Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 21.01.2016 · IWW-Abrufnummer 146201

    Finanzgericht München: Urteil vom 20.10.2015 – 10 K 2393/14

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    FG München, 20.10.2015 - 10 K 2393/14

    In der Streitsache
    XXX
    gegen
    XXX
    wegen
    Einkommensteuer 2009, 2010, 2011, 2012 als Gesamtrechtsnachfolgerin nach Frau Rosemarie Zorn
    hat der 10. Senat des Finanzgerichts München durch
    den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht,
    die Richterin am Finanzgericht und
    die Richterin am Finanzgericht
    ohne mündliche Verhandlung am 20. Oktober 2015 für Recht erkannt:
    Tenor:

    1.

    Die Klage wird abgewiesen.
    2.

    Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
    3.

    Die Revision wird zugelassen.

    Gründe

    I.

    Streitig ist die Berücksichtigung von Kosten für die Beschäftigung von privaten Pflegekräften zur Versorgung einer in einem Seniorenheim untergebrachten Verwandten als außergewöhnliche Belastung.

    Frau ... (RZ), die am ... geborene Mutter der Klägerin, verstarb am .... Sie litt in den Streitjahren unter Morbus Parkinson und wurde mit einer Sonde künstlich ernährt. Sie war in den Streitjahren im Seniorenheim ... in A-Stadt vollstationär untergebracht und war zunächst in Pflegestufe I, ab August 2011 in Pflegestufe II eingestuft. Auf die jeweiligen Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit vom ... und ..., die bei der Pflegebedürftigkeit für RZ einen Gesamtzeitbedarf von 100 Minuten pro Tag in Pflegestufe I und von 267 Minuten pro Tag in Pflegestufe II ausweisen, wird hinsichtlich der Einzelheiten verwiesen. Gesamtrechtsnachfolgerin nach ihrem Tod war die Klägerin.

    RZ machte in ihren Steuererklärungen u.a. außergewöhnliche Belastungen aus der krankheitsbedingten Unterbringung und dem Pflege- und Betreuungsaufwand in dem Pflegeheim sowie zusätzlich aus der Beschäftigung von privaten Pflegekräften (letztere in Höhe von 55.511 € für 2009, 57.958 € für 2010, 59.781 € für 2011 und 59.949 € für 2012), die RZ im Heim betreuten und pflegten, geltend.

    Das beklagte Finanzamt (FA) berücksichtigte bei der Veranlagung für die Jahre 2009 bis 2012 die geltend gemachten Kosten für die Unterbringung und Pflege im Pflegeheim (jeweils abzüglich Erstattungen der Krankenkasse und Haushaltsersparnis) als außergewöhnliche Belastungen, berücksichtigte jedoch die geltend gemachten Kosten für die Beschäftigung privater Pflegekräfte lediglich im Rahmen der haushaltsnahen Dienstleistungen und setzte die Einkommensteuer 2009 mit Bescheid vom 3. Juni 2011 auf ... €, die Einkommensteuer 2010 mit Bescheid vom 17. Februar 2012 auf ... €, die Einkommensteuer 2011 mit Bescheid vom 22. Januar 2013 auf .... € und die Einkommensteuer 2012 mit Bescheid vom 5. Mai 2014 auf ... € fest. Die Bescheide waren adressiert an die Klägerin als Betreuerin der RZ, der Bescheid für 2012 war inhaltlich adressiert an die Klägerin zugleich als Rechtsnachfolgerin nach RZ (Bekanntgabeadressat war ein Empfangsbevollmächtigter der Klägerin).

    Gegen die Bescheide legte die Klägerin Einsprüche ein und trug vor, die geltend gemachten Kosten seien als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen. Ausweislich des ärztlichen Attestes vom ..., auf das hinsichtlich der weiteren Einzelheiten verwiesen wird, erfordere die besondere Art und Schwere der Erkrankung der RZ eine aufwendige und besondere Pflege, die vom Pflegepersonal des Heimes innerhalb der routinemäßigen Tätigkeit nicht geleistet werden könne.

    Mit aus anderen Gründen zuletzt nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheiden vom 11. Juli 2014 (adressiert an die Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin der RZ und bekanntgegeben ihrem Empfangsbevollmächtigten) wurde die Einkommensteuer 2010 auf ... € und die Einkommensteuer 2011 auf ... € festgesetzt.

