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  • · Fachbeitrag · Bilanzierung

    In welchen Fällen ist die unterwegs befindliche Ware am Bilanzstichtag zu bilanzieren?

    von StB Dipl.-Finw. (FH) Sonja Hagedorn, Dortmund

    | Bei unterwegs befindlicher Ware stellt sich zum Bilanzstichtag regelmäßig die Frage, ob der Käufer oder der Verkäufer die Ware zu bilanzieren hat. Die Zuordnungsgrundsätze werden anhand von Beispielen dargestellt. |

    1. Grundsätzliche Zurechnung

    Der Jahresabschluss hat nach § 246 Abs. 1 S. 1 HGB sämtliche Vermögensgegenstände, Schulden, Rechnungsabgrenzungsposten sowie Aufwendungen und Erträge zu enthalten, die dem Kaufmann zuzurechnen sind (sog. Vollständigkeitsgebot). Als Zurechnungskriterium kommen das zivilrechtliche und das wirtschaftliche Eigentum in Betracht. Fallen zivilrechtliches und wirtschaftliches Eigentum auseinander, ist die Zurechnung nach dem wirtschaftlichen Eigentum vorrangig (§ 246 Abs. 1 S. 2 HGB; § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO).

     

    Wirtschaftlicher Eigentümer ist gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO derjenige, der die tatsächliche Sachherrschaft über ein Wirtschaftsgut derart ausübt, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer wirtschaftlich ausschließen kann und dieser somit keinen oder einen praktisch bedeutungslosen Herausgabeanspruch hat.

    • Beispiel

    Bei einer Lieferung unter Eigentumsvorbehalt wird der Käufer wirtschaftlicher Eigentümer der Ware, da er den Lieferer durch Kaufpreiszahlung auf Dauer von der Verfügungsmacht ausschließen kann.

    2. Zurechnung am Beispiel der Incoterms

    Ist die Zurechnung im Regelfall nicht weiter problematisch, treten bei rollender bzw. unterwegs befindlicher Ware am Bilanzstichtag oftmals Abgrenzungsprobleme auf. Die richtige Zurechnung wird nachfolgend anhand von verschiedenen Vertragsbedingungen (Incoterms) dargestellt.

     

    HINWEIS | Bei den Incoterms handelt es sich um weltweit anerkannte, einheitliche Vertrags- und Lieferbedingungen, die den Parteien des Kaufvertrags eine standardisierte Abwicklung im nationalen und internationalen Handelsgeschäft ermöglichen.

    • Ausgangssachverhalt

    V betreibt einen Großhandel für Edelstahlkamine in München. Am 15.12.11 schließt er mit dem Einzelhändler K (Firmensitz in Hamburg) einen Kaufvertrag über zehn Edelstahlkamine ab. Der Warentransport beginnt noch im Dezember 2011. Die Ware kommt aber erst in 2012 bei K an.

    3. Abholfall (EXW)

    Bei der Abholklausel EXW (EX Works/ab Werk) gehen Kosten und Risiken ab der Bereitstellung der Ware durch den Verkäufer am benannten Ort auf den Käufer über. Der Verkäufer muss die Ware also nur am vereinbarten Ort zur Abholung bereithalten. Ihm entstehen keine Transportkosten. Die Ware muss nicht verladen oder zur Ausfuhr frei gemacht werden, sondern lediglich verpackt und gekennzeichnet sein.

    • Erweiterung des Ausgangssachverhalts

    V und K vereinbaren im Rahmen des Kaufvertrags, dass K die Edelstahlkamine bei V abholt (EXW). Am 31.12.11 fährt K zu V und nimmt die Ware entgegen. Am 1.1.12 kommt er an seinem Unternehmenssitz an und bringt die Kamine in sein Lager.

    3.1 Bilanzierung des V

    Rechtlich entstehen die Forderungen und Verbindlichkeiten aus dem Rechtsgeschäft bereits mit Vertragsschluss am 15.12.11. Solange die Hauptleistung jedoch noch nicht erbracht ist, sind Ansprüche und Verbindlichkeiten aus dem schwebenden Geschäft in der Bilanz grundsätzlich nicht anzusetzen. Bis zur Erbringung einer Hauptleistung stehen sich Anspruch und Verbindlichkeit jeder Partei ausgeglichen gegenüber.

