageverlangens auf das Agreement erfährt das Vorlageverlangen die gebotene Beschränkung auf rechnungslegungsrelevante Informationen.

    18

    Dem steht --anders als die Klägerin meint-- nicht entgegen, dass die E-Mails, soweit sie die Durchführung des Agreements betreffen, im Wesentlichen sogenannte Erfüllungshandlungen enthielten. Soweit die Klägerin insoweit der Auffassung ist, dass derartige Erfüllungshandlungen nicht als --allein von § 147 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AO in Bezug genommene-- Handelsgeschäfte im Sinne von § 343 HGB zu werten seien, weil es ihnen am rechtsgeschäftlichen oder rechtsgeschäftsähnlichen Charakter fehle, folgt der erkennende Senat dem nicht. Es mag im Handelsrecht vertreten werden, dass Realakte nicht als Handelsgeschäfte im Sinne von § 343 HGB einzuordnen sind (etwa MüKoHGB/Maultzsch, 5. Aufl., § 343 Rz 5; Pamp in Oetker, HGB, 8. Aufl., § 343 Rz 6: "im Einzelnen streitig"), doch hat diese Bewertung --selbst wenn man ihr handelsrechtlich folgen wollte (s. dagegen etwa BeckOK HGB/Lehmann-Richter, 45. Ed. 01.01.2025, HGB § 343 Rz 11: Handelsgeschäft, wenn Realakt auf Geschäft bezogen)-- jedenfalls im vorliegenden Kontext keine entscheidende Bedeutung. Denn die steuerrechtliche Aufbewahrungspflicht des § 147 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AO erstreckt sich nicht nur auf den Abschluss, sondern auch auf die Vorbereitung und --wie vorliegend-- die Durchführung eines mit dem Agreement gegebenen Handelsgeschäfts (Drüen inTipke/Kruse, § 147 AO Rz 17b; s. dazu schon oben unter IV.1.b aa (1)).

    19

    bb) Zurecht verlangt das FA unter Berufung auf § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO auch die Vorlage derjenigen E-Mails, die sich auf die Verrechnungspreisdokumentation der Klägerin beziehen.

    20

    Dokumentationen über Konzernverrechnungspreise unterfallen nach Auffassung des erkennenden Senats dem Anwendungsbereich des § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO (ebenso Seer,FinanzRundschau, 2002, 382; Bauer/Taetzner, Betriebs-Berater --BB-- 2004, 2271; Jochum, Die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen in der Außenprüfung, 2011, S. 381;

    Schnorberger/Haverkamp/Etzig, BB 2017, 2455) auch für die Zeit nach Neufassung der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungs-Verordnung vom 12.07.2017, BGBl I 2017, 2367 --GAufzV--). Die auf den Streitfall indes noch nicht zur Anwendung kommende aktuelle Fassung des § 4 Abs. 3 Satz 4 GAufzV ordnet die sinngemäße Geltung des § 147 Abs. 6 AO an und normiert damit ausdrücklich ein Nebeneinander beider Regime. Für die vorangehende Fassung (a.F.) der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungs-Verordnung kann nichts anderes gelten. Soweit auf Grundlage von § 90 Abs. 3 AO i.V.m. der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungs-Verordnung a.F. besondere Dokumentations- und Vorlagepflichten statuiert sind, entbindet dies nicht von der aus § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO folgenden Verpflichtung, allgemeine Unterlagen, namentlich auch E-Mails, vorzuhalten, soweit darin Vorgänge enthalten sind, die für die Verrechnungspreisdokumentation und somit "für die Besteuerung von Bedeutung" sind. Durch das Aufstellen mitunter sehr eingriffsintensiver Aufzeichnungspflichten im Rahmen von § 90 Abs. 3 AO i.V.m. der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungs-Verordnung (a.F.) werden --viel weniger eingriffsintensive-- Aufbewahrungspflichten nicht gleichzeitig unzulässig.

    21

    c) Das Verlangen auf Erfüllung der Vorlagepflicht erweist sich auch als verhältnismäßig und frei von Ermessenfehlern.

