26.11.2013
Finanzgericht Köln: Urteil vom 28.08.2013 – 5 K 2072/11
1) Eine wesentliche Beteiligung innerhalb der letzten fünf Jahre i.S. des § 17 Abs. 1 EStG liegt nur dann vor, wenn der Stpfl.
in jedem der letzten fünf Jahre qualifiziert, das heißt besteuerungsrelevant beteiligt war.
2) Wird die Beteiligungsquote im VZ vor der Veräußerung auf 0,99% abgesenkt, liegen die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 EStG
für die Veräußerung nicht vor.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 5. Senat in der Besetzung: Vorsitzende Richterin am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht
… ehrenamtlicher Richter … ehrenamtliche Richterin … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 28.08.2013 für Recht
erkannt:
Tatbestand
Die Klägerin traf am 28.06.2001 mit der B AG (AG) eine Vereinbarung, wonach diese sämtliche Aktien der Klägerin an der AG
(100.000 Stück) erwerben sollte. Unter 1. der Vereinbarung war ausgeführt, dass die Verkäuferin (Klägerin) ihre 100.000 Aktien,
die sich im Depot der Klägerin bei der C Bank befänden, außerbörslich an die AG zum Stückpreis von 7 EUR verkaufe und übereigne.
Unter 2. der Vereinbarung war ausgeführt, dass die Abwicklung dieses Kaufvertrages wie folgt vorgenommen werden sollte: Die
AG als Käuferin zahle nach Wirksamwerden des Vertrages mit Fälligkeit 01.07.2001 35.000 EUR auf das Konto der Klägerin bei
der C Bank. Sofort nach Eingang dieser Zahlung sollte die Klägerin die C Bank anweisen, aus ihrem Depot 5.000 Aktien der AG
zu Gunsten deren Depots bei der E Bank zu übertragen, um damit die Übereignung dieser Aktien zu vollziehen. Des Weiteren war
ausgeführt, dass die AG per 01.08.2001 weitere 35.000 EUR auf das Konto der Klägerin zahle und diese entsprechend die C Bank
sofort nach Zahlungseingang anweise, weitere 5.000 Aktien zu Gunsten der Käuferin zu übertragen und zu übereignen. Entsprechendes
wurde per 01.09.2001 vereinbart, wonach erneut 5.000 Aktien für 35.000 EUR bezahlt und übereignet werden sollten. Zum 01.10.2001
sollte ebenso verfahren werden, allerdings in Bezug auf 15.000 Aktien, wofür die AG in der zuvor dargestellten Weise 105.000
EUR zahlen und die Klägerin unverzüglich nach Zahlungseingang die C Bank anweisen sollte. Zum 01.11.2001 sollte die Käuferin
erneut 105.000 EUR für 15.000 Aktien zahlen. Das Prozedere im übrigen sollte den vorangegangenen Übertragungen entsprechen.
Zum 01.12.2001 sollte die Käuferin an die Verkäuferin 126.000 EUR für 18.000 Aktien zahlen, zum 01.01.2002 84.000 EUR für
die Übertragung und Übereignung von 12.000 Aktien. Für fünf weitere Monate, also zum 01.02.2002 und dann jeweils bis einschließlich
Juni 2002, sollte die AG bei gleichem Ablauf wie schon in 2001 jeweils 35.000 EUR für 5.000 Aktien zahlen. Des Weiteren wurde
vereinbart, dass die AG auch berechtigt sei, auf erste schriftliche Anforderung eine größere Anzahl von Aktien vor den genannten
Daten zu erwerben, sofern sie den Kaufpreis insoweit nach Ankündigung vor den genannten Daten überweise. Alsdann sei die Klägerin
in entsprechender Weise zur Übertragung und Übereignung der gewünschten größeren Anzahl nach Zahlungseingang verpflichtet.
Über den außerbörslichen Verkauf der Aktien sollte gegenüber Dritten Stillschweigen bewahrt werden.
Im Rahmen einer Prüfung bei der AG war der Abschluss des Vertrages vom 28.06.2001 festgestellt worden. Auf entsprechende Kontrollmitteilung
änderte der Beklagte den die Kläger betreffenden Einkommensteuerbescheid 2002 vom 18.12.2003 gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 der
Abgabenordnung (AO) durch Bescheid vom 29.04.2005. Hierbei legte er den Verkauf von insgesamt 37.000 Aktien zum Kaufpreis
von insgesamt 259.000 EUR zu Grunde, was zu einem Veräußerungsgewinn im Sinne des § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
von 192.400 EUR führte, den er mit 96.200 EUR im sogenannten Halbeinkünfteverfahren der Besteuerung zu Grunde legte. Die Festsetzung
der Einkommensteuer 2001 wurde unter Hinweis seitens der Betriebsprüfung auf die in diesem Jahr bestehende Beteiligung der
Klägerin von unter 10 % nicht geändert.
