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  • · Fachbeitrag · Gemeinnützigkeit

    Attac: Finger weg von Politik - oder gerade doch?

    von RA Berthold Theuffel-Werhahn, FAStR und FAHGR, Leiter des Bereichs Stiftungsberatung, PricewaterhouseCoopers AG WPG, Kassel

    | Das FG Hessen hat dem Attac Trägerverein zugebilligt, an tagespolitische Ereignisse anknüpfen zu dürfen. Die Tagespolitik darf aber nicht Mittelpunkt der Tätigkeit sein, sondern soll die Ziele der Körperschaft vermitteln. Ging es im Fall des FG Hessen zwar um einen Verein, so hat die Entscheidung dennoch große Bedeutung auch für die vielen politisch tätigen Stiftungen. Für diese, wie für die Finanzverwaltung ist das Urteil eine Pflichtlektüre (10.11.16, 4 K 179/16, Abruf-Nr. 190582 ). |

    Sachverhalt

    Zweck des Attac Trägervereins ist „die Förderung von Bildung, Wissenschaft und Forschung, die Förderung des Schutzes der Umwelt und des Gemeinwesens, der Demokratie und der Solidarität unter besonderer Berücksichtigung der ökonomischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Globalisierung. Der Verein fördert die Völkerverständigung und den Frieden.“

     

    Zunächst hatte das Finanzamt (FA) den 2005 gegründeten e. V. vorläufig als gemeinnützig anerkannt. In den Jahren 2010 bis 2012 führte der Verein zahlreiche, in seinen Geschäftsberichten näher aufgeführte Aktivitäten und „Kampagnen“ durch. Teils wurden die Aktivitäten durch themenspezifische Arbeitsgruppen, teils durch (themenübergreifende) unselbstständige Regionalgruppen durchgeführt. Zu den einzelnen Themen fanden Informationsveranstaltungen und Ausstellungen statt. Des Weiteren gab der Verein zu den Themen auch verschiedene Faltblätter, Broschüren und Tagungsbände heraus. In seinem Internetauftritt beschrieb sich der Verein als „Bildungsbewegung mit Aktionscharakter“. Mit Aktionen solle der notwendige Druck auf Politik und Wirtschaft erzeugt werden, um die Alternativen umzusetzen.

     

    Unter Hinweis auf die in den Geschäftsberichten, dem Internetauftritt und den weiteren Unterlagen genannten Aktivitäten sah das FA die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung als nicht erfüllt an. Es begründete dies zum einen damit, dass die in der Satzung genannten Zwecke (Gemeinwesen, Solidarität und Demokratie) nicht im Katalog des § 52 Abs. 2 AO stehen. Zum anderen sei die tatsächliche Tätigkeit politischer Natur und diene daher nicht der ausschließlichen Erfüllung der steuerbegünstigten Satzungszwecke. Das FA versagte daraufhin dem Verein die Gemeinnützigkeit, der dagegen klagte.

    Entscheidungsgründe und Relevanz für die Praxis

    Das FG gab dem Verein Recht. Er habe die Voraussetzungen für die Anerkennung als gemeinnützige Körperschaft erfüllt. Als Förderung der Allgemeinheit seien u. a. die Förderung internationaler Gesinnung, die Toleranz auf allen Gebieten der Kultur und des Völkerverständigungsgedankens sowie die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens im Geltungsbereich der A0 anzusehen.

     

    Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für Attac durch das FA wurde offensichtlich von vielen gemeinnützigen Organisationen als Bedrohung (für sie selbst) empfunden, obwohl es keine Anzeichen für einen politisch gesteuerten Prozess gab (vgl. Rohwedder, zitiert bei Ochsenfeld, ZStV 15, 198).

     

    Satzungsgemäße Zwecke förderungswürdig

    Die Satzungszwecke und die Art ihrer Verwirklichung müssten so genau bestimmt sein, dass aufgrund der Satzung geprüft werden könne, ob die satzungsmäßigen Voraussetzungen für die Steuervergünstigung gegeben seien. Der Ausschließlichkeitsgrundsatz erfordere, dass alle in der Satzung genannten Zwecke von der Norm erfasst werden. Dabei sei es steuerlich unschädlich, wenn aufgrund der Satzung mehrere steuerbegünstigte Zwecke nebeneinander verfolgt werden.