    22

    Der Eingriff mittels Vorlageverlangen überlässt es der Klägerin, welche E-Mails oder Daten sie im Einzelfall vorlegt. Damit ist es der Klägerin unbenommen, solche Daten, die gerade nicht steuerlich relevant sind, zu selektieren (sogenanntes Erstqualifikationsrecht, s. etwa BFH-Urteil vom 16.12.2014 - X R 42/13 , BFHE 248, 99, BStBl II 2015, 519). Ist Gegenstand der Recht- und Verhältnismäßigkeitsprüfung hier deshalb nur die Vorlagepflicht dem Grunde nach, erfordert das Vorgehen des FA keine weiteren Beschränkungen, etwa auf Stichproben, bestimmte Datenparameter oder Zeiträume innerhalb des Prüfungszeitraums. Die Offenlegung steuererheblicher Vorgänge --hier nur dem Grunde nach-- aus der Sphäre des Beteiligten, über die dieser am besten oder gar allein Bescheid weiß, ist im Allgemeinen zumutbar (vgl. BFH-Urteil vom 28.10.2009 - VIII R 78/05 , BFHE 227, 338, BStBl II 2010, 455, unter II.4.c; Söhn inHHSp, § 90 AO Rz 106). Der Steuerpflichtige ist primärer Wissensträger und hat die größte Beweisnähe; ohne die verschiedenen Mitwirkungspflichten müsste eine gleichmäßige Durchsetzung der Steueransprüche nach Maßgabe der Gesetze scheitern (vgl. BFH-Urteil vom 28.10.2009 - VIII R 78/05 , BFHE 227, 338, BStBl II 2010, 455, unter II.4.c; Söhn inHHSp, § 90 AO Rz 24).

    23

    Mit Recht darf sich das FA deshalb darauf berufen, die Vorlage der Unterlagen diene als Nachweis über die Vollständigkeit der erklärten Betriebseinnahmen sowie zur Überprüfung der angewandten Verrechnungspreismethode. Ohne Vorlage der begehrten E-Mails wäre dem FA jegliche Möglichkeit genommen, die Angaben der Klägerin sowohl im Hinblick auf die Verrechnungspreismethode als auch hinsichtlich der Art und des Umfangs ihrer Tätigkeiten zu überprüfen. Dabei hat das FG zutreffend berücksichtigt, dass die Kommunikation der Klägerin im Wesentlichen digital --per E-Mail-- abläuft. Das FA war somit nicht gehalten, die Steuererklärungen der Klägerin prüfungslos zu akzeptieren oder sich auf die bloße Vorlage des Agreements, geschweige denn auf die Durchführung von Interviews mit Mitarbeitern verweisen zu lassen. Soweit die Klägerin anführt, es sei mit unverhältnismäßigem Zeit- und Kostenaufwand verbunden, die gewünschten E-Mails vorzulegen, steht dies der Verhältnismäßigkeit schon mangels weiterer Substantiierung (vgl. Drüen inTipke/Kruse, § 147 AO Rz 76a) nicht im Wege. Es ist --wie das FG zu Recht erkannt hat-- außerdem Sache der Klägerin, ihre Datenbestände so zu organisieren, dass eine berechtigte Einsichtnahme durch die Finanzverwaltung erfolgen kann, ohne dass dabei geschützte Bereiche berührt werden.

    24

    Auch dem Schutz der persönlichen Daten wird durch das streitgegenständliche Auskunftsverlangen hinreichend Rechnung getragen. Denn der Datenzugriff wird nicht außerhalb der Sphäre des Steuerpflichtigen --etwa unter Speicherung auf einem mobilen Laptop-- erfolgen, sondern nur in den Geschäftsräumen der Klägerin oder den Diensträumen der Finanzverwaltung (vgl. dazu BFH-Urteil vom 07.06.2021 - VIII R 24/18 , BFHE 272, 349, BStBl II 2023, 63, Rz 18 ff.).

    25

    d) Die Einwendungen der Klägerin bleiben ohne Erfolg.

    26

    aa) Ihre Angriffe gegen das Vorlageverlangen (zu dessen Bestimmtheit vgl. oben IV.1.a) zielen im Wesentlichen auf Fragen der Verhältnismäßigkeit. Denn wenn die Klägerin anführt, das FA hätte stärker auf den mit seiner Anfrage verbundenen zeitlichen und finanziellen Aufwand Rücksicht nehmen und das Vorlageverlangen weiter einschränken müssen, betrifft dies in der Sache die Angemessenheit des Verwaltungsakts und nicht die Frage, ob dem Betroffenen klar ist, was von ihm gewollt wird (vgl. Seer inTipke/Kruse, § 119 AO Rz 1; Söhn inHHSp, § 119 AO Rz 9).

