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  • 21.10.2015 · IWW-Abrufnummer 145617

    Finanzgericht Köln: Urteil vom 20.05.2015 – 3 K 1146/13

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Köln

    3 K 1146/13

    Tenor:

    Die Einkommensteuern der Jahre 2005 bis 2008 werden unter Abänderung der Einkommensteuerbescheide vom 28.06.2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.03.2013 jeweils auf den Betrag herabgesetzt, der sich ergibt, wenn bei den Einkünften des Klägers aus freiberuflicher Tätigkeit weitere Betriebsausgaben in Höhe von

    2.750,00 € für 2005,

    2.750,00 € für 2006,

    5.301,20 € für 2007 und

    10.602,40 € für 2008

    berücksichtigt werden.

    Die Berechnung der Steuern wird dem Beklagten übertragen.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    Von den Kosten des Verfahrens werden 94% dem Beklagten und 6% den Klägern auferlegt.

    Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

    Tatbestand

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    Streitig sind die Änderung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen und der begrenzte Abzug der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer eines Kabarettisten.

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    Die Kläger sind Eheleute, die vom Beklagten für die Jahre 2005 bis 2008 (Streitjahre) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger war in den Streitjahren als ... Kabarettist freiberuflich tätig. .... In den Streitjahren absolvierte er jeweils etwa 120 öffentliche Auftritte. .... Für seine Auftritte erhält der Kläger außer den Gagen Zahlungen der GEMA und der VG-Wort. Losgelöst von den Auftritten erzielt der Kläger Einnahmen aus CD-Verkäufen.

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    Bis zum 30.06.2007 wohnten die Kläger in der A-Straße ... in B zur Miete. Die Wohnung lag im vierten Obergeschoss, war etwa 70 m² groß und bestand aus drei Zimmern sowie Küche, Diele, Bad. Zu der Wohnung gehörten gemäß dem Mietvertrag zwei direkt darüber im Dachgeschoss befindliche Zimmer mit einer Fläche von zusammen rund 40 m². Diese konnten durch eine eigene Eingangstür im Treppenhaus betreten werden. Innerhalb der Wohnung konnte man durch eine Luke im Boden mit ausziehbarer Leiter vom Obergeschoss ins Dachgeschoss und zurück gelangen. Die Räumlichkeiten im Obergeschoss dienten den Klägern als Privatwohnung, die Zimmer im Dachgeschoss nutzte der Kläger für Büroarbeiten im Zusammenhang mit seinem Beruf als Kabarettist. Am Eingang des Gebäudes waren zwei Namensschilder und Klingeln mit dem Namen des Klägers angebracht. Ein Schild trug den Zusatz „Büro“.

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    Mit Wirkung zum 01.07.2007 zogen die Kläger in die G-Straße ... um. Hier mieteten sie die beiden im Dachgeschoss gelegenen und in sich abgeschlossenen Räumlichkeiten als Privatwohnung und als Büro an. Die letztgenannte Einheit bestand aus einem großen Raum, einer - später entfernten - Küche, einer Dusche mit WC und einem Abstellraum. Die Bodenfläche des Büros beträgt 32 m², die der privaten Wohnung 198 m². Die Eingänge liegen im Treppenhaus direkt gegenüber. Weitere Räume befinden sich im Dachgeschoss nicht. Im Gebäude ist ferner ein Aufzug vorhanden, der vom Erdgeschoss unmittelbar in die private Wohnung der Kläger führt und den sie mit einem speziellen Schlüssel bedienen können. Über das Treppenhaus des Dachgeschosses ist der Aufzug nicht zugänglich. Sowohl für die Wohnung als auch für das Büro gibt es getrennte Klingeln, verschiedene Namensschilder, gesonderte Briefkästen und eigene Gegensprechanlagen. In den unteren Geschossen des Gebäudes befinden sich ausschließlich Gewerberäume.

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    In beiden Gebäuden bestand die Ausstattung der beruflich genutzten Räume aus einem Schreibtisch mit einem Bürostuhl, einem Sofa, weiteren Stühlen, mehreren Regalen und Rollcontainern, einem PC mit Monitor, mehreren Kameras und Notebooks, Fernsehgeräten, einem Projektor und einem Headset. Wegen der weiteren Einzelheiten der jeweiligen Ausstattung wird auf die Anlagenverzeichnisse für die Streitjahre, die Auflistungen in der Handakte der Betriebsprüfung sowie im letzten Schriftsatz der Kläger und für das Büro in der G-Straße auf die zu den Gerichtsakten gereichte Fotoserie Bezug genommen.

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    Der Kläger ermittelte den Gewinn aus seiner freiberuflichen Tätigkeit durch Überschussrechnung. In den Gewinnermittlungen wurde als Anschrift der Betriebsstätte des Klägers die A-Straße bzw. die G-Straße angegeben. Ebenso wurde in den Umsatzsteuererklärungen die Adresse des Unternehmens eingetragen. Unter der Rubrik „Raumkosten“ wurden Ausgaben für Miete beziffert, nämlich in 2005 und 2006 jeweils 4.000 €, in 2007 6.980 € und in 2008 9.960 €. In 2005 und 2006 wurde dazu erläutert, die „Mietaufwendungen betreffen die anteiligen Bürokosten“. In 2007 wurde vermerkt: „Ab 1. Juli 2007 wurden gewerbliche Räume – Einheit 17 – in der G-Straße ..., ... B angemietet“. Die Zusammensetzung der einzelnen Beträge wurde in den Gewinnermittlungen nicht dargestellt.

