03.12.2013
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 13.07.2011 – 15 K 1011/09 Kg
- Eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG kann nur für die Monatszeiträume eine Kindergeldberechtigung
nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 b EStG begründen, in denen der Steuerpflichtige die für die fiktive Einkommensteuerpflicht nach § 1
Abs. 3 EStG erforderlichen inländischen Einkünfte im Sinne des § 49 EStG erzielt.
- Ein unbeschränkt steuerpflichtiger polnischer Saisonarbeiter mit Familienwohnsitz in Polen hat für die Zeiten, in denen er
eine sozialversicherungspflichtige nichtselbständige Tätigkeit im Inland ausgeübt hat, Anspruch auf deutsches Kindergeld.
- Der Kindergeldanspruch wird in diesem Fall aufgrund des Vorrangs der Regelungen der VO (EWG) 1408/71 nicht gemäß § 65 Abs.
1 Satz 1 Nr. 2 EStG durch die Gewährung von Familienleistungen in Polen ausgeschlossen.
- Der deutsche Kindergeldanspruch ist nicht um die in Polen vorgesehenen Familienleistungen zu kürzen, wenn der Anspruch im
Wohnland nicht von einer Versicherung, Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit abhängt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Kindergeld für zwei in Polen lebende Kinder des Klägers für die Monate Januar
2005 bis Dezember 2006.
Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Er hat zwei Kinder („B”, geb. ”...”.11.2002 und „Q”, geb. ”...”.08.2004), die
mit ihm – dem Kläger – und der Kindesmutter in Polen leben. In der Zeit vom 15.03.2005 bis zum 08.06.2005 sowie vom 23.01.2006
bis 30.04.2006 war der Kläger als Saisonarbeiter für einen deutschen Arbeitgeber (Gartenbau „T”) in Deutschland sozialversicherungspflichtig
beschäftigt. In der Zeit von 01.03.2005 bis 30.06.2005 hat der Kläger Familienleistungen in Polen von mtl. 43 PLN (insg. 4
x 43 PLN = 172 PLN) für jedes Kind bezogen (Bl. 25 KiGe-Akte). Für den Zeitraum 01.01.2006 bis 30.04.2006 hat der Kläger in
Polen keinen Antrag auf Familienleistungen gestellt (Bl. 26 KiGe-Akte).
Den Kindergeldantrag des Klägers vom 29.10.2007 wies die Beklagte, die Familienkasse „E-Stadt”, am 22.07.2008 als unbegründet
zurück. Zur Begründung gab die Familienkasse an, der Kläger sei nach Aktenlage nicht unbeschränkt steuerpflichtig. Den Einspruch
des Klägers wies die Familienkasse durch Einspruchsentscheidung vom 10.02.2009 als unbegründet zurück.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Klage. Die Voraussetzungen von §§ 62 ff. des Einkommensteuergesetzes –EStG- seien
erfüllt. Er - der Kläger - sei vom FA „E-Stadt” als erweitert unbeschränkt Steuerpflichtiger gemäß § 1 Abs. 3 EStG veranlagt
worden; zum Nachweis hat der Kläger Steuerbescheide für 2005 und 2006 übersandt (Bl. 15, 19 GA). Danach bestehe Anspruch auf
Kindergeld jeweils für das gesamte Jahr. Auch ein Ausschluss gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG greife nicht, denn diese
Vorschrift sei gemeinschaftsrechtswidrig und finde auf Sachverhalte unter Beteiligung von EU-Bürgern daher keine Anwendung.
Die Familienleistungen in Polen seien zudem mit dem Kindergeld aufgrund ihrer geringen Höhe nicht vergleichbar. Zudem sei
zweifelhaft, ob er für 2006 Anspruch auf Familienleistungen in Polen habe; dafür seien seine Einkünfte in Deutschland zu hoch.
Klarheit könne nur die Familienkasse durch Einholung einer weiteren Bescheinigung E 411 schaffen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheids vom 22.07.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.02.2009
Kindergeld für die Kinder „B” und „Q” für den Zeitraum Januar 2005 bis Dezember 2006 in Höhe von insgesamt 7.392 EUR (154
EUR x 24 Mte. x 2 Kinder) zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Familienkasse bleibt bei ihrer Auffassung.
Das Gericht hat die Kindergeldakte beigezogen. Auf den Verwaltungsvorgang und auf die Schriftsätze der Beteiligten wird wegen
der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.
Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung
–FGO-).
Gründe
Die Klage ist teilweise begründet.
Die angefochtene Ablehnung der Kindergeldgewährung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 101
Satz 1 FGO), soweit die Kindergeldfestsetzung auch für die Zeiträume März bis Juni 2005 und Januar bis April 2006 abgelehnt
worden ist; insoweit steht dem Kläger der begehrte Kindergeldanspruch zu. Hinsichtlich der Monate, in denen der Kläger in
Deutschland nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, hat die Beklagte indes einen Kindergeldanspruch zu Recht abgelehnt.