     

    BEACHTE | Droht einer Partei ein Verlust aus dem schwebenden Geschäft, ist hierfür handelsrechtlich eine Rückstellung zu bilden. Die Höhe der Rückstellung beschränkt sich auf den Verpflichtungsüberschuss, sodass die Verpflichtung und der ihr gegenüberstehende Anspruch nicht bilanziert werden. Steuerbilanziell sind Rückstellungen aus drohenden Verlusten nicht zulässig (§ 5 Abs. 4a EStG).

     

    Der Schwebezustand ist beendet, wenn eine der Vertragsparteien ihre Leistung vollständig erbracht hat. Dies geschieht vorliegend mit der Übergabe der Ware an K am 31.12.11. V hat damit am 31.12.11 seinen Gewinn aus dem Warenverkauf realisiert. Er weist am Bilanzstichtag (31.12.11) eine Forderung gegenüber K aus. Die Ware selbst ist ihm nicht mehr zuzurechnen.

     

    3.2 Bilanzierung des K

    Die Ware ist durch Einigung und Übergabe am 31.12.11 in das Eigentum des K gelangt. Er hat die Ware am Bilanzstichtag (31.12.11) zu aktivieren und die Kaufpreisverbindlichkeit zu passivieren.

    4. Versendungsfall (FCA)

    Die Lieferbedingung FCA (Free CArrier/frei Frachtführer) gehört zur sogenannten F-Gruppe der Incoterms. Innerhalb dieser Gruppe trägt der Käufer die Kosten des Haupttransports. Die Preisgefahr geht indes bereits mit der Übergabe der Ware an den Frachtführer des Haupttransports auf den Käufer über. Hierunter ist das Risiko des zufälligen, von keiner Seite verschuldeten Untergangs des Vertragsgegenstands zu verstehen.

     

    Der Verkäufer ist verpflichtet, die Ware zu dem vom Käufer benannten Lieferort zu bringen. Der Verkäufer sorgt auf seine Kosten für Verpackung, Warenprüfung und Freimachung der Ware zur Ausfuhr. Für den Haupttransport und die Einfuhr ist der Käufer verantwortlich.

    • Erweiterung des Ausgangssachverhalts

    V versendet die Edelstahlkamine nach der Versendungsklausel FCA. Der von K beauftragte Spediteur S übernimmt die Ware am 30.12.11 am vereinbarten Ort (Nürnberg) von V. S kommt am 2.1.12 bei K an und übergibt die Edelstahlkamine.

    4.1 Bilanzierung des V

    V hat durch Übergabe der Ware an den Spediteur seine Hauptpflichten aus dem Kaufvertrag erfüllt. Zudem ist die Preisgefahr am 30.12.11 auf K übergegangen. Obwohl dem K die Verfügungsmacht an den Edelstahlkaminen am Bilanzstichtag noch nicht verschafft wurde, hat V die Forderung am Abschlussstichtag (31.12.11) gegenüber K auszuweisen.

     

    4.2 Bilanzierung des K

    Da K über die Kamine zum Bilanzstichtag noch nicht verfügen kann, wäre es denkbar, dass die Ware weder von V noch von K zu bilanzieren ist. In der handelsrechtlichen Kommentierung wird jedoch überwiegend die Ansicht vertreten, dass die unterwegs befindliche Ware - unter bestimmten Voraussetzungen - bereits dem Käufer zuzurechnen ist. Nachfolgend zwei Beispiele:

     

    • Winnefeld (Bilanz-Handbuch, D Rz. 210) spricht sich für eine Bilanzierung der Ware aus, wenn
      • der Verkäufer das seinerseits Erforderliche für die Vertragserfüllung getan hat,
      • die Preisgefahr auf den Käufer übergegangen ist und
      • der Eingang der Ware beim Käufer nach dem „normalen Lauf der Dinge“ nach dem Bilanzstichtag zu erwarten ist bzw. die Waren tatsächlich eingetroffen sind (bessere Erkenntnis nach dem Bilanzstichtag).

     

    • Gegen den Bilanzausweis bestehen keine Bedenken, wenn das rechtliche Eigentum bis zur Bilanzaufstellung übergegangen ist, sofern auch die übrigen Merkmale für eine wirtschaftliche Zurechnung am Abschlussstichtag sprechen (ADS, § 246 HGB, Rz. 124).