     

    Die Satzung des Vereins erfülle hier die Voraussetzungen für die Anerkennung als gemeinnützige Körperschaft. Insbesondere seien sämtliche genannten Zwecke förderungswürdig i. S. d. § 52 Abs. 2 S. 1 AO. Auch sei die Art ihrer Verwirklichung in der Satzung hinreichend bestimmt bezeichnet. Dies führt das FG Hessen in der Entscheidung anschließend sehr detailliert aus.

     

    Tatsächliche Geschäftsführung entsprach dem Gemeinnützigkeitsrecht

    Der Verein habe aber nicht nur nach seiner Satzung, sondern auch tatsächlich ausschließlich und unmittelbar seine (gemeinnützigen) Zwecke verwirklicht und sei demzufolge aufgrund seiner tatsächlichen Geschäftsführung in den Streitjahren als gemeinnützig anzuerkennen gewesen.

     

    Die für die tatsächliche Geschäftsführung zu beachtende „Ausschließlichkeit“ (§ 56 AO) verlange, dass die Körperschaft nur ihre steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke verfolge. Ein politischer Verein, der eine weit überwiegend politische Zielsetzung und deren Verwirklichung verfolge, sei nach allg. M. nicht gemeinnützig. Dagegen sei eine Betätigung, die politisch ausgerichtet sei, dann nicht gemeinnützigkeitsschädlich, wenn sie der Verfolgung gemeinnütziger Zwecke diene, diesem gemeinnützigen Hauptzweck funktional untergeordnet und die Zweckverfolgung zwangsläufig mit einer politischen Zielrichtung verbunden sei. Insoweit gelte für das Tätigwerden das Finalitätsgebot. Das Gericht überprüfe dabei, ob das Tätigwerden grundsätzlich geeignet sei, den in der Satzung genannten gemeinnützigen Zweck zu fördern.

     

    Hingegen stehe es weder dem FA noch dem Gericht zu, darüber eine Wertbeurteilung zu treffen und darüber zu befinden, ob eine auf die Förderung des gemeinnützigen Zwecks gerichtete und auch sonst mit der Rechtsordnung vereinbare Maßnahme zweckmäßig oder billigenswert erscheine. Dabei sei es unschädlich, wenn die Verfolgung des gemeinnützigen Zwecks zwangsläufig mit gewissen politischen Zielsetzungen verbunden sei.

     

    Beachten Sie | Mit dieser etwas versteckten Kernbotschaft der Entscheidung wird - völlig zutreffend - die staatliche Neutralitätspflicht betont: Sofern die Körperschaft nur im Rahmen ihrer satzungsgemäßen (steuerbegünstigten) Zweckverfolgung und der Rechtsordnung agiert, müssen Finanzverwaltung und -rechtsprechung das Wirken der Körperschaft auch dann (vollumfänglich) respektieren, wenn ihre Vertreter persönlich anderer inhaltlicher oder politischer Meinung (als die Körperschaft) sind.

     

    Freiheit bei der „Wahl der Mittel“

    Bei der Art und Weise, wie und durch welche Maßnahme die Zwecke verfolgt werden dürften, sei die gemeinnützige Organisation grundsätzlich frei. So brauche sie die Information zur Erreichung des Bildungszwecks nicht nur auf theoretische Unterweisungen zu stützen, sondern könne die Information auch durch einen Aufruf zu konkreten Handlungen ergänzt werden und mit bestimmten Forderungen verknüpft sein. Grundsätzlich seien dabei alle Aktionsformate zulässig, z. B. Demonstrationen, Petitionen, Seminare, öffentliche Veranstaltungen, sofern die Aktionen im Gesamtzusammenhang und mit der Zielrichtung zu dem gemeinnützigen Zweck stünden.

     

    Gebot der Sachlichkeit und „drastische Sprechweise“

    Die Maßnahmen und Aktionen seien aber nur zu tolerieren, wenn sie in ein umfassendes Informationsangebot eingebettet seien. Sie müssten von einem inhaltlichen Anliegen getragen sein und in erster Linie dazu dienen, dem Informationsangebot bzw. dem sonstigen gemeinnützigen Zweck Gehör zu verschaffen. Des Weiteren dürfe es sich nicht um rechtswidrige Maßnahmen handeln (z. B. Gewalt, sonstige Gesetzesverletzungen). Bei der Berichterstattung müsse das Sachlichkeitsgebot eingehalten werden. Eine zum Teil drastische Sprechweise sei jedoch zu tolerieren, um sich Gehör zu verschaffen.

