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· Urteil | Scheinarbeitsvertrag

Sex gegen Geld als „Hauswirtschafterin“ getarnt ‒ Arbeitszeugnis und Abrechnung sind Pflicht!

Bild: © Pixel-Shot - stock.adobe.com

| Pikantes Urteil: Wer Sex gegen Entlohnung mit einem Arbeitsvertrag als Hauswirtschafterin tarnt, muss dennoch vertragstreu zahlen, ein wohlwollendes Zeugnis schreiben und regelmäßig Entgeltabrechnungen ausstellen. Das hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm zu einem Scheinarbeitsvertrag entschieden (Urteil vom 06.06.19, Az. 17 Sa 46/19). Dennoch war das ein Teilerfolg für den Arbeitgeber. |

Scheinarbeitsvertrag: Sexdienste statt Hauswirtschaft

Es geht um Entgeltansprüche einer vertraglich als Hauswirtschafterin getarnten Prostituierten, ihren Anspruch auf ein Arbeitszeugnis und Urlaubsabgeltung aus einem beendeten Vertragsverhältnis.

 

Die Arbeitnehmerin ist 35 Jahre alt und auf der Suche nach einem solventen Herrn (einem „Sugar Daddy“), dem sie gegen finanzielle Unterstützung Geschlechtsverkehr anbot. Durch die Vermittlung über eine Freundin ‒ die bei dem Arbeitgeber beschäftigt war ‒ kam der Kontakt und später ein dubioser Scheinarbeitsvertrag zustande.

 

Es begann am 05.06.17: Die einstige Beschäftigte sendete ihrem Ex-Arbeitgeber ein Foto ihrer Freundin per Whats-App. Er zeigte sich interessiert. Fünf Tage später trafen sich Arbeitgeber, die Dame auf dem Foto und die Ex-Mitarbeiterin in einem Café.

Fallentwicklung und Vertragsgestaltung

Der Arbeitgeber gab später zu Protokoll: Die Arbeitnehmerin sollte ihn zweimal wöchentlich aufsuchen ‒ für einvernehmlichen Sex. Sie sollte ihn sporadisch zu gemeinsamen Abendessen mit Freunden sowie zwei- bis dreimal jährlich zu einem Kurzurlaub begleiten.

 

  • Die Arbeitnehmerin behauptet, sie habe Geschlechtsverkehr abgelehnt.
  • Der Arbeitgeber behauptet, es sei noch am Abend des ersten Treffens zu Geschlechtsverkehr gekommen.

 

Der Arbeitsvertrag „Teilzeitarbeitsvertrag ohne Tarifbindung“

  • Nach § 1 des Vertrags begann das Arbeitsverhältnis am 01.06.2017.
  • Nach § 3 wurden die Dame als teilzeitbeschäftigte Hauswirtschafterin mit den Aufgaben Putzen, Wäschewaschen, Bügeln, Einkauf, Kochen und für sonstige haushaltsübliche Verrichtungen eingestellt.
  • Im § 4 verpflichtete sich der Arbeitgeber, eine monatliche Bruttovergütung von 460 EUR (10 EUR/Stunde) zu zahlen.
  • In § 5 wurde die Arbeitszeit auf dreimal wöchentlich vormittags festgelegt.
  • Nach § 6 erwarb die Arbeitnehmerin ausgehend von einer Fünf-Tage-Woche einen Urlaubsanspruch von 25 Urlaubstagen jährlich.

 

Bild: © IWW Institut

 

In der Folgezeit zahlte der Arbeitgeber 20.000 EUR, u. a. für

  • eine Reise nach Polen,
  • den Bezug einer neuen Wohnung und
  • die Nutzung eines PKWs.

 

Bis Dezember 2017 zahlte er auch die monatlichen 460 EUR. Für Januar und Februar 2018 erfolgten keine Zahlungen mehr.

 

Das Ende des Vertrags

Am 28.01.18 teilte die Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber mit, eine sexuelle Beziehung abzulehnen. Einen Tag später kündigte der das Hauswirtschaftsarbeitsverhältnis zum 28.02.18 und stellte sie ab sofort von der Arbeitsleistung frei.

Die Klage vor dem Arbeitsgericht

Arbeitnehmerin fordert:

  • Lohnnachzahlung für Januar und Februar 2018
  • Abgeltung ihrer Urlaubsansprüche von 680 EUR brutto
  • ein Arbeitszeugnis
  • eine Lohnabrechnung für Dezember 2018

 

Sie gab ferner an,

  • als Hauswirtschafterin tätig geworden zu sein: Sie habe gekocht.
  • Die Arbeitszeiten habe sie flexibel eingehalten. Von 24 Urlaubstagen jährlich seien 17 Urlaubstage mit vier Stunden täglich und einem Stundenlohn von 10 EUR brutto abzugelten.

 

Sichtweise des Arbeitgebers:

  • Der Arbeitsvertrag sei als Scheingeschäft nichtig.
  • Tatsächlich sei das Erbringen von Sexdienstleistungen vereinbart gewesen.

 

Deshalb seien weder die Urlaubsabgeltung, die letzten Lohnzahlungen und auch kein Zeugnis erforderlich.