Die Kläger erhoben gegen diesen Änderungsbescheid Einspruch und beantragten unter Hinweis auf das anhängige Verfahren beim
Bundesfinanzhof (BFH) unter Az. VIII R 25/02 das Ruhen des Verfahrens. Nachdem der BFH in dieser Sache entschieden hatte (BStBl
II 2005, 436), verwies der Beklagte auf die gegen dieses Urteil erhobene Verfassungsbeschwerde unter Az. 2 BvR 748/05. Nach
Ergehen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in dieser Sache vom 07.07.2010 wurde das bis dahin ruhende
Einspruchsverfahren fortgesetzt.
Die Kläger führten zu ihrem Einspruch wie folgt aus: Am 20.04.1993, am 28.06.1995 und am 02.06.1999 seien Geschäftsanteile
der B GmbH erworben worden. Diese Anteile seien bei Umwandlung der GmbH in eine AG am 13.04.2000 in Aktien umgewandelt worden.
Soweit der Beklagte unterstelle, dass der Wertzuwachs gleichmäßig von 1,80 EUR auf 7,00 EUR angestiegen sei, sei diese Annahme
falsch. Der Wert der Aktien sei im Vorfeld des Börsengangs am 13.06.2000 über Jahre hinweg gestiegen. Der Wert zu diesem Zeitpunkt
habe zwischen 13,50 EUR und 15,50 EUR betragen. Der Firmenwert sei erst am Tag des Börsengangs exakt ermittelt worden. Da
die Firma bei Anschaffung der Anteile am 19.04.2000 noch nicht börsennotiert gewesen sei, lasse sich ihr Wert zu diesem Zeitpunkt
nicht ermitteln.
Am 03.06.2011 erließ der Beklagte eine Einspruchsentscheidung, womit er den Einspruch der Kläger gegen den Änderungsbescheid
vom 29.04.2005 dahingehend abänderte, dass die Einkommensteuer 2002 von 59.868 EUR auf 46.144 EUR reduziert wurde. In seiner
Entscheidung ging der Beklagte davon aus, dass die Klägerin in 2002 37.000 Aktien zum Preis von 259.000 EUR veräußert habe.
Die Klägerin sei im Zeitpunkt der Veräußerung im Jahr 2002 innerhalb der letzten fünf Jahre zu 2,63 % am Kapital der AG beteiligt
gewesen. Unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des BFH und des BVerfG seien steuerbare und
nicht steuerbare Wertzuwächse zu ermitteln. Bis zum 31.03.1999 (Zeitpunkt der Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002)
eingetretene Wertminderungen blieben unberücksichtigt. Das gleiche gelte für bis dahin eingetretene Werterhöhungen. Unter
Berücksichtigung des Aktienkurses einerseits (zum 26.10.2000 9,55 EUR und 9,75 EUR,) und des Veräußerungspreises andererseits
(7,00 EUR) sei bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinnes im Schätzungswege von einem Durchschnittswert von 1,80 EUR pro
Aktie auszugehen. Der steuerpflichtige Wertzuwachs betrage daher 135.791 EUR und sei zur Hälfte als Veräußerungsgewinn im
Sinne des § 17 EStG mit 67.895 EUR der Besteuerung zugrundezulegen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Klage, mit der die Kläger wie folgt vortragen: Der Vertrag vom 28.06.2001 sei rechtlich
als Kaufvertrag zu werten. Die irrige Annahme des Beklagten, es sei eine sukzessive Veräußerung erfolgt, sei falsch. Der Kaufvertrag
sei bereits in 2001 wirksam zustande gekommen. Die im Vertrag genannte Abwicklung betreffe nur die Kaufpreiszahlung, die sukzessive,
das heißt im Wege einer Ratenzahlung zu erfolgen hatte. Bei Aktienverkäufen gehe die Rechtsprechung davon aus, dass das wirtschaftliche
Eigentum an einem Kapitalgeschäftsanteil nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO auf einen Erwerber übergehe, wenn der Käufer des Anteils
aufgrund eines bürgerlich rechtlichen Rechtsgeschäfts bereits eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete
Position erworben habe, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden könne. Darüber hinaus liege das wirtschaftliche
Eigentum bereits dann vor, wenn das Risiko einer Wertminderung oder die Chance einer Wertsteigerung auf den Käufer bereits
übergegangen sei. Ein besitzloses wirtschaftliches Eigentum setze weiter voraus, dass der Inhaber des zivilrechtlichen Eigentums
bezüglich des Wirtschaftsgutes allein den Weisungen des anderen zu folgen habe und dieser jederzeit die Herausgabe bzw. Übertragung
des Eigentums an sich verlangen könne. Der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums sei nach dem Gesamtbild der tatsächlichen
Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall zu bestimmen. Für die Bestimmung des wirtschaftlichen Eigentums sei nicht das formal
Erklärte oder formalrechtlich Vereinbarte, sondern das wirtschaftlich Gewollte und das tatsächlich Bewirkte ausschlaggebend.