    27

    bb) Keinen Erfolg hat die Klägerin auch insoweit, als sie auf das Agreement verweist und vorbringt, dass diejenigen E-Mails, welche dessen Durchführung beträfen, lediglich Erfüllungscharakter hätten, sich nicht auf ein Handelsgeschäft bezögen und deshalb aus dem Anwendungsbereich von § 147 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 AO herausfielen. Wie der Senat unter IV.1.b aa ausgeführt hat, unterfallen der Aufbewahrungspflicht auch Unterlagen, die sich lediglich auf die Durchführung eines (Handels-)Geschäfts beziehen. Auf die Frage, ob die angeforderten E-Mails Weisungen enthalten und deshalb selbst als Handelsgeschäfte im Sinne von § 343 Abs. 1 HGB einzuordnen sind, kommt es deshalb nicht mehr an.

    28

    cc) § 90 Abs. 3 AO enthält, anders als die Klägerin meint, auch nicht deshalb ein abschließendes Regime zur Aufbewahrungspflicht von Unterlagen in Bezug auf Verrechnungspreise, weil die Regelung als Reaktion auf das BFH-Urteil vom 17.10.2001 - I R 103/00 (BFHE 197, 68, BStBl II 2004, 171, unter III.2.d bb), wonach außerhalb der §§ 140 ff. AO und der §§ 238 ff. HGB für verdeckte Gewinnausschüttungen keine speziellen Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten bestünden, eingeführt worden sei. Der Klägerin kann insoweit schon aus allgemeinen Erwägungen nicht gefolgt werden, da das Fehlen und Einführen von Rechtsgrundlagen für spezielle, eingriffsintensive hoheitliche Maßnahmen nicht gleichzeitig eine Notwendigkeit schafft, auch weniger eingriffsintensive Maßnahmen auf eine derart neue Grundlage zu stellen, die bislang auf Basis der allgemeinen Befugnisse ohne Weiteres möglich waren (s. dazu schon oben unter IV.1.b bb).

    29

    dd) Die Revision greift auch die Verhältnismäßigkeit und Ermessensfehlerfreiheit des Vorlageverlangens nicht erfolgreich an.

    30

    Zu Recht hat das FG darauf verwiesen, dass es sich bei den betreffenden E-Mails schon dem Grunde nach um aufbewahrungspflichtige Unterlagen handelt, deren Vorlage nicht ohne Weiteres hinter andere Formen --etwa einer stichprobenartigen Vorlage-- zurückzutreten hat. Nach den bindenden Feststellungen des FG ( § 118 Abs. 2 FGO ) erschöpfen sich die von der Klägerin vorgelegten Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Abs. 3 AO i.V.m. der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungs-Verordnung a.F. in einer kurzen Beschreibung des Agreements und der tabellarischen Darstellung der angefallenen Kosten im Rahmen des "Transfer Pricing Reports" der in ... ansässigen Konzernmutter der Klägerin. Der Senat teilt auch angesichts dessen die Einschätzung des FG, dass es dem FA ohne die angeforderten E-Mails nicht möglich wäre, die Kostenbasis für die angewandte Verrechnungspreismethode zu überprüfen. Dass die Vorlage der gewünschten E-Mails --wie die Klägerin meint-- per se ungeeignet wäre, die Besteuerungsgrundlagen der Klägerin im Prüfungszeitraum nachzuprüfen, sieht der Senat auch deshalb nicht, wenngleich die Steuerrelevanz der Unterlagen denklogisch erst nach deren Sichtung abschließend beurteilt werden kann. Insoweit spricht schließlich auch gegen eine Verletzung des Übermaßverbots, dass es Sache der Klägerin bleibt, einzelne E-Mails ohne Steuerrelevanz in Ausübung ihres Erstqualifikationsrechts von der Vorlage auszunehmen.

    31

    e) Auch die Verfahrensrügen der Klägerin greifen nicht durch.

    32

    aa) Soweit die Revision meint, das FG habe --in unterschiedlicher Weise-- seine Pflicht zur Sachaufklärung ( § 76 Abs. 1 FGO ) verletzt, ist ein Verfahrensfehler bereits nicht schlüssig dargelegt.

