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  • 26.11.2013

    Finanzgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 25.07.2013 – 1 K 16/13

    Der Anspruch auf Kindergeld setzt nicht voraus, dass sich der
    Kindergeldbe­rechtigte in einer „typischen Unterhaltssituation” befindet.


    Für Streitzeiträume bis 2011 war nach der gesetzlichen
    Regelung zu prüfen, ob die Einkünfte und Bezüge
    des Kindes den maßgeblichen Grenzbetrag überschritten.
    Nach der ab 2012 geltenden Regelung kommt es für den Kindergeldanspruch
    nicht mehr auf die Höhe der Einkünfte und Bezüge
    an. Leistungen des Ehegatten des Kindes oder des Vaters des Kindeskindes,
    welche aufgrund einer gesetzlichen Unterhaltspflicht erbracht werden,
    sind daher für den Anspruch auf Festsetzung von Kindergeld
    nicht mehr relevant.


    Tatbestand

    Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Anspruch auf Kindergeld
    für die Tochter des Klägers deshalb ausgeschlossen
    ist, weil der Tochter gegen den Vater ihres Kindes ein Unterhaltsanspruch
    zusteht.


    Die im Februar 1991 geborene Tochter des Klägers - A
    - ist Mutter eines im Januar 2011 geborenen Kindes. Die seinerzeit
    zuständige Familienkasse hob die Festsetzung von Kindergeld
    für A für die Zeit ab Dezember 2010 auf. Ab März
    2012 absolvierte A ein Prak­tikum als Vorpraktikum vor
    der Aufnahme eines Studiums, das sie zum 1. September 2012 begann.
    Der Antrag des Klägers, ab März 2012 Kindergeld
    für A festzusetzen, wur­de mit Bescheid vom 24. April
    2012 mit der Begründung abgelehnt, dass der Tochter des
    Klägers gegen den Vater ihres Kindes ein Unterhaltsanspruch
    gemäß § 1615 l des Bür­gerlichen
    Gesetzbuches (BGB) zustehe. Der dagegen erhobene Einspruch wurde
    mit Einspruchsentscheidung vom 2. Januar 2013 als unbegründet zurückgewiesen.


    Mit seiner Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
    Er vertritt unter Hinweis auf diverse finanzgerichtliche Entscheidungen
    die Auffassung, dass ein Unterhaltsanspruch gemäß § 1615
    l BGB dann nicht bestehe, wenn die Mutter des Kindes nicht wegen
    der Betreuung des Kindes, sondern wegen der Durchführung
    eines Studiums an der Aus­übung einer Erwerbstätigkeit
    gehindert sei. Zudem sei allenfalls denkbar, die Unterhalts­leistungen
    des Kindesvaters, als Bezüge der Tochter des Klägers
    zu berücksichtigen. Da es nach der ab 2012 geltenden Gesetzeslage
    nicht mehr auf die Höhe der Einkünfte und Bezüge ankomme,
    sei Kindergeld unabhängig von der Höhe einer Unterhaltsleistung des
    Kindesvaters zu gewähren.


    Der Kläger beantragt,

    den Bescheid der Familienkasse vom 24. April 2012 und die Einspruchsentschei­dung
    vom 2. Januar 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten,
    Kindergeld für das Kind A ab März 2012 festzusetzen.


    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Sie verweist auf die frühere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes
    und die sich daran orientierende Dienstanweisung. Auch wenn das
    FG Münster eine von der Dienstanwei­sung abweichende
    Auffassung vertreten habe und die Familienkasse die gegen das Urteil
    zugelassene Revision nicht eingelegt habe, so werde dennoch an der
    Dienstanweisung festgehalten.


    Gründe

    Die zulässige Klage ist begründet. Dem Kläger
    steht für seine Tochter A Kindergeld für die Zeit
    ab März 2012 zu. Das Vorliegen eines Berücksichtigungstatbestandes
    im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG)
    ist nach Aktenlage anzu­nehmen, Einwendungen hat die Beklagte
    insoweit auch auf ausdrückliche Nachfrage der Berichterstatterin
    nicht geltend gemacht.


