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  • 12.07.2016 · IWW-Abrufnummer 187136

    Finanzgericht Köln: Urteil vom 13.04.2016 – 9 K 667/14

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Tenor:

    Der Umsatzsteuerbescheid vom 4. Oktober 2012 und die hierzu ergangene Einspruch Entscheidung vom 19. Februar 2014 werden aufgehoben.

    Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte

    Die Revision wird zugelassen.

    Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers vorläufig vollstreckbar.
     
    Tatbestand

    Streitig ist, ob der Kläger für das Streitjahr 2010 die Kleinunternehmerregelung nach § 19 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes – UStG – in Anspruch nehmen kann.


    Der Kläger erzielte im Streitjahr 2010 steuerbare, der Differenzbesteuerung gemäß § 25a UStG unterliegende Umsätze aus einem Gebrauchtwagenhandel. In den Veranlagungszeiträumen bis einschließlich 2009 wurde der Kläger umsatzsteuerlich als Kleinunternehmer nach § 19 Abs. 1 UStG behandelt, weil die von ihm erzielten Margen, auf die Abschnitt 251 Abs. 1 S. 4 i.V.m. Abschnitt 276a Abs. 8 der Umsatzsteuerrichtlinien – UStR – in der bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung für die Anwendung der Kleinunternehmerregelung abstellte, unter 17.500 € lagen


    Ausweislich der vorgelegten Steuererklärungen erzielte der Kläger in den Veranlagungszeiträumen 2009 und 2010 (Streitjahr) folgende Umsätze:


    Jahr
       

    Gesamtumsatz
       

    Differenz

    2009
       

    27.358 €
       

    17.328 €

    2010
       

    25.115 €
       

    17.470 €


    Im Hinblick auf die zum 1. Januar 2010 erfolgte Abschaffung der Regelung in Abschnitt 251 Abs. 1 S. 4 UStR 2010 versagte der Beklagte im angefochtenen Umsatzsteuerbescheid vom 4. Oktober 2012 für das Streitjahr 2010 die Kleinunternehmerregelung, weil der Gesamtumsatz 2009 über der Grenze von 17.500 € gelegen habe.


    Den hiergegen gerichteten Einspruch wies er mit Einspruchsentscheidung vom 19. Februar 2014 als unbegründet zurück.


    Hiergegen hat der Kläger am 11. März 2014 Klage erhoben. Zur Begründung vertritt er die Auffassung, die für die Anwendung der Kleinunternehmerregelung im Veranlagungszeitraum 2009 maßgeblichen Umsätze seien entsprechend der bis zum 31. Dezember 2009 gültigen Regelung in Abschnitt 251 Abs. 1 S. 4 UStR i.V.m. Abschnitt 276a Abs. 8 UStR nach den erzielten Margen und nicht nach dem erzielten Gesamtumsatz zu ermitteln.


    Er habe frühestens ab dem 16. Juni 2009 von der Änderung der Rechtslage Kenntnis nehmen können. Es sei ihm nicht möglich gewesen, sein wirtschaftliches Handeln rückwirkend auf den 1. Januar 2009 zu ändern. Insbesondere habe er seinen Kunden rückwirkend keine Mehrwertsteuer in Rechnung stellen können. Der Vertrauensschutz des Bürgers in die Verlässlichkeit staatlichen Handelns müsse daher Vorrang haben.


    Der Kläger beantragt,


    den Umsatzsteuerbescheid vom 4. Oktober 2012 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 19. Februar 2014 aufzuheben,


    im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.


    Der Beklagte beantragt,


    die Klage abzuweisen,


    im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.


    Er trägt vor, das Bundesministerium der Finanzen habe bereits mit Schreiben vom 16. Juni 2009 (BStBl I 2009, 755) die Sonderregelung in Abschnitt 251 Abs. 1 S. 4 UStR geändert. Hiernach sei Abschnitt 276a Abs. 8 UStR, der für die Kleinunternehmerregelung auf den Differenzbetrag abgestellt habe, ab dem 1. Januar 2010 nicht mehr anzuwenden. Das gelte auch für die Ermittlung der Vorjahresumsätze (2009), die für die Anwendung der Kleinunternehmerregelung im Folgejahr (2010) maßgeblich seien. Da das BMF-Schreiben im Juli 2009 im Bundessteuerblatt veröffentlicht worden sei, habe der Kläger ausreichend Zeit gehabt, sich auf die geänderte rechtliche Situation einzustellen.