    33

    (1) Gründet sich der behauptete Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO --wie hier-- darauf, dass das FG auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen den Sachverhalt hätte weiter aufklären müssen, so sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH Ausführungen dazu erforderlich, welche Beweise das FG von Amts wegen hätte erheben müssen, aus welchen Gründen sich ihm die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen und inwiefern diese Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunktes des FG zu einer anderen Entscheidung des Rechtsstreits hätte führen können. Ferner muss dargelegt werden, weshalb in der mündlichen Verhandlung keine entsprechenden Beweisanträge gestellt wurden ( BFH-Beschlüsse vom 29.10.2004 - XI B 213/02 , BFH/NV 2005, 566, unter II.1.a; vom 03.11.2010 - I B 102/10 , BFH/NV 2011, 808, Rz 4).

    34

    (2) Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Klägerin jedenfalls deshalb nicht, weil sie nicht darlegt, weshalb --obwohl fachkundig vertreten-- in der mündlichen Verhandlung nicht auf eine entsprechende Beweiserhebung hingewirkt beziehungsweise ein entsprechender Beweisantrag gestellt worden ist.

    35

    (3) Wer als fachkundig Beteiligter keinen Antrag auf Beweiserhebung stellt und die Unterlassung einer nach seiner Auffassung gebotenen Beweiserhebung von Amts wegen nicht in der mündlichen Verhandlung rügt, verzichtet auf diese Rüge, was auch in der Sache das Berufen auf eine Verletzung der Aufklärungspflicht gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung ausschließt ( BFH-Beschlüsse vom 29.10.2004 - XI B 213/02 , BFH/NV 2005, 566, unter II.1.a; vom 03.09.2010 - IV B 93/09 , BFH/NV 2011, 52 [BFH 01.09.2010 - V S 26/09] , Rz 3; vom 01.03.2013 - IX B 48/12 , BFH/NV 2013, 1238, Rz 6). Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem FG ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 23.03.2023 keinen Beweisantrag gestellt.

    36

    bb) Die vom FG im Klageverfahren --versehentlich-- unterlassene Übermittlung des Schriftsatzes des FA vom 28.02.2023 an die Klägerin verletzt im Ergebnis nicht das Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG , § 96 Abs. 2 FGO .

    37

    (1) Nach § 96 Abs. 2 FGO darf das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Es besteht ein umfassender Anspruch, über den gesamten Prozessstoff kommentarlos und ohne Einschränkungen unterrichtet zu werden. Das FG ist verpflichtet, entscheidungserhebliche Tatsachen und Unterlagen nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern diese auch nach § 77 Abs. 1 Satz 4 FGO dem jeweils anderen Beteiligten von Amts wegen zur Kenntnis zu geben. Die unterlassene Übersendung oder gegebenenfalls Übergabe eines entsprechenden Schriftsatzes in der mündlichen Verhandlung verletzt daher grundsätzlich das rechtliche Gehör ( BFH-Beschlüsse vom 08.05.2017 - X B 150/16 , BFH/NV 2017, 1185, Rz 14 f.; vom 28.06.2022 - II B 94/21 , BFH/NV 2022, 1072, Rz 12). Das setzt allerdings voraus, dass dieser Schriftsatz für die Entscheidung des FG erheblich gewesen sein kann ( BFH-Beschlüsse vom 15.02.2012 - IV B 126/10 , BFH/NV 2012, 774, Rz 14, und vom 08.05.2017 - X B 150/16 , BFH/NV 2017, 1185, Rz 15; vom 28.06.2022 - II B 94/21 , BFH/NV 2022, 1072, Rz 12). Die Kausalitätsvermutung des § 119 FGO ist nach ständiger Rechtsprechung auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen sich die Verletzung rechtlichen Gehörs auf das Gesamtergebnis des Verfahrens bezieht. Betrifft sie nur einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte, hat der Beschwerdeführer darzulegen, was er im Falle der Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwiefern bei Berücksichtigung dieses Vorbringens eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10.10.1994 - VI B 139/93 , BFH/NV 1995, 326; vom 08.05.2017 - X B 150/16 , BFH/NV 2017, 1185, Rz 17, m.w.N.). Wiederholt ein Schriftsatz nur bisheriges Vorbringen, begründet deshalb die unterlassene Übermittlung regelmäßig keine Gehörsverletzung mehr (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19.11.2003 - I R 41/02 , BFH/NV 2004, 604, unter II.2.; vom 28.06.2022 - II B 94/21 , BFH/NV 2022, 1072, Rz 12).

