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· Fachbeitrag · Sozialrecht

Wenn Gutachten den Nachteilsausgleich „aG“ stützen ...

| Immer wieder wird um das Merkzeichen „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung) gestritten. Ein häufiges Argument: Die Gehfähigkeit sei nicht ausreichend eingeschränkt. Eine Person muss hierfür aber nicht nahezu komplett gehbehindert sein, so das LSG Niedersachsen-Bremen. |

 

Sachverhalt

Der Kläger begehrte das Merkzeichen „aG“, nachdem er einen dritten Schlaganfall erlitten hatte. Das Sozialgericht erkannte es ihm zu und stellte eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung fest, entsprechend einem GdB von 80. Der Kläger könne selbst mit Stützen und Rollator nur noch Gehstrecken von max. 15 Metern zurücklegen. Hiergegen ging das beklagte Land in Berufung. Ein GdB von 80 sei nicht erreicht und der Kläger habe geäußert, dass er sich selbstständig am Rollator bewegen könne.

 

Entscheidungsgründe

Da der Kläger in drei Bereichen (Lendenwirbelsäule, arterielle Verschlusskrankheit, Folgen dreier Schlaganfälle) eingeschränkt ist, was jeweils mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten ist, durfte das Gericht einen Gesamt-GdB von 80 annehmen. Verschiedene gutachterliche Einschätzungen bestätigten, dass der Kläger nur kurze Wegstrecken und nur mit Hilfsmitteln (Fußheberorthese, Rollator, Unterarmgehstütze) unter Schmerzen zurücklegen konnte. Zwar sei das Gehen in der Wohnung selbstständig möglich, außerhalb und wenn er Bus und Bahn nutze, sei er jedoch auf personelle Hilfe angewiesen. Das LSG (23.2.21, L 10 SB 75/19, Abruf-Nr. 223620) stellte auf die BSG-Rechtsprechung ab: Man muss nicht nahezu unfähig sein, sich fortzubewegen, um das Merkzeichen „aG“ zu erhalten (16.3.16, B 9 SB 1/15 R).

 

Relevanz für die Praxis

Der Anwalt muss prüfen, wie vorhandene Gutachten die Gehfähigkeit und Mobilität einschätzen. Gemäß der BSG-Rechtsprechung kann er argumentieren, dass das Merkzeichen dem Mandanten auch zusteht, selbst wenn er in seiner Wohnung oder auf seinem Grundstück selbstständig gehen kann.

 

PRAXISTIPP | Eine Gehbehinderung kann Gründe außerhalb des chirurgisch-orthopädischen Fachgebiets haben und das Merkzeichen „aG“ erfüllen (v. a. Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen, des kardiovaskulären oder Atmungssystems). Die Gesundheitsstörungen müssen sich auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer auswirken, dass dies einer Teilhabebeeinträchtigung gleichkommt, die einem GdB von 80 entspricht. Das gilt auch, wenn kein Rollstuhl benötigt wird (SG Bremen, 29.11.18, S 20 SB 297/16).

 

Weiterführende Hinweise

  • GdB bei psychischen Erkrankungen: Spielt der Mandant Beschwerden herunter? SR 21, 110
  • Merkzeichen „G“: Schmerzbild muss ärztlich nachgewiesen werden, SR 19, 41
Quelle: Ausgabe 08 / 2021 | Seite 133 | ID 47491019