Die Klägerin habe keine Möglichkeit gehabt, dem der Käuferin eingeräumten Recht, sich die Aktien anzueignen, zu widersprechen.
Die AG habe nach der Vereinbarung vom 28.06.2001 einen einklagbaren Herausgabeanspruch gehabt. Die Aktien hätten sich unstreitig
bei der C Bank in einem Depot befunden. Mit Einlieferung der Aktien entstehe ein gestuftes Verwahrungsverhältnis zwischen
dem Verkäufer als Hinterleger und seinem Kreditinstitut, der Depotbank. Verwahrungsverträge bestünden einerseits zwischen
dem Hinterleger und der Depotbank und andererseits zwischen der Depotbank und dem Erwerber. Dem Hinterleger stehe gegenüber
seiner Depotbank der Anspruch auf Auslieferung von Wertpapieren in Höhe des Nennbetrages bzw. der Stückzahl zu. Die Depotbank
habe andererseits einen entsprechenden Anspruch gegenüber dem Verkäufer. Der Veräußerer einige sich in diesen Fällen mit dem
Erwerber über den Eigentumsübergang und weise gleichzeitig seine Depotbank an, künftig der Depotbank des Erwerbers den Besitz
zu mitteln. Die Umstellung des Besitzmittlungsverhältnisses zur Besitzübertragung manifestiere sich in der Umbuchung der Aktien.
Für die Frage des wirtschaftlichen Eigentums sei das Stimmrecht nicht von Belang. Daher sei der vom Gericht geforderte Nachweis,
dass bereits in 2001 alle Rechte aus den verkauften Aktien einschließlich der Stimmrechte auf die AG übertragen worden seien,
nicht erforderlich. Denn das Stimmrecht eines Aktionärs könne einzig und allein in der Jahreshauptversammlung ausgeübt werden.
Maßgeblich sei daher, wer einen Gegenstand als ihm gehörig besitze. Im Streitfalle sei entscheidend, dass der Herausgabeanspruch
des bürgerlichen Eigentümers keine wirtschaftliche Bedeutung mehr gehabt habe. Aus der Vereinbarung vom 28.06.2001 ergebe
sich, dass die Klägerin als Verkäuferin nicht mehr Eigentümer von Rechten in Bezug auf die Aktien gewesen sei, die Sie in
vollem Umfange mit diesem Vertrag verkauft habe.
Nach Hinweis des Gerichts auf das Verfahren des BFH unter Az. IX R 7/12 sah sich der Beklagte nur dann zur Zustimmung zum
Ruhen des Verfahrens in der Lage, wenn zuvor geklärt worden sei, ob die Klägerin im Streitjahr unter Berücksichtigung einer
Eigenbeteiligung der AG nicht mit mindestens 1% am Kapital der Gesellschaft beteiligt gewesen sei. Nach Vorlage diverser Unterlagen
durch die Kläger erteilte das Gericht am 30.01.2013 den richterlichen Hinweis, dass davon auszugehen sei, dass die Klägerin
in 2000 mit 2,63 % und zum Ende des Jahres 2001 mit nur noch 0,99 % beteiligt gewesen. Durch die in Streit stehenden Veräußerungen
in 2002 habe sich diese Beteiligung sukzessive weiter reduziert. Keiner der Beteiligten hat die vom Gericht ermittelte Beteiligungshöhe
bestritten.
