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· Fachbeitrag · Vorsorgeverfügungen

Aufwand für wirksame Verfügungen wird größer

von RA Ernst Sarres, FA Erbrecht und Familienrecht, Düsseldorf

| Die Entscheidung des BGH ( SR 16, 149 ) hat die Diskussion um die schriftliche Umschreibung der Entscheidungskompetenz des Vorsorgebevollmächtigten im medizinischen Bereich neu entfacht. Zudem äußerte sich das Gericht zu der Streitfrage, ob allein die schriftliche Äußerung „keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ zu wollen, eine bindende Patientenverfügung darstellen kann. Der Aufwand wird jedenfalls größer. |

1. Vorsorgevollmacht im medizinischen Bereich

Regelt eine Vorsorgevollmacht „Gesundheitsangelegenheiten“, steht meist die Frage im Zentrum, ob und inwieweit der Bevollmächtigte nach § 1904 Abs. 2, Abs. 5 BGB in bestimmten Lebenssituationen über „lebensverlängernde“ medizinische Maßnahmen entscheiden darf, wenn deren Rücknahme, Verweigerung, Abbruch oder Unterlassen dazu führen kann, dass der Patient stirbt oder schwere gesundheitliche Schäden erleiden kann.

 

Der BGH hat mit seiner o. g. Entscheidung bestätigt, dass der Bevollmächtigte diese Entscheidungskompetenz nur hat, wenn die Vollmacht schriftlich erteilt worden ist (§ 1904 Abs. 5 BGB) und dem Bevollmächtigten die Tragweite seiner Befugnisse vor Augen geführt wurde.

 

MERKE | Folgendes ist bei der Vorsorgevollmacht im medizinischen Bereich gem. § 126, 1904 Abs. 2, Abs. 5 BGB zu beachten:

 

  • Der Wortlaut des § 1904 Abs. 2 BGB muss zwar nicht wörtlich in die Vollmacht aufgenommen werden.

 

  • Die Vollmacht muss aber verdeutlichen, dass der Bevollmächtigte z. B. den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen durchsetzen soll.

 

  • Unzureichend für eine Vollmacht ist lediglich der Verweis auf § 1904 Abs. 2, Abs. 5 BGB (vgl. BGH, a.a.O.).
 

Musterformulierung / Vollmacht: Abbruch med. Maßnahmen

Der Bevollmächtigte (…) ist insbesondere befugt, seine Einwilligung in sämtliche Untersuchungen des Gesundheitszustands, für Heilbehandlungen oder für ärztliche Eingriffe auch dann für den Vollmachtgeber zu verweigern oder zu widerrufen, wenn für den Vollmachtgeber aufgrund des Unterbleibens, der Verweigerung oder des Abbruchs dieser Maßnahmen die begründete Gefahr besteht, dass er stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet, § 1904 Abs. 2, Abs. 5 BGB.

 

MERKE | Entsprechende Formulierungen finden sich auch in der „Ich-Form“. Diese dürften sprachlich einfacher darzustellen sein. Sie drücken ggf. den unmissverständlichen Willen des Vollmachtgebers noch deutlicher aus, diese sehr weitgehende Vollmacht wirklich erteilen zu wollen (vgl. Müller/Renner, Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen, 4. Aufl., S. 188).

 

In der o. g. BGH-Entscheidung hatte die Vollmachtgeberin mehrere Vollmachten errichtet, von denen lediglich eine den Anforderungen des § 1904 Abs. 2, 5 BGB entsprach.

 

2. Häufige Mängel bei Patientenverfügungen

Die Entscheidung des BGH vom 6.7.16, XII ZB 61/16 (EE 16, 149, Abruf-Nr. 187899) betraf folgenden Fall:

 

  • Der Fall des BGH

Eine Frau erlitt einen Hirnschlag und wurde seitdem über eine PEG-Sonde ernährt. Wegen epileptischer Anfälle verlor sie später jegliche Fähigkeit, um mit jemandem zu kommunizieren. Eine Aussicht auf Besserung des Zustands galt als ausgeschlossen.

 

Die als „Patientenverfügung“ gekennzeichnete schriftliche Äußerung bzw. der Wunsch der Frau, dass in bestimmten Situationen „lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben“, qualifizierte der BGH nicht als bindende Patientenverfügung nach § 1901a Abs. 1 BGB. Es fehle an einer hinreichend konkreten Behandlungsentscheidung.