     

    Beachten Sie | In diesem Zusammenhang soll daran erinnert werden, dass bei massiven Ausschreitungen anlässlich der offiziellen Eröffnung des Neubaus der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main am 18.3.15 nach polizeilicher Bilanz 150 Polizeibeamte, zwei davon schwer, verletzt und 62 Polizeifahrzeuge beschädigt wurden. Die dabei entstandenen Sachschäden dürften in Millionenhöhe liegen. Der zuständige Polizeichef Bereswill ordnete die Ausschreitungen als „organisiert und keinesfalls spontan“ ein.

     

    Zu „Aktionen“ gegen die Eröffnungsfeier der EZB hatte unter anderem auch Attac aufgerufen, vgl. http://www.attac.de/kampagnen/eurokrise-blockupy/blockupy/maerz-2015/. Der Fairness halber sei erwähnt, dass sich ein Sprecher von Attac nach den Ausschreitungen in einem Interview davon distanziert haben soll.

     

    Dennoch erscheint mir die Entscheidung vor diesem Hintergrund ein wenig „blauäugig“, denn es fehlt mir an einer deutliche(re)n Distanzierung zu der Gewalteskalation. Dies erscheint schon deswegen nicht zu viel verlangt, verfolgt der Verein immerhin u. a. den satzungsgemäßen Zweck der Förderung des Friedens. Bereits vor den „Aktionen“ wurde mit gewalttätigen Ausschreitungen gerechnet, vgl. http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/blockupy-proteste-gegen-die-ezb-a-1023471.html. Eine Körperschaft muss sich zwar selbstverständlich nicht - jedenfalls ohne Hinzutreten weiterer Umstände - das Fehlverhalten gewaltbereiter Dritter zurechnen lassen. Fehlt es indessen - im Nachhinein! - an einer klaren Distanzierung, setzt sich die Körperschaft damit in Widerspruch zu ihrem eigenen Satzungszweck „Förderung des Friedens“. Bedauerlicherweise und obwohl die Informationen über die Ausschreitungen am 18.3.15 allgemein zugänglich sind, setzt sich das Gericht an keiner Stelle seiner detaillierten Begründung mit diesem Aspekt auseinander. Dies ist sicherlich eine deutliche Schwachstelle der Entscheidung, schon im Hinblick auf § 51 Abs. 3 AO.

     

    Weder Einzelinteressen, Lobbyarbeit noch „Parteilinien“

    Es dürften weder Einzelinteressen gefördert noch sonstige Lobbyarbeit geleistet werden. Eine parteipolitisch motivierte Einflussnahme sei unzulässig. Allerdings bedeute „überparteilich“ nicht, dass im Einzelfall die Meinungen und Interessen nicht konform mit denen einer Partei laufen dürften.

     

    Es läge in der Natur der Sache, dass eine Aktion mit politischer Auswirkung sich regelmäßig gegen eine politische Richtung/Partei richte und der Meinung der Gegenpartei, oft der Opposition, entspräche. Die Übereinstimmung mit einer Parteimeinung sei allerdings nicht mehr zulässig, wenn insgesamt eine Parteilinie gefördert werde oder wenn der gemeinnützige Zweck als Ziel des Tätigwerdens nicht erkennbar sei. Maßgebend sei dabei jeweils auf den Anlass oder die Motivation der Körperschaft bei der Aktion abzustellen.

     

    Beachten Sie | Entscheidend ist, dass die betroffene Stiftung „überparteiliche“ sowie „grundsätzliche“ Ziele verfolgt. Das Verbot der politischen Betätigung ist auf das Wesentliche zu beschränken, nämlich auf eine akute Gefahr der Unterwanderung von Vorgaben aus der Parteienfinanzierung. Diese Gefahr soll bei Attac unter kursorischer Begutachtung ihres öffentlichen Aktionsprofils nicht gedroht haben (Weitemeyer/Kamp, DStR 16, 2623, 2626). Dies ist meines Erachtens sehr zweifelhaft.

     

    Demokratieprinzip und politische/weltanschauliche Bildung

    Mit dem Demokratieprinzip korrespondiere der Zweck der Volksbildung. Politische Bildung müsse dabei sachlich und möglichst umfassend informieren und dabei zur Schaffung und Förderung der politischen Wahrnehmungsfähigkeit und des politischen Verantwortungsbewusstseins führen. Dabei sei nicht nur die Darstellung des Status quo erlaubt, sondern vielmehr sei es geboten, gesellschaftspolitische Themen aufzugreifen und auch Alternativen darzustellen. Hier tauche zwangsläufig wieder die politische Komponente auf. Auch bestünde Bildung nicht nur in theoretischer Unterweisung, sondern könne auch durch den Aufruf zu konkreten Handlungen ergänzt werden.