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    Die Kläger übertrugen die für die Streitjahre ermittelten Gewinne als Einkünfte des Klägers aus freiberuflicher Arbeit in ihre Einkommensteuererklärungen und gaben diese zusammen mit der jeweiligen Gewinnermittlung beim Beklagten ab. Die in den Mantelbögen eingetragenen Wohnanschriften und die in der Gewinnermittlung angegebenen Betriebstättenadressen waren identisch. Bei der Anfertigung der Unterlagen wirkten die damaligen steuerlichen Berater der Kläger mit.

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    Der Beklagte folgte zunächst den Erklärungen der Kläger und erließ die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2005, 2006 und 2008 am 10.01.2007, 17.01.2008 und 15.05.2009 hinsichtlich der Einkünfte aus freiberuflicher Arbeit endgültig. Lediglich den Einkommensteuerbescheid für 2007 vom 16.01.2009 stellte der Beklagte unter den Vorbehalt der Nachprüfung.

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    Im Jahr 2010 begann der Beklagte beim Kläger mit einer Betriebsprüfung für die Jahre 2005 bis 2007, die später auf das Jahr 2008 erweitert wurde. Die Prüferin besichtigte dabei das Büro in der G-Straße. Sodann stellte sie sich auf den Standpunkt, dass das Büro einkommensteuerrechtlich nicht als Betriebsstätte sondern als häusliches Arbeitszimmer zu behandeln sei. Es bilde ferner nicht den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung des Klägers. Für die Büroräume in der A-Straße gelte das Gleiche. Die Aufwendungen dürften nur bis zum gesetzlichen Höchstbetrag von 1.250 € pro Jahr vom Gewinn abgezogen werden und seien im Übrigen dem Gewinn wieder hinzuzurechnen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Tz. 2.2 und 2.3 und die Anlage 1 des Prüfungsberichts vom 06.06.2011 verwiesen. Der Bericht enthält anderweitige Feststellungen der Prüferin, die zwischen den Beteiligten nicht streitig sind.

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    Der Beklagte änderte am 28.06.2011 die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre entsprechend dem Prüfungsbericht. Für 2007 stützte er sich auf den Vorbehalt der Nachprüfung, den er zugleich aufhob. Für die übrigen Jahre begründete er die Änderungen mit Hinweis auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO.

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    Die gegen die Änderungsbescheide eingelegten Einsprüche wies der Beklagte durch verbundene Entscheidung am 18.03.2013 als unbegründet zurück. Bei beiden Büros handele es sich um Arbeitszimmer, die in die häusliche Sphäre eingebunden seien. In der A-Straße geschehe dies durch die Leiter vom Obergeschoss in die Mansarde. In der G-Straße sei der Zusammenhang daran erkennbar, dass sich Büro und Wohnung auf derselben Etage direkt gegenüber befänden. Das Vorhandensein einer Toilette und einer Dusche im Büro spreche unabhängig von deren tatsächlichen Benutzung und Benutzbarkeit für die Häuslichkeit des Arbeitszimmers. Den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung des Klägers bilde nicht das jeweilige Büro, sondern sei dort, wo der Kläger als Kabarettist auftrete.

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    Mit der Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter, die Aufwendungen für die beruflich genutzten Räume in voller Höhe zum Abzug zuzulassen. Der Beklagte habe Anlass gehabt, die Mietaufwendungen für die Büros näher zu ermitteln. Diese seien keine Arbeitszimmer, sondern betriebsstättenähnliche Räume. Sie seien mit dem Übezimmer eines Berufsmusikers vergleichbar. Jener sei ebenso wie er, der Kläger, als Künstler anzusehen. Dass er, der Kläger, sich für seine künstlerische Aktivität noch eines Schreibtisches und eines Computers bediene, liege in der Art seiner Aktivitäten. Er verbringe 95% seiner Arbeitszeit, die täglich oft 13 Stunden lang sei, im Büro. Er sehe sich stets als vortragenden Autor. Der Schwerpunkt der künstlerischen Arbeit liege in der kreativen Herstellung der Texte. Diese würden ebenso wie Musik „komponiert“. Im Büro entstehe die Kunst. Außerdem würden dort das laute Vortragen des Texts geprobt und Gesten sowie Mimik vor einem Spiegel geübt. In Fernsehen und Rundfunk suche er nach verwertbaren Themen und kontrolliere seine eigenen Aufnahmen. Im Büro befinde sich ferner sein Archiv mit Dias, DVDs, CDs, Fotos. Sein Werkzeug sei das Wort und das Wort entstehe in den Büros. Eine Einbindung der Büros in die private Lebenssphäre habe in keinem der Gebäude bestanden. Die Leiter zu der Mansarde in der A-Straße sei so gut wie nie benutzt worden. Die Räumlichkeiten in der G-Straße seien vollständig getrennt. Dass sie gegenüber lägen, könne keine Rolle spielen. Er, der Kläger, habe zunächst einen Gewerberaum in einem anderen Geschoss anmieten wollen, ein solcher sei aber nicht verfügbar gewesen. Steuerpflichtige dürften nicht unter "Generalverdacht" gestellt werden.

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    Der Beklagte hat den Einkommensteuerbescheid für 2005 vom 28.06.2011 und die insoweit ergangene Einspruchsentscheidung in der mündlichen Verhandlung aufgehoben, soweit sie gegenüber der Klägerin ergangen ist. Dieses Verfahren hat das Gericht abgetrennt. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt.

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    Der Kläger beantragt bzw. die Kläger beantragen,

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    1. für die Jahre 2005 bis 2008 folgende Gewinnminderungen vorzunehmen: 2005: 2.750,00 €; 2006: 2.750,00 €; 2007: 6.676,20 €; 2008: 10.602,40 € und die Einkommensteuer entsprechend herabzusetzen,

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    2. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

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    Der Beklagte beantragt

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    die Klage abzuweisen.