Der Kläger ist anspruchsberechtigt nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG.
Nach dieser Vorschrift hat Anspruch auf Kindergeld, wer zwar keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, aber
nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird. Die Kläger erfüllt diese Voraussetzungen hinsichtlich
des hier streitigen Zeitraums (Januar 2005 bis Dezember 2006). Den nach § 1 Abs. 3 Satz 1 EStG erforderlichen Antrag hat der
Kläger mit Abgabe der Einkommensteuererklärungen 2005 und 2006 gestellt (Bl. 15, 19 GA). Die unbeschränkte Steuerpflicht entsteht
nach § 1 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz EStG allerdings nur, soweit inländische Einkünfte i. S. des § 49 EStG vorliegen, wobei
die Konjunktion „soweit” sowohl konditionale Bedeutung hat als auch ein zeitliches Moment beinhaltet mit der Folge, dass die
inländischen Einkünfte den Beginn und das Ende der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG markieren. (Urteile des
Finanzgerichts –FG- Düsseldorf vom 16. März 2010 10 K 1829/09 Kg, Rev. BFH III R 27/10, juris; vom 27. April 2010 10 K 3402/08
Kg, Rev. BFH III R 38/10, juris). Ferner führt die Fiktionsbeschränkung auch nicht zu einer unberechtigten monatlichen Betrachtungsweise
und Prüfung. Die Frage, ob die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG fingiert werden kann, hängt nach
dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG von den Einkommensverhältnissen des Steuerpflichtigen im gesamten Kalenderjahr ab;
nur wenn die in dieser Vorschrift genannten relativen und absoluten Einkunftsgrenzen im Kalenderjahr eingehalten werden, ist
das Wahlrecht des Steuerpflichtigen nach § 1 Abs. 3 EStG eröffnet. Die Wirkung des ausgeübten Wahlrechts beschränkt sich sodann
allerdings nach § 1 Abs. 3 Satz 1 EStG ausdrücklich auf die inländischen Einkünfte; eine Besteuerung des Welteinkommens und
damit des gesamten Jahreseinkommens findet nicht statt (Heinicke in Schmidt, EStG, 30. Aufl. 2011, § 1 Rdn. 70). Entsprechend
reduziert sich auch die Kindergeldberechtigung.
Demnach lagen für die Monate Januar bis Februar 2005, Juli bis Dezember 2005 und Mai bis Dezember 2006 die Voraussetzungen
des § 62 Abs. 1 EStG nicht vor und die Klage war insoweit abzuweisen. Für die Monate März bis Juni 2005 und Januar bis April
2006 – in denen die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) EStG vorlagen - war dem Klagebegehren indes zu entsprechen.
Die beiden minderjährigen Kinder des Klägers sind gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 EStG steuerlich berücksichtigungsfähig.
Dass sie im streitbefangenen Zeitraum nicht in Deutschland lebten, sondern in Polen, ist nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG für
die Zeit seit Mai 2004 unmaßgeblich, weil Polen seitdem Mitglied der Europäischen Union (EU) ist.
Dem Zusammentreffen von Ansprüchen des Klägers für seine beiden Kinder (deutsches Kindergeld und polnische Familienleistungen)
kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass sein Anspruch auf deutsches Kindergeld durch § 65 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2
EStG ausgeschlossen ist. Letztere Vorschrift ist vorliegend mit ihrem Anwendungsbereich ausgeschlossen, weil hier die spezielleren
Konkurrenzregeln des Gemeinschaftsrechts eingreifen (vgl. Urteil des FG Düsseldorf vom 1. Februar 2011 10 K 1723/08 Kg, juris).
In welchem Umfang Leistungen eines Mitgliedstaates der EU, in dem der Anspruchsberechtigte und seine Familie wohnen, für dasselbe
Kind auf das deutsche Kindergeld anzurechnen sind, richtet sich ausschließlich nach den Kollisionsregeln des Gemeinschaftsrechts
in der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer
und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (im Folgenden: VO Nr. 1408/71)
und Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der VO Nr. 1408/71 über die
Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb
der Gemeinschaft zu- und abwandern (im Folgenden: DVO Nr. 574/72). § 65 EStG wird insoweit durch das Gemeinschaftsrecht verdrängt
(vgl. Beschluss des BVerfG vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00, BGBl I 2004, 2570; Urteile des BFH vom 17. April 2008 III R 36/05,
BFHE 221, 50, BStBl II 2009, 921; des FG Münster vom 30. April 2009 11 K 998/06 Kg, EFG 2009, 1658, Rev. BFH III R 51/09;
des Niedersächsischen FG vom 21. Dezember 2010 12 K 414/08, juris, Rev. BFH III R 3/11). Das „Wiederaufleben” des § 65 EStG
wäre - jedenfalls bei Fallgestaltungen der vorliegenden Art – mit dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts unvereinbar
und würde dort insbesondere die Bestimmungen des Art. 76 der VO 1408/71 bzw. des Art. 10 der VO 574/72 im Ergebnis leer laufen
lassen (vgl. Urteil des Niedersächsischen FG vom 21. Dezember 2010 12 K 414/08, juris, Rev. BFH III R 3/11).
