· Nachricht · Level Up Klinikführung Episode 09
Transkript: Schwarzwaldklinik war gestern ‒ wie Ergebnisqualität Klinikführung neu schreibt
| In dieser Episode unseres Podcasts „Level Up Klinikführung“ spricht Moderator und Gastgeber Dr. Benedict Carstensen mit Dr. Sara Sheikhzadeh ‒ Privatdozentin und CMO der Asklepios Gruppe. Im folgenden lesen Sie das vollständige Transkript der Episode. |
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Wie sieht Klinikführung in 10 bis 20 Jahren aus ‒ und was heißt das für leitende Ärztinnen und Ärzte? PD Dr. Sara Sheikhzadeh, Kardiologin, ehemalige Chefärztin mehrerer Notaufnahmen und heute CMO der Asklepios Gruppe, widerspricht der Verklärung der „guten alten Zeit“. Stattdessen sieht sie den aktuellen Reform- und Kostendruck als Chance zur Umgestaltung: weg von Hierarchie und Strukturfixierung, hin zu menschenzentrierter, ergebnisorientierter Versorgung.
Ausgangspunkt ist der „doppelte Tsunami“: Demografie und medizinischer Fortschritt treiben die Nachfrage, gleichzeitig verschärft der Fachkräftemangel das Angebotsproblem. Sheikhzadeh plädiert dafür, diese Spannung als Innovationsmotor zu nutzen. Wer Personal bindet, wird versorgen können ‒ deshalb zählen echte Arbeitsbedingungen, schlanke Prozesse und Identifikation mit guter Medizin mehr als Obstkorb und Jobrad. Entscheidend ist, die subjektiv empfundene Behandlungsqualität wieder in den Mittelpunkt zu rücken; sie ist der stärkste Treiber ärztlicher Zufriedenheit.
Versorgung wird nicht mehr arzt-, sondern patientenzentriert: Patienten sollen nicht länger „Pingpong“ zwischen Sektoren spielen, sondern entlang ihres Bedarfs durch das System geführt werden. Dafür fordert Sheikhzadeh weniger Bürokratie, überwindbare Sektorengrenzen und digitale Durchlässigkeit der Patientendaten. Ergebnis- und Prozessqualität sollen zur primären Steuerungsgröße werden ‒ gemessen u. a. über patientenbezogene Abfrage von Egebnissen (PROMs) und Erfahrungen (PREMs) ‒ statt eines Wettrüstens um Strukturkennzahlen.
Strukturell skizziert Sheikhzadeh für 2045 ein Hub-and-Spokes-Modell: „Leuchtturm“-Zentren bündeln hochkomplexe, seltene Eingriffe („once-in-a-lifetime“) in hoher Frequenz, während die „Brot-und-Butter“-Behandlungen, Prävention, Ambulantisierung, Reha und Nachsorge heimatnah erbracht werden. Ein belastbares Notfallnetz gehört dazu; nicht jede Klinik muss in fünf Minuten erreichbar sein, entscheidend ist die Qualität entlang der Patientenreise.
Sheikhzadeh beschreibt auch das Modell der „Telemedizin 2.0“: Neben Teleradiologie und -konsilen stehen Virtual Wards im Fokus ‒ inspiriert vom britischen NHS. Stationärpflichtige Patienten werden nach initialem Check mit vernetzten Devices (z. B. zur Messung Blutdruck, Sauerstoffsättigung) zu Hause durch multiprofessionelle Teams aus Pflege, Ärztinnen/Ärzten, Pharma- und Therapieberufen engmaschig geführt. Ergebnis: schnellere Genesung, weniger unnötige Aufnahmen, bessere Patientenerfahrung.
Das traditionelle Chefarztmodell „Alles-in-einer-Person“ weicht einer orchestrierenden Führung: weniger Hierarchie, mehr Teamsteuerung, klare Kommunikation, Fehlerkultur und interprofessionelle Zusammenarbeit. Ausbildung, Weiterbildung und Kompetenzsicherung werden digital unterstützt (z. B. zentrale Lernplattformen, CME-Tracking, VR-Simulationen) und passen sich den Lerngewohnheiten „digitaler Natives“ an. Zukunftsrelevante Skills sind vor allem Kommunikationsstärke, Deeskalation, empathische Patientenführung, sowie Prozess- und Projektkompetenz. Ergänzend hilft ein Grundverständnis der Systemlogiken (Sektorengrenzen, Vergütung), um proaktiv gestalten zu können. |
Dr. Benedict Carstensen: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich heiße Sie herzlich willkommen und freue mich, dass Sie heute wieder dabei sind. Die guten alten Zeiten. Früher war alles besser oder so ähnlich fühlt es sich zumindest für viele Kolleginnen und Kollegen an. Mal ganz trocken genommen, die Zeiten haben sich geändert und werden sich weiter ändern. Heute in der Episode möchte ich gerne einen Ausblick darauf wagen, wie die Arbeit in Kliniken besonders für leitende Ärztinnen und Ärzte in 5, 10 oder 15 Jahren vielleicht aussehen wird. Worauf man sich als Klinikleitung einstellen sollte und vor allem, wie man sich darauf vorbereiten kann, um die zukünftigen Aufgaben kompetent zu bewältigen. Mein Gast heute: Privatdozentin Frau Dr. Sara Sheikhzadeh, Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie, ehemalige Chefärztin mehrerer Notaufnahmen in Hamburg und seit 2022 Geschäftsführerin der Asklepios Kliniken Hamburg sowie Chief Medical Officer der Asklepios Kliniken Gruppe. Liebe Sara, schön, dass du heute bei mir bist.
Dr. Sara Sheikhzadeh: Hi, ich freue mich.
Dr. Benedict Carstensen: Ich freue mich sehr, dass wir gemeinsam sprechen. Du hast dich ja viel mit dem Thema Wandel beschäftigt und natürlich auch wie man ihn aktiv gestaltet. Du bist bei Asklepios maßgeblich an innovativen und zukunftsweisenden Projekten beteiligt und heute würde ich gerne mit dir sprechen, wie du die Zukunft für leitende Ärztinnen und Ärzte siehst und wie das Arbeiten dann aussehen wird. Wir erleben ja aktuell gerade so eine Umbruchzeit, die aber schon relativ lange anhält, wenn man mal ehrlich ist. Und ich bemerke häufig das Phänomen Vergangenheit ist schön vertraut. Man erinnert sich auch an das Schöne. Das ist ja das schöne Menschliche und die Zukunft ist Angst, unbekannt, ungewiss. Und meine Frage, wie zuversichtlich bist du für uns im Gesundheitswesen?
Dr. Sara Sheikhzadeh: Ich danke für die schwierige Frage. Die ist gar nicht so einfach zu beantworten. Aber ich würde einmal kurz widersprechen. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob wirklich alle Leute denken, dass die Vergangenheit so top und großartig war. Und dann denkst du dir, okay, Schwarzwaldklinik, Professor Brinkmann, der Allwissende. Seniorität war wichtig.
Also es gibt ja nichts Hierarchischeres als Medizin. Da ist jemand, der oben steht und man war abhängig von dem Chefarzt. Es gab eine klare Hierarchie. Man musste sich hochdienen. Du wusstest nicht, wann du deine Rotation bekommen hast und so weiter. Wenn wir jetzt nur den Blick auf Ärzte nehmen, aber auch grundsätzlich auf das Gesundheitssystem, so Schwarzwaldklinik-, Bullerbü-analog war das nicht. Das müssen wir einmal sagen. Und auch nicht für die Patienten. Die Patienten haben irgendwie den Gott im Weiß gesehen und standen da und waren dem auch so ein bisschen ausgeliefert in Anführungsstrichen. Ich will das gar nicht so böse sagen. Also dieses Friede, Freude, Eierkuchen, früher war alles besser, sehe ich nicht. Das ist so ein verklärter Blick.
Klar ist die Zukunft, wenn man sich das so anhört, schwierig. Vorhaltepauschale, Fixkostenregressionsabschlag. Wie wollen wir das Ganze finanzieren? Was passiert mit der Vorhaltepauschale, wenn wir das wirklich zu Ende denken, die ja keine echte Vorhaltepauschale ist? Und was passiert mit den Leistungsgruppen? Kliniksterben? Es gibt ja die klaren Befragungen, dass sehr viele Kliniken entweder insolvent sind, in die Insolvenz gehen und so weiter. Und die Kommunalen sozusagen nur die Spritzen bekommen, damit sie weiter aufrecht erhalten werden.
Stimmt, du hast recht. Wenn man sich das so anschaut, wird man so ein bisschen vielleicht wehmütig, schwermütig und... ‒ depressiv will ich vermeiden. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass jetzt ein Umbruch stattfindet und Medizin und die Reorganisation, der Wandel in der Medizin einen enormen Push bekommt. Und wir dieses Momentum nutzen, wir bei Asklepios sowieso, aber grundsätzlich wir am Gesundheitsstandort Deutschland, das nutzen können und müssen, das für uns am besten auszuloten und auch aktiv zu sein und zu schauen, wie bekommen wir das hin, dass wir in dieser Wandelzeit es schaffen, Bürokratie abzubauen, wie wir es schaffen, Sektorengrenzen zu überwinden, die für mich einer der größten Schmerzpunkte sind und wie wir unseren Arbeitsplatz neu organisieren können.
Und letztendlich ist es so, wenn ich dann weiter ausholen darf, wir werden in Zukunft bei dem demografischen Wandel, den wir haben, wirklich kein Nachfrageproblem haben. Es wird mehr werden und wir haben das und wir haben den Fachkräftemangel nicht nur in den medizinischen Berufen, aber gerade da. Es wird aber ein Angebotsproblem geben und das müssen wir innovativ lösen. Und darin sehe ich eine unglaubliche gestalterische Kraft und die sollten wir nutzen. Also weniger Angst, sondern mehr Gestaltung.
Dr. Benedict Carstensen: Okay, jetzt habe ich die Frage natürlich auch so gestellt, weil mir das von ganz vielen auch so signalisiert wird. Im Sinne von: Mir fehlt die Zuversicht. In den letzten zehn Jahren ist es nicht besser geworden. Ich verstehe, du bist erst mal zuversichtlich. Du legst den Fokus auf die Energie, die freigesetzt wird durch diese Drucksituation und das stimmt dich zuversichtlich.
Dr. Sara Sheikhzadeh: Absolut. Also ich kann auch verstehen, dass viele sagen: Will ich in den Medizinberuf, möchte ich Mediziner werden, will ich Arzt werden...? Man hört von Überstunden. Wenn man sich das ganz faktenbasiert anschaut, ging es sehr vielen noch nie so gut. Nach Corona gab es eine riesengroße Zäsur. 2019 sind so die Zahlen, auf die wir uns berufen. Ich überblicke unseren Konzern. Wir haben noch nie so viel eingestellt. Wir sehen die Arbeitslast und wir sehen unseren Personalstamm und wir versuchen diesbezüglich einmal zu schauen, wie ist da die Produktivität. Wir haben bis jetzt noch nie so viel eingestellt und noch nie war die Möglichkeit da, neue innovative Wege, gerade auch was den eigenen Beruf angeht, einzugehen. Wir sind davon überzeugt, ich habe ja erzählt, es gibt diesen doppelten Tsunami, so kann man es ja nennen, mit Angebotsnachfrage und was für Fachkräfte haben wir. Das zwingt uns, innovative Wege zu gehen, um Fachkräfte zu halten. Zu keinem anderen Zeitpunkt war es wichtiger, medizinisches Fachpersonal an uns zu binden. Denn letztendlich ist es so, in diesem ganzen Wust, was wir jetzt gerade gesagt haben, über Leistungsgruppen, Vorhaltepauschale, wie finanzieren wir das, ist der Fokus: Der, der das Fachpersonal hat, kann die Leistung bringen und der kann im Gesundheitssystem gut überleben. Also gibt es einen kleinen, klingt jetzt doof, aber Wettlauf, wer die Fachkräfte an sich binden kann. Das bedeutet, unglaubliche Chancen für alle, also auf der Arbeitnehmerseite gesehen.
Dr. Benedict Carstensen: Spannend, wie du das skizzierst, ich würde gerne gleich mal auf die aktuelle Situation des doppelten Tsunamis, mit Nachfrage geht hoch, weil alle Menschen älter und kränker und die Medizinmöglichkeiten auch einfach exponentiell gestiegen sind. Ob das jetzt irgendwie medikamentöse Therapie oder Gerätemedizin ist. Also die Möglichkeiten, die man hat, werden schwieriger. Die Probleme sind vor allem dann quasi die Ressourcen zu allokieren, so im Sinne von der Ethik in der Medizin. Wer bekommt was, weil alles für alle geht faktisch in dem Sinne nicht mehr?
Dr. Sara Sheikhzadeh: Weiß ich gar nicht. Ich würde diese negative Situation gar nicht heraufbeschwören wollen und diese Allokation. Also ich weiß, dass verschiedene Menschen vielleicht anderen Menschen Angst machen wollen und unser Ziel sollte es doch sein, jedem das medizinische Know-how anzubieten, der es braucht.
Also ich sehe diese positive Energie. Wir müssen uns darauf konzentrieren, wie wir die bestmögliche Medizin an unsere Patienten bringen, mit der höchsten Qualität, aber letztendlich auch der Patienten individuell benötigten Medizin. Wenn jemand durch unsere Tür geht, möchte er perfekt behandelt werden. Das bedeutet aber auch: Guck genau hin, was braucht der Patient, wenn er jetzt Knieschmerzen hat? Dann ist es vielleicht so, dass er jetzt nicht die mega fancy, Beispiel (lustig), Platinprothese bekommt und sofort einen OP-Termin. Sondern dass man sich das anschaut und guckt, woher kommen die Knieschmerzen? Braucht er vielleicht mehr Physiotherapie statt mehr Operationen? Was ist das individuell beste Prozedere für diesen Patienten? Und diesen Shift gibt es gerade, den muss es gerade geben. Zu schauen, was braucht der Patient individuell wirklich.
Das ist ein Weg ab von der frühen“Schwarzwaldklinik“. Da ist der Patient hingekommen, da gab es einen Arzt, der hat gesagt XYZ, so gehen wir den Pfad entlang. Das war so ein arztzentrierter Ansatz, Patienten zu behandeln. Und der Patient hat sich diesem Pfad gefügt. Und ich glaube, wir müssen so einen Shift reinbringen in unsere Köpfe: Was ist der Patientenweg? Was braucht der Patient? Im Moment ist der Patient sehr verloren in diesem Dickicht, in dieser hyperfragmentierten Medizinwelt. Und es gibt kein komplizierteres System, finde ich, wie es bei uns gibt.
Bleiben wir bei diesen Knieschmerzen. Du hast Knieschmerzen, gehst zu deinem Hausarzt. Der Hausarzt sagt, ich habe keine Ahnung. Überweist dich zu dem Facharzt-Orthopäden. Also natürlich hat der Hausarzt Ahnung. Zuerst macht er Schmerzmedikamente, dann gehst du zur Apotheke, holst dir deine Schmerzmedikamente, wird nicht besser. Einmal schnell vorgespult, dann Facharzt. Der Facharzt schickt dich dann zu einem Radiologen. Im Idealfall ist vielleicht der Radiologe im gleichen Haus. Dann holst du den Termin beim Radiologen. Ich bin selber nicht privat versichert, ich bin gesetzlich versichert. Brauche einen superlangen Termin. Dann bekomme ich vielleicht ein Röntgen. Dann gehst du wieder zum Orthopäden, brauchst ein MRT... You know!?
Der Patient wird wie so eine Flipperkugel, wie so ein Pingpongball immer hin und her geschickt und ist total fertig. Versteht auch nicht, was Sektorengrenzen sind. Warum er das machen muss und denkt sich so: Mensch, wenn ich in meinem Leben bei Amazon einfach per Klick sofort irgendwas bestelle oder in einen Laden gehe, da wird mir komplett geholfen. Warum ist das im Medizinsystem so schwierig?
Wir haben Medizin bis jetzt in unseren Sektoren gedacht, in unserem Tellerrand. Und es waren verschiedene Töpfe. Und der Patient sprang wie so ein kleiner Frosch hin und her. Und jetzt ist die Möglichkeit zu reorganisieren und zu sagen: Hey, was braucht der Patient und wie ist die Streamline für den Patienten? Und das sehe ich super positiv.
Ich glaube, dass es für Menschen, die in der Medizinbranche arbeiten, auch ein ganz anderes Gefühl ist von Identifikation mit dem Job, wenn sie sehen, dass dem geholfen wird, für den sie arbeiten, nämlich der Patient. Und die Identifikation ist eine ganz andere. Und diesen Shift müssen wir hinbekommen. Weil, sorry, ich muss das nochmal sagen, weil all die Menschen, die in der Medizinbranche arbeiten, die haben eine ganz andere intrinsische Motivation. Davon gehe ich aus. Die wollen helfen. Die wollen nicht in irgendeiner Fabrik sein. Die wollen nicht Geld verdienen. Sonst hätten die BWL, VWL studiert und wären auf Geld ausgewesen. Und Work-Life-Balance, weiß man auch, ist in der Medizin manchmal schwieriger zu bekommen als in irgendeinem 9-to-5-Job. So, dass ich glaube, in dem Augenblick, in dem wir uns auf patientenzentrierte Medizin konzentrieren, auch unsere Mitarbeiter davon profitieren, weil sie sich damit identifizieren. So wird so ein Schuh draußen. Und ich glaube, das ist das, was uns positiv bewegen sollte.
Dr. Benedict Carstensen: Was uns antreibt, uns Menschen im Gesundheitswesen, ist natürlich sozusagen die Patientenversorgung. Ich glaube, ich habe das schon mal in einer Episode gesagt. Wir haben das auch schön untersucht. Die subjektiv empfundene Qualität der Patientenversorgung ist der höchste und größte Einflussfaktor auf die Zufriedenheit von Ärzten und Ärztinnen in Kliniken. Stärker als Wertschätzung, Work-Life-Balance, etc.
Dr. Sara Sheikhzadeh: Genau das. Und darauf müssen wir hinarbeiten. Und das können wir und das versuchen wir gerade bei uns in den Mittelpunkt zu treiben. Wir nennen das menschenzentrierte Medizin. Das ist jetzt nicht nur so ein Claim oder ein Slogan, sondern es geht darum: Wie können wir die individualisierte beste Medizin dem Patienten anbieten? Mit individualisiert meinte ich das, mit den Knieschmerzen. Du brauchst nicht immer eine OP, sondern du musst einmal gucken, was braucht der Patient genau. Und menschenzentriert, weil es nicht nur um den Patienten geht, sondern genau um die Mitarbeiter, die sich damit identifizieren. Deswegen menschenzentrierte Medizin. Und was ist der wirkliche Wert für den Patienten?
Und deswegen versuchen wir das auch zu messen. Man hat immer wieder gehört, Patient-Related-Outcome-Measurements oder Experience-Measurements, PROMs und PREMs. Das ist das, was wir bei uns einführen, damit sowohl der Patient nach seiner wirklich individuellen Zufriedenheit befragt wird und der Mitarbeiter das genauso gespiegelt bekommt. Sich wohlfühlt, weil er gute Medizin macht. Das ist die große Chance, deswegen muss man das auch positiv sehen, wenn irgendjemand fragt, soll ich Medizin studieren? Erstens gibt es da einen riesengroßen Wandel. Wir kommen sicher noch dazu, zu KI und so weiter. Jetzt ist gerade, ich wiederhole es, so ein Momentum, in dem wir das neu gestalten. Dabei zu sein und das für uns und für unsere Organisation zu gestalten. Wir sind seit drei Jahren dabei, ist ein riesengroßes Phänomen.
Den Mitarbeiter, den müssen wir halten, die Fachkräfte. Noch nie waren sie so sehr im Mittelpunkt. Ich glaube, wir bieten das an, Yoga-Kurse, Obstkörbe, Jobrad, whatever. Aber das sind so die Kirsche auf der Sahne auf der Torte. Aber letztendlich wollen die Menschen arbeiten und eine gute Arbeit machen und darin nicht behindert werden und sich im besten Fall mit der Arbeit identifizieren. Und das geht nur, wenn wir die Prozesse unserer Arbeit so gestalten. Und da sind wir dran.
Dr. Benedict Carstensen: Wir haben jetzt mal so den äußeren Rahmen so ein bisschen skizziert, wo wir gerade sind, was so die äußeren Bedingungen und Trends sind mit Fachkräftemangel, der schärfer wird, mit der zunehmenden Versorgung, Bedarf und Nachfrage. Und du hast schon gesagt, ein Grundprinzip, dem ihr folgt, um letztlich diesen Wandel aktiv zu gestalten, ist der Blick hin auf die Menschenzentrierung in 10, 15 oder 20 Jahren. Wir machen eine neue Folge, nicht mehr Schwarzwald-, sondern Odenwaldklinik, aber im Jahr 2045. Wie sieht das für dich aus? Weil ich gehe davon aus, ihr bei Asklepios versucht ja genau dorthin zu arbeiten. Also vielleicht skizzieren wir einfach mal dieses Bild, was in deinem Kopf ist. Du hast dich ja ganz viel damit auseinandergesetzt.
Dr. Sara Sheikhzadeh: Ich sehe uns als Gesundheitsanbieter. Ich bleibe jetzt erst mal bei Asklepios, indem wir, und das haben wir, die Möglichkeit haben, den Patienten von der Prävention, von der immer stärker werdenden Ambulantisierung, die ich total zu Recht sehe, bis hin zum stationären Aufenthalt, Reha, Post-Reha bis nach Hause zu begleiten und ihn in einem Cluster aufzufangen. Letztendlich glaube ich, dass wir 2045 die Zentrierung haben von Once-in-a-Lifetime-Events, die z. B. onkologischen Operationen in großen Leuchttürmen und der Patient verschiedene, sorry, dass ich das so anglizistisch ausdrücke, Hubs- und Spokes-Modelle hat.
Er kommt durch jede Tür bei uns oder durch irgendeine Tür im deutschen Gesundheitssystem, geht lokal bei sich und hat ein Symptom und eine Beschwerde. Dort wird er aufgenommen, nach Symptomen behandelt, auch zeitgerecht nach diesen Symptomen und wird dann in die nächsthöhere Kategorie, in die qualitativ am besten funktionierende Einheit geschickt. Er ist bei sich in einem Flächenstaat, hat Bauchschmerzen, braucht eine Diagnostik, wird dann sozusagen weitergeleitet in die Diagnostik, die bestmöglich ist und dann in ein Zentrum, in dem diese Operation, die er vielleicht braucht, am liebsten 1.000 Mal pro Woche durchgeführt wird, damit er die beste Medizin hat. Und dann wird er wieder heimatnah weiterversorgt, weil unser System so ausgebaut ist, dass wir uns konzentrieren. Das Brot- und Buttergeschäft oder das, was man nah am Patienten machen kann, was er tagtäglich braucht, nah am Patienten zu halten und Qualität dort zu bündeln, wo sie wichtig ist und wo man hinfahren muss, um das zu bekommen. Gleichzeitig mit einem großartig ausgebauten Notfallnetz. Da brauchst du nicht in fünf Minuten immer eine Klinik haben, sondern verschiedene Fahrzeiten sind absolut möglich. So wird der Patient durch eine Art Netzstruktur aufgefangen in seinem Bedarf. Kein Patient geht gern zum Arzt. Dass Deutschland so ein bisschen verwöhnt ist mit Arztgängern, liegt, glaube ich, daran, dass er nicht weiß, wohin, zu welchem Arzt.
Ich sehe uns den Patienten leiten durch verschiedene Pfade nach seinen Bedürfnissen. Ich hoffe, dass die Sektorengrenzen 2045, also es ist ein frommer Wunsch, nicht mehr da sind, sodass wir ohne Bürokratie Zugang haben zum Patienten 2045. Das ist schon bald und du weißt, wie lange die ePA gedauert hat, aber dass wir dann 2045 mit all den Daten, die der Patient hat, digital, nicht von vorne an jedem dieser Hubs, die ich dir genannt habe und Spokes anfangen müssen. Wenn wir alles, was er hat, zugänglich haben, natürlich datenschutzkonform und so weiter, hier nicht tausend Verträge ausfüllen müssen, damit wir ihn behandeln dürfen. Das will er auch nicht. Das will keiner. Und dass wir ihm da helfen können und auch schauen, dass wir ganzheitlich denken.
Wir sind bei Asklepios schon jetzt dabei, Qualitätsverträge zu machen. Wie kriegen wir unabhängig von DRG-Modellen eine ganzheitliche Behandlung vergütet? Der Patient bekommt, bevor er eine Hüft-TEP oder eine Knie-TEP hat, Physiotherapie, wird gut aufgeklärt, hat danach die Möglichkeit, auch zu Hause durch eine App seine Übungen zu machen, dass wir ihn wirklich ganzheitlich überall abholen. Da sehe ich uns 2045 in diesem Hubs-und-Spokes-Modell.
Und wenn ich sage, wo sehen wir uns 2045? Ich sehe diese patientennahe Behandlung auch sehr digital. Wir haben sehr viele Kliniken, die nicht an der Großstadt dran sind. Und wenn du dort bist oder in eins unserer MVZs gehst, Hautarzt, Augenarzt, all diese Sachen, die auch manchmal schwer zu haben sind. Und wir haben über Fachkräftemangel geredet, dass wir das auch digital anbieten. Und ich glaube, der Patient will das. Wir tun uns manchmal schwer mit digitalen Angeboten. Ich glaube, dass sehr, sehr Vieles digital abzubilden ist. Und ich könnte jetzt noch mal von tausend Ideen für 2045 erzählen. Ich mache mal einen Stopp, damit du dazwischen fragen kannst. Aber so ist meine Struktur, dass wir in Clustern diesen Patienten an jedem seiner individuellen Bedürfnisse abholen.
Dr. Benedict Carstensen: Was macht ein Chefarzt, eine Chefärztin in 20 Jahren? Das gleiche wie jetzt?
Dr. Sara Sheikhzadeh: Nein, natürlich nicht. Ich bin mir gar nicht sicher, ob das Chefarzt-Modell das perfekte Modell ist. Das klingt jetzt gemein und alle Chefärzte werden sagen „Hilfe“. Wenn wir jetzt bei Professor Brinkmann sind, der hat Personal geführt. Er war der beste Operateur. Der war der, der berufsübergreifend mit allen kommuniziert hat. Ich glaube, dass es sehr selten so ist, dass der beste Operateur auch der perfekte Personal-Oberarzt ist.
Dr. Benedict Carstensen:Darf ich ganz kurz da rein? Aus der Realität wissen wir ja, dass es häufig nicht so ist. Wer sich für Operationen begeistert, begeistert sich nicht per se auch für Dienstpläne.
Dr. Sara Sheikhzadeh: Wir haben doch jetzt schon so eine sehr große Spezialisierung. Es gibt auch nicht mehr den Kardiologen, sondern es gibt den Elektrophysiologen, es gibt den Clipp-Spezialisten, es gibt den Hämodynamiker, es gibt den Herzinsuffizienz-Spezialisten, es gibt den Device-Spezialisten. Allein da haben wir ja schon eine Fragmentierung und jeder soll das machen, was er am besten kann.
Ich glaube, dass es da eine große Bandbreite geben wird, wie man Führung denkt. Ich glaube, dass Führung in der Medizin deutlich weniger hierarchisch wird, mehr auf Augenhöhe. Es wird ein Umdenken geben, wie man junge Assistenzärzte ausbildet, wie man Facharztweiterbildung denkt. Wenn ich zurückgehen kann zu meinem Netzwerkmodell, was wir hatten ‒ wie überleben Kliniken, wie macht man das? ‒ glaube ich auch, dass ein Chefarzt oder ein Leiter einer Abteilung genau diese Diversifizierung hat und Spezialisten hat in der Ausbildung, in der Personalführung und in den einzelnen operativen Tätigkeiten. Und ich glaube, wir dürfen nicht vergessen, dass sehr, sehr vieles ganz anders digital wird und warum sollen wir das nicht nutzen?
Dr. Benedict Carstensen: Was meinst du mit, es wird digitaler und wir sollen es nutzen? Was bedeutet das jetzt für leitende Ärztinnen und Ärzte?
Dr. Sara Sheikhzadeh: Wie machen wir Ausbildung? Wie können wir davon profitieren? Wie können wir über digitale Tools versuchen, mehr Menschen zu erreichen, Ausbilder, Patienten und so weiter? Alleine wir haben bei uns einen neuen Konzernbereich „Bildung und Wissensmanagement“ aufgebaut, weil einfach der Bedarf riesengroß ist in Aus-, Weiter- und Fortbildung. Ich weiß nicht, wie du deine Fortbildung früher gemacht hast. Ich saß in einem riesengroßen Raum und habe mir Hygienefortbildung angeschaut. Wir machen das jetzt online und wir haben eine Plattform ASKNow. Du kannst verschiedene Fortbildungen online machen und auch deine Prüfungen online absolvieren. Deine CME-Punkte werden gesammelt und der Chefarzt weiß dann, wann du welche Fortbildung gemacht hast. Das ist alles sozusagen digital. Das gab es früher nicht. Das ist allein schon so ein riesen Fortschritt, wie wir Fort-, Aus- und Weiterbildung denken. Ich persönlich glaube, allein in der Ausbildung operativ, dass wir sehr auf digitale und Virtual Realities und so weiter zurückgreifen können und müssen. Das entbindet uns nicht vom direkten Patientenkontakt, aber wir können auch jungen Menschen, Fachärzten diese Tools anbieten, die sie von überall her auch benutzen dürfen. Jetzt kommen wir wieder zu Work-Life-Balance und Gen-Z. Diese Digital Natives sind es auch gewohnt, anders zu lernen und anders zu konsumieren. Klingt falsch, aber letztendlich, was bieten wir unseren Mitarbeitern an, von wo sie welche Sachen abarbeiten können oder nicht, um sie perfekt zu befähigen?
Nicht um den Patientenkontakt zu reduzieren. Nichts ist wichtiger als Patientenkontakt und das zu lernen, aber auch diese Digitalisierung müssen wir mitdenken 2045. Und ehrlich gesagt, Chat-GPT hat uns doch komplett überholt, richtig? In der Arztbriefschreibung etc... Also ich habe meine Kinder gesehen, wir wollten Kuchen backen und ich habe mein Rezeptbuch rausgeholt und meine Kinder haben Chat-GPT rausgeholt und haben gefragt: „Wie backe ich einen Schokoladenkuchen?“ Das geht ja exponentiell und ich mag da gar keine Prognose. Es wird noch so viele Sachen geben, die wir versuchen in unserer Digitalstrategie jetzt schon zu antizipieren. Aber ich finde, das ist wie damals mit der Elektrizität oder mit der Dampfmaschine: Es geht gerade so exponentiell hoch und wir wissen nicht, was mit uns passiert. Ich sehe darin etwas Gutes.
Dr. Benedict Carstensen: Aber das heißt, in deinem Kopf ist es schon so: Es wird vermutlich so Megakrankenhäuser geben oder Megazentren, wo letztlich hochspezialisiert...
Dr. Sara Sheikhzadeh: Leuchttürme. Mega klingt so negativ. Leuchttürme.
Dr. Benedict Carstensen: Leuchttürme, große Zentren... versuche ich es mal ganz neutral zu formulieren. Und dort wird es auch das Konzept geben, dass es medizinische Teams gibt und diese medizinische Teams werden von jemandem geleitet. Ob dann sozusagen die Aufgaben dieses medizinischen Leiters oder dieser medizinischen Leiterin so sind wie heute, dass man quasi für alles verantwortlich ist, Personalführung, Personalmarketing und so weiter. Ich glaube, das wird keinen Sinn machen.
Dr. Sara Sheikhzadeh: Ja, lass den die Arbeit machen, der es am besten kann. Ich bin ein starker Gegner der Strukturqualität. Wir messen gerade immer nur Fachärzte. Wie viele Fachärzte haben wir? Wie viele CTs haben wir?
Dr. Benedict Carstensen: Im Vergleich zu, meinst du.
Dr. Sara Sheikhzadeh: Genau. Also wir sind so wahnsinnig bürokratisiert und wir zählen immer nur. Ich benutze mal ein Bild von meinem Vorstandskollegen, der das gerade bei einem Event erzählt hat. Wir sind in der Küche oder in einem Restaurant und zählen die Töpfe und die Gasherde und die Kellen. Und ob das, was wir kochen, dem Patienten schmeckt, das misst keiner.
Mir geht es um Ergebnisqualität. Wie kriegen wir das allerbeste Ergebnis für unsere Patienten hin? Es muss vielmehr um Ergebnisqualität gehen und Prozessqualität. Ich hoffe, dass wir 2045 dabei sind, Ergebnisqualität als die Basis unseres Handelns zu sehen. Wie viele Fachkräfte dafür nötig sind, ist egal.
Arbeitnehmer bedeuten auch diese Strukturqualität. Wie viele Fachärzte haben wir? Einhaltung von Arbeitszeiten und Arbeitsaufteilung. Dagegen bin ich nicht. Das ist ganz, ganz wichtig! Deswegen glaube ich auch, dass es viel, viel besser wird. Wie regeln wir das? Wie gucken wir, dass es unseren Mitarbeitern gut geht? Das ist unglaublich wichtig. Dafür ist Strukturqualität ein dicker Bonus. Aber wenn wir jetzt von der Kostenträgerseite gehen, die irgendwie messen, was haben wir, was haben wir nicht? Oder haben wir so ein Wettrüsten? Wie können wir beweisen, dass wir den Patienten am Monitor hatten oder sonst was? Kein Mensch fragt wirklich tief nach Ergebnisqualität und nach Patient-Related-Outcome-Measurement. Diese großen Zentren sind deswegen nötig, weil es um Qualität geht. Dort, wo man am meisten etwas macht, da ist man von der Qualität her am besten.
Dr. Benedict Carstensen: Ja, also ich finde da schon, auch wir Mediziner können da so ein bisschen selbstkritisch sein. Unsere Fortbildungen sind häufig wirklich kompletter fachlicher Natur. Dass man die besten Empfehlungen aussprechen kann und sagen kann: Okay, in der individuellen Situation empfehlen wir das und das. Aber letztlich, ob die Empfehlung dann umgesetzt wird und was wir dafür tun, dass der Patient dann wirklich davon profitiert...? Also jetzt geht es um Kommunikation Patientinnen und Patienten gegenüber. Da haben wir aus meiner Sicht einen blinden Fleck für. Ich glaube, wir haben grundsätzlich einen blinden Fleck in Kommunikation und Patientenführung.
Dr. Sara Sheikhzadeh: Wir haben jetzt sehr viel über Digitalisierung und über Strukturen und Qualität und Messung geredet. Viele denken, es ist weit weg vom Patienten. Ich glaube, dass wir einen riesengroßen Wandel haben müssen und wir sind auf einem guten Weg, über Führung, Kommunikation zu reden und Fehlerkultur. Je digitaler es wird, desto mehr musst du kommunizieren und in Interaktion treten. Sei es in der interprofessionellen Beziehung zwischen Chefarzt oder medizinischem Teamleiter und den Auszubildenden, in der Weiterbildung, in dem Patientenmanagement. Ich glaube, darauf müssen wir noch einen ganz anderen Schwerpunkt legen, was wir jetzt gerade machen. Wie führe ich, wie kommuniziere ich, wie gehe ich mit Patienten um, wie gehe ich mit Mitarbeitern um, wie führe ich ein Team und wie sind wir gemeinsam?
Du hast gesagt, ich komme aus der Notfallmedizin. Ich habe da meinen Werkzeugkasten gelernt. Hilft mir unglaublich. Wie führe ich eine Notaufnahme? Wenn du bei einer Reanimation im Schockraum bist, dann hast du zwar einen Schockraum-Leader, aber der ist nichts ohne sein Team. Jeder hat seinen Platz und jeder hat sein To-do. Da ist der Anästhesist, da ist die Anästhesie-Schwester, da ist der Kardiologe, da kommt jemand, der Radiologe, der Ultraschall macht oder was auch immer. Dieses Team funktioniert nur gemeinsam und dieses Team funktioniert nur mit einer sehr klaren Kommunikation. Man sagt ja nicht einfach nur „Gib 10 Milligramm XY“. Und dann sagt irgendjemand „Ja.“ Man sagt: „Du, Benedict, musst jetzt bitte 10 Milligramm das und das geben.“ Dann sagst du: „Ja, ich verstehe das, gebe ich jetzt. Ist gegeben.“ Das ist ja Kommunikation, Interaktion gemeinsam. Daraus lernt man viel. Oder wenn man Entscheidungen trifft, bei einer Reanimation aufzuhören oder nicht aufzuhören, das trifft nicht der Schockraum-Leader alleine, sondern das trifft das Team und jeder hat was zu sagen. Diese Kultur der flach-hierarchischen Kommunikation mit einem klaren Ziel, aber auch jemandem, der das leitet und das Team führt ‒ ich glaube, das ist ein bisschen zukunftsweisend. Ich finde das als Tool gar nicht so schlecht.
Dr. Benedict Carstensen: Du hast schon gesagt, im Sinne von das Thema Teamführung wird wichtiger, Kommunikation wird wichtiger. Aber bevor wir nochmal auf ein verändertes Kompetenzprofil gehen, würde ich gerne noch fragen: Bei Asklepios, habt ihr da schon die einen oder anderen Projekte, die Sektorengrenzen ein bisschen ausweiten?
Dr. Sara Sheikhzadeh: Ja, ich bin sehr stolz. Deswegen sehe ich das so positiv auch für unseren Konzern. Wir haben ja sehr viele MVZ-Strukturen. Wir haben sehr viele Hausarztpraxen. Wir haben grob so 170 Einrichtungen und die sind von Radiologien, Labor, Hausarztpraxen, radiologische Praxen, ein riesengroßer MVZ-Bereich, in dem wir nah am Ort das abbilden können plus stationäre Patienten plus Reha. Wir nennen es „Asklepios hilft“: Egal, wo du bist, ich betone das quasi immer, egal wo du bist, geh durch unsere Tür und selbst wenn du da falsch allokiert bist ‒ nämlich du kommst mit acht Wochen Bauchschmerzen in eine unserer Notaufnahmen‒, geben wir dir einen Termin. Du kannst es dir aussuchen, wohin du gehst, aber wenn du geleitet werden willst, können wir dich leiten. Auch gemeinsam mit der KV und dem gemeinsamen Tresen, wir helfen dir. Du wirst nicht einfach weggeschickt, bist wieder lost in diesem System, sondern wir leiten dich durch unser System und sagen, du kannst dahin gehen, dort gucken wir einmal, warum du seit acht Wochen Bauchschmerzen hast. Dann machen wir eine Diagnostik ‒ es ist z. B. eine Leistenhernie ‒, dann entscheiden wir je nach deinen Kontextfaktoren, muss es ambulant oder stationär sein, machen wir es in einem unserer OP-Zentren, wir leiten dich weiter und danach, wenn du entlassen wirst, hier ist dein Rezept und Physiotherapie, whatever. Sodass wir ihm das abnehmen und ihm helfen. Die Idee, dass Patienten zu viel zu Hausärzten gehen, wir sagen ja immer, in Deutschland gehen viel zu viele Menschen zum Hausarzt ‒ in Skandinavien ist es zweimal im Jahr, ich glaube, durchschnittlich in Deutschland sind es achtmal pro Jahr ‒ oder unsere Notaufnahmen so übervölkert sind, weil die Patienten so eine easy Mentalität haben, einfach wegen einem eingewachsenen Fußnagel in die Notaufnahme zu gehen. Wir sind davon überzeugt, dass einfach die Leitung der Patienten falsch ist. Die brauchen Hilfe und sie wissen nicht, wohin. Wir sagen, geh durch unsere Tür, wir leiten dich, versuchen dich in unserem System zu halten und zu gucken, dass wir dir dadurch helfen.
Dr. Benedict Carstensen: Das ist tatsächlich schön, wir erleben es ja oder wir haben es sicherlich schon das eine oder andere Mal selbst erlebt, dass man einfach diese Mentalität sieht, das ist nicht mein Cup of Tea, ich kann dir nicht helfen, jemand anders muss, denn neurologisch hast du nichts... Das ist schön, da den Patienten nicht nur zu sagen „Ich kann dir nicht helfen, jemand anders muss bei dir gucken.“, sondern „Wir können jetzt in dem Fall nicht helfen, aber guck mal hier, ich mache dir gleich einen Termin aus.“, und kann da noch mal weiterhelfen. Das ist doch schön. Stichwort Telemedizin, habt ihr da irgendwas? Das ist letztlich Digitalisierung und Medizin, Telemedizin.
Dr. Sara Sheikhzadeh: Wir sind gerade am Strukturieren. Telemedizinisch gibt es viele Angebote. Was Teleradiologie angeht, Telekonzile, Teledermatologie... Haken dran. Sehr häufig müssen wir noch mal gucken, wie kompatibel verschiedene Devices mit dem KISS-System sind. Aber wir denken dementsprechend schon einen Schritt weiter. Wir haben gerade Virtual Wards.
Ich habe dir ja gesagt, dass aus dem Mangel oder aus der schwierigen Situation verschiedene Möglichkeiten bestehen oder ein Momentum besteht, Neues zu organisieren. Ich bin mit Benedikt Simon, das ist unser Innovator, gerade was Telemedizin und neue Medizinformen angeht, nach England gegangen. Der hat mich gefragt: „Du bist ja Ärztin, kannst du dir vorstellen Patienten komplett remote zu behandeln?“ Und ich so: „Nein, ich muss doch immer den Patienten sehen!“ Oldschool, ne? Schwarzwaldklinik. Ich muss mit dem Patienten sprechen und ich habe früher immer bei meinen Visiten den Patienten gesehen und dann entschieden und niemals remote irgendwie was am Computer entschieden. Nein, das kann nicht sein.
Dann sind wir zum NHS nach England. Der NHS wird ja sehr gebasht, weil er falsch organisiert ist und wegen Kosten und so weiter. You name it. Und aus diesem Mangel und gerade auch aus Corona heraus waren die so übervölkert in den Notaufnahmen und den Kliniken, dass sie gesucht haben: Wie können wir Patienten anders und individuell behandeln? Und haben bei verschiedenen Indikationen, aber auch gerade, weil der Patient lieber zu Hause sein würde ‒ demente Patienten XY, also die, die zu Hause einfach besser aufgehoben sind, aber stationäre Aufnahme bedürfen ‒ virtuell versorgt. Die haben verschiedene Devices mitbekommen, Blutdruckmessgerät, Pulsoximeter etc., und sind dann wieder nach Hause geschickt worden nach dem Checkup. Und sind dann remote sowohl von Pflegekräften als auch von Ärzten behandelt worden. Riesenerfolg.
Wir haben uns das angeschaut. Die haben mit 20 Patienten angefangen. Damals waren das so respiratorische Pneumonien, die dann irgendwie noch Antibiotika oral nehmen mussten und bei denen man einfach kontrollieren muss. Wo wirklich auch eine Indikation bestand. Man darf sich nicht vorstellen, dass sowieso entlassene Patienten nochmal ein Goodie bekommen, sondern es war ein Hardcore stationärer Patient. Wir haben uns das angeschaut in so einem riesen Remote Center, wo Pflegekräfte, Physiotherapeuten, Ärzte, Medikationsspezialisten, Pharmazeuten da waren und die Patienten remote behandelt haben. Ich war unglaublich begeistert und die Patienten wurden sogar schneller gesund.
Also All-in für das Gesundheitssystem, ein riesen Benefit. Das haben wir jetzt in einem Innovationsprojekt bei uns implementiert, InnoFormProjekt und machen sozusagen Virtual Wards bei uns auch. Wir haben dann genau in der gleichen Logik überlegt: Pflegeheime schicken sehr häufig Patienten in die Notaufnahme. In meiner alten Notaufnahme, dort, wo ich früher gearbeitet habe, da kennt man ja seine Pflegeheimbewohner. Auch da haben wir telemedizinische Gadgets etabliert. Jedes Mal, wenn man denkt, dieser Patient muss in die Klinik, gibt es sozusagen so einen Call mit Pflegekräften, Ärzten und Triage und Blutdruckmessung und so weiter, um zu schauen, muss der Patient wirklich in die Notaufnahme? Gerade bei dem dementen Patienten, der dann stundenlang auf dem Flur liegt, ist es besser, ihn remote zu behandeln.
An diesen ganzen Aktionen sind wir dran und ich glaube, diese Modelle müssen wir weiterdenken. Das ist ja so ein bisschen Telemedizin 2.0. Das ist schon mal, finde ich, ein großer Fortschritt. Du hast gefragt, kann jeder Mensch alles bekommen? Das war ja am Anfang unserer Diskussion. Ja, kann er. Wenn wir gucken, wie wir unsere Ressourcen und diese modernen Methoden einsetzen, sodass jeder das bekommt, was er braucht. Wir müssen nur schauen, wie wir unsere Ressourcen allokieren und das nutzen. Und ich glaube, das ist auch wieder so eine exponentielle Kurve, in der wir lernen müssen, das gemeinsam zu verbinden.
Dr. Benedict Carstensen: Eine Rückfrage noch. Und zwar, du hattest gesagt, mit diesem großen Remote-Kontrollzentrum, da waren auch Physiotherapeuten. Haben die dann auch Physiotherapie über...?
Dr. Sara Sheikhzadeh: Nein, die haben immer geschaut, was es ist und haben entschieden, wohin. Aber ehrlich gesagt, lass uns das weiterentwickeln. Es gibt ja die CASPA-App. Es gibt verschiedene Apps, in denen du physiotherapeutische Übungen machst und daran erinnert wirst. Wir haben auch in unseren verschiedenen Qualitätsverträgen, wie denken wir Physiotherapien neu? Also sehr viel hat ja auch was mit Gesundheitskompetenz zu tun. Wie vermitteln wir das? Auch das ist unglaublich gut möglich. Wir haben da die Möglichkeiten, noch mehr Medizin remote an den Patienten zu bringen, als wir dachten. Und vielleicht ist das auch die Lösung unseres Tsunamis.
Dr. Benedict Carstensen: Ich bin total bei dir. Ich persönlich mag auch die Projekte, wo man telemedizinische Versorgung irgendwie voranbringt. Weil das hat eben die Möglichkeit, sozusagen Benefit auf allen Ebenen zu bringen. Für die Patienten und Patienten, weil es einfach Verfügbarkeit ist. Für die Mitarbeitenden, weil man das eben auch ortsunabhängig machen kann. Für die Unternehmen, weil man eben Effizienz steigern oder heben kann. Das ist schon spannend.
Dr. Sara Sheikhzadeh: Ich habe gesagt, Kommunikation zum Patienten ist enorm wichtig. Aber lass uns die Patienten auch ernst nehmen. Manchmal brauchen die einfach nur Nachfragen. Kollegen von mir waren gerade in Skandinavien und da chatten die einfach. Also es reicht manchmal auch zu chatten. Ich habe eine ärztliche Kollegin gehabt, die hatte eine Frage, Sonnencreme auflegen, so eine Hauterkrankung, plus die Hautmedizin drauf und so weiter. Und hat irgendwelche Paper dazu gelesen, weil das so ein Hautkrebs war. Wie geht das mit meiner Sonnencreme und soll ich Sport machen? Ja oder nein? Also Paper gelesen, ist nicht weitergekommen. Hat ChatGPT gefragt: „ChatGPT, kannst du mir bitte beantworten, wann muss ich in welcher Reihenfolge wie die Lotion auftragen und warum darf ich keinen Sport machen?“ BÄM! Super cool, gut zusammengefasst. Wir müssen natürlich super aufpassen. Also ich bin selber kein ChatGPT-User, aber schon mal vorher Fragen abzufangen und dann aber bei Notfällen sofort „Alert ‒ Du musst zum Arzt!“... Lass uns das nutzen und nicht so böse das Ganze betrachten.
Dr. Benedict Carstensen: Absolut, das ist die Realität. Also ich merke es auch im Alltag. Patienten kommen mit ChatGPT-Fragen. Am Telefon habe ich auch schon den einen oder anderen Patienten gehabt, der während des Gesprächs quasi Fragen von ChatGPT vorgelesen hat. Das ist die Realität. Das wird tendenziell eher mehr als weniger werden. Vielleicht noch zum Abschluss: Wenn wir jetzt das mal logisch zu Ende denken und sagen, okay, viele unserer Hörerinnen und Hörer sind ja leitende Ärztinnen und Ärzte, aber viele wollen es auch werden. Und ich bekomme natürlich auch häufig die Frage, soll ich einen MBA machen, mich im Thema Management und Führung weiterentwickeln oder soll ich mich medizinisch ganz stark spezialisieren, um dann die medizinische Karriere weiter hochklettern zu können. Also wenn wir jetzt davon ausgehen, 2045, also in 20 Jahren, wie kann man in der Medizin Karriere machen?
Dr. Sara Sheikhzadeh: Indem man das macht, was man liebt. Ich bin niemals ein Karriereplaner gewesen. Ich habe niemals etwas gemacht, weil man es machen musste. Klar, ich habe mich habilitiert. Klar, ich habe promoviert und habilitiert. Aber ich glaube, auch das braucht man nicht mehr. Ich habe auch keinen MBA. Es gibt ganz viele Ärzte, die einen MBA gemacht haben, um Chefarzt zu werden oder um eine leitende Position zu haben. Wenn mich jemand fragt: Was soll ich machen? Dann sage ich: Mache das, wofür du brennst und was dein intrinsischer Motivator ist!“ Nur dann wird man der Beste in dem, was man tut und in dem, was man liebt. Ich habe irgendjemanden mal gesprochen, der gesagt hat: „Ja, bitte gib mir Tipps. Welche Kurse soll ich besuchen, damit ich auch so eine Karriere mache?“ Früher hat man mir gesagt, promoviere und habilitiere. Und ich sage jetzt: Nee, mach das, was du liebst. Vielleicht ist die Antwort nicht das, was du erwartet hast und was die Hörer erwarten. Weil ich glaube, dass sich so viele Sachen entwickeln und sich so Vieles ändert. Und ich könnte jetzt auch sagen: Sei digital affin, guck mal, wie du dich da diesbezüglich weiter- und fortbildest. Mach Kommunikationsstrategien, hol dir einen Coach. Ich glaube, es ist so individuell. Man sollte sich das suchen, wofür man brennt und dann wird man gut in seinem Job.
Dr. Benedict Carstensen: Gut, also die meisten Mediziner tatsächlich brennen ja für Medizin, wie wir vorhin schon…
Dr. Sara Sheikhzadeh: Aber welche Medizin? Frauen kommen auf mich zu und sagen: „Ja, ich brenne für die Chirurgie, denke aber, dass ich als Frau da nicht weiterkomme. Was ist mit meiner Familienplanung, wenn ich Familie haben möchte und Job und Karriere? Was empfiehlst du mir?“ Da kann man nicht so viel empfehlen. Wenn du gerne Chirurgin werden willst, dann werde Chirurgin und es wird sich schon richten.
Dr. Benedict Carstensen: Okay, dann präzisiere ich nochmal die Frage. Also du bist Notfallmedizinerin und bist Chefärztin einer Notaufnahme... Nein, du nicht Chefärztin, sondern leitende Oberärztin oder Oberärztin und möchtest sozusagen den Weg noch weiter als Chefärztin oder medizinische Leitung gehen. Jetzt auch im Hinblick auf das, was in 10, 15 oder 20 Jahren auf dich zukommt, wie kannst du dich da gut drauf vorbereiten?
Dr. Sara Sheikhzadeh: Offen sein, über den Tellerrand schauen, Grundverständnis für das Gesundheitssystem haben. Es gibt ganz junge Ärzte, die wissen gar nicht, dass es eine sektorale Grenze gibt und dass die KVen ein komplett anderes System hat. Minimale Kenntnisse davon haben, was im Gesundheitssystem vorgeht, um zu verstehen und präventiv agieren zu können. Vielleicht, wenn du mich wirklich auf irgendwas festnageln willst: Projekt- und Prozessverständnis haben, um Sachen ändern zu können. Kommunikation und empathische Kommunikation und Personalführung. Diese vermeintlichen Soft-Skills sind das A und O.
Wir haben jetzt so viel über Digitalisierung geredet und so viel über verschiedene Methoden oder Prozesse und so weiter. Letztendlich scheitern wir alle an der richtigen Kommunikation und wie wir Menschen begegnen. Wieder Notaufnahme: Deeskalation bei schwierigen Patienten beginnt mit einer richtigen Kommunikation. Wenn man nicht lernt zu kommunizieren, ist alles nichts.
Dr. Benedict Carstensen: Sara, ich möchte mich an der Stelle unfassbar bedanken bei dir. Das hat mir wirklich wahnsinnig Spaß gemacht. Wir haben gelernt, das Medizinerleben in 20 Jahren wird vermutlich ein anderes sein, was aber nicht schlecht ist. Was für viele sogar auch gut sein sollte, insbesondere für Patientinnen und Patienten. Und vielleicht auch nochmal herausgestellt, dass Management- und Führungs-Skills, also vor allem diese Soft-Skills, eben zentral sind. Und natürlich macht medizinische Expertise Sinn, aber eben auch Management- und Führungs-Skills, um da eben weiter voranzukommen und das zukünftige Kompetenzprofil auch bedienen zu können. Sara, magst du noch einen Abschlusssatz oder -wort sagen, noch ein Wunsch für die Zukunft?
Dr. Sara Sheikhzadeh: Erstmal vielen Dank an dich. Es hat richtig Spaß gebracht. Sorry, dass ich so weit ausgeholt habe, aber ich glaube, dass der Weg Richtung menschenzentriertem Handeln der richtige ist. Mit diesen ganzen Tsunamis und diesem ganzen Gedöns drumherum von Digitalisierung, whatever, wir können noch tausendmal über Reformen reden. Die Konzentration auf das, was der Patient braucht und was unsere Mitarbeiter brauchen, ist der Schlüssel, damit wir erfolgreich werden.
Dr. Benedict Carstensen: Super, das würde ich genauso stehen lassen. Sara, ich wünsche dir noch einen schönen Tag. Ich wünsche auch euren Hörerinnen und Hörern noch einen schönen Tag und freue mich, wenn sie wieder das nächste Mal mit dabei sind.
Dr. Sara Sheikhzadeh: Ich danke dir sehr. Bis dann.
Weiterführender Hinweis
- Die Folge zum Nachhören: Abruf-Nr. XXXX.
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