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  • 05.02.2018 · IWW-Abrufnummer 199346

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 13.12.2017 – 7 K 572/16 F

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Tenor:

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

    Die Revision wird zugelassen.
     
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    Tatbestand
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        I.                  Die Beteiligten streiten über den zeitlichen Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1 Nr. 1a des Einkommensteuergesetzes in der Fassung vor dem Jahressteuergesetz 2008 (EStG a.F.).

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    Die Klägerin ist eine Erbengemeinschaft, die aus den Kindern des verstorbenen Herrn A. besteht.
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    Im Jahr 1985 errichtete Herr A. mit seiner ersten, mittlerweile verstorbenen Ehefrau ein privatschriftliches Testament. In diesem setzten sich die Eheleute A. gegenseitig als Erben ein und bestimmten die gemeinsamen Kinder als Schlusserben (Bl. 59 ff. der Gerichtsakte, GA).
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    Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau heiratete Herr A. noch einmal. Im Jahr 2004 verpflichtete er sich und seine Erben für den Fall seines eventuellen Vorversterbens gegenüber seiner zweiten Ehefrau zur Zahlung eines monatlichen Betrags (3.500 €). Es erfolgte eine Eintragung einer aufschiebend bedingten Reallast auf einem Grundstück des Herrn A.. Als Gegenleistung für diese Verpflichtung und Reallast verzichtete die zweite Ehefrau auf sämtliche ihr zustehenden Pflichtteilsansprüche (Bl. 62 ff. GA).
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    Nach dem Tod von Herrn A. im Jahr 2012 gingen auf seine Erben, die Kinder aus der ersten Ehe, ein Waldgrundstück sowie zwei Vermietungsobjekte über. Die Erben erfüllten aus den erwirtschafteten Erträgen die Verpflichtung gegenüber seiner zweiten Ehefrau (74 Jahre alt). In der Feststellungserklärung für 2012 erklärte die Klägerin laufende Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i. H. v. rd. 5.500 €. Die an die zweite Ehefrau gezahlten Beträge berücksichtigte die Klägerin als Sonderausgaben (Anlage FE 3, Bl. 19 der Feststellungsakte des Beklagten).
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    In dem Bescheid für 2012 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen erkannte der Beklagte die Zahlungen nicht als Sonderausgaben an.
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    Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein. Der zeitliche Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. sei eröffnet. § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2008 sei lediglich auf Versorgungsleistungen anzuwenden, die auf nach dem 31.12.2007 vereinbarten Vermögensübertragungen beruhen. Vorliegend stamme das gemeinschaftliche Testament aus 1985 und die Zahlungsverpflichtung sei in 2004 vereinbart worden. Der Eintritt des Erbfalls sei aus Vertrauensschutzgründen nicht maßgeblich. Im Übrigen seien die Voraussetzungen für einen Abzug von Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. erfüllt. Die Vermögenswerte der übertragenen Grundstücke (Waldgrundstück: 5.000 €; Vermietungsobjekte: 1,6 Mio. €) überstiegen den Barwert der Rentenverpflichtung (3.500 € * 12 = 42.000 € * 13,25 Jahre = 556.500 €).
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    Der Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück. § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. sei nicht anzuwenden. Es liege keine vor dem 01.01.2008 vereinbarte Vermögensübertragung, sondern eine Vermögensübertragung von Todes wegen in 2012 vor.
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    Zur Begründung der hiergegen erhobenen Klage vertieft die Klägerin ihren Vortrag aus dem Einspruchsverfahren und beantragt,
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    den Bescheid für 2012 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 03.08.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.01.2016 nach Maßgabe der Klagebegründung zu ändern;
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    hilfsweise, für den Fall des Unterliegens oder Teilunterliegens die Revision zuzulassen.
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    Der Beklagte beantragt,
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                  die Klage abzuweisen;
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    hilfsweise, für den Fall des Unterliegens oder Teilunterliegens die Revision zuzulassen.
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    Zur Begründung verweist er auf die Einspruchsentscheidung.
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    In der Sache hat am 13.12.2017 eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
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    Entscheidungsgründe
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        II.               Die zulässige Klage ist unbegründet.

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    Der Bescheid für 2012 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 03.08.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.01.2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
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    Der Beklagte hat die Zahlungen an die zweite Ehefrau des Herrn A. zu Recht nicht als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. berücksichtigt. Der zeitliche Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. ist nicht eröffnet. Die an die zweite Ehefrau des Herrn A. gezahlten Versorgungsleistungen beruhen auf einer nach dem 31.12.2007 vereinbarten Vermögensübertragung. Vorliegend erfolgte die Vermögensübertragung erst in 2012 durch den Eintritt des Erbfalls.
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        1.                Gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. sind Sonderausgaben – soweit sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind oder wie Betriebsausgaben oder Werbungskosten behandelt werden – auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende Renten und dauernde Lasten, die nicht mit Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben.