Nach Ergehen der Entscheidung des BFH am 11.12.2012 in der Sache IX R 7/12 wies das Gericht darauf hin, bei Anwendung dieser
Rechtsprechung sei davon auszugehen, dass die Klägerin weder im Jahr der Veräußerung 2002 noch in den Jahren vorher im Sinne
des § 17 EStG wesentlich beteiligt gewesen sei. Der Beklagte weigerte sich gleichwohl, dem Klagebegehren abzuhelfen, zunächst
unter Hinweis auf die fehlende Veröffentlichung dieser Entscheidung im Bundessteuerblatt, inzwischen unter Bezugnahme auf
ein Schreiben des Finanzministeriums des Landes NRW vom 10.06.2013 an das Finanzgericht und unter Hinweis auf einen Erlass
des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 27.05.2013, wonach die Anwendung der Grundsätze des BFH-Urteils vom 11.12.2012
auf den vorliegenden Fall ausgeschlossen sei, da § 17 Absatz 1 Satz 1 EStG durch Steuersenkungsgesetz vom 23.10.2000 geändert
worden sei. Der Begriff der Wesentlichkeit sei entfallen.
Die Kläger beantragen,
den Einkommensteueränderungsbescheid 2002 vom 29.04.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.06.2011 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte bleibt bei seiner bisher vertretenen Auffassung, dass 37.000 Aktien erst im Jahre 2002 veräußert worden seien,
so dass § 17 EStG dem Grunde nach greife. Da die Klägerin in den letzten fünf Jahren vor Veräußerung mit mindestens 1% an
der AG beteiligt gewesen sei, sei der Tatbestand des § 17 EStG erfüllt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Änderungsbescheid zur Einkommensteuer 2002 vom 29.04.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.06.2011 ist rechtswidrig,
da die Voraussetzungen des § 17 EStG nicht erfüllt sind.
Dabei geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin im Streitjahr 2002 37.000 Aktien der AG an diese verkauft hat. – Die Veräußerung
von Aktien setzt voraus, dass das rechtliche, zumindest aber das wirtschaftliche Eigentum an den Aktien übergegangen ist (vgl.
nur Urteil des BFH vom 11.05.2010 IX R 26/09, BFH/NV 2010, 2067 m.w.N.). Entgegen der Auffassung der Kläger wurden nicht alle
100.000 Aktien der Klägerin bereits im Jahr 2001 der AG zu Eigentum übertragen.
Aktien sind Urkunden, die Mitgliedschaftsrechte verbriefen. Grundsätzlich kann deren Übertragung zu rechtlichem Eigentum gemäß
§ 929 des Bürgerlichen Gesetzbuches durch Einigung und Übergabe erfolgen. In der Regel werden jedoch Wertpapiere im Auftrag
des Inhabers im Depot bei einer Bank verwahrt, so dass das Depotgesetz (DepotG) gilt. Im Streitfalle befanden sich die Wertpapiere
der Klägerin in einem Depot bei der C Bank. Von dort wurden die Aktien in ein Depot der AG bei der E Bank übertragen. Aktien
können sich in einer Sonderverwahrung gemäß § 2 DepotG befinden oder in einer Sammelverwahrung im Sinne des § 24 DepotG. Während
bei einer Sammelverwahrung die Übertragung der Aktien durch Umbuchung bzw. durch eine Depotgutschrift für den Erwerber erfolgt,
geschieht dies bei einer Sonderverwahrung gemäß § 18 Abs. 3 DepotG durch Übersendung eines Stückeverzeichnisses an den Erwerber.
Unabhängig davon, welche Art der Verwahrung im Falle der Klägerin vorlag, erfolgte unter Berücksichtigung der vertraglichen
Vereinbarungen zwischen der Klägerin und der AG die Übertragung von Aktien jeweils erst nach Zahlung des Kaufpreises durch
die AG und anschließender Anweisung der Klägerin an ihre Bank, aus ihrem Depot Aktien in das Depot der AG zu übertragen, um
– so wörtlich – die Aktien zu übereignen. Da für die einzelnen Aktienübertragungen die genauen Zeitpunkte bestimmt waren,
zu denen die Zahlungen seitens der AG und die Anweisungen seitens der Klägerin erfolgen sollten, kann nicht davon ausgegangen
werden, dass sämtliche 100.000 Aktien der Klägerin bereits im Jahr 2001 zu Gunsten der AG umgebucht oder gutgeschrieben bzw.
in einem Stückeverzeichnis für diese erfasst worden waren, sodass Eigentum auf die AG schon in 2001 hätte übergehen können.
Aber auch wirtschaftliches Eigentum bezüglich der in 2002 übertragenen 37.000 Aktien war noch nicht im Jahr 2001 übergegangen.