    Mit Einspruchsentscheidung vom 5. August 2014 wurden die Einsprüche als unbegründet zurückgewiesen. Dabei ging das FA weiter davon aus, dass die Klägerin keine Bescheinigung der Heimleitung beigebracht habe, aus der sich die medizinische Erforderlichkeit der ergänzenden Betreuung im vorliegenden Umfang ergebe und dass davon ausgegangen werden müsse, dass die vollstationäre Pflege medizinisch ausreichend gewesen sei. Die zusätzlich entstandenen Kosten für das private Pflegepersonal stünden bei einem Vergleich mit Heimbewohnern mit gleichgelagertem Krankheitsbild in einem offensichtlichen Missverhältnis zum medizinisch indizierten Aufwand und außerhalb des Üblichen; damit fehle es an der erforderlichen Angemessenheit. Demgemäß waren vom FA (im Ergebnis lediglich) die folgenden Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zum Abzug zugelassen:
    2009 € 2010 € 2011 € 2012 €
    Außergewöhnliche Belastung 3.678 7.267 8.104 10.183
    -zumutbare Belastung -4.190 -5.168 -4.824 3.897
    = Überbelastung 0 2.099 3.280 6.286

    Zusätzlich hat das FA in jedem der Streitjahre eine Steuerermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen von 4.000 € gemäß § 35 a Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) für die Kosten des privaten Pflegepersonals berücksichtigt.

    Zur Begründung der dagegen gerichteten Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen Folgendes vor: Der Aufenthalt von RZ im Pflegeheim sei durch ihre Krankheit und ständige Pflegebedürftigkeit bedingt gewesen. Die dadurch entstandenen Pflegekosten seien zwangsläufig. Wegen der Schwere der Erkrankung sei RZ neben der Standardpflege durch das Heim noch individuelle und intensive Pflege durch eigens dafür engagierte fachliche Pflegekräfte zuteil geworden.

    Anders als das FA meine, sei nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG die Angemessenheit der Aufwendungen nicht erforderlich. Auch die Kommentarliteratur verweise darauf, dass der Bundesfinanzhof (BFH) bei den Krankheitskosten gerade keine Angemessenheitsprüfung vornehme (Heger in Blümich, EStG, § 33 Rz. 170, Stand November 2014) und dass Krankheitskosten, die nur deshalb in außergewöhnlicher Höhe entstünden, weil es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen erlaubten, dennoch grundsätzlich angemessen und notwendig seien (Schmidt/Loschelder, EStG, 34. Auflage 2015, § 33 Rz. 30). Ausnahmen ergäben sich nur, wenn ein für jedermann offensichtliches Missverhältnis zwischen dem erforderlichen, medizinisch indizierten Aufwand und dem tatsächlichen Aufwand vorliege (Heger in Blümich, EStG, § 33 Rz. 170, Stand November 2014). Der behandelnde Arzt habe die Erforderlichkeit und Notwendigkeit der ergriffenen Maßnahmen durch ein ärztliches Attest bestätigt. Dem FA fehle dagegen die nötige Sachkunde für die Beurteilung solcher Fragen. Ebenso sei nicht ausschlaggebend, was eine "Heimleitung" dazu gegebenenfalls bescheinigen könne. Das FA habe zwar das einschlägige Urteil des BFH vom 14. November 2013 (VI R 20/12, BStBl II 2014, 456) zitiert, aber daraus nicht die sich zwangsläufig ergebenden Schlussfolgerungen gezogen.

    Wäre entgegen herrschender Ansicht in Fachschrifttum und Rechtsprechung eine Angemessenheitsprüfung erforderlich, wäre der Abzug der Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastung nur ausgeschlossen, soweit Unangemessenheit vorläge.

    Die Klägerin beantragt,

    unter Änderung der Bescheide vom 3. Juni 2011 für 2009, vom 11. Juli 2014 für 2010, vom 11. Juli 2014 für 2011 und vom 5. Mai 2014 für 2012, alle in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. August 2014, weitere außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 55.511 € für 2009, 57.958 € für 2010, 59.781 € für 2011 und 59.949 € für 2012 zum Abzug zuzulassen, die Steuerermäßigung gemäß § 35a Abs. 2 EStG in Höhe von 4.000 € in jedem Streitjahr nicht mehr zu gewähren und die Einkommensteuer 2009, 2010, 2011 und 2012 entsprechend herabzusetzen.

    Das FA beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Es verweist zur Klageerwiderung im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung.

    Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die ausgetauschten Schriftsätze verwiesen.

    II.

    Die Klage ist unbegründet.

    1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).

    Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind Aufwendungen außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind, sind aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen (z.B. BFH-Urteil vom 14. November 2013 VI R 20/12, BStBl II 2014, 456 m.w.N.).

    In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Dies gilt auch für Aufwendungen für die Pflege eines Steuerpflichtigen infolge einer Krankheit. Entsprechend sind auch krankheitsbedingte Unterbringungskosten in einer dafür vorgesehenen Einrichtung aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig und daher dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 EStG zu berücksichtigen, und zwar unabhängig davon, ob neben dem Pauschalentgelt gesondert Pflegekosten in Rechnung gestellt werden. Es gelten die allgemeinen Grundsätze über die Abziehbarkeit von Krankheitskosten (BFH-Urteil vom 14. November 2013 VI R 20/12, BStBl II 2014, 456 m.w.N.).