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    Dieser Sonderausgabentatbestand wurde durch das Jahressteuergesetz 2008 (BGBl. I 2008, S. 3150) geändert und durch das Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (BGBl. I 2014, S. 2417) aufgehoben und als § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG eingefügt. Diese geänderte und neu eingefügte Fassung ist auf Versorgungsleistungen anzuwenden, die auf nach dem 31.12.2007 vereinbarten Vermögensübertragungen beruhen (§ 52 Abs. 23e Satz 1 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2008; § 52 Abs. 23g Satz 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung; heute: § 52 Abs. 18 Satz 1 EStG). Ausnahmsweise gilt dies auch für vor dem 01.01.2008 vereinbarte Vermögensübertragungen, wenn das übertragene Vermögen nur deshalb einen ausreichenden Ertrag bringt, weil ersparte Aufwendungen mit Ausnahmen des Nutzungsvorteils eines zu eigenen Zwecken vom Vermögensübernehmer genutzten Grundstücks zu den Erträgen des Vermögens gerechnet werden (vgl. § 52 Abs. 18 Satz 2 EStG).
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    § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. ist auf alle Versorgungsleistungen anzuwenden, für die das neue Recht nach Maßgabe der abschließend formulierten Übergangsvorschrift nicht anzuwenden ist (BFH-Urteil vom 12.05.2015 IX R 32/14, BFHE 250, 78).
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        2.                Vorliegend ist § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG und somit neues Recht anzuwenden. Die Versorgungsleistungen der Erben des Herrn A. an die zweite Ehefrau des Herrn A. beruhen auf einer Vermögensübertragung von Todes wegen nach dem 31.12.2007.