Der Übergang wirtschaftlichen Eigentums an Anteilen von Kapitalgesellschaften, also auch an Aktien, setzt nach ständiger Rechtsprechung
des BFH voraus, dass der Berechtigte alle mit der Beteiligung verbundenen wesentlichen Rechte ausüben kann, also neben dem
Gewinnbezugsrecht und der Teilhabe an Wertveränderungen der Anteile alle Verwaltungsrechte einschließlich des Stimmrechts
(vgl. nur Urteil des BFH vom 11.05.2010 IX R 26/09 a.a.O.). Anhaltspunkte dafür, dass im Streitfalle durch den Vertrag vom
28.06.2001 in Bezug auf sämtliche 100.000 Aktien der Klägerin, also auch in Bezug auf die, die nach dem Vertrag erst in 2002
übertragen werden sollten, sämtliche Gewinnbezugsrechte und Stimmrechte schon in 2001 auf die AG übergegangen sein sollen,
lassen sich dem Wortlaut des Vertrages nicht entnehmen. In diesem Vertrag ist lediglich geregelt, dass Aktien übertragen werden
und nach welchem Prozedere die Übertragung bzw. die hierfür erforderliche Kaufpreiszahlung zu erfolgen hatte. Vom Übergang
wirtschaftlichen Eigentums kann daher nach Aktenlage nicht ausgegangen werden.
Dementsprechend ist davon auszugehen, dass die Übertragung von 37.000 Aktien in 2002 erfolgt ist. Diese Veräußerung erfüllt
jedoch nicht die Voraussetzungen des § 17 EStG. –
Nach § 17 Abs. 1 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften.
Nach § 17 Abs. 1 EStG in der für das Jahr 2000 geltenden Fassung gehört der Gewinn jedoch nur dann zu den steuerpflichtigen
Einkünften, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft wesentlich beteiligt war. Gemäß
§ 17 Absatz 1 Satz 4 EStG war eine wesentliche Beteiligung gegeben, wenn der Veräußerer an der Gesellschaft zu mindestens
10 % beteiligt war. Nach Änderung des Gesetzes ab 2001 lautet die Vorschrift des § 17 Abs. 1 EStG dahingehend, dass Einkünfte
aus Gewerbebetrieb dann anzunehmen sind, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre mindestens mit 1% beteiligt
war. Für Anteile an inländischen Kapitalgesellschaften – wozu auch die AG zählt – gilt die 1%-Grenze allerdings erst ab Veranlagungszeitraum
2002 (§ 52 Abs. 34a EStG).
Im Streitfalle war die Klägerin mit ihren 100.000 Aktien bis zum Jahr 2000 mit 2,63 % am Fremdkapital der AG beteiligt, ab
2001, nach dem Verkauf eines Teiles ihrer Aktien in diesem Jahr, mit nur noch 0,99 %. Diese Beteiligung wurde nach weiteren
Veräußerungen im Jahr 2002 sukzessive weiter verringert. Dies berücksichtigend findet § 17 Abs. 1 EStG auf die Veräußerung
der Klägerin im Streitjahr 2002 keine Anwendung.
Zwar hat der BFH in seiner früheren Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Frage nach einer „wesentlichen Beteiligung innerhalb
der letzten fünf Jahre” diese bejaht, wenn der Veräußerer zumindest in einem der fünf Jahre in Höhe der im Jahr der Veräußerung
maßgeblichen Wesentlichkeitsgrenze beteiligt war (vergleiche nur Urteil vom 01.03.2005 VIII R 25/02, BFHE 209, 275, BStBl
II 2005,436). Der BFH vertritt jedoch inzwischen die Auffassung, dass das Tatbestandsmerkmal „innerhalb der letzten fünf Jahre
am Kapital wesentlich beteiligt” veranlagungszeitraumbezogen auszulegen ist (Urteil des BFH vom 11.12.2012, IX R 7/12, BFHE
239, 449, BStBl II 2013, 372). Dies bedeutet, dass § 17 EStG immer nur dann Anwendung findet, wenn der Steuerpflichtige in
jedem der letzten fünf Jahre qualifiziert, das heißt besteuerungsrelevant beteiligt war. Es ist daher für jeden abgeschlossenen
Veranlagungszeitraum zu prüfen, ob die in den letzten fünf Jahren jeweils geltenden qualifizierten Beteiligungsgrenzen im
Sinne des § 17 EStG erreicht waren.