    38

    (2) Zwar hat nach Aktenlage der Schriftsatz des FA vom 28.02.2023 die Prozessbevollmächtigten der Klägerin bis zur mündlichen Verhandlung am 23.03.2023 nicht erreicht, obwohl dessen Übersendung richterlich verfügt worden war. Die beanstandete Passage des Schriftsatzes vom 28.02.2023 betraf im Wesentlichen die Frage, ob das FA für die weitere Prüfung die Vorlage der angeforderten E-Mails benötigt oder sich mit anderen --bereits vorliegenden-- Unterlagen zu begnügen hat. Bereits in der Einspruchsentscheidung vom 03.09.2019 führt das FA aber aus, dass die Vorlage der E-Mails erforderlich sei, um die Vollständigkeit und Richtigkeit der Besteuerungsgrundlagen --und damit aus Sicht des Senats auch der Verrechnungspreisdokumentation-- zu überprüfen. Dies begründete die Einspruchsentscheidung insbesondere auch mit dem Umstand, dass die Geschäftsbeziehungen der Klägerin in außergewöhnlich starkem Maße durch elektronische Kommunikation geprägt seien. Die Einspruchsentscheidung nimmt dabei ausdrücklich auf die von der Klägerin gewählte Verrechnungspreismethode ("Cost-Plus-Vergütung") Bezug und führt aus, dass die "E-Mails zur Durchführung der beschriebenen Handelsgeschäfte [...] ein probates Mittel [seien], die notwendigen Aufzeichnungen zu verifizieren". Die Einspruchsentscheidung hat das FA durch Bezugnahme zum Gegenstand seiner Klageerwiderung gemacht. Hinzu kommt, dass die Klägerin im Klageverfahren selbst vorgetragen hat, sie habe bereits umfangreiche Unterlagen --auch zur Verrechnungspreisdokumentation-- vorgelegt, weshalb das Vorlageverlangen nicht erforderlich sei (vgl. etwa Schriftsatz vom 01.01.2020). Die Klägerin hat damit die Frage, ob die bereits vorgelegten Unterlagen für die Zwecke des FA ausreichend sind --und damit die Notwendigkeit, E-Mails vorzulegen entfallen lässt--, ausdrücklich selbst zum Gegenstand des Klageverfahrens gemacht. Dass das FA diese Frage in dem versehentlich nicht übermittelten Schriftsatz anders als die Klägerin bewertete, liegt auf der Hand, andernfalls hätte es nicht weiter an dem angefochtenen Verwaltungsakt festgehalten. Die Klägerin musste demnach damit rechnen, dass sich das FA insoweit ihrer rechtlichen Ansicht beziehungsweise Sachverhaltswürdigung nicht anschließen, sondern die vorgelegten Unterlagen als nicht ausreichend ansehen würde. Demzufolge konnte der Schriftsatz vom 28.02.2023, mit dem das FA die bereits vorgelegten Unterlagen tatsächlich als nicht genügend beanstandete, nicht zu neuem Vorbringen führen.

    39

    cc) Aus denselben Gründen liegt auch kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG , § 96 Abs. 2 FGO in Gestalt einer Überraschungsentscheidung vor.

    40

    (1) Eine gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßende Überraschungsentscheidung ist gegeben, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 03.02.2016 - XI B 53/15 , BFH/NV 2016, 954, Rz 23; vom 26.04.2018 - XI B 117/17 , BFH/NV 2018, 953, Rz 16). Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt dann nicht vor, wenn das FG das angefochtene Urteil auf einen rechtlichen Gesichtspunkt stützt, der im bisherigen Verfahren zumindest am Rande angesprochen worden ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 22.07.2014 - XI B 103/13 , BFH/NV 2014, 1761, Rz 15; vom 03.02.2016 - XI B 53/15 , BFH/NV 2016, 954, Rz 23, m.w.N.).

