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· Fachbeitrag · Zwangsmaßnahme

Trotz Patientenverfügung ist eine Zwangsbehandlung möglich

| Das LG Osnabrück hat entschieden, dass eine psychiatrische Zwangsbehandlung zulässig ist, wenn ansonsten Dritte gefährdet sind. Und zwar auch, wenn der Betroffene in seiner Patientenverfügung solche Maßnahmen ausdrücklich ablehnt. |

 

1. Gemeinde will Betroffene zwangsweise einweisen lassen

Eine Gemeinde hatte nach dem Niedersächsischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke (NPsychKG) bei Gericht beantragt, dass eine psychisch kranke Person zwangsweise in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht wird. Zudem wurde eine Zwangsmedikation beantragt. Die Betroffene zeige sexuell enthemmtes und aggressives Verhalten gegenüber Dritten. Sie verweigere, Medikamente einzunehmen, die sie wegen einer potenziell lebensbedrohlichen körperlichen Erkrankung benötige. Das AG Osnabrück hatte antragsgemäß die zwangsweise Unterbringung sowie die Gabe der verschriebenen Medikamente angeordnet. Begründet wurde dies mit den andernfalls drohenden Gefahren für die Betroffene als auch für Dritte. Die Betroffene legte hiergegen Beschwerde ein. Sie wies auf ihre Patientenverfügung hin, die auf einer Internetvorlage basierte.

 

2. Schutz der Allgemeinheit geht vor Patientenverfügung

Das LG Osnabrück wies die Beschwerde zurück (10.1.20, 4 T 8/19; 4 T 10/20, Abruf-Nr. 214747). In der Patientenverfügung lehnte die Frau „jede Zwangsbehandlung egal mit welchen als Medikamenten bezeichneten Stoffen“ ab. Es sei eine „Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung strikt und verbindlich und unter allen Umständen zu unterbinden“. Zwar müssen Patientenverfügungen nach BGB und NPsychKG beachtet werden. Allerdings finde das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen seine Grenzen in den Rechten Dritter. Die Betroffene könne daher trotz Verfügung zwangsweise behandelt werden, wenn dies dem Schutz der Allgemeinheit diene. Sei sie eine Gefahr für Dritte, überwiege das berechtigte Interesse der Allgemeinheit, notfalls eine Behandlung mit Zwangsmaßnahmen durchzusetzen zu können. So war es hier. Das LG hat die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen.

 

MERKE | Zwangsmaßnahmen sind nur zulässig, wenn zuvor ernsthaft, mit der nötigen Zeit und ohne unzulässigen Druck versucht wurde, den Betreuten zu überzeugen, dass die Maßnahme notwendig ist (SR 19, 38). Das Gericht muss dies in jedem Einzelfall feststellen und in seiner Entscheidung in nachprüfbarer Weise darlegen (BGH 12.9.18, XII ZB 87/18, Abruf-Nr. 204989).

 

Weiterführende Hinweise

  • Zwangsmedikation: Genehmigung ohne Gutachten ist schwere Grundrechtsverletzung, SR 15, 157
  • Länger als 30 Minuten fixieren? Dann muss Richter zustimmen, SR 18, 165
Quelle: Ausgabe 04 / 2020 | Seite 69 | ID 46331851