    § 19 UStG verstoße auch nicht gegen Art. 288 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie– MwStSystRL –. Nach dieser Vorschrift setze sich der Umsatz für die Anwendung der Kleinunternehmerregelung aus dem Betrag der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen zusammen, soweit diese besteuert würden. Ein Betrag einer Lieferung als solcher existiere hingegen nicht. Da Art. 288 Nr. 1 MwStSystRL einen „Umsatz“ definiere, müsse die Bestimmung so ausgelegt werden, dass sie auf den betriebswirtschaftlichen (Gesamt-) Umsatz abstelle. Die Formulierung „… soweit diese besteuert werden“ in Art. 288 Nr. 1 MwStSystRL sei daher so auszulegen, dass nur gänzlich steuerfreie Umsätze bei der Ermittlung der Umsatzgrenze unberücksichtigt blieben. Eine andere Auslegung führe dazu, dass Unternehmer, die aufgrund ihrer Größe mit Kleinunternehmern anderer Wirtschaftsbereiche nicht vergleichbar seien, unter die Kleinunternehmerregelung fallen könnten. Dem stehe die vom EuGH geforderte enge Auslegung der Sonderregelung für Kleinunternehmer entgegen.


    Entscheidungsgründe


    Die Klage ist begründet.


    Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid ist aufzuheben, weil er rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 S. 1 der Finanzgerichtsordnung- FGO-). Zu Unrecht hat der Beklagte die Anwendung der Kleinunternehmerregelung des § 19 UStG versagt.


    Nach dieser Vorschrift wird die für Umsätze im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG geschuldete Umsatzsteuer von inländischen Unternehmern nicht erhoben, wenn der nach vereinnahmten Entgelten bemessene Gesamtumsatz im vorangegangenen Kalenderjahr 17.500 € nicht überstiegen hat und im laufenden Kalenderjahr 50.000 € voraussichtlich nicht übersteigen wird.


    Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Da die Steuerbemessungsgrundlage für Umsätze, die der Differenzbesteuerung nach § 25a UStG/Art. 315 MwStSystRL unterliegen, auf die Differenz (Handelsspanne) begrenzt ist, ist das über die Differenz hinausgehende Entgelt bei der Ermittlung des Gesamtumsatzes nach § 19 Abs. 1 S. 1 UStG unberücksichtigt zu lassen.


    Das ergibt sich allerdings nicht unmittelbar aus § 19 Abs. 1 UStG. Insoweit ist dem Beklagten beizupflichten, dass § 19 Abs. 1 UStG für die Ermittlung der Umsatzgrenze auf den Gesamtumsatz und nicht auf die Handelsspanne abzielt. Nach rein nationalem Recht wäre die Klage daher unbegründet, weil der Gesamtumsatz des Jahres 2009 die Grenze von 17.500 € überstiegen hat.


    § 19 Abs. 1 UStG ist im Streitfall jedoch nicht anwendbar, weil er mit Artikel 288 Nr. 1 MwStSystRL nicht in Einklang steht. Nach Art. 288 MwStSystRL setzt sich der Umsatz, der bei der Anwendung der Kleinunternehmerregelung nach der Richtlinie zu Grunde zu legen ist, aus dem Betrag der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen zusammen, soweit diese besteuert werden. Da nach Art. 315 MwStSystRL bei der Differenzbesteuerung nur die Handelsspanne besteuert wird, kann nur diese für die Bemessung der Umsatzgrenze herangezogen werden. Das entspricht nach Rechtsauffassung des Senats dem insoweit eindeutigen Wortlaut von Art. 288 Nr. 1 MwStSystRL, so dass kein Raum für eine andere Auslegung besteht. Da § 19 UStG diese Einschränkung nicht enthält, steht er im Widerspruch zu Art. 288 Nr. 1 MwStSystRL. In einem solchen Fall kann sich der Kläger auf die für ihn günstigere Bestimmung des Art. 288 MwStSystRL berufen (vgl. FG München, Urteil vom 16. Juli 2015 14 K 2293/13, EFG 2015, 2001 zu steuerfreien Umsätzen nach Art. 132 MwStSystRL).


    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO.


    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.


    Die Revision war nach § 115 FGO zuzulassen, weil die Frage, ob Art. 288 Nr. 1 MwStSystRL entsprechend der Rechtsauffassung des Beklagten dahingehend auszulegen ist, dass nur steuerfreie Leistungen bei der Ermittlung der Umsatzgrenze für die Anwendung der Kleinunternehmerregelung auszuschließen sind, nicht aber reduzierte Bemessungsgrundlagen, bisher höchstrichterlich nicht entschieden ist.