    41

    (2) Letzteres ist hier der Fall. Die Rüge der Klägerin, es sei im Klageverfahren nicht genügend erörtert worden, dass die vorgelegte Verrechnungspreisdokumentation nicht ausreichend und deshalb auch die Vorlage der E-Mails geboten sei, ist unzutreffend. Wie sich aus den Ausführungen unter IV.1.e bb (2) ergibt, ist die Frage, ob die von der Klägerin bereits vorgelegten Unterlagen --auch zur Verrechnungspreisdokumentation-- ausreichen, um die Verpflichtung, die angeforderten E-Mails vorzulegen, zu beseitigen, bereits zuvor von den Beteiligten diskutiert worden.

    42

    2. Auch die Revision des FA ist unbegründet.

    43

    Die Aufforderung des FA an die Klägerin, im Rahmen der Außenprüfung ein sogenanntes Gesamtjournal in digitaler Form bereitzustellen, welches --vom FA im Einzelnen bestimmte-- Informationen zu jedweder E-Mail-Korrespondenz der Klägerin und ihrer Mitarbeiter zu enthalten habe, ist bereits mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig. Das FG hat der Klage insoweit zu Recht stattgegeben.

    44

    a) Das Vorlageverlangen in Bezug auf ein Gesamtjournal kann nicht auf § 147 Abs. 6 AO gestützt werden.

    45

    aa) Sind Unterlagen nach § 147 Abs. 1 AO mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt worden, hat die Finanzbehörde im Rahmen einer Außenprüfung zwar das Recht, Einsicht in die gespeicherten Daten zu nehmen und das Datenverarbeitungssystem zur Prüfung dieser Unterlagen zu nutzen ( § 147 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 AO ). Sie kann im Rahmen einer Außenprüfung auch verlangen, dass ihr die Daten nach ihren Vorgaben maschinell ausgewertet zur Verfügung gestellt werden ( § 147 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AO ) oder dass die Daten nach ihren Vorgaben in einem maschinell auswertbaren Format an sie übertragen werden ( § 147 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AO ).

    46

    Voraussetzung für die Datenanforderung nach § 147 Abs. 6 AO ist allerdings das Bestehen einer Aufbewahrungspflicht. Der Finanzbehörde stehen diese Befugnisse deshalb nur in Bezug auf solche Unterlagen zu, die der Steuerpflichtige nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren hat. Dementsprechend ist es bereits grundsätzlich ausgeschlossen, dass die Finanzverwaltung mittels Datenzugriffs nach § 147 Abs. 6 AO Einsicht in Unterlagen verlangen kann, die zwar vorhanden sind, aber vom Steuerpflichtigen nicht aufbewahrt werden müssen ( BFH-Urteile vom 24.06.2009 - VIII R 80/06 , BFHE 225, 302, BStBl II 2010, 452, unter II.1.b aa; vom 12.02.2020 - X R 8/18 , BFH/NV 2020, 1045, Rz 16; vom 07.06.2021 - VIII R 24/18 , BFHE 272, 349, BStBl II 2023, 63, Rz 13).

    47

    bb) Die hier streitbefangene Aufforderung an die Klägerin, das gewünschte Gesamtjournal zu überlassen, ist im Sinne eines unbegrenzten Zugriffs auf alle E-Mails der Klägerin zu verstehen und hält sich daher nicht im rechtlich zulässigen Rahmen.

    48

    (1) Die Aufforderung des FA an den Steuerpflichtigen, Unterlagen und Aufzeichnungen für eine Außenprüfung zur Verfügung zu stellen, ist ein anfechtbarer Verwaltungsakt (etwa BFH-Urteil vom 08.04.2008 - VIII R 61/06 , BFHE 220, 313, BStBl II 2009, 579, unter II.7.). Der Senat ist selbst zur Auslegung von dessen Regelungsinhalt berechtigt und verpflichtet (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 01.10.2015 - X R 32/13 , BFHE 251, 298, BStBl II 2016, 139, Rz 33). Wie der Regelungsgehalt zu verstehen ist, bestimmt sich danach, wie der Adressat den Inhalt des Verwaltungsakts nach dessen objektivem Sinngehalt unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen durfte (vgl. BFH-Urteile vom 28.10.2009 - VIII R 78/05 , BFHE 227, 338, BStBl II 2010, 455, unter II.3.c und d; vom 07.06.2021 - VIII R 24/18 , BFHE 272, 349, BStBl II 2023, 63, Rz 12).