Nach diesen Grundsätzen sind vorliegend die (Konkurrenz-)Regeln des Gemeinschaftsrechts anwendbar. Sie bewirken, dass der
tatbestandsmäßig dem Grunde nach vorliegende Kindergeldanspruch nicht durch das europäische Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen
wird, sondern dem Kläger zuerkannt werden kann.
Das Kindergeld unterfällt dem sachlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71. Beim Kindergeld handelt es sich um eine Familienleistung
i. S. von Art. 4 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung (Urteil des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG- vom 8. Juni 2004 2 BvL
5/00, Bundesgesetzblatt –BGBl- I 2004, 2570).
Der Kläger unterliegt auch dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung. Der Kläger ist Arbeitnehmer i. S. von Art. 2 der
VO Nr. 1408/71, da er in den Jahren 2005 und 2006 gemäß Art. 1 Buchst. a) Abs. i) sozialversicherungspflichtig beschäftigt
gewesen ist; zugleich genügte er damit den Anforderungen des Anhang I E Buchst. a) zur VO Nr. 1408/71 .
Art. 13 ff. der VO (EWG) Nr. 1408/71 bestimmen, welche Rechtsvorschriften auf innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (jetzt:
Europäische Union) zu- und abwandernde Erwerbstätige anzuwenden sind. Die Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 bezwecken damit,
dass die Betroffenen grundsätzlich nur dem System der sozialen Sicherheit eines einzigen Mitgliedstaats unterliegen, um eine
Kumulierung anwendbarer Rechtsvorschriften und der sich daraus möglicherweise ergebenden Schwierigkeiten zu vermeiden (Urteile
des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 20. Mai 2008 C-352/06, Bosmann, Slg. 2008, I-3827 Rz 16; vom 14. Oktober 2010
C-16/09, Schwemmer, Amtsblatt der Europäischen Union 2010, Nr. C 346, 8 Rz 40; Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH- vom 7. April
2011 III R 89/08, juris). Nach diesem Ausschließlichkeitsgrundsatz soll, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt dem System der
sozialen Sicherheit eines Landes unterfällt, auch nur nach diesem System Kindergeld erhalten. Vorliegend führt dieser Grundsatz
zu einer Anwendung ausschließlich deutschen Kindergeldrechts.
Nach der Grundregel des Art. 13 Abs. 2 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaates
abhängig beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates
wohnt oder ihr Arbeitgeber seinen Wohn- oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates hat. Demnach gilt hier für
den Kläger, der in Deutschland abhängig beschäftigt gewesen ist, ungeachtet seines Wohnsitzes in Polen das inländische Kindergeldrecht.
Zwar steht diese Grundregelung unter dem Vorbehalt anderweitiger Regelungen in Art. 14 bis 17 der VO Nr. 1408/71. Die Ausnahmebestimmungen
sind hier indes nicht einschlägig; insbesondere ist der Kläger kein von seinem gewöhnlichen Arbeitgeber zur Ausführung einer
Arbeit in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats entsandter Arbeitnehmer i. S. von Art. 14 Nr. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71.
Im besonderen Zusammenhang der Familienleistungen sieht Art. 73 der VO Nr. 1408/71 vor, dass ein Arbeitnehmer, der den Rechtsvorschriften
eines Mitgliedstaates unterliegt, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnen, Anspruch
auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates hat, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses
Staates wohnten. Diese Bestimmung stützt vorliegend die Anwendung des deutschen Kindergeldrechts auf den vom Kläger geltend
gemachten Anspruch. Diese Zuordnung ist im Streitfall auch deshalb interessengerecht, weil der Kläger im betroffenen Zeitraum
Beiträge zur inländischen Sozialversicherung geleistet hat.
Die sog. Antikumulierungsvorschriften der Art. 76 der VO Nr. 1408/71 und Art. 10 der DVO Nr. 574/72 schränken den Anwendungsvorrang
des Beschäftigungsstaates (hier: Deutschland) im vorliegenden Fall allerdings ein.