     

    Entgegen der Ansicht des FA sei der Verein mit seinen Maßnahmen nicht über das für die Förderung der Satzungszwecke zulässige Maß hinausgegangen. Insbesondere habe der Verein bzw. seine Organe keine politische Tätigkeit als Selbstzweck verfolgt. Vielmehr seien die vom FA herausgestellten Maßnahmen und Aktionen des Vereins in ein vielfältiges Informations- und Bildungsangebot über fiskalische und wirtschaftliche Zusammenhänge eingebettet gewesen. So seien in den Streitjahren mehr als 600 begleitende Aktionen, Seminare, Vorträge, Informationsveranstaltungen und Streitgespräche zu sämtlichen in der Satzung genannten Themen durchgeführt worden. Insbesondere habe der Verein Bildungsveranstaltungen zu den Themen der Demokratie, des Friedens und der Ökonomie durchgeführt.

     

    Nach seinem Selbstverständnis betrachte sich der Verein als Teil einer „globalisierungskritischen und basisdemokratischen Bewegung, als Bildungsbewegung mit Aktionscharakter und Expertise“ mit dem Grundsatz „ideologischen Pluralismus“. Dies sei so lange nicht zu beanstanden, als ein Bezug zwischen den Satzungszwecken und -zielen sowie Tätigkeiten bestünde. Dies sei vorliegend gegeben, da das konkrete Handeln des Vereins darauf gerichtet und auch geeignet sei, zur Förderung der Satzungszwecke beizutragen. Die Betätigung gemeinnütziger Organisationen müsse dabei auch die politische Ebene berühren können, ansonsten drohe ein faktisches Leerlaufen ihres Engagements innerhalb unserer Zivilgesellschaft.

     

    Die durch den Aktionscharakter ins Spiel kommende politische Komponente beziehe sich dabei auf den bildenden Teil. Gefördert werden solle die politische Bildung, dabei könne die aktiv bildende Befürwortung von bürgerrechtlichem Verantwortungsbewusstsein auch durch Berücksichtigung der wirtschaftspolitischen Dimensionen von „Verantwortung“ gemeinnützig sein. Dass es bei der Tätigkeit des Vereins in diesem Bereich mehr Übereinstimmungen zwischen den Forderungen des Vereins und der Parteipolitik der jeweiligen Opposition als mit der Regierungslinie gäbe, liege dabei in der Natur der Sache. Da staatliche Planungen als solches nicht unangreifbar seien, erwachse daraus die Gefahr dass gemeinnützige Belange nicht hinreichend beachtet würden. In dieser Hinsicht diene die Tätigkeit des Vereins der objektiven Meinungsbildung mit dem Ziel, die für die Allgemeinheit beste Lösung herbeizuführen.

     

    „Politiknahe“ Aktivitäten mit satzungsgemäßen Zwecken konform

    Das Gericht verkenne nicht, dass zahlreiche Aktivitäten politiknah gewesen seien. Die umfangreichen Bücher, Broschüren und sonstigen Informationsmaterialien ließen aber darauf schließen, dass die Aktivitäten jeweils von einem der satzungsgemäßen Zwecke, z. B. Bildung, getragen gewesen seien.

     

    Nichts anderes gelte für die Teilnahme an sog. Bündnissen. Insbesondere sei angesichts der zahlreichen gemeinsamen mit den anderen Organisation durchgeführten Vortrags- und sonstigen Informationsveranstaltungen lebensnah und deshalb glaubhaft, dass der Verein im Rahmen der Bündnisse ausschließlich eigene Aufwendungen getragen habe, sodass auch kein Verstoß gegen § 58 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Nr. 2 AO ersichtlich sei.

     

    FAZIT | Dem griechischen Philosoph Epikur von Samos (341 bis 271 v. Chr.) wird das Zitat zugeschrieben: „Wer gescheit ist, treibt keine Politik“. Die Entscheidung des FG Hessen rückt dies - jedenfalls für gemeinnützige Stiftungen - zurecht.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Das FinMin Sachsen-Anhalt hat mit Schreiben vom 7.11.16 Hinweise gegeben, die für eine schädliche politische Tätigkeit sprechen (46 - S 0171 - 76, Abruf-Nr. 194200)
    Quelle: Ausgabe 07 / 2017 | Seite 131 | ID 44747667