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    Er ist der Ansicht, dass er zu den Änderungen durch § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO befugt gewesen sei. Er habe bei der erstmaligen Veranlagung seine Ermittlungspflichten nicht verletzt. Es habe sich insoweit nichts aufgedrängt. Immerhin habe der Kläger für die Erstellung seiner Gewinnermittlungen einen Steuerberater beauftragt. Aus dessen Buchungen habe sich für ihn, den Beklagten, eine Fremdanmietung der Büroräumlichkeiten ergeben. Erst durch die Betriebsprüfung sei ermittelt worden, dass sich die Büros in bzw. gegenüber der Wohnung befunden hätten. Im Übrigen wiederholt und vertieft der Beklagte die Ausführungen aus der Einspruchsentscheidung.

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    Entscheidungsgründe

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    Die Klage ist überwiegend begründet.

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    Der Senat ändert gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 FGO den vom Kläger angefochtenen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2005 und die von beiden Klägern angefochtenen Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 2006 bis 2008 ‑ jeweils in der Gestalt der Einspruchsentscheidung - in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang. Die Bescheide sind insoweit rechtswidrig und verletzen den Kläger bzw. beide Kläger in ihren Rechten, als der Beklagte bei den Einkünften des Klägers aus freiberuflicher Tätigkeit Betriebsausgaben für das Büro A-Straße in Höhe von jeweils 2.750,00 € für 2005 und 2006 sowie für das Büro G-Straße von 5.301,20 € für 2007 und von 10.602,40 € für 2008 nicht mehr zum Abzug zugelassen hat. Der Senat macht diese Gewinnerhöhung rückgängig und überträgt die Berechnung der sich daraus ergebenden Einkommensteuern gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten. Soweit die Kläger außerdem begehren, die Streichung der Betriebsausgaben für das Büro A-Straße in Höhe von 1.375 € in 2007 zu berichtigen, weist der Senat die Klage ab. Denn insoweit ist der angefochtene Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.

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    I. Der Beklagte war nicht berechtigt, die Betriebsausgaben für das Büro A-Straße in Höhe von jeweils 2.750,00 €, die er durch die ursprünglichen Einkommensteuerbescheide für 2005 und für 2006 vom 10.01.2007 und vom 17.01.2008, berücksichtigt hatte, aufgrund der Betriebsprüfung zu streichen. Für diese Änderung bestand keine Rechtsgrundlage. Die Bescheide sind hinsichtlich der Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit endgültig ergangen. Die Voraussetzungen von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, auf den der Beklagte sich gestützt hat, sind nicht erfüllt.

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    1. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen nachträglich bekanntwerden, die zu einer höheren Steuer führen. Liegen solche nicht vor, darf der Steuerbescheid nach dieser Norm nicht geändert werden. Aber auch wenn Tatsachen nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen, ist die Änderung der Steuerbescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ausgeschlossen, wenn die Finanzbehörde diese Tatsachen bei Erfüllung ihrer Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts (§ 88 Abs. 1 Satz 1 AO) schon vor Erlass der Steuerbescheide hätte feststellen können und der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht (§ 90 Abs. 1 Satz 1 AO) nicht bzw. nur in deutlich geringerem Maße als die Finanzbehörde verletzt.

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    Der Senat folgt mit dieser Auslegung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO der ständigen Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 03.05.1991 V R 36/90, BFH/NV 1992, 221; vom 24.01.2002 XI R 2/01, BStBl II 2004, 444; vom 20.04.2004 IX R 39/01, BStBl II 2004, 1072 und jüngst Urteil vom 21.01.2015 X R 16/12, BFH/NV 2015, 815). Zwar enthält der Wortlaut der Norm keine derartige Einschränkung. Die Finanzbehörde hat jedoch den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu beachten, wenn sie § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO anwendet (BFH, Urteil vom 19.12.1996 V R 14/96, BFH/NV 1997, 743). Es ist in das Ermessen der Finanzbehörde gestellt, die materielle Bestandskraft einer Steuerfestsetzung dadurch offen zu halten, dass sie die Steuer gemäß § 164 Abs.1 Satz 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festsetzt, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist. Macht die Finanzbehörde von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, gebietet die Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts (§ 88 Abs. 1 Satz 1 AO), dass sie allen offenkundigen Zweifelsfragen, die sich ohne Weiteres aufdrängen, nachgeht. Denn der Steuerpflichtige kann sich bei einer bestandskräftig gewordenen „endgültigen“ Steuerfestsetzung darauf verlassen, dass die Finanzbehörde den Steuerfall abschließend geprüft hat. Voraussetzung ist allerdings, dass der Steuerpflichtige seine Pflicht, bei der Sachverhaltsermittlung mitzuwirken (§ 90 Abs. 1 AO), erfüllt hat (grundlegend BFH, Urteil vom 13.11.1985 II R 208/82, BStBl II 1986, 241). Bei der Bestimmung und Begrenzung der Ermittlungspflicht des Finanzamts (§ 88 Abs. 1 Satz 2 AO) kommt es wesentlich auf die Angaben des Steuerpflichtigen und insbesondere darauf an, ob er die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offengelegt hat (§ 90 Abs. 1 Satz 2 AO). Der Umfang der beiderseitigen Pflichten richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (§§ 88 Abs. 1 Satz 3, 90 Abs. 1 Satz 3 AO). Das Finanzamt braucht Steuererklärungen nicht mit Misstrauen zu begegnen, sondern kann regelmäßig von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das Finanzamt versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, ist eine Abwägung vorzunehmen. Eine Änderungssperre tritt in diesen Fällen nur ein, wenn der Verstoß des Finanzamts den des Steuerpflichtigen deutlich überwiegt. Andernfalls kann der Steuerbescheid geändert werden kann (BFH, Urteile vom 10.04.1997 IV R 47/96 BFH/NV 1997, 757 und vom 08.12.2011 VI R 49/09, BFH/NV 2012, 692).

