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· Irrtümer im Arbeitsrecht ‒ Teil 2

Erst betriebsbedingt kündigen, dann zurückholen? Das wird schwierig für Arbeitgeber

Bild: © tonefotografia - stock.adobe.com | Montage: IWW Institut

| Leserfrage: „Ich sah mich als Geschäftsführer gezwungen, zwei Mitarbeiter zu entlassen ‒ betriebsbedingt. Die Auftragslage war schlecht; es blieb nur die Kündigung. Jetzt haben wir einen langfristigen und großen Auftrag an Land gezogen ... Kann ich die Kündigungen revidieren? Nein! Die Kündigung ist eine rechtswirksame Willenserklärung. |

 

PRAXISTIPP |

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Martin Hane, Lünen: „Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist eine Gestaltungserklärung, die mit Zugang beim Empfänger sofort wirksam wird. Das Arbeitsverhältnis wird entweder sofort oder unter Einhaltung einer bestimmten Frist beendet. Diese Wirkung kann nicht nachträglich durch Rücknahme der Kündigung beseitigt werden. Wenn der Kündigende gleichwohl erklärt, er nehme die Kündigung zurück, wird diese Erklärung ausgelegt als Angebot an den Vertragspartner, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Dieses Angebot kann der andere Teil annehmen oder ablehnen.“

 

Beste Lösung: Neuauflage des Arbeitsvertrages

Wenn Sie Ihrem Mitarbeiter erklären, dass Sie die Kündigung zurücknehmen, kann er das als Angebot verstehen, das bisherige Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Sie revidieren die Kündigung zwar nicht, aber Sie unterbreiten dem ehemaligen Mitarbeiter ein Angebot zur Fortsetzung/Neuauflage zu gleichen Konditionen.

 

Beachten Sie | Der Mitarbeiter sitzt nun am längeren Hebel. Es bleibt ihm überlassen, ob er dieses Angebot annehmen will oder nicht. Es ist durchaus möglich, dass er ‒ nachdem er einmal vor die Tür gesetzt wurde ‒ nicht mehr zurückkommen will.

 

Alternative: Liegt der Zeitpunkt des Widerrufs noch nah am Kündigungszeitpunkt, können Sie versuchen, die Kündigung schriftlich zu widerrufen. Sie brauchen aber gute Argumente. Beziehen Sie sich dabei auf § 119 ff. BGB ‒ Anfechtbarkeit wegen Irrtums. Sie sollten in dieser Variante aber sauber begründen können, wie der Irrtum zustandegekommen ist. Vielleicht waren Sie mit dem neuen Auftraggeber ja schon kurz vor dem Abschluss ‒ und haben nur überreagiert, weil Ihnen alles über den Kopf gewachsen ist.

 

PRAXISTIPP | Heikel wird es, wenn der Arbeitnehmer bereits Klage gegen Sie eingereicht hat. Handeln Sie nun unverzüglich: Wenn Ihnen der Mitarbeiter wichtig ist, sollten Sie anbieten, seine Prozessausgaben zu übernehmen. Es kann sein, dass er wenig verständnisvoll reagieren wird, wenn er bereits Geld in den Prozess investiert hat. Prüfen Sie in jedem Fall, welche Aussicht seine Klage hätte, zumal Sie die Sachlage mit dem Weiterbeschäftigungsangebot ja gerade ändern.

 

Fallbeispiel

Vor dem Landesarbeitsgericht München wurde ein Fall verhandelt, der die vielfach missliche Lage von Arbeitgebern verdeutlicht. An der Abfolge können Sie die Ereignisse und die Rechtsprechung schnell erfassen:

 

  • 1. Arbeitgeber kündigt einem Mitarbeiter betriebsbedingt.
  • 2. Mitarbeiter erhebt Kündigungsschutzklage. Ziel: gegenstandslose Kündigung > Rückkehr an den Arbeitsplatz.
  • 3. Arbeitgeber nimmt Kündigung zurück.
  • 4. Arbeitnehmer erscheint nicht zur Arbeit.
  • 5. Arbeitgeber erteilt zwei Abmahnungen.
  • 6. Arbeitgeber kündigt fristlose wegen Arbeitsverweigerung.
  • 7. Der Arbeitnehmer erhebt auch gegen die fristlose Kündigung eine Kündigungsschutzklage. Das LAG gibt auch dieser Klage statt.

 

Die Entscheidung

Das LAG erklärt die fristlose Folgekündigung für unwirksam, da der Arbeitnehmer das Fortsetzungsangebot nicht angenommen habe. Folglich könne keine Leistungsverweigerung bestehen.

 

Bereits die zuerst erteilte betriebsbedingte Kündigung entbindet den Arbeitnehmer von einer Arbeitspflicht. Er sei nicht gezwungen, ein Fortsetzungsangebot anzunehmen. Der Arbeitnehmer konnte die Kündigungsschutzklage fortsetzen, um eine Unwirksamkeit der ersten Kündigung festzustellen (LAG München, Urteil vom 13.10.2011, Az. 3 Sa 1187/10)

(HB)

 

Weiterführende Hinweise

Irrtümer im Arbeitsrecht |

  • Musterformulierung einer Abmahnung: Abruf-Nr. 44864707
  • Irrtum 1: „You are fired“ ‒ das funktioniert nicht Abruf-Nr. 45011854
  • Irrtum 2: Versehentlich gekündigt? Zurückholen ist schwierig Abruf-Nr. 45012861
  • Irrtum 3: Sind Kündigungen auch ohne Begründung wirksam? Abruf-Nr. 45013611
  • Irrtum 4: Anspruch auf Urlaubsgeld: Einmal zahlen immer zahlen? Abruf-Nr. 45046873
  • Irrtum 5: Fristlose Kündigung: Keine Chance ohne Verdacht ... Abruf-Nr. 45351490
  • Irrtum 6: Ohne Abmahnung kündigen: Ja, das ist möglich! Abruf-Nr. 45014904
  • Irrtum 7: Dreimal abmahnen? Nein, die Schwere entscheidet! Abruf-Nr. 45017779
  • CE-Video: Stolperfalle „Ausschlussfristen“ im Arbeitsvertrag
  • CE-Download: Musterformulierung einer Abmahnung -Abruf-Nr. 44864707
Quelle: ID 45012861