     

    Steuerrechtlich reicht dem BFH (3.8.88, I R 157/84) der Übergang der Preisgefahr auf den Käufer nicht aus. Demzufolge soll die Ware dem Vermögen des Käufers erst dann zuzurechnen sein, wenn er den unmittelbaren oder mittelbaren Besitz an der Ware erlangt (so auch Falterbaum/Bolk/Reiß/Kirchner, Buchführung und Bilanz, 21. Aufl., 434).

     

    PRAXISHINWEIS | M.E. ist der handelsrechtlichen Kommentierung (= Aktivierung der unterwegs befindlichen Ware am Bilanzstichtag) der Vorzug zu geben, zumal der Käufer auch eine Verbindlichkeit auszuweisen hat. Erfolgt eine Aktivierung der Ware, führt dies zu einer Bilanzverlängerung, eine Auswirkung auf das steuerliche Ergebnis ergibt sich regelmäßig nicht.

    5. Versendungsfall (CIF)

    Bei einer Versendung unter der Bedingung CIF (Cost, Insurance and Freight/Kosten, Versicherung und Fracht), die nur für den See- oder Binnenschiffstransport verwendbar ist, geht die Gefahr des Verlustes oder der Beschädigung der Ware auf den Käufer über, wenn die Ware an Bord des Schiffs ist. Kennzeichen der C-Incoterm-Gruppe ist, dass der Verkäufer die Kosten des Haupttransports trägt und zusätzlich den Transportversicherungsvertrag (nur mit Mindestdeckung) auf eigene Kosten abzuschließen hat.

    • Abwandlung des Ausgangssachverhalts

    V (Sitz in China) und K (Sitz in Hamburg) vereinbaren am 15.12.11 eine Warenversendung mittels CIF-Klausel. V bringt die Ware am 30.12.11 an Bord des Schiffes, welches die Ware in den Bestimmungshafen befördert. K erhält die Konnossemente am 9.1.12. Die Ware wird am 22.1.12 im Freihafen Hamburg entladen.

    5.1 Bilanzierung des V

    Aus Sicht des V ist die Lieferung am 30.12.11 erfüllt und die Forderung realisiert. Die Ware ist ihm am Bilanzstichtag nicht mehr zuzurechnen.

     

    5.2 Bilanzierung des K

    Folgt man der wohl herrschenden handelsrechtlichen Auffassung, ist K die Ware am Bilanzstichtag (31.12.11) zuzurechnen. Nach der steuerrechtlichen Literatur (z.B. Falterbaum ..., a.a.O.) dürfte K die Ware indes nicht am Bilanzstichtag (31.12.11) bilanzieren, da er die Konnossemente erst in 2012 erhält (vgl. insoweit die Ausführungen zur Versendungsklausel FCA unter 4.2).

    6. Lieferfall (DAP)

    Nach der Incoterm-Regel DAP (Delivered At Place/geliefert benannter Ort) liefert der Verkäufer, wenn dem Käufer die Ware am Bestimmungsort entladebereit zur Verfügung gestellt wird. Der Verkäufer trägt alle Gefahren, die im Zusammenhang mit der Beförderung zum benannten Ort stehen.

    • Erweiterung des Ausgangssachverhalts

    Im Kaufvertrag vom 15.12.11 verwenden V und K die Lieferklausel DAP. Der Transport des V beginnt am 30.12.11. Am 2.1.12 übergibt V die Kamine an K.

    6.1 Bilanzierung des V

    V erfüllt seine Pflichten aus dem Kaufvertrag erst mit Übergabe der Edelstahlkamine an K am 2.1.12. Demzufolge hat V die Kamine am Bilanzstichtag (31.12.11) noch zu bilanzieren. Eine gewinnrealisierende Forderung darf er noch nicht aktivieren.

     

    6.2 Bilanzierung des K

    Die Ware geht erst nach dem Bilanzstichtag in die Verfügungsmacht des K über. Am Bilanzstichtag ist der Vorgang ein schwebendes Geschäft und wird von K bilanziell nicht abgebildet.

    Quelle: Ausgabe 02 / 2012 | Seite 33 | ID 31027340

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