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    2. Gemessen an diesen Grundsätzen berechtigte § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO den Beklagten nicht, die in den ursprünglichen Einkommensteuerbescheiden für 2005 und 2006 berücksichtigten Betriebsausgaben für das Büro A-Straße in Höhe von jeweils 4.000 € um 2.750 € auf 1.250 € zu kürzen und die Bescheide entsprechend zum Nachteil der Kläger zu ändern. Denn der Beklagte hätte die durch § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3 Halbsatz 1 EStG (in der Fassung der Bekanntmachung des Einkommensteuergesetzes vom 19.10.2002, BGBl. I S. 4210) angeordnete Beschränkung des Betriebsausgabenabzugs auf 1.250 € schon bei den erstmaligen Veranlagungen beachten müssen. Danach wäre der vom Beklagten zugelassene höhere Abzug nur zulässig gewesen, wenn es sich bei dem Büro A-Straße nicht um ein häusliches Arbeitszimmer im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG gehandelt hätte oder - wenn das doch Fall gewesen sein sollte - dass dieses Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3 Halbsatz 1 EStG gebildet hätte. Dass keine dieser Voraussetzungen vorlag, hätte dem Beklagten im Wesentlichen schon vor Erlass der ursprünglichen Steuerbescheide für 2005 und 2006 bekannt sein müssen, denn er hätte dies im Rahmen der gebotenen Sachverhaltsaufklärung (§ 88 Abs. 1 Satz 1 AO) feststellen können. Die Kläger haben ihre Mitwirkungspflicht (§ 90 Abs. 1 Satz 1 AO) nicht verletzt.

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    a) Es stand schon im Rahmen der Veranlagung fest, dass das Büro A-Straße ein Arbeitszimmer im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG war. Ein Arbeitszimmer ist - losgelöst von der Eigenschaft „häuslich“ - ein Raum, der nach Ausstattung und Funktion der Erledigung betrieblicher/beruflicher Arbeiten, insbesondere gedanklicher, schriftlicher oder verwaltungstechnischer Art dient (BFH, Urteil vom 15.01.2013 VIII R 7/10, BStBl II 2013, 374). Es handelt sich um einen Typusbegriff, der sich am Bild des Büros orientiert. Dieser Nutzung entsprechend ist das Arbeitszimmer daher mit Büromöbeln eingerichtet, wobei der Schreibtisch regelmäßig das zentrale Möbelstück darstellt. Das Arbeitszimmer ist abzugrenzen von betriebsstättenähnlichen Räumen wie einer Werkstatt, Lager- oder Ausstellungsräumen, Praxisräumen eines Arztes, Rechtsanwalts oder Steuerberaters. Ob ein beruflich genutzter Raum als Arbeitszimmer im Sinne eines Büros anzusehen ist, lässt sich nicht allgemein entscheiden, sondern nur aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls entscheiden (BFH-Urteile vom 19.09.2002 VI R 70/01, BStBl II 2003, 139 und vom 22.11.2006 X R 1/05, BStBl II 2007, 304). Für die Qualifizierung eines Raumes als Arbeitszimmer spielt es keine Rolle, ob der Raum die Merkmale eine Betriebsstätte im Sinne des § 12 AO erfüllt (BFH, Urteil vom 16.10.2002 XI R 89/00, BStBl II 2003, 185). Dass in der Gewinnermittlung des Klägers für 2005 auf Blatt 2 unten vom „Ort der Betriebsstätte: B“ die Rede ist, widerspricht der Deutung der Verhältnisse durch den Senat nicht. Beruflich genutzte Räume können allerdings ein betriebsstättenähnliches Gepräge erlangen durch ihre - für eine büromäßige Nutzung untypische - Ausstattung und eine damit zusammenhängende Funktionszuweisung. So können zum Beispiel technische Anlagen und Schallschutzmaßnahmen dem betreffenden Raum das Gepräge eines häuslichen Tonstudios geben (BFH-Urteile vom 16.10.2002 XI R 89/00, BStBl II 2003, 185 und vom 28.08.2003 IV R 53/01, BStBl II 2004, 55). Auch eine als Behandlungsraum ausgestattete und über einen separaten Eingang für Patienten leicht zugängliche Notfallpraxis im selbstgenutzten Einfamilienhaus ist kein Arbeitszimmer (BFH-Urteile vom 05.12.2002 IV R 7/01, BStBl II 2003, 463 und vom 20.11.2003 IV R 3/02, BStBl II 2005, 203), ebenso wenig ein dem Einlagern und Aufbewahren betrieblicher Bedarfsgegenstände gewidmetes und entsprechend eingerichtetes Warenlager (BFH-Urteil vom 22.11.2006 X R 1/05, BStBl II 2007, 304). In diesen Fällen handelt es sich nicht um Arbeitszimmer mit der Folge, dass die Abzugsbeschränkung aus § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG nicht eingreift. So liegt es aber bei dem Büro A-Straße nicht.

