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  • · Fachbeitrag · Verjährung

    Ablaufhemmung bei mehreren Erben

    von RA und Notar a.D. Jürgen Gemmer, FA Steuerrecht, Magdeburg

    Im Rahmen des § 211 S. 1 BGB ist im Fall mehrerer Erben nicht auf die Annahme der Erbschaft durch den letzten Erben, sondern auf die Annahme der Erbschaft durch den Miterben abzustellen, der im Einzelfall in Anspruch genommen wird (OLG Frankfurt a.M. 3.9.13, 15 U 92/12, ZEV 13, 674, Abruf-Nr. 133588).

     

    Sachverhalt

    Bei der Klägerin (Kl.) handelt es sich um die Tochter des in 2004 verstorbenen X (Erblassers). Sie hat einen Bruder Y. Weitere Abkömmlinge des X existieren nicht. X war in erster Ehe mit der Mutter der Kl. verheiratet, in zweiter Ehe mit Frau A. Mit dieser schloss er 1976 einen Erbvertrag, in der A auf das Erb- und Pflichtteilsrecht nach X verzichtete. Mit notariellem Testament im Jahr 92 setzte X die Kl. und ihren Bruder Y zu seinen Erben ein und traf weitere letztwillige Verfügungen. Im weiteren Testament aus 1992 wurden Teilungsanordnungen getroffen. Im Testament aus dem Jahr 94 ordnete X Testamentsvollstreckung an. Die Kl. wurde sowohl hierdurch als auch durch den Erbvertrag aus 1976 mit einem Vermächtnis beschwert. Sie schlug gegenüber dem Nachlassgericht ihr Erbe aus. Die die Kl. beeinträchtigenden Verfügungen im Erbvertrag und den nachfolgenden Testamenten, die zu ihrer Erbausschlagung führten, wurden ihr am 28.10.04 bekanntgegeben.

     

    Das zuständige Nachlassgericht teilte dem Vertreter der Kl. am 6.3.07 mit, dass die Beklagten als Miterben feststünden. Die Ermittlung weiterer Erben sei noch nicht abgeschlossen. Mit Schreiben des Klägervertreters an die Beklagten vom 2.4.07 erklärte dieser, dass für die Kl. Pflichtteilsansprüche erhoben würden und verlangte Auskunft über den Bestand des Nachlasses. Mit Schreiben vom 3.5.07 teilten die Beklagten der Kl. mit, dass sie bis zur Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft eine Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten über ihre Anteile am Nachlass hinaus gemäß § 2059 BGB verweigern würden. Im Verfahren haben die Beklagten u.a. die Einrede der Verjährung erhoben. Das LG hat die Zahlungsklage wegen Verjährungseintritt abgewiesen. Die Berufung blieb erfolglos.

    Entscheidungsgründe

    Etwaige Pflichtteilsansprüche der Kl. gegen die Beklagten sind verjährt, sodass die Verjährungseinrede durchgreift.

     

    Es greift § 2332 BGB a.F.

    Gemäß Art. 229 § 23 Abs. 1 S. 1 und Abs. 4 S. 1 EGBGB ist auf den vorliegenden Fall § 2332 BGB in der bis zum 31.12.09 geltenden Fassung (im Folgenden: § 2332 BGB a.F.) anzuwenden.

     

    Verjährung beginnt schon mit der Kenntnis vom Eintritt des Erbfalls

    Wenn eine Pflichtteilsberechtigte - wie hier - den Pflichtteilsanspruch erst geltend machen kann, nachdem sie selbst die Erbschaft ausgeschlagen hat, beginnt die Verjährung nach § 2332 Abs. 3 BGB a.F. gleichwohl nicht erst mit der Ausschlagung. Sie beginnt vielmehr - ohne Rücksicht auf die Ausschlagung - bereits mit der Kenntnis von dem Eintritt des Erbfalls und von der sie beeinträchtigenden Verfügung (vgl. Staudinger/Olshausen, BGB, 2006, § 2332 Rn. 23). Denn es ist zu berücksichtigen, dass man sich den Pflichtteilsanspruch in Ausübung eines Gestaltungsrechts durch Abgabe einer Willenserklärung (dem Ausschlagen der Erbschaft) selbst verschaffen kann. Dieser Umstand rechtfertigt es, dass der Anspruch schon vor Abgabe dieser Erklärung zu verjähren beginnt (vgl. Staudinger/Olshausen, a.a.O.). Die Frage, ob Pflichtteilsansprüche erhoben werden und deshalb Verschiebungen in der Verteilung des Nachlasses zu erwarten sind, soll nicht zu lange in der Schwebe bleiben (so in einem ähnlichen Zusammenhang BGH NJW 13, 1087 = FamRZ 13, 539). Das BGB enthält im Übrigen nach wie vor keinen Rechtssatz, dass eine Verjährung stets ausgeschlossen ist, wenn der Gläubiger sein Recht weder kannte noch von diesem hätte wissen können. Vor diesem Hintergrund begann die dreijährige Verjährungsfrist am 28.10.04 zu laufen (§ 187 Abs. 1 BGB). Nach § 187 Abs. 2 BGB endete die Frist damit mit Ablauf des 28.10.07.