    Auch die übrigen Voraussetzungen für die Festsetzung
    von Kindergeld liegen vor. Der Anspruch auf Kindergeld ist nicht
    im Hinblick auf eine möglicherweise bestehende Unter­haltspflicht
    des Vaters des Kindes der Tochter des Klägers ausgeschlossen.
    Soweit in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) früher
    für erforderlich gehalten wurde, dass sich der Kindergeldberechtigte
    in einer „typischen Unterhaltssituation” befinde
    (Urteil vom 2. März 2000, VI R 13/99, BFHE 191, 69, BStBl II 2000,
    522), ist diese Anforderung („ungeschriebenes
    Tatbestandsmerkmal”) in der späteren Rechtsprechung
    nicht auf­rechterhalten worden (vgl. z.B. Urteil vom 17.
    Juni 2010, III
    R 34/09, BFHE 230, 61, BStBl II 2010,
    982; ausdrücklich auch für den Fall eines
    möglichen Unterhaltsanspruches: Urteil vom 11. April 2013, III R 24/12, zitiert
    nach juris). Ob ein Kind wegen eigener Einkünfte und/oder
    Bezüge typischerweise nicht auf Unterhaltsleistungen der
    Eltern angewiesen und deshalb nicht als Kind zu berücksichtigen
    ist, ist nach der gesetzlichen Regelung nicht bei der Prüfung
    der Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 zu ermit­teln,
    sondern war nach der bis 2011 geltenden Gesetzesfassung erst auf einer
    zweiten Stufe bei der Prüfung nach § 32 Abs. 4
    Satz 2 EStG, ob die Einkünfte und Bezüge des Kindes
    den maßgebenden Grenzbetrag überschreiten, zu berücksichtigen
    (so ausdrück­lich BFH, Urteil vom 17. Juni 2010, III R 34/09, BFHE 230, 61, BStBl II 2010,
    982 mit wei­teren Nachweisen aus der Rechtsprechung;
    vgl. auch Urteil vom 30. August 2012, III R 43/10, BFH/NV
    2013, 26).


    Nach der seit 2012 geltenden gesetzlichen Regelung kommt es gemäß § 32 Abs.
    4 Satz 2 EStG für die Festsetzung von Kindergeld auf die
    Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes
    nicht mehr an. Nach der gesetzgeberischen Entscheidung ist Kindergeld
    nunmehr bei Vorliegen eines Berücksichtigungstatbestandes
    unabhängig von der Höhe der Einkünfte
    und Bezüge des Kindes zu gewähren. Damit hat der
    Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen, dass Kindergeld bei Vorliegen
    eines Berücksichtigungstatbestandes auch dann zu gewähren
    ist, wenn dem Kind unabhängig von dem Elternunterhalt ausrei­chende
    Mittel zur Bestreitung des Unterhaltes zur Verfügung stehen. Auf
    die Höhe eines Unterhaltsanspruches nach § 1615
    l BGB kommt es daher ab 2012 ebenso wenig an wie auf die Höhe
    der Ausbildungsvergütung (vgl. FG Münster, Urteil
    vom 30. November 2012, 4
    K 1569/12 Kg, EFG 2013, 298; so auch Sächsisches
    Finanzgericht, Urteil vom 13. Juni 2013, 2 K 458/13 (Kg), zitiert nach
    juris).


    Die Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs
    nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes (Stand 2012),
    die auf der Grundlage der bishe­rigen Gesetzeslage unverändert
    den gegen den Ehegatten des Kindes oder den Vater des Kindeskindes
    bestehenden Unterhaltsanspruch in die Beurteilung der Kindergeldbe­rechtigung
    einbezieht, berücksichtigt weder die zwischenzeitlich erfolgte
    Rechtspre­chungsänderung noch die Änderung
    des Gesetzes.


    Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs.
    1, 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.


    Die Revision war im Hinblick darauf, dass die Entscheidung der
    bundesweit geltenden Dienstanweisung (DA-FamEStG 31.2.3) widerspricht,
    gemäß § 115 Abs. 2 FGO zuzulas­sen.

    VorschriftenEStG § 32 Abs. 4 Satz 1