    29

    Dem Beklagten hätte aus den Gewinnermittlungen für die Jahre 2005 und 2006 bekannt sein müssen, dass der Kläger Aufwendungen für ein Arbeitszimmer als Betriebsausgaben geltend macht. Bei den hier interessierenden 4.000 € handelt es sich um Raumkosten in Gestalt von Mietaufwendungen für die vom Kläger selbst so bezeichneten „Bürokosten“. Dass der betreffende Raum zugleich eine büromäßige Ausstattung hatte, war für den Beklagten aus den Anlagenverzeichnissen erkennbar, die den Gewinnermittlungen beigefügt waren und in denen der Schreibtisch nebst Rollcontainer und Aktenschrank mit 7.586,21 € die höchsten Anschaffungskosten aufwies. Diese Ausstattung ließ keine andere wesentliche Funktionszuweisung erkennen, als die Erledigung von Arbeiten vorwiegend gedanklicher, schriftlicher oder verwaltungstechnischer Art. Dass ein freiberuflich tätiger Kabarettist einen solchen Raum benötigt, hat der Kläger überzeugend dargelegt und wird vom Beklagten nicht bestritten. Es leuchtet ferner ein, dass Kameras und Fernsehgeräte notwendig sind, um Stimmbildung, Körperhaltung sowie Mimik und Gestik zu trainieren. Der Senat folgt dem Kläger aber nicht in der Annahme, dass eine solche Ausstattung dem Raum ein vom Typus des Arbeitszimmers im Sinne von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG abweichendes Gepräge gibt. Der Senat schließt sich insoweit dem BFH-Urteil vom 09.08.2011 (VIII R 4/09, BFH/NV 2012, 200) an, dass zu einem dem Kabarettisten teilweise vergleichbaren Beruf des Schauspielers und Drehbuchautors ergangen ist. Der Hinweis der Kläger auf das Urteil des FG Köln vom 13.10.2010 (9 K 3882/09, EFG 2011, 217) zum "Übezimmer" eines selbständigen Berufsmusikers schlägt nicht durch. Der BFH hat diese Entscheidung aufgehoben (Urteil vom 10.10.2012 VIII R 44/10, BFH/NV 2013, 359) und ausgeführt, das Erarbeiten, Einstudieren und Proben der ausgesuchten Musikstücke stelle nur die Vorbereitungshandlung und unverzichtbare Grundlage für die spätere - außerhalb des Übezimmers - auszuübende Tätigkeit dar, nämlich das Aufführen der Musik im Rahmen eines Orchesters. Insgesamt unterscheide sich eine solche Nutzung nicht von der Nutzung von Räumen durch Angehörige anderer Berufe, bei denen die häusliche Vorbereitung ebenfalls im Arbeitszimmer geschehe und in der Vorbereitung sowie im Abfassen von Vorträgen, Vorlesungen oder Schriftsätzen bestehe. Diese Argumentation gilt - entgegen der Ansicht des Klägers - auch für einen Kabarettisten.

    30

    b) Ebenfalls war bereits bei der Veranlagung bekannt, dass das Arbeitszimmer nicht den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3 Halbsatz 2 EStG bildete.

    31

    Bei einem Steuerpflichtigen, der lediglich eine einzige berufliche Tätigkeit - teilweise zu Hause und teilweise auswärts - ausübt, bestimmt sich der Mittelpunkt danach, ob er im Arbeitszimmer diejenigen Handlungen vornimmt und Leistungen erbringt, die für den ausgeübten Beruf wesentlich und prägend sind. Die für den Beruf wesentlichen und prägenden Leistungen werden auch mit dem Begriff des inhaltlichen (qualitativen) Schwerpunkts der betrieblichen und beruflichen Betätigung des Steuerpflichtigen umschrieben. Maßgebend ist, ob - unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung - das qualitativ für eine bestimmte steuerbare Tätigkeit Typische im häuslichen Arbeitszimmer ausgeübt wird (BFH, Urteile vom 16.07.2014 X R 49/11, BFH/NV 2015, 177 und vom 11.11.2014 VIII R 3/12, BStBl. II 2015, 382 und Beschluss vom 24.04.2015 VIII B 100/14, bei juris). Übt ein Steuerpflichtiger mehrere berufliche Tätigkeiten aus, ist zunächst der Betätigungsmittelpunkt der jeweiligen Einzeltätigkeiten zu ermitteln. Sodann ist auf dieser Grundlage der qualitative Schwerpunkt der Gesamttätigkeit festzulegen. Der Mittelpunkt der Haupttätigkeit indiziert den Mittelpunkt der Gesamttätigkeit. Abzustellen ist auf das Gesamtbild der Verhältnisse und auf die Verkehrsanschauung, nicht auf die Vorstellung des betroffenen Steuerpflichtigen.

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    Das Wort „Kabarett“ stammt vom französischen „cabaret“ (Schänke oder Kneipe) und beschreibt eine Form der darstellenden (Klein-)Kunst. Die für seinen Beruf wesentliche und prägende Leistung erbringt ein Kabarettist auf der Bühne, wo er auftritt und seine Kunst in Gestalt eines Vortrags dem Publikum präsentiert. Das gilt auch, wenn der Kabarettist ‑ wie hier der Kläger - seine Vorträge von der ersten Idee über das Verfassen der Texte bis zu den letzten Details der Darbietung selbst produziert. Der Kläger hat in den Streitjahren rund 120 öffentliche Auftritte absolviert. Der Kläger sieht sich als „vortragenden“ Autor. Da sich die Autorentätigkeit des Klägers im Arbeitszimmer aber ganz überwiegend auf seine eigenen Vorträge bezieht, tritt sie in ihrer Bedeutung hinter seinen Auftritten zurück und dient ebenso wie das Einüben lediglich der Vorbereitung. Der Kläger ist nicht mit einem Buchautor vergleichbar, der abgesehen von gelegentlichen Lesungen nicht vom Vortrag seiner Texte, sondern alleine von deren Verkauf lebt. Das Markenzeichen des Klägers ist gerade der Vortrag seiner Texte, der unter gewandtem Einsatz seiner Stimme, Gestik und Mimik auf einer Bühne vor einem Publikum erfolgt. Findet die das Berufsbild prägende Tätigkeit außerhalb des Arbeitszimmers statt, kann auch eine zeitlich weit überwiegende Nutzung des Arbeitszimmers keine Verlagerung des Mittelpunkts bewirken. Der Senat hat keine Zweifel, dass die Ausführungen des Klägers zur zeitlichen Dauer seines täglichen Aufenthalts im Büro zutreffen. Maßgebend ist aber - wie bereits ausgeführt - gerade nicht der quantitative, sondern der qualitative Mittelpunkt der berufstypischen Betätigung.