    Zu den Krankheitskosten gehören die Aufwendungen, die unmittelbar zum Zwecke der Heilung der Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen, wie insbesondere Kosten für die eigentliche Heilbehandlung und eine krankheitsbedingte Unterbringung (z.B. BFH-Urteil vom 14. November 2013 VI R 20/12, BStBl II 2014, 456 m.w.N.). Solche Aufwendungen werden von der Rechtsprechung als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach bedarf. Erforderlich ist lediglich, dass die Aufwendungen mit der Krankheit und der zu ihrer Heilung oder Linderung notwendigen Behandlung in einem adäquaten Zusammenhang stehen und nicht außerhalb des Üblichen liegen (z.B. BFH-Urteil vom 14. November 2013 VI R 20/12, BStBl II 2014, 456 m.w.N.). Erfasst wird nicht nur das medizinisch Notwendige im Sinne einer Mindestversorgung. Dem Grunde und der Höhe nach zwangsläufig sind vielmehr die medizinisch indizierten diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen, die in einem Erkrankungsfall hinreichend gerechtfertigt sind, es sei denn, der erforderliche Aufwand steht zum tatsächlichen in einem offensichtlichen Missverhältnis. In einem solchen Fall fehlt es an der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erforderlichen Angemessenheit (BFH-Urteil vom 14. November 2013 VI R 20/12, BStBl II 2014, 456 m.w.N.).

    Ob die Aufwendungen diesen Rahmen übersteigen, hat das FG anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (BFH-Urteil vom 14. November 2013 VI R 20/12, BStBl II 2014, 456 m.w.N.).

    2. Im Streitfall fehlt es bei den von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen für die Beschäftigung von privaten Pflegekräften an der erforderlichen Angemessenheit.

    a) Dabei geht der Senat davon aus, dass es sich bei der Beschäftigung des Pflegepersonals um Maßnahmen einer Kranken- und Heilbehandlung handelt. Entsprechend ist in dem von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Attest von einer von speziell ausgebildeten Pflegerinnen erbrachten Pflege die Rede, die die Krankheit erträglicher macht. Solche Aufwendungen sind als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach bedarf.

    Im Streitfall fehlt es jedoch bei diesen von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen an der erforderlichen Angemessenheit. Der Senat erkennt im Streitfall ein offensichtliches Missverhältnis der aufgewendeten Personalkosten zu dem erforderlichen Aufwand, weil der Mutter der Klägerin die volle Versorgung im Seniorenheim entsprechend der jeweils festgestellten Pflegestufe zustand - mit der Folge der Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung - und darüber hinaus weiteres privat beschäftigtes Personal zur Versorgung zur Verfügung gestellt wurde, mithin der Versorgungsgrad der Mutter gleichsam verdoppelt wurde (auch wenn die reine Versorgung im Heim als eine Versorgung auf Mindestniveau betrachtet wird). Eine Abziehbarkeit von Pflegeleistungen als außergewöhnliche Belastung, die weit über das hinaus geht, was üblicherweise für die Versorgung von Pflegebedürftigen zur Verfügung gestellt werden kann (nämlich entweder Heimunterbringung oder Versorgung durch ambulante Kräfte im häuslichen Bereich) würde bedeuten, dass die Steuerzahler sich finanziell an einer Versorgung beteiligen müssen, die sie sich für sich selbst nicht leisten könnten (vgl. hierzu Bergkemper in FR 2014, 619 und Hettler in HFR 2014, 415).

    b) Eine teilweise Berücksichtigung der geltend gemachten Kosten unter dem Gesichtspunkt, dass lediglich ein (noch zu bestimmender) überschießender Teil der zusätzlichen Personalkosten als unangemessener Aufwand zu qualifizieren wäre, ist nach Auffassung des Senats nicht möglich. Hier im Schätzungswege einen Anteil herauszufiltern, der die bei der Versorgung im Heimen für unzureichend gehaltene Pflegeleistung angemessen ergänzt (vgl. hierzu Hettler in HFR 2014, 415), scheint zumindest der Höhe nach nicht mit Kriterien wie schlüssig, wirtschaftlich möglich, vernünftig und plausibel (z.B. BFH-Urteil vom 24. Januar 2013 V R 34/11, BStBl II 2013, 460; vom 24. Juni 2014 VIII R 54/10, BFH/NV 2014, 1501, Rz 23, m.w.N.) begründbar.

    3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Es erscheint sachgerecht, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden (§ 90a FGO).