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· Umsatzsteuerkarussell

So geraten kleine Unternehmer in die Mühlen der europaweit agierenden Steuermafia

Den Familienunternehmer Jörg von Weiler brachte ein Betrugskarussell an den Rand des Ruins. Kriminelle hatten den Markt für Betonstahl erobert und verkauften zu Dumpingpreisen, weil sie keine Umsatzsteuer an das Finanzamt abführten.
Bild: © ZDF (Hans Koberstein)

| 50 Milliarden Euro Steuergeld pro Jahr ‒ erbeutet aus der Kasse europäischer Staaten: mit Scheinfirmen, die Umsatzsteuer hinterziehen. Das kann auch kleine Unternehmer in Deutschland hart treffen. Das ZDF berichtete am 07.05.2019 vom Fall eines Familienunternehmers, der durch mafiöse Strukturen bereits vor der Schließung des Unternehmens stand. Lesen Sie den Fall und sehen Sie die spannende Frontal-21-Reportage zur Methode von Umsatzsteuerkarussellen ... wie Kriminelle und Terroristen Staaten plündern. |

Erklärvideo: Das kriminelle Umsatzsteuerkarussell

Quelle: Easyfinance

 

  • Der Fall im ZDF: Mittelständischer Unternehmer stand vor dem Aus

Jörg von Weiler, Geschäftsführer von Filigran Trägersysteme, benötigt zur Herstellung seiner Produkte regelmäßig Betonstahl. Weil er nicht von polnischen Dumpinganbietern einkaufte, wurde er Opfer des ausgeklügelten Steuerbetrugs. Als steuerehrlicher Unternehmer sollte er 2012 kurz vor der Unternehmensaufgabe stehen, weil mafiöse Wettbewerber den Markt betreten haben und über polnische Firmen das Geschäft von Weiler zu zerstören drohten ‒ mit Dumpingpreisen.

 

Die Betrüger beherrschten nach ZDF-Recherchen den halben polnischen Markt und überschwemmten auch Deutschland mit billigem Betonstahl. Der konnte nur deshalb so billig sein, weil die Mafia ein großes Umsatzsteuerkarussell betrieben hat. Von Weiler stand vor der Frage: Kauft er von polnischen Betrügern oder bleibt er sauber ... Zum Glück hat der polnische Staat reagiert und mit einem Notinstrument namens „Reverse-Charge-Verfahren“ auch den innerpolnischen Handel steuerfrei gestellt. Die Folge: das Geschäft der Mafia konnte ausgetrocknet werden.

 

Hinweis | Unten finden Sie die gesamte ZDF-Reportage. Der Fall von Weiler wird direkt am Anfang erläutert.

 

So wie bei dem Unternehmer aus dem Landkreis Nienburg/Weser im Fallbeispiel geht es in vielen Branchen zu: Bier, Spielekonsolen, Hühnerbrüste, Handys oder Gas ‒ nahezu jede Ware eignet sich für den Betrug. Sie wird von Scheinfirmen von einem EU-Land ins andere geliefert und dann im Kreis gehandelt.

 

Der grenzüberschreitende Betrug mit Umsatzsteuerkarussellen ist für die Behörden schwer zu durchschauen. Das nutzen mafiös organisierte Banden aus. In wenigen Monaten kassieren sie eine Umsatzsteuer in Millionenhöhe und verschwinden mit dem Geld, bevor die Behörden zuschlagen.

Fehlende Einigkeit in der EU beim Umsatzsteuersystem

Das Problem ist seit Jahrzehnten bekannt: „Es ist das vorläufige Umsatzsteuersystem in der EU, das bei innergemeinschaftlichen Lieferungen eine Ausnahme vorsieht: keine Umsatzsteuer. Das ist das Einfallstor für Kriminelle und ihr kompliziertes Betrugssystem“, so das ZDF. Der berühmteste Fall von Betrugskarussellen begann vor einem Jahrzehnt:

 

  • Karussell mit CO2-Zertifikaten | Beteiligung von Deutscher Bank

Der Steuerschaden betrug damals nach Schätzungen von Europol rund fünf Milliarden Euro.

 

In den Handel waren in einem Fall vier Angestellte der Deutschen Bank verwickelt; mehrere Täter wurden nach langjährigen Ermittlungen angeklagt und verurteilt ‒ was der Bundesgerichtshof (BGH) am 15.05.18 (Az. 1 StR 159/17) rechtskräftig bestätigt hat. Das Landgericht Frankfurt hatte einen der kriminellen Händler wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier weitere Angeklagte jeweils wegen Beihilfe zu einer Bewährungsstrafe zwischen einem Jahr und drei Monaten und zwei Jahren verurteilt.

 

Der Fall bei der Deutschen Bank

Nach den Feststellungen des Landgerichts koordinierte der Hauptangeklagte in seiner Funktion als Leiter der Abteilung CMS-Region Mitte den Handel der Deutschen Bank AG mit Treibhausgasemissionszertifikaten (CO2-Zertifikaten) und wurde hierbei durch die Mitangeklagten unterstützt. Ab Sommer 2009 war in Steuerkarussellen an der Position des letzten inländischen Erwerbers (Distributor) auch die Deutsche Bank AG eingebunden. Insgesamt machte die Deutsche Bank AG in den Umsatzsteuervoranmeldungen Oktober 2009 bis Februar 2010 aus Leistungen von vier Händlern von CO2-Zertifikaten 145.465.032 Euro zu Unrecht geltend.

 

Düsterer Ausblick

Die EU-Mitgliedsstaaten können sich nicht auf ein betrugssicheres System einigen, wie sie „die offene Tür zum Steuertresor verschließen sollen“, so das ZDF. So bleiben die Drahtzieher des Betrugsmodells weiter allzu oft im Dunkeln, drehen jedes Jahr neue Karusselle und erbeuten Milliardenbeträge. Eine mögliche Lösung des Konflikts läge in einem EU-weit geltenden einheitlichen Umsatzsteuersatz.

 

(JT)

Sehen Sie die ZDF-Reportage (43 Min.)

 

Quelle: mit Material aus PM ZDF-Frontal 21 / ots

ZDF-Mediathek: Reportage von Hans Koberstein, Markus Reichert und Marta Orosz ‒ unter Beteiligung von 35 Medienpartnern aus der EU, Norwegen und Schweiz. Koordination durch Correktiv-Recherchenetzwerk.

Quelle: ID 45905272