     

    § 211 BGB führt zu keinem anderen Ergebnis

    Ein anderes Ergebnis lässt sich auch nicht aus § 211 BGB herleiten. Nach dessen S. 1 tritt die Verjährung eines Anspruchs, der zum Nachlass gehört oder sich gegen einen Nachlass richtet, nicht vor dem Ablauf von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt ein,

    • in dem die Erbschaft von dem Erben angenommen (erste Variante) oder
    • das Insolvenzverfahren über den Nachlass eröffnet wird (zweite Variante) oder
    • von dem an der Anspruch von einem oder gegen einen Vertreter geltend gemacht werden kann (dritte Variante).

     

    In Bezug auf die erste Variante ist fraglich, auf welchen Zeitpunkt im Fall mehrerer Erben abzustellen ist. Rechtsprechung zu dieser Frage existiert - soweit ersichtlich - bislang nicht. Nach der in der Literatur ganz überwiegenden Ansicht soll grundsätzlich die Annahme der Erbschaft durch sämtliche Erben maßgebend sein (MüKo/Grothe,BGB, 6. Aufl., § 211 Rn. 3). Teilweise wird auch zwischen Ansprüchen gegen den Nachlass einerseits und Ansprüchen des Nachlasses andererseits differenziert. Im ersten Fall soll danach die Annahme des letzten Miterben den Ausschlag geben, während bei Ansprüchen des Nachlasses wegen § 2039 BGB und des Bedürfnisses, den Hemmungszeitraum nicht zu weit ausufern zu lassen, die Annahme des ersten Miterben ausreichen soll (so etwa Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 09, § 211 Rn. 4). Das OLG schließt sich diesen Auffassungen nicht an. Es ist bei der ersten Variante des § 211 S. 1 BGB vielmehr zwischen den einzelnen Miterben zu differenzieren, sodass die durch diese Bestimmung angeordnete Ablaufhemmung für die einzelnen Miterben zu unterschiedlichen Verjährungszeitpunkten führen kann. Die Tatbestände der §§ 210, 211 BGB regeln drei denkbare Störungen im Ablauf der Verjährungsfristen. Ihnen gemeinsam ist dabei der Gedanke, der Gläubiger sei in den Fällen schützenswert, in denen er ohne jegliches eigenes Zutun an der Geltendmachung seines Anspruchs gehindert ist. Dieser Gesetzeszweck verlangt jedoch keine Auslegung der ersten Variante des § 211 S. 1 BGB i.S. der vorherrschenden Meinung in der Literatur. Denn es ist nicht ersichtlich, warum es insoweit nicht ausreichend sein soll, im Fall mehrerer Erben auf die Annahme der Erbschaft durch den Miterben abzustellen, der im Einzelfall in Anspruch genommen werden soll. Die gegenteilige Ansicht kann gerade bei einer größeren Anzahl von Miterben zu Folgendem führen: Ein Miterbe, der die Erbschaft umgehend angenommen hat, kann sich nicht erfolgreich mit der Erhebung der Verjährungseinrede gegen eine erst viele Jahre später erfolgte Inanspruchnahme wegen einer Nachlassverbindlichkeit wehren, wenn nur einer seiner Miterben erst zu einem verhältnismäßig späten Zeitpunkt die Erbschaft angenommen hat. Dies kann nicht richtig sein.

     

    Gesetzessystematik beachten

    Zudem sprechen in gesetzessystematischer Hinsicht auch §§ 2058, 425 Abs. 2 BGB dafür, im Rahmen der ersten Variante des § 211 S. 1 BGB auf den Zeitpunkt der Annahme der Erbschaft durch den jeweils in Anspruch genommenen Erben abzustellen. Denn die Erben haften gemäß § 2058 BGB für die gemeinschaftlichen Nachlassverbindlichkeiten als Gesamtschuldner. Nach § 425 Abs. 2 BGB ist die Verjährung und deren Neubeginn, Hemmung und Ablaufhemmung für jeden Gesamtschuldner gesondert zu betrachten (sog. Einzelwirkung. Dies kann etwa zur Folge haben, dass Pflichtteilsansprüche gegen verschiedene Miterben zu unterschiedlichen Zeitpunkten verjähren. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die durch § 425 Abs. 2 BGB angeordnete Einzelwirkung gerade auch der Ablaufhemmung der Verjährung im Anwendungsbereich der ersten Variante des § 211 S. 1 BGB durchbrochen werden sollte. Im Rahmen einer systematischen Auslegung ist darauf abzustellen, dass einzelne Rechtssätze, die der Gesetzgeber in einen sachlichen Zusammenhang gestellt hat, grundsätzlich so zu interpretieren sind, dass sie logisch miteinander vereinbar sind. Denn es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber sachlich Zusammenhängendes so geregelt hat, dass die gesamte Regelung einen durchgehenden, verbindlichen Sinn ergibt.

    Praxishinweis

    Das OLG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Der BGH hat die Frage, ob bei der ersten Variante des § 211 S. 1 BGB die Annahme der Erbschaft durch sämtliche Erben maßgebend ist, noch nicht entschieden.

     

    EE wird über die Entscheidung des BGH berichten.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Scherer, Anwaltshandbuch Erbrecht, 4. Aufl., § 29 Pflichtteilsrecht, insbesondere Rn. 62-75
    Quelle: Ausgabe 06 / 2014 | Seite 98 | ID 42659788