 

Der BGH lässt den Leser aber etwas ratlos zurück. Konkrete Anknüpfungspunkte für eine rechtswirksame Patientenverfügung finden sich in der Entscheidung nicht. Der Senat belässt es bei abstrakten Hinweisen, mit denen eine Patientenverfügung konkretisierbar und damit wirksam i. S. d. § 1901a Abs. 1 BGB werden könne. Er verweist auf drei verschiedene Bereiche, für die der Betroffene seine Anordnungen vorsehen könnte:

 

Behandlungsentscheidung

  • dadurch, dass bestimmte ärztliche Maßnahmen benannt werden,
  • bei spezifizierten Krankheiten und
  • für bestimmte Behandlungssituationen.

 

PRAXISHINWEIS | Wegen der BGH-Entscheidung und den Hinweisen auf eine neue Konkretisierungsschärfe in Patientenverfügungen sollten sich die Verfasser einer Patientenverfügung vorher mit ihrem Arzt beraten. Hierdurch erhalten die Betroffenen Entscheidungshilfen.

 

Zudem werden sie bei Bedarf in die Lage versetzt, die zutreffenden medizinischen Begriffe aufzunehmen. Dadurch werden in den späteren Lebenssituationen Zweifel und Interpretationen zum Willen des Betroffenen ausgeschlossen.

 

Musterformulierung / Patientenverfügung

Wenn ich mich im Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit befinde, auch wenn der Tod noch nicht unmittelbar bevorsteht, verlange ich unbedingt, dass sämtliche Heilbehandlungen, Untersuchungen und ärztliche Eingriffe insbesondere an folgenden Organen z. B. am Herzen, an der Lunge, unterbleiben oder unverzüglich eingestellt werden.

Außerdem verfüge ich: Jegliche Heilbehandlungen, Untersuchungen und ärztliche Eingriffe an Magen, Speiseröhre und Darm unterbleiben völlig oder werden endgültig abgebrochen.

Jede künstliche Ernährung unterbleibt oder wird abgebrochen, z. B. mittels PEG-Sonde.

Die Behandlung mit Antibiotika unterbleibt völlig oder wird abgebrochen.

Jede Heilbehandlung, Untersuchung oder ärztliche Eingriffe an beiden Nieren unterbleibt oder wird abgebrochen.

 

(Weitere Spezifizierungen, auch zu palliativen Versorgungsmaßnahmen)

 

PRAXISHINWEIS | Der Verfasser einer Patientenverfügung wird bei dem Interesse an einer umfassenden Erklärung entscheiden müssen, ob er wirklich Behandlungsentscheidungen von rund 30 menschlichen Organen aufnimmt oder nur zu bestimmten Organen medizinische Anordnungen formuliert, die ihm vorrangig wichtig erscheinen.

 

Aufgrund der neuen abstrakten Vorgaben des BGH, eine Patientenverfügung zu konkretisieren, ist es angezeigt, dass sich der Betroffene juristisch und ärztlich fachkundig beraten lässt (zur Beratung bereits Albrecht/Albrecht, Die Patientenverfügung, 2009, Rn. 90 ff.).

 

Für den Berater gilt: Die BGH-Entscheidung vom 6.7.16 kann Anlass sein, Patientenverfügungen zu überprüfen, um sie z. B. der medizinischen Entwicklung anzupassen. Dies gilt erst recht für Verfügungen vor dem Inkrafttreten des „Patientenverfügungsgesetzes“ im September 09.

 

Aufgrund der neuen BGH-Rechtsprechung dient es der Klarheit und der Förderung zügiger Entscheidungen im Ernstfall, dass er zunächst in die Patientenverfügung einen Hinweis auf eine Bevollmächtigung einer bestimmten Person (vgl. Vorsorgevollmacht vom …) aufnimmt.

 

Zudem sollte er den Vollmachttext wiederholend in der Patientenverfügung aufnehmen. So wird eine klare Konkordanz zwischen den Vorsorgeverfügungen geschaffen und die Rechtsmacht des Bevollmächtigten nach § 1904 Abs. 2 BGB ist eindeutig.

 

Weiterführende Hinweise

  • Sonderausgabe: Vorsorgevollmacht, Betreuungs- und Patientenverfügung: Rechtlich sicher ins Alter
Quelle: Ausgabe 01 / 2017 | Seite 6 | ID 44444220