Der BFH hat bei seiner geänderten Rechtsprechung – der sich der erkennende Senat anschließt – die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
– BVerfG – vom 07.07.2010, 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, in BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86) berücksichtigt,
in der der Zweck der Veräußerungsgewinnbesteuerung hervorgehoben wurde. Danach ist die Besteuerung nicht deshalb auf die Realisation
bezogen, weil erst zu diesem Zeitpunkt der Wertzuwachs entsteht, sondern obwohl er bereits vorher beim Steuerpflichtigen entstanden
ist. Im Zeitpunkt der Realisation werde ein über den vorangegangenen Zeitraum kumulierter Zuwachs an Leistungsfähigkeit nachholend
der Besteuerung unterworfen. Maßgeblich sei hierbei, dass sich die höhere Leistungsfähigkeit, auf die mit der steuerlichen
Erfassung des Veräußerungsgewinns zugegriffen werde, materiell auf den gesamten Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung
beziehe. Unter dieser Prämisse könne es nur um einen steuerbaren Zuwachs an Leistungsfähigkeit gehen. Der Wertzuwachs in den
Zeiträumen vor dem Realisationszeitraum müsse steuerbar gewesen sein, also der Einkommensteuer unterlegen haben, was aber
nur der Fall sei, wenn der Steuerpflichtige in qualifizierter Weise an einer Kapitalgesellschaft beteiligt gewesen sei.
Für den Streitfall bedeutet dies, dass die Klägerin, die im Jahr 2002 Aktien veräußert hat, den diesbezüglichen Gewinn nur
dann gemäß § 17 EStG zu versteuern gehabt hätte, wenn sie in den letzten fünf Jahren in einer Höhe an der AG beteiligt war,
die bei Veräußerung in diesen Jahren zu einer Besteuerung geführt hätte. Konkret bedeutet dies, dass die Klägerin bis Ende
2000 mit mindestens 10 % an der AG hätte beteiligt sein müssen und ab 2002 mit 1%. Da die Klägerin jedoch bis einschließlich
2000 an der AG – vor deren Umwandlung auch an der GmbH – nur zu 2,63 % beteiligt war und ab 2002 mit weniger als 1%, war die
Klägerin in keinem der letzten fünf Jahre im Sinne des § 17 EStG besteuerungsrelevant beteiligt.
Zwar ist das Urteil des BFH ergangen zu einem Fall, in dem es um die Reduzierung der nach § 17 EStG maßgeblichen Beteiligungsgrenze
von 25 % auf 10 % ging. Nach Überzeugung des Gerichts kann es aber keinen Unterschied machen, ob die Reduzierung der Beteiligungsgrenze
von 25% auf 10 % oder von 10% auf 1% zu beurteilen ist. Entscheidend sind vielmehr die Ausführungen des BFH zum Zweck der
Veräußerungsgewinnbesteuerung, die eine veranlagungszeitraumbezogene Auslegung in Bezug auf die Beteiligung „innerhalb der
letzten fünf Jahre” erfordert.
Der Hinweis des Beklagten, dass in der Gesetzesfassung ab 2001 der Begriff der Wesentlichkeit nicht mehr im Gesetzestext enthalten
sei und deshalb die Anwendung des BFH-Urteils auf den Streitfall nicht in Betracht komme, überzeugt nicht. Durch diese Änderung
im Gesetzestext hat der Gesetzgeber lediglich zu erkennen gegeben, dass eine Beteiligung von 1% eben keine wesentliche Beteiligung
mehr ist. Auf die Auslegung des § 17 EStG im Sinne der neuen BFH-Rechtsprechung hat dieser Einwand keine Auswirkung.
Da somit nach Überzeugung des erkennenden Senats unter Berücksichtigung der geänderten BFH-Rechtsprechung die Voraussetzungen
des § 17 EStG nicht erfüllt sind, durfte der Veräußerungsgewinn der Klägerin durch die im Jahr 2002 veräußerten Aktien nicht
besteuert werden, so dass der diesbezügliche Änderungsbescheid aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Im Hinblick darauf, dass sich die Finanzverwaltung für die Nichtanwendung des Urteils des BFH IX R 7/12 auf Fälle wie den
vorliegenden, in denen es um die Absenkung der Beteiligungsgrenze von 10% auf 1% geht, entschieden hat und dies durch BMF-Erlass
vom 27.05.2013 (GZ IV C 6-S 2244/12/10001, DOK 2013/0463063) verbindlich für alle Finanzämter geregelt hat, hat der Senat
die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.