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    Zunächst ist festzustellen, dass § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG nicht nur bei einer vereinbarten Vermögensübertragung, sondern auch bei einer Regelung der Vermögensübertragung in einer Verfügung von Todes wegen Anwendung finden kann (Fischer in Kirchhof, EStG, 16. Aufl. 2017, § 22 Rn. 16; Schmidt/Heinicke, EStG, 35. Aufl. 2016, § 10 Rz. 139; Blümich/Hutter, § 10 EStG Rz. 92; Wälzholz, DStR 2008, S. 273, 278; BMF vom 11.03.2010, BStBl. I S. 227 Rz. 2, 83). Zwar bezieht sich der Wortlaut der Anwendungsvorschrift allein auf „vereinbarte Vermögensübertragungen“. Allerdings ist weder § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. noch § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG zu entnehmen, dass die erforderlichen Übertragungen zwingend durch Vereinbarungen zu erfolgen haben und Vermögensübertragungen von Todes wegen nicht erfasst werden sollen. Auch die Gesetzesmaterialien enthalten keinen Hinweis darauf, dass allein Vermögensübertragungen zu Lebzeiten erfasst werden sollen. Zwar stellen nach den Gesetzesmaterialien die Vermögensübertragungen zu Lebzeiten den Hauptanwendungsfall dieser Regelungen dar (BR-Drucks. 544/07, S. 65; BT-Drucks. 16/6290, S. 53). Allerdings ist der Anwendungsbereich nicht auf diese beschränkt. Schließlich entspricht es auch der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH), dass eine Vermögensübertragung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. ihren Rechtsgrund auch in einer Verfügung von Todes wegen haben kann (BFH-Urteile vom 25.02.2014 X R 34/11, BFHE 245, 135; vom 17.12.2003 X R 2/01, BFH/NV 2004, 632). Es ist nicht ersichtlich, dass die Änderung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. und die Einfügung des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG einer Fortführung der diesbezüglichen Rechtsprechung entgegenstehen soll. Zumindest ist dies nach den Gesetzesmaterialien nicht Sinn und Zweck der Gesetzesänderungen durch das Jahressteuergesetz 2008.
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    Hinsichtlich des zeitlichen Anwendungsbereichs des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG ist nach dem Wortlaut der einschlägigen Anwendungsvorschrift der Zeitpunkt der Vereinbarung der Vermögensübertragung, mit der die Versorgungsleistungen im Zusammenhang stehen, maßgeblich. Für die Anwendungsvorschrift ist nicht der Zeitpunkt entscheidend, in dem die Versorgungsleistungen, die im Zusammenhang mit dieser Vermögensübertragung stehen, vereinbart worden sind (BFH-Urteil vom 12.05.2015 IX R 32/14, BFHE 250, 78). Bei einer Anwendung auf Vermögensübertragungen von Todes wegen ist vor diesem Hintergrund ebenfalls auf den Zeitpunkt der Vermögensübertragung und nicht auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Versorgungsleistungen vereinbart wurden.
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    Auch den Gesetzesmaterialien kann nicht entnommen werden, dass – entgegen dem Wortlaut der Anwendungsvorschrift – die Vereinbarung der Versorgungsleistungen für den zeitlichen Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG maßgeblich sein soll. Den Gesetzesmaterialien lässt sich lediglich entnehmen, dass eine im Gesetzentwurf der Bundesregierung enthaltene fünfjährige Übergangsfrist geändert wurde (BT-Drucks. 16/7036, S. 18). Mit dieser Änderung wurde die Übergangsfrist auf die volle Laufzeit von Altverträgen ausgedehnt. Für vor dem 01.01.2008 vereinbarte Vermögensübertragungen sollte zur Vermeidung von Härten im Einzelfall und Gewährung von Vertrauensschutz sichergestellt sein, dass die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltenden Rahmenbedingungen fortgeführt werden. Mit anderen Worten: Vermögensübertragungen, die während der Geltung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. vereinbart wurden, und mit diesen in Zusammenhang stehende Versorgungsleistungen sollten auch nach Änderung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. rechtlich so behandelt werden, als ob § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. fortgelte.
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    Ferner wird auch in der steuerrechtlichen Literatur – soweit ersichtlich – ausschließlich die Auffassung vertreten, dass für die Beurteilung des zeitlichen Anwendungsbereichs des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG bei einer Vermögensübertragung im Todesfall der Zeitpunkt des Eintritts des Erbfalls maßgeblich sei (Schmidt/Heinicke, § 10 Rz. 139; Blümich/Hutter, § 10 EStG Rz. 93; Wälzholz, DStR 2008, S. 273, 278). Entscheidend sei der Zeitpunkt, zu dem der Verpflichtungsgrund für die Versorgungsleistungen entstanden ist. Im Falle einer Vermögensübertragung von Todes wegen sei dies der Eintritt des Todesfalls (Blümich/Hutter, § 10 EStG Rz. 93). Dies ist auch vorliegend der Fall. Die Verpflichtung für die an die zweite Ehefrau des Herrn A. zu zahlenden Versorgungsleistungen entsteht mit dem Tod von Herrn A..
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    Außerdem kann sich die Klägerin für die Frage des zeitlichen Anwendungsbereichs des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG nicht mit Erfolg auf die Urteile des BFH vom 25.02.2014 X R 34/11, BFHE 245, 135 und vom 12.05.2015 IX R 32/14, BFHE 250, 78 berufen. Beiden Urteilen liegen Vermögensübertragungen vor dem für die Anwendung des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG maßgeblichen Stichtag (31.12.2007) zugrunde. In dem ersten Fall (Urteil vom 25.02.2014) verstarb der Erblasser in 2002. In dem zweiten Fall (Urteil vom 12.05.2015) erfolgte eine Vermögensübertragung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge im März 2007. Im Übrigen stellte der BFH in diesem Urteil ausdrücklich klar, dass es für die Frage, ob altes oder neues Recht anzuwenden ist, nicht darauf ankommt, wann die Versorgungsleistung vereinbart worden ist.
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    Schließlich kann sich die Klägerin nicht auf Vertrauensschutz bezüglich des gemeinschaftlichen Testaments des Herrn A. und seiner ersten Frau berufen. Es ist nicht davon auszugehen, dass dieses gemeinschaftliche Testament in dem Vertrauen errichtet wurde, dass eine gegebenenfalls später vereinbarte Rentenzahlung an eine zweite Ehefrau des Herrn A. als Sonderausgabe gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. zu berücksichtigen wäre.
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        3.                Ein Abzug der an die zweite Ehefrau des Herrn A. gezahlten Versorgungsleistungen gemäß § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG kommt nicht in Betracht. Auf die Kinder wurde keine begünstigte Wirtschaftseinheit im Sinne des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG übertragen. Das auf die Kinder übertragene Waldgrundstück wurde und wird nicht im Rahmen eines forstwirtschaftlichen Betriebs genutzt.

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        III.             Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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        IV.            Die Revision ist zuzulassen. Die Frage, ob und wann der zeitliche Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG im Falle einer Vermögensübertragung von Todes wegen eröffnet ist, hat grundsätzliche Bedeutung (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Soweit die Rechtsfrage auch den zeitlichen Anwendungsbereich von § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. und damit auslaufendes Recht betrifft, entfaltet sie eine Breitenwirkung für eine nicht überschaubare Anzahl von Fällen.