    49

    (2) Die Aufforderung zur Überlassung eines Gesamtjournals musste von der Klägerin nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont --wie das FG zutreffend erkannt hat-- dahin verstanden werden, dass Informationen (insbesondere zur jeweiligen Datensatznummer, zum Absender oder Empfänger der Nachrichten, zum Datum und zur Uhrzeit der jeweils empfangenen oder gesendeten Nachricht sowie zum Betreff und den Anlagen der Nachrichten) hinsichtlich ihrer gesamten E-Mail-Korrespondenz unabhängig davon vorzulegen sind, ob für eine einzelne E-Mail eine Aufbewahrungspflicht nach § 147 Abs. 1 AO besteht. Dies zeigt sich nach Auffassung des Senats vor allem an dem Zusatzfeld, welches das Gesamtjournal enthalten sollte, mit dem das FA Informationen darüber begehrte, ob die Klägerin ihr sogenanntes Erstqualifikationsrecht in Bezug auf die jeweilige E-Mail bereits ausgeübt habe. Wären von dem Gesamtjournal nämlich nur solche Nachrichten erfasst, für die eine Pflicht zur Aufbewahrung nach § 147 Abs. 1 AO besteht, wäre ein solches Zusatzfeld nicht notwendig.

    50

    (3) Ein so verstandenes Vorlageverlangen, das sich auch auf die Vorlage von (Daten zu) E-Mails ohne steuerliche Relevanz erstreckt, überschreitet den Umfang der Befugnis des FA zur Anforderung elektronischer Unterlagen. Wenn es schon grundsätzlich ausgeschlossen ist, dass die Finanzverwaltung mittels Datenzugriffs nach § 147 Abs. 6 AO Einsicht in Unterlagen verlangen kann, die zwar vorhanden sind, aber vom Steuerpflichtigen nicht aufbewahrt werden müssen (vgl. so schon BFH-Urteile vom 24.06.2009 - VIII R 80/06 , BFHE 225, 302, BStBl II 2010, 452, unter II.1.b aa; vom 12.02.2020 - X R 8/18 , BFH/NV 2020, 1045, Rz 16), ist es erst recht ausgeschlossen, dass --wie hier mit dem Gesamtjournal-- Einsicht und Informationen hinsichtlich solcher Unterlagen verlangt wird, die mangels Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflicht nicht einmal vorhanden sind, sondern eigens erstellt werden müssten.

    51

    b) Als Rechtsgrundlage für die Vorlageverpflichtung eines --noch zu erstellenden-- Gesamtjournals kann auch nicht § 200 Abs. 1 Satz 2 AO dienen.

    52

    Vom Datenzugriffsrecht nach § 147 Abs. 6 AO zu unterscheiden ist das Vorlageverlangen nach § 200 Abs. 1 Satz 2 AO . Hiernach ist ein Steuerpflichtiger im Rahmen der Außenprüfung unter anderem zur Vorlage von Aufzeichnungen, gegebenenfalls Büchern, Geschäftspapieren und anderen Urkunden zur Einsicht und Prüfung verpflichtet ( BFH-Urteile vom 28.10.2009 - VIII R 78/05 , BFHE 227, 338, BStBl II 2010, 455, unter II.3.b; vom 12.02.2020 - X R 8/18 , BFH/NV 2020, 1045, Rz 17). Damit können auch Unterlagen vorzulegen sein, für die keine Aufbewahrungspflicht besteht; allerdings bezieht sich diese Pflicht lediglich auf tatsächlich vorhandene Unterlagen ( BFH-Urteile vom 28.10.2009 - VIII R 78/05 , BFHE 227, 338, BStBl II 2010, 455, unter II.4.d; vom 12.02.2020 - X R 8/18 , BFH/NV 2020, 1045, Rz 17). Ist das gewünschte (digitale) Gesamtjournal tatsächlich nicht vorhanden, kann seine Vorlage schon deshalb nicht nach § 200 Abs. 1 Satz 2 AO verlangt werden.

    53

    c) Die Einwendungen des FA bleiben ohne Erfolg.

    54

    aa) Soweit das FA sinngemäß anführt, die Vorlage des gewünschten Gesamtjournals sei gegenüber der Vorlage der E-Mails selbst ein eingriffsärmeres Minus, mag dies zutreffen. Indes lässt dies die Notwendigkeit einer Rechtsgrundlage für das Handeln des FA nicht entfallen. Sind Unterlagen per se nicht herauszugeben, erstreckt sich dies auch auf (Begleit-)Informationen, nicht bloß auf den reinen Inhalt der Unterlagen.