Art. 76 der VO Nr. 1408/71 regelt die Konkurrenzfälle, in denen Familienleistungen der Kinder die Ausübung einer Erwerbstätigkeit
voraussetzen; als Rechtsfolge ruht der Anspruch auf Familienleistungen des Wohnlandes der Kinder. Da die Gesetze in Polen,
wo die Kinder des Klägers wohnen, die Gewährung von Familienleistungen nicht an eine Erwerbstätigkeit, sondern an die Staatsangehörigkeit
und den Wohnsitz anknüpfen (vgl. Art. 1 des Gesetzes vom 28. November 2003 über Familienleistungen), findet Art. 76 der VO
Nr. 1408/71 im Streitfall keine Anwendung.
Hier ist demgegenüber Art. 10 der DVO Nr. 574/72 einschlägig.
Art. 10 VO (EWG) 574/72 enthält über den hier nicht maßgeblichen Art. 76 VO (EWG) 1408/71 hinaus Vorschriften für das Zusammentreffen
von Ansprüchen auf Familienleistungen oder -beihilfen für Arbeitnehmer und Selbständige unter anderem für den Fall, dass der
Erwerb eines Anspruchs nicht von einer Beschäftigung abhängt. Als Kollisionsnorm ist Art. 10 nicht nur einschlägig, wenn andere
Personen ebenfalls Anspruch auf Familienleistungen haben, sondern auch in Bezug auf den Arbeitnehmer selbst (EuGH Große Kammer,
Urteil vom 7. Juni 2005, Rs. C-543/03 Dodl und Oberhollenzer, Sammlung 2005 I, Rand Nr. 58; Urteil des FG Münster vom 30.
April 2009 11 K 998/06 Kg, Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG- 2009, 1658, Rev. BFH III R 51/09; Urteil des Niedersächsischen
FG vom 21. Dezember 2010 12 K 414/08, juris, Rev. BFH III R 3/11; a. A. Urteil des FG Düsseldorf vom 30. August 2010 7 K 4726/09
Kg, juris, Rev. BFH III R 60/10).
Bestehen ein Anspruch auf Familienleistungen im Wohnland, der nicht von einer Versicherung, Beschäftigung oder selbständigen
Tätigkeit abhängt, und ein Anspruch auf Familienleistungen im Beschäftigungsland, so ruht nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der
VO Nr. 574/72 der Anspruch im Wohnland bis zur Höhe der im Beschäftigungsland geschuldeten Leistungen (Urteile des BFH vom
17. April 2008 III R 36/05, BFHE 221, 50, Bundessteuerblatt –BStBl- II 2009, 921; des FG Münster vom 30. April 2009 11 K 998/06
Kg, EFG 2009, 1658, Rev. BFH III R 51/09; des Niedersächsischen FG vom 21. Dezember 2010 12 K 414/08, juris, Rev. BFH III
R 3/11). Da vorliegend zumindest im Zeitraum März bis Juni 2005 sowohl ein – nicht von einer Erwerbstätigkeit abhängiger -
Anspruch auf Familienleistungen in Polen – dem Wohnland der Kinder – als auch ein Anspruch auf Kindergeld in Deutschland –
dem Beschäftigungsland des Klägers im streitigen Zeitraum – besteht, ist die Norm einschlägig. Als Rechtsfolge sieht die Regelung
vor, dass der Anspruch im Wohnland bis zur Höhe der Leistungen im Beschäftigungsland ruht; nach dieser Prioritäten(grund)regel
sind die Leistungen im Beschäftigungsland (hier: Kindergeld nach dem EStG) vorrangig. Das Ruhen des (hier niedrigeren) Anspruchs
im Wohnland Polen bis zum Betrag der (höheren) Leistungen im Beschäftigungsland Deutschland hat vorliegend zur Folge, dass
der Anspruch in Deutschland ungekürzt bzw. anrechnungsfrei – wie vom Kläger geltend gemacht - besteht und der Anspruch in
Polen im Rahmen der „Antikumulierung” zur Vermeidung einer ungerechtfertigten Doppelleistung ruht. Dass er gleichwohl Familienleistungen
in Polen erhalten hat, mag ggf. dortige Rückforderungsansprüche begründen, ist indes für die hier zu treffende Vorrangbestimmung
(Leistungen nach dem Beschäftigungs- oder dem Wohnland) nicht maßgebend.
Zwar greift statt der o. a. Antikumulierungsbestimmung die Regelung des Art. 10 Abs. 1 Buchst. b, i der VO Nr. 574/72 ein,
wenn die Person, die im Wohnland einen Anspruch auf Familienleistungen hat, im Wohnland eine Berufstätigkeit ausübt. Daraus
ergibt sich eine Prioritätenumkehr mit der Folge, dass der Anspruch auf Familienleistungen im Beschäftigungsland bis zur Höhe
der im Wohnland geschuldeten Leistungen ruht (vgl. etwa Fall lt. Urteil des BFH vom 17. April 2008 III R 36/05, BFHE 221,
50, BStBl II 2009, 921). Die Tatbestandsmäßigkeit dieser Prioritätenumkehr ist indes weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
Die Revisionszulassung beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1, 2 FGO.