    33

    Dass der Kläger in den Streitjahren aus dem Verkauf von CDs Einnahmen erzielt hat, die nach der tatsächlichen Verständigung eigenständige und von den Auftritten losgelöste Leistungen sind, ändert an dem vorstehenden Ergebnis nichts. Denn diese gewerbliche Tätigkeit (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG) hat der Kläger keinesfalls im Arbeitszimmer ausgeübt. Die CDs wurden außerhalb verkauft, nämlich am Ort der jeweiligen Auftritte des Klägers.

    34

    c) Zu der Frage, ob es sich beim Büro A-Straße um ein „häusliches“ Arbeitszimmer im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG handelt, gilt Folgendes:

    35

    Häuslich ist ein Arbeitszimmer, wenn der betreffende Raum seiner Lage, Funktion und Ausstattung nach in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden ist, also zur Wohnung oder zum Wohnhaus des Steuerpflichtigen gehört (BFH, Urteil vom 26.03.2009 VI R 15/07, BStBl II 2009, 598). Eine unmittelbare Verbindung zur Wohnung ist dabei nicht erforderlich; auch Mansardenzimmer im selben Haus stehen als Zubehörräume zu der Wohnung noch in einer räumlichen Verbindung, die sie als häusliches Arbeitszimmer einordnen lässt (BFH, Urteile vom 15.11.2004 XI R 14/03, bei juris und vom 15.01.2013 VIII R 7/10, BStBl II 2013, 374 und Beschluss vom 30.01.2014 VI B 125/13, BFH/NV 2014, 688).

    36

    Die Aktenlage bei der Veranlagung sprach für das Vorliegen eines häuslichen Arbeitszimmers. Die Einbindung des Büros in die häusliche Sphäre der Kläger konnte der Beklagte den angegebenen Anschriften entnehmen. Die Adresse der Wohnung der Kläger war gemäß dem Mantelbogen zur Einkommensteuererklärung für 2005 die A-Straße ... in ... B. Es liegt auf der Hand, dass ein Kabarettist ein Büro für seine freiberufliche Tätigkeit benötigt und dass die Adresse dieses Büros in der Ermittlung des Gewinns aus dieser Tätigkeit zu finden ist. Auf dem Deckblatt und auf Blatt 2 der Gewinnermittlung für 2005 wird ebenfalls die A-Straße ... in ... B genannt. In der Umsatzsteuererklärung erscheint diese Adresse als Anschrift des Unternehmers bzw. des Unternehmens. Dass die strittigen Mietaufwendungen die „anteiligen“ Bürokosten sind und diese in der Rubrik „Raumkosten“ erscheinen, kann nach Auffassung des Senats nur so verstanden werden, dass sich das Büro des Klägers in den Jahren 2005 und 2006 innerhalb der Wohnung der Kläger in der A-Straße ... in ... B befunden hat und die auf dieses Büro anteilig entfallende Wohnungsmiete vom Kläger als Betriebsausgabe geltend gemacht worden ist. Eine anteilige Jahresmiete in Höhe von 4.000 € entspricht einer anteiligen Monatsmiete von 333,33 €, die für ein Arbeitszimmer innerhalb einer von zwei Personen genutzten Wohnung in B ohne Weiteres vorstellbar ist. Das bestreitet der Beklagte nicht.

    37

    Aufgrund der Betriebsprüfung sind hinsichtlich des Büros A-Straße nachträglich Tatsachen bekanntgeworden, nämlich die genaue Lage des Büros und die Verbindung zur Wohnung. Der Kläger hatte sein Büro in den im Dachgeschoss befindlichen zwei Zimmern eingerichtet. Diese Mansarde konnte zwar vom Treppenhaus durch eine eigene Eingangstür betreten werden. Sie gehörte jedoch als Zubehörraum zu der darunter liegenden Wohnung der beiden Kläger im vierten Obergeschoss. Innerhalb der Wohnung und damit unbemerkt für Außenstehende konnte der Kläger durch eine Luke im Boden mit ausziehbarer Leiter vom Obergeschoss ins Dachgeschoss - also von der Wohnung in das Büro - gelangen. Dass der Kläger von dieser Leiter so gut wie keinen Gebrauch gemacht und das Büro in aller Regel über das Treppenhaus betreten bzw. verlassen hat, bezweifelt der Senat ebenso wenig wie die durch die gesonderten Namensschilder und Klingeln nach außen erkennbare Selbständigkeit des Büros. Das ändert aber nichts daran, dass die Räumlichkeiten in den Streitjahren baurechtlich eine Einheit bildeten und Gegenstand eines einheitlichen Mietvertrags waren. Wäre der Ausgang von der Mansarde ins Treppenbaus durch einen Brand oder ein sonstiges Hindernis im Dachgeschoss versperrt gewesen, hätte der Kläger durch die Leiter einen zweiten Fluchtweg nach unten ins vierte Obergeschoss gehabt. Bei dieser Sachlage kann von einem außerhäuslichen Arbeitszimmer nicht gesprochen werden. Es sollte schließlich nicht verkannt werden, dass die hier vorgenommene Abgrenzung nichts daran ändert, dass der Betrag von 1.250 € als Betriebsausgabe abziehbar bleibt und nur die darüber hinausgehenden Aufwendungen den Gewinn nicht mindern. Das BVerfG hat entschieden, dass es dem Gesetzgeber unbenommen bleibt, die objektiv gegebene, staatlich jedoch nicht beobachtbare Möglichkeit privater Mitbenutzung des häuslichen Arbeitszimmers durch einen Höchstbetrag pauschal zu berücksichtigen (BVerfG, Beschluss vom 06.07.2010 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268).