    55

    bb) Eine Rechtsgrundlage für die Anforderung eines Gesamtjournals kann auch nicht --wie das FA meint-- in den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung im Sinne der §§ 238 ff. HGB sowie §§ 140 ff. AO i.V.m. den dazu ergangenen Verwaltungsanweisungen gesehen werden. Die Vorlagepflicht von Unterlagen hat der Gesetzgeber --wie unter IV.1.b ausgeführt-- speziell geregelt; greift sie nicht ein, können nicht zulasten der Steuerpflichtigen über im Wesentlichen ungeschriebene Rechtsgrundsätze oder gar lediglich die Verwaltung bindendes Recht weitergehende Verpflichtungen begründet werden.

    56

    cc) Soweit die Revision des FA vorbringt, eine wirksame Ausübung des Zweitqualifikationsrechts sei der Finanzverwaltung nur mittels Anforderung eines Gesamtjournals möglich, kommt es darauf insoweit nicht an. Denn selbst wenn dem so wäre, könnte diese Erwägung lediglich den Sinn des Verlangens zur Vorlage eines Gesamtjournals begründen, nicht aber als dessen Rechtsgrundlage dienen. Wenn die Finanzverwaltung die Vorlage der E-Mails ohne Gesamtjournal für sinnlos hält, kann sie stattdessen ihr auf die Vorlage der E-Mails gerichtetes Vorlageverlangen aufheben.

    57

    dd) Nichts anderes folgt aus dem Hinweis des FA, es könne kein Hinderungsgrund sein, dass das Gesamtjournal gegebenenfalls "neu" zu erstellen sei, weil dies lediglich Folge der der Finanzverwaltung in § 147 Abs. 6 AO eingeräumten Möglichkeit der Anforderung eines Datenträgers sei. Aus der Möglichkeit, einen Datenträger anzufordern, folgt nicht die Pflicht, die darauf zu speichernden Daten und Informationen zu hierauf nicht zu speichernden Daten in Form eines Gesamtjournals erzeugen zu müssen. Insoweit unterscheidet sich der Streitfall von der Konstellation des BFH-Urteils vom 16.12.2014 - X R 42/13 (BFHE 248, 99, BStBl II 2015, 519), auf das sich das FA beruft. Anders als hier lagen dort Unterlagen vor, die aufzeichnungs- und aufbewahrungspflichtig waren.

    58

    3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 2 i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 1 und § 139 Abs. 4 FGO .

    59

    Legen --wie hier-- beide Beteiligte Revision ein, ist die Kostenentscheidung nach dem Grundsatz der einheitlichen Kostenverteilung nach Quoten der Gesamtkosten zu treffen (z.B. BFH-Urteile vom 27.09.2012 - III R 70/11 , BFHE 239, 116, BStBl II 2013, 544; vom 04.09.2024 - XI R 15/24 (XI R 17/20) , BStBl II 2025, 465, Rz 40). Die Kostenverteilung ergibt sich nach dem Maße des Obsiegens beziehungsweise Unterliegens ( § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO ). Demnach tragen die Klägerin und das FA die Kosten jeweils zur Hälfte.

    Vorschriften§ 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO), § 126a FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), § 119 Abs. 1 AO, § 147 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AO, § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO, § 147 Abs. 6 AO, § 147 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 147 Abs. 1 Nr. 3 AO, §§ 343, 344 des Handelsgesetzbuchs (HGB), § 343 HGB, § 4 Abs. 3 Satz 4 GAufzV, § 90 Abs. 3 AO, § 147 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 AO, § 343 Abs. 1 HGB, §§ 140 ff. AO, §§ 238 ff. HGB, § 118 Abs. 2 FGO, § 76 Abs. 1 FGO, § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO, § 155 Satz 1 FGO, § 295 der Zivilprozessordnung, Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO, § 77 Abs. 1 Satz 4 FGO, § 119 FGO, § 147 Abs. 1 AO, § 147 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 AO, § 147 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AO, § 147 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AO, § 200 Abs. 1 Satz 2 AO, § 136 Abs. 1 Satz 1, § 139 Abs. 4 FGO, § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO