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  • 29.08.2014 · IWW-Abrufnummer 142562

    Bundesarbeitsgericht: Urteil vom 14.11.1984 – 5 AZR 394/82

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Bundesarbeitsgericht

    Urt. v. 14.11.1984

    Az.: 5 AZR 394/82

    Tatbestand
    1

    Die Klägerin nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht (§ 182 Abs. 10 RVO) auf Lohnfortzahlung in Anspruch.
    2

    Die bei der Klägerin gegen Krankheit pflichtversicherte Frau L R (im folgenden kurz: Frau R.) ist bei der Beklagten als Arbeiterin beschäftigt. Während einer Schwangerschaft im Jahre 1981 war Frau R. wegen folgender Erkrankungen arbeitsunfähig:
    3

    1. Juni bis 12. Juni Hyperemesis gravidarum (übermäßiges Schwangerschaftserbrechen) 16. Juli bis 24. Juli Hyperemesis gravidarum 24. August bis 20. September Pyelonephritis (= Pyelitis) gravidarum (durch Schwangerschaft verursachte Nierenbeckenentzündung)
    4

    6. Oktober bis 21. November Massive Blutung in graviditate, vorzeitige Wehentätigkeit, Cervixinsuffizienz (stationäre Behandlung erforderlich) 22. November bis 31. Dezember Erneute Wehentätigkeit, orale Tokolyse (= Wehenhemmung).
    5

    Die Beklagte zahlte Frau R. für die Krankheitszeiten vom 1. Juni bis zum 20. September 1981 (insgesamt 49 Kalendertage) den Lohn weiter, weigerte sich aber, auch für die Krankheitszeit ab 6. Oktober 1981 Lohnfortzahlung zu gewähren. Sie begründete diese Weigerung damit, daß die erneute Arbeitsunfähigkeit wiederum durch die Schwangerschaft ausgelöst worden sei und in ursächlichem Zusammenhang mit den Erkrankungen ab 1. Juni 1981 stehe. Die Klägerin gewährte Frau R. daraufhin den Betrag von 993,02 DM als Krankengeld.
    6

    Die Klägerin hat vorgetragen, die Beklagte sei verpflichtet, Frau R. auch für die Zeit der Erkrankung ab 6. Oktober 1981 den Lohn weiterzuzahlen. Frau R. sei damals nicht wegen eines unausgeheilten Grundleidens erneut arbeitsunfähig gewesen. Die früheren Erkrankungen und die Arbeitsunfähigkeit ab 6. Oktober 1981 beruhten nicht auf derselben Krankheitsursache. Die Schwangerschaft selbst sei keine Krankheit. Zwar seien Schwangerschaftsbeschwerden, die über das übliche Maß hinausgingen, als Krankheit anzusehen. Die durch Schwangerschaftsbeschwerden solcher Art verursachten Krankheiten müßten aber unterschieden werden von den durch die Schwangerschaft vielleicht beeinflußten, aber nicht verursachten Krankheiten, die auch ohne Schwangerschaft auftreten könnten. Letzteres sei bei der Nierenbeckenentzündung der Fall, an der Frau R. in der Zeit vom 24. August bis zum 20. September 1981 erkrankt gewesen sei. An einem derartigen Leiden könne jeder erkranken. Daher stelle die Schwangerschaft der Frau R. kein Bindeglied zwischen mehreren Erkrankungen im Sinne eines Grundleidens dar.
    7

    Die Klägerin hat beantragt,

    die Beklagte zu verurteilen, an sie 993,02 DM nebst 10 % Zinsen seit dem 12. Januar 1982 zu zahlen.
    8

    Die Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.
    9

    Sie hat geltend gemacht, durch die Schwangerschaft sei ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den einzelnen Erkrankungen der Frau R. gebildet worden. Ein anomaler, mit besonderen Beschwerden behafteter Verlauf der Schwangerschaft, wie er bei Frau R. vorgelegen habe, müsse als Fortsetzungserkrankung gewertet werden.
    10

    Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Klägerin ihr Klageziel weiterverfolgt.
    Gründe
    11

    Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß der Frau R. für die Zeit ab 6. Oktober 1981 ein Anspruch auf weitere Lohnfortzahlung gegen die Beklagte nicht mehr zustand und daß daher ein solcher Anspruch auch nicht auf die Klägerin übergehen konnte.
    12

    1.

    Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG behält der Arbeiter den Anspruch auf Arbeitsentgelt bis zur jeweiligen Dauer von sechs Wochen, wenn er seine Arbeitsleistung infolge unverschuldeter Krankheit nicht erbringen kann. Wird der Arbeiter innerhalb von 12 Monaten infolge "derselben Krankheit" wiederholt arbeitsunfähig, verbleibt ihm der Anspruch auf Arbeitsentgelt dagegen nur für die Dauer von insgesamt sechs Wochen, es sei denn, er wäre vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate lang nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig gewesen. Wiederholte Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit liegt dann vor, wenn die Krankheit, auf der die frühere Arbeitsunfähigkeit beruhte, in der Zeit zwischen dem Ende der voraufgegangenen und dem Beginn der neuen Arbeitsunfähigkeit medizinisch nicht vollständig ausgeheilt war, sondern als Grundleiden latent weiterbestanden hat, so daß die neue Erkrankung nur eine Fortsetzung der früheren Erkrankung bedeutet (vgl. BAG 3, 37, 38, 39 = AP Nr. 2 zu § 63 HGB; BAG 4, 111, 113 f. = AP Nr. 3 zu § 63 HGB; BAG Urteil vom 6. Oktober 1976 - 5 AZR 500/75 - AP Nr. 41 zu § 1 LohnFG; Kaiser/Dunkl, Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, 2. Aufl., § 1 Rz 176; Kehrmann/Pelikan, Lohnfortzahlungsgesetz, 2. Aufl., § 1 Rz 65). Die wiederholte Arbeitsunfähigkeit muß auf demselben nicht behobenen Grundleiden beruhen, dieses kann aber in verschiedenen Krankheitserscheinungen zutage treten. Dabei ist zwischen dem Grundleiden und den jeweiligen Krankheitserscheinungen zu unterscheiden (vgl. Kehrmann/Pelikan, aaO, insbesondere die dort aufgeführten Beispiele; ferner Kaiser/Dunkl, aaO).
    13

    Eine normal verlaufende Schwangerschaft ist keine Krankheit. Dagegen stellt eine Schwangerschaft mit anomalem Verlauf, bei der außergewöhnliche, über das übliche Maß hinausgehende Beschwerden oder sonstige krankhafte Störungen auftreten, eine Krankheit dar (vgl. BAG 1, 140, 141, 142 = AP Nr. 1 zu § 13 MuSchG, Bl. 2 und Bl. 2 R; BAG 10, 7, 9 = AP Nr. 20 zu § 63 HGB, zu II 1 der Gründe; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 24. Juni 1982 - L 16 Kr 112/81 -, Die Krankenversicherung in Rechtsprechung und Schrifttum, Neue Folge A zum SGB, Arbeitsunfähigkeit A-2300/7, m.w.N.; Bulla/Buchner, Mutterschutzgesetz, 5. Aufl., § 11 Rz 34, 35; Meisel/Hiersemann, Mutterschutz und Mutterschaftshilfe, 2. Aufl., § 11 Rz 93; Gröninger/Thomas, MuSchG 1982, § 11 Anm. 11 c; Kaiser/Dunkl, aaO, § 1 Rz 77; Schmatz/Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, 6. Aufl., § 1 LFZG III 1 a = C 111; Brecht, Lohnfortzahlung für Arbeiter, 3. Aufl., § 1 Rz 11). Physische Arbeitsbehinderungen infolge außergewöhnlicher Schwangerschaftsbeschwerden und im Zusammenhang und in Verbindung mit der Schwangerschaft unterscheiden sich rechtlich in keiner Weise von Arbeitsbehinderungen infolge anderer Krankheitserscheinungen (BAG 1, 140, 141 = AP Nr. 1 zu § 13 MuSchG, Bl. 2). Das alles hat das Landesarbeitsgericht - wie auch die Revision nicht bezweifelt - zutreffend erkannt und ausgeführt.
    14

    2.

    Für den Streitfall hat das Landesarbeitsgericht angenommen, nach der schriftlichen Auskunft des die Frau R. behandelnden Facharztes stehe fest, daß neben der Erkrankung ab dem 6. Oktober 1981 die früheren Erkrankungen vom 1. bis zum 12. Juni, vom 16. bis zum 24. Juli und vom 24. August bis zum 20. September 1981 sämtlich als anomale Schwangerschaftsbeschwerden zu qualifizieren seien. Zwar sei die Schwangerschaft allein kein Grundleiden, sie werde es jedoch dann, wenn unklare Schwangerschaftsvorgänge vorlägen, die zu regelwidrigen körperlichen Auswirkungen führten. Eine solche Schwangerschaft stelle ein befristetes Grundleiden dar, wie es auch bei anderen Krankheiten auftreten könne. Auf die Verschiedenartigkeit der einzelnen Krankheitsbilder komme es dann nicht an. Maßgeblich sei, daß die jeweiligen Krankheiten der Frau R. auf die gleiche Ursache, nämlich die schwierigen Schwangerschaftsvorgänge, zurückgingen. Das sei hier der Fall gewesen. Daher habe für Frau R. vom 6. Oktober 1981 ab eine Fortsetzungserkrankung vorgelegen mit der Folge, daß Ansprüche auf weitere Lohnfortzahlung ausgeschlossen seien. - Die Revision hat die tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht mit Verfahrensrügen im Sinne des § 554 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b) ZPO angegriffen. Sie sind daher für den Senat bindend (§ 561 Abs. 2 ZPO). Die von der Revision gegen die Begründung des Landesarbeitsgerichts vorgetragenen Angriffe bleiben im Ergebnis ohne Erfolg.
    15

    3.

    a)

    Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, daß eine mit häufigen, graviditätsbedingten ("typischen") Krankheiten einhergehende Schwangerschaft für die Dauer ihres irregulären Verlaufs einem nicht ausgeheilten, befristeten Grundleiden gleichzusetzen ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die einzelnen Erkrankungen untereinander noch in einem besonderen Fortsetzungszusammenhang stehen; entscheidend ist vielmehr, daß sie jeweils für sich genommen auf die Schwangerschaft zurückzuführen sind. Bei einem derartigen Geschehen stellt die anomal verlaufende Schwangerschaft selbst - bis zu ihrer Beendigung - das nicht behobene Grundleiden im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 LohnFG dar, das sich seinerseits nur in unterschiedlichen Krankheitsbildern zum Ausdruck bringt.
    16

    b)

    Die einzelnen mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Erkrankungen der Frau R. in der Zeit ab 1. Juni 1981 beruhten alle auf der kompliziert verlaufenden Gravidität. Das gilt nicht nur für die beiden Fälle der Hyperemesis gravidarum im Juni und Juli 1981, sondern auch für die Krankheit vom 24. August bis zum 20. September 1981. Bei dieser Krankheit handelte es sich nach der fachärztlichen Auskunft - wie auch im Tatbestand des angefochtenen Urteils als unstreitig ausgewiesen - nicht einfach um eine allgemeine Nierenbeckenentzündung, die sich jeder zuziehen kann, sondern um eine "Pyelitis gravidarum", d.h. um eine schwangerschaftsbedingte Nierenbeckenentzündung. Die "Pyelitis gravidarum" ist eine der häufigsten Komplikationen der Schwangerschaft (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 253. Aufl., S. 1006 f.).
    17

    Ebenfalls schwangerschaftsverursacht waren die Erkrankungen der Frau R. ab 6. Oktober 1981. Der Facharzt gibt als Symptome für die Zeit bis zum 21. November 1981 an "Massive Blutung in graviditate" (d.h. also in der Schwangerschaft) sowie "vorzeitige Wehentätigkeit". Massive Blutungen in der Schwangerschaft bedeuten eine ernste Komplikation. So hat die Klägerin selbst vorgetragen, Frau R. habe damals wegen eines Zustandes bei drohender Fehlgeburt in das Krankenhaus eingewiesen werden müssen. Wehen sind nur bei Schwangerschaft möglich. Vorwehen treten in den letzten Wochen und Tagen der Schwangerschaft bis kurz vor der Geburt auf (Pschyrembel, aaO, S. 1309). Frau R. hatte im Oktober/November 1981 erst die Mitte ihrer Schwangerschaftszeit überschritten. Die festgestellten Krankheiten waren sämtlich auf die Schwangerschaft zurückzuführen. Deren Verlauf kann unter den vorliegenden Umständen nur als anomal angesehen werden. Das wird noch einmal deutlich dadurch, daß sich die Krankheit der Frau R. auch über den 22. November 1981 bis zum Jahresende durch "Erneute Wehentätigkeit, orale Tokolyse (= Wehenhemmung)" fortsetzte. Durch den weiteren Geschehensablauf vervollständigt sich das Bild einer nicht normal verlaufenen, sondern mit erheblichen Komplikationen belasteten Gravidität. Die Beklagte war daher nur für die Dauer von insgesamt sechs Wochen zur Lohnfortzahlung verpflichtet. Ihre Weigerung, auch für die Krankheitszeiten ab 6. Oktober 1981 Lohnfortzahlung zu gewähren, bestand zu Recht.

    RechtsgebietZPOVorschriften§ 561 Abs. 2 ZPO