    38

    d) Die vorstehenden Umstände lassen im Ergebnis eine Änderung der Steuerbescheide für 2005 und 2006 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht zu.

    39

    Da der Beklagte die Bescheide für 2005 und 2006 nicht unter den Vorbehalt der Nachprüfung stellen wollte, musste er nach § 88 Abs. 1 Satz 1 AO von Amts wegen unter anderem ermitteln, ob die vom Kläger geltend gemachten Betriebsausgaben abziehbar waren. Die Kürzung der Betriebsausgaben bei häuslichen Arbeitszimmern nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG gehört zu den Sachverhalten, die nahezu bei jedem freiberuflich tätigen Steuerpflichtigen vorkommen. Aus den Steuererklärungen und Gewinnermittlungen des Klägers ergaben sich - wie ausgeführt - wesentliche Anhaltspunkte dafür, dass das Büro A-Straße als häusliches Arbeitszimmer zu behandeln war, ohne den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung zu bilden. Das Finanzamt verletzt seine Ermittlungspflicht, wenn es ersichtlichen Unklarheiten oder Zweifelsfragen, die sich bei einer Prüfung der Steuererklärung sowie der eingereichten Unterlagen ohne weiteres aufdrängen mussten, nicht nachgeht (BFH, Urteil vom 08.12.2011 VI R 49/09, BFH/NV 2012, 692). So lagen die Dinge hier. Denn die für das Büro geltend gemachten Betriebsausgaben von jeweils 4.000 € waren offensichtlich nicht auf den gesetzlichen Höchstbetrag von 1.250 € begrenzt worden.

    40

    Die dagegen vom Beklagten erhobenen Einwendungen überzeugen den Senat nicht. Die Tatsache, dass der Kläger für die Erstellung seiner Gewinnermittlung einen Steuerberater beauftragt hat, besagt für sich genommen nichts. Der Kläger hat seine Mitwirkungspflicht in vollem Umfang erfüllt. Er hat die hier für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offengelegt (§ 90 Abs. 1 Satz 2 AO). Der Sachverhalt zum Büro A-Straße und den Aufwendungen dafür war zutreffend dargestellt. Der Kläger hat zu den Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG lediglich eine andere Rechtsauffassung als die Finanzbehörde vertreten; dagegen ist nichts einzuwenden. Der Kläger war weder verpflichtet, diese Abweichung nach außen kenntlich zu machen oder gar zu begründen.

    41

    Die Buchungen in den Gewinnermittlungen sprechen entgegen der Darstellung des Beklagten nicht für die Anmietung von externen Büroräumlichkeiten. Denn in diesem Fall würde es keine „anteiligen“ Kosten geben. Für die in der mündlichen Verhandlung gebrachte Erklärung, es könne sich um die auf den Kläger „anteilig“ entfallenden Kosten gehandelt haben, weil er das Büro nicht alleine sondern gemeinsam mit einer anderen Person angemietet und genutzt habe, gibt es nach Aktenlage keinen Anhaltspunkt. Die Finanzbehörde darf die Steuerfestsetzung nicht auf eine reine Spekulation stützen.

    42

    Die unterbliebene Kürzung der Betriebsausgaben für die Jahre 2005 und 2006 stellt sich aus heutiger Sicht als Rechtsfehler des Beklagten bei der erstmaligen Steuerfestsetzung dar. § 173 AO ist jedoch keine Fehlerberichtigungsvorschrift; eine Änderung von Steuerbescheiden bei nachträglich bekanntgewordenen Rechtsfehlern lässt die Vorschrift nicht zu (BFH, Beschluss des Großen Senats vom 23.11.1987 GrS 1/86, BStBl II 1988, 180).
    43

    II. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich unmittelbar, das die Kürzung der Aufwendungen für das Büro in der A-Straße um 1.375 € in 2007 materiell-rechtlich nicht zu beanstanden ist. Die Änderung des Einkommensteuerbescheids für 2007 vom 16.01.2009 war nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO ohne Weiteres möglich, da er unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand.

    44

    III. Die Kürzung der Aufwendungen für das Büro in der G-Straße in den Streitjahren 2007 um 5.301,20 € und 2008 um 10.602,40 € ist rechtswidrig. Es handelt sich um Betriebsausgaben im Sinne des § 4 Abs. 4 EStG. Die einschränkende Regelung des § 4 Absatz 5 Satz 1 Nummer 6b EStG (in der Fassung von Art. 1 Nr. 6 Buchstabe b und Nr. 38 Buchstabe d des Jahressteuergesetzes 2010 vom 08.12.2010, BGBl I. S. 1768) greift nicht ein. Denn das Büro in der G-Straße ist kein „häusliches“ Arbeitszimmer. Ob der Einkommensteuerbescheid für 2008 vom 15.05.2009 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO hätte geändert werden dürfen, kann auf sich beruhen.

    45

    1. Wie bereits unter I 2 c ausgeführt ist ein Arbeitszimmer häuslich, wenn der betreffende Raum seiner Lage, Funktion und Ausstattung nach in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden ist, also zur Wohnung oder zum Wohnhaus des Steuerpflichtigen gehört (BFH, Urteil vom 26.03.2009 VI R 15/07, BStBl II 2009, 598). Das ist bei dem in der G-Straße angemieteten Büro nicht der Fall. Es handelt sich um eine gesonderte Wohneinheit, die der Kläger für seine freiberufliche Tätigkeit als Kabarettist nutzt und die von der Wohnung der Kläger vollständig getrennt ist. Dass sich beide Wohnungen auf derselben Etage direkt gegenüber befinden, ändert an der rechtlichen Beurteilung nichts.

    46

    Nach der Rechtsprechung des BFH, welcher der Senat folgt, liegt eine innere häusliche Verbindung mit der privaten Lebenssphäre regelmäßig nicht vor, wenn der Steuerpflichtige in einem Mehrfamilienhaus zusätzlich zu seiner privaten Wohnung eine weitere Wohnung anmietet und diese vollständig als Arbeitszimmer nutzt (BFH, Urteil vom 26.02.2003 VI R 160/99, BStBl II 2003, 515). Gleiches hat zu gelten, wenn sich der Sachverhalt - wie hier - in einem Geschäftshaus mit einer Wohnetage im Dachgeschoss abspielt. Die erforderliche Verbindung zur häuslichen Sphäre ist in diesem Fall nicht allein deshalb gegeben, weil sich Arbeitszimmer und Privatwohnung im selben Haus und unter demselben Dach befinden. Die rechtliche Bewertung ist in solchen Gebäuden grundsätzlich anders als bei Arbeitszimmern in einem privaten Ein- oder Zweifamilienhaus, das dem Steuerpflichtigen womöglich selbst gehört.

    47

    Die für ein häusliches Arbeitszimmer notwendige innere Verbindung mit der privaten Wohnung des Steuerpflichtigen kann sich allerdings auch in einem Mehrfamilienhaus daraus ergeben, dass die Wohnungen in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander liegen, etwa weil die als Arbeitszimmer genutzten Räume unmittelbar an die Privatwohnung angrenzen oder weil sie auf derselben Etage direkt gegenüberliegen. Die unmittelbare räumliche Nähe der zusätzlichen Wohnung begründet in einem solchen Fall die notwendige innere Verbindung mit der privaten Lebenssphäre des Steuerpflichtigen (BFH, Urteile vom 26.02.2003 VI R 124/01, BStBl II 2004, 69 und VI R 125/01, BStBl II 2004, 72). Allerdings kann es nach der neueren Rechtsprechung (BFH, Urteil vom 20.06.2012 IX R 56/10, BFH/NV 2012, 1776) zu einer Durchbrechung des inneren Zusammenhangs zwischen dem Arbeitszimmer mit den im selben Gebäude gelegenen Wohnräumen dadurch kommen, dass das Arbeitszimmer nur über eine der Allgemeinheit zugängliche und auch von anderen Personen genutzte Verkehrsfläche zu erreichen ist. In diesem Fall wird die räumliche Trennung zwischen Arbeitszimmer und Wohnung so stark ausgeprägt, dass der Zusammenhang zur häuslichen Sphäre gelöst wird.

    48

    2. So ist der Streitfall gelagert. Die beiden Wohnungen sind vollständig gegeneinander abgeschlossen. Für beide waren die Klingeln, Namensschilder, Briefkästen und Gegensprechanlagen getrennt. Die Wohnung der beiden Kläger ist mit 198 m² fast sechs Mal so groß wie die nur 32 m² große Wohnung, die der Kläger als Büro nutzt. Der Eindruck, dass die kleine Wohnung ein Bestandteil der großen Wohnung ist, kann angesichts dieser Verhältnisse nicht aufkommen. Die Ausstattung der kleinen Wohnung mit Dusche und Toilette ändert daran entgegen der Ansicht des Beklagten nichts. Der Senat teilt vielmehr die Einschätzung des Klägers, dass die kleinere Wohnung von ihrem Zuschnitt den Charakter einer „Studentenbude“ hat. Nach den zu den Akten gereichten Bildern ist zudem bei der kleinen Wohnung nach dem Öffnen der Tür auf den ersten Blick zu erkennen, dass diese als Büro eingerichtet ist. Sie unterscheidet sich damit in jeder Hinsicht von dem Eindruck, der sich dem Besucher beim Blick in die Wohnung der beiden Kläger bietet. Will der Kläger von seinem Wohnbereich in die Büroräume gelangen, muss er diese Wohnung vollständig verlassen und mit dem obersten Treppenabsatz eine auch der Allgemeinheit zugänglich gemachte Verkehrsfläche durchqueren. Er kann nicht ausschließen, dass er in diesem Moment fremden Personen begegnet. Nach dem unwidersprochenen Vorbringen findet beim Kläger außerdem in gewissem Umfang Publikumsverkehr statt. Insoweit wird auf die entsprechende Anlage zum Schriftsatz vom 07.05.2015 Bezug genommen. Die Durchbrechung des inneren Zusammenhangs zwischen Wohnung und Büro wird schließlich durch den Aufzug nochmals unterstrichen, der unmittelbar in die Privatwohnung führt und vom Treppenhaus aus nicht betreten werden kann. Es bestehen im Streitfall keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger Kosten der privaten Lebensführung in den beruflichen oder betrieblichen Bereich verlagert.

    49

    3. Die Höhe der noch zu berücksichtigenden Aufwendungen für das Büro in der G‑Straße ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

    50

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Voraussetzungen dafür, dem Beklagten die Kosten gemäß § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO ganz aufzuerlegen, liegen nicht vor. Die Kläger sind nicht nur zu einem geringen Teil unterlegen. Gering unterliegt ein Beteiligter nur, wenn er bei einer verhältnismäßigen Teilung nach § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO weniger als 5% der Kosten des Verfahrens zu tragen hätte und außerdem kein hoher Streitwert vorliegt (BFH, Urteil vom 20.04.2005 X R 53/04, BStBl II 2005, 698). Die Unterliegensquote der Kläger liegt aber bereits bei 6%.

    51

    Über den Antrag der Kläger, gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, wird das Gericht wegen der Sachnähe im Kostenfestsetzungsverfahren durch gesonderten Beschluss entscheiden (vgl. BFH, Urteile vom 14.12.1994 X R 74/91, BStBl II 1995, 250 und vom 19.03.1998 VII R 72/95, BFH/NV 1998, 1397).

    52

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10 Satz 1, 711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.

    53

    Anlass für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO besteht nicht.