Urteil: Erste Instanz ‒ Arbeitsgericht Bochum

Das Arbeitsgericht Bochum verurteilte den Arbeitgeber maximal:

  • 1. Für Februar 2018 sind 460 EUR brutto Entgelt plus Zinsen nachzuzahlen
  • 2. Der Urlaub ist in Höhe von 320 EUR brutto nebst Zinsen abzugelten
  • 3. Ein wohlwollendes qualifiziertes Arbeitszeugnis ist auszustellen
  • 4. Eine ordentliche Lohnabrechnung für Dezember 2017 ist zu erteilen

Urteil: Zweite Instanz ‒ Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm

Der Arbeitgeber ging in Berufung ‒ hatte vor dem LAG Hamm nur teilweise Erfolg (LAG Hamm, Urteil vom 06.06.19, Az. 17 Sa 46/19).

 

Entgeltzahlung

Der Antrag auf eine Entgeltzahlung für Februar 2018 ist unbegründet. Ein Anspruch aus § 615 S. 1, § 611 Abs. 1, § 611a Abs. 2 BGB besteht nicht.

 

Erklärung: Der Arbeitgeber hat sich im Februar 2018 nicht in Annahmeverzug befunden (§ 293 BGB). Deshalb muss er kein Entgelt für den Monat zahlen. Im Prostitutionsgesetz (§ 1 ProstG) steht, dass ein Entgeltanspruch erst dann entsteht, wenn die sexuelle Handlung vorgenommen wird oder sich die Person zur Erbringung für eine bestimmte Dauer bereithält.

 

Zeugnis-Erteilung

Unter dem Verlangen, ein wohlwollendes Zeugnis zu erhalten, stellt das Gericht fest, dass damit lediglich den Wunsch nach einer verständigen und gerechten Beurteilung von Führung und Leistung verdeutliche.

 

Entgeltabrechnung für Dezember 2017

Die Arbeitnehmerin hat Anspruch auf Erteilung einer Entgeltabrechnung für Dezember 2017.

 

Urlaubsabgeltung

Die Urlaubsabgeltung hat der Arbeitgeber zu zahlen (§ 7 Abs. 4 BUrlG). Danach ist der Urlaub, der wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht genommen werden konnte, abzugelten.

Hintergrund

Der undatierte Arbeitsvertrag ist ein Scheingeschäft im Sinne des § 117 Abs. 2 BGB. Als Hauswirtschafterin habe es ihr am Willen gemangelt, tatsächlich im Haushalt zu arbeiten (§ 611a S. 1 BGB). Der Arbeitgeber habe schlüssig dargelegt, dass der Vertrag tatsächlich auch nicht so gelebt worden sei. Dass vielmehr eine vertragliche Bindung für Sex-Dienste bestand, zeigt auch, dass das Treffen von einer gemeinsamen Bekannten arrangiert worden sei, die ihm Fotos gesendet habe, die nicht den üblichen Bewerbungsfotos entsprächen.

 

Hinzu kommt: Das Whats-App-Chatprotokoll zeigt, dass Sex ein ständiges Thema gewesen sei. Die Behauptung der Arbeitnehmerin, es habe niemals Geschlechtsverkehr gegeben, war damit offenkundig widerlegt.

 

FAZIT |

  • Die Arbeitnehmerin hat nicht als Hauswirtschafterin gearbeitet.
  • Sie hat den Scheinvertrag nicht bestritten.
  • Der Arbeitgeber hat erhebliche finanzielle Zuwendungen erbracht, weil er Sex erkaufen wollte.
  • Er ging mit der Dame keine „unverbindliche Sugar-Daddy-Beziehung“ ein. Vielmehr manifestierte der Arbeitsvertrag den Anspruch auf Zahlung von monatlich 460 EUR für Sex-Dienste, Kurz-Urlaube etc.
  • Das verdeckte Sex-gegen-Geld-Geschäft sei nicht sittenwidrig (gemäß § 138 Abs. 1 BGB). Die Parteien hatten sich darauf verständigt. Das belegt das Chatprotokoll.
 

Schon der BGH hat entschieden, dass Vereinbarungen zwischen Prostituierten und Kunden nicht sittenwidrig sind. Der Gesetzgeber habe mit dem Prostitutionsgesetz einem Wandel in weiten Teilen der Bevölkerung Rechnung getragen, die die Prostitution nicht mehr als schlechthin sittenwidrig ansähen (BGH-Urteil vom 13.7.06, Az. I ZR 241).

 

Aber: Das LAG stimmt einer Sittenwidrigkeit des Prostitutionsvertrags insoweit zu, dass Sex-Geschäfte mit der in Art. 1 GG geschützten Menschenwürde und dem in Art. 2 GG geschützten Persönlichkeitsrecht unvereinbar sein können. Die Bereitschaft zu sexuellem Verhalten müsse jederzeit widerrufbar sein und sei nicht rechtlich verpflichtend.

 

Gleichwohl: Wenn sich eine Prostituierte frei und eigenverantwortlich für diese Tätigkeit entscheidet, gibt sie zu erkennen, dass sie darin keine Verletzung der eigenen Würde sieht (eigener, frei gebildeter Wille).

 

Unklare Rechtslage

In der Literatur und Rechtsprechung ist streitig, ob Verträge über entgeltlichen Geschlechtsverkehr sittenwidrig sind. Im Prostitutionsgesetz i. d. F. vom 21.10.16 ist die Frage der Sittenwidrigkeit nicht geregelt.

 

  • § 1 ProstG regelt nur den Entgeltanspruch;
  • § 3 ProstG schränkt die Weisungsrechte bei Sex-Diensten ein.

 

(JT mit Auszügen aus AA Arbeitsrecht aktiv Ausgabe 11 / 2019 | Seite 183)

 

 
Quelle: ID 46209885