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· Fachbeitrag · Rentenversicherung

Erwerbsminderung bei Depressionen

von RA Markus Hagge, Nürnberg

| Depressionen zählen zu den am häufigsten verbreiteten Krankheiten. Depressive Menschen sind teilweise nicht in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Deshalb beantragen manche eine Rente wegen Erwerbsminderung (EM-Rente). Allerdings entstehen oft Probleme, eine Erwerbsminderung nachzuweisen, da jede Depression prinzipiell therapierbar ist. Eine gefestigte Rechtsprechung zu Erwerbsminderung bei Depressionen gibt es noch nicht. Es gibt jedoch eine Tendenz zur Anerkennung der vollen Erwerbsminderung bei Vorliegen einer schweren chronischen Depression. |

1. Was ist eine Depression?

Eine Depression ist eine psychische Störung, deren Hauptsymptome Niedergeschlagenheit, Interessenverlust, Freudlosigkeit und Antriebsarmut sind. Als weitere Symptome können unter anderem Ängste, Selbstabwertung, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Appetitverlust, verschiedene körperliche Beschwerden und Suizidgedanken auftreten (BDP-Bericht „Die großen Volkskrankheiten“ 2012, S. 25). Depressionen werden nach ihrem Schweregrad in leichte, mittelschwere und schwere Depressionen unterschieden.

 

Jede Depression ist prinzipiell therapierbar. Zur Behandlung wird oft eine Psychotherapie als erste Maßnahme empfohlen; gerade bei mittelschweren und schweren Depressionen kann zusätzlich zur Psychotherapie eine Behandlung mit Medikamenten indiziert sein (BDP-Bericht „Die großen Volkskrankheiten“ 2012, S. 30).

2. Voraussetzungen der Erwerbsminderung

Versicherte haben gemäß § 43 SGB VI Anspruch auf eine EM-Rente, wenn sie erwerbsgemindert sind, wenn sie in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung gezahlt haben und wenn sie vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (zur Erwerbsminderung siehe auch Noe, SR 14, 26). Dabei wird zwischen teilweiser und voller Erwerbsminderung unterschieden.

 

  • Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1, S. 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit nur noch zwischen drei und sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein können.

 

  • Voll erwerbsgemindert sind dementsprechend nach § 43 Abs. 2, S. 1 SGB VI diejenigen Versicherten, die nicht mehr drei Stunden täglich erwerbstätig sein können.

3. Erwerbsminderung bei Depression

Als Krankheit oder Behinderung i.S. des § 43 SGB VI kommt eine Depression ebenso in Betracht wie andere psychische Störungen. Psychische Störungen haben als Ursache von EM-Renten eine große Bedeutung für die Deutsche Rentenversicherung. Psychische Störungen sind zudem seit 2001 der häufigste Grund für die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente. Im Jahr 2012 erfolgten 65.709 Berentungen wegen Erwerbsminderung aufgrund von psychischen Störungen; das waren 37 Prozent aller EM-Berentungen in diesem Jahr (DRV-Positionspapier zur Bedeutung psychischer Erkrankungen in der Rehabilitation und bei Erwerbsminderung 2014, S. 23).

 

Vor Gewährung einer Erwerbsminderungsrente wird nach dem Prinzip „Reha vor Rente“ geprüft, ob eine Rehabilitation möglich ist. In einem aktuellen Positionspapier hält die Deutsche Rentenversicherung fest: Die rechtzeitige Durchführung einer psychosomatisch-psychotherapeutischen Rehabilitation oder einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben könne helfen, die Erwerbsfähigkeit zu erhalten (DRV-Positionspapier 2014, S. 24).

4. Therapierbarkeit von Depressionen

Das Stichwort heißt hier „rechtzeitig“. Nur in der Theorie gelten Depressionen generell als therapierbar. Bei schweren chronischen Depressionen ist das in der Praxis aber nicht zielführend. Denn wer an einer schweren, verfestigten Depression leidet, ist nicht mehr in der Lage, zu üblichen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt tätig zu sein. Eine Therapie ist in diesem Fall auch seltener erfolgreich.

5. Tendenzen der Rechtsprechung

Das zeigt sich auch an der Einschätzung ärztlicher Gutachter, die von Sozialgerichten beauftragt werden, um die Erwerbsfähigkeit depressiver Menschen zu beurteilen. Wird eine schwere chronische Depression diagnostiziert, gehen Gutachter in der Regel auch von einer vollen Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2, S. 1 SGB VI aus. Die Gerichte orientieren sich mangels eigener medizinischer Sachkunde bei der Entscheidungsfindung an ärztlichen Gutachtern. Ein Gutachter sollte jedoch nicht fachfremd sein, also ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Möglich ist neben der ärztlichen Begutachtung aber auch die Begutachtung durch Psychologen.

 

Die folgende Übersicht zu Fällen aus der jüngeren Rechtsprechung, in denen EM-Renten hauptsächlich wegen Depressionen beantragt wurden, weist auf folgende Tendenzen in der Rechtsprechung hin:

 

  • In Fällen, in denen unstrittig eine schwere chronische Depression vorliegt, besteht die Tendenz zur Bejahung der vollen Erwerbsminderung seit dem Vorliegen dieses Krankheitsbilds.

 

  • Vorsicht ist geboten bei Testverfahren, in denen die Versicherten ihre Depression selbst beurteilen.

 

Entscheidung
Aussage

 BSG 19.10.11, B 13 R 290/11 B

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wurde die Sache ans LSG Hessen zurückverwiesen, welches den Schweregrad der Depression der Klägerin nicht abschließend aufgeklärt hatte.

Bayerisches LSG,

 18.2.09, L 13 R 350/08

Zitat (Rn. 32): „ ... eine schwere Depression mit entsprechender Leistungsbeeinträchtigung von unter drei Stunden ...“. Davon ging das Gericht in diesem Fall aus und stufte den Kläger als voll erwerbsgemindert ein.

Hessisches LSG,

26.11.10, L 5 R 363/08 KN

Dem depressiven Kläger wurde eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zugebilligt. Ausschlaggebend war hier ein psychologisches Gutachten.

Bayerisches LSG,

27.2.13, L 13 R 29/11 ZVW

Die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen. Eine schwere Depression wurde verneint. Nur im Rahmen einiger Testverfahren mit Selbstbeurteilung war die Schwelle zur schweren Depression überschritten worden, was das Gericht jedoch nicht überzeugte.

LSG Hamburg,

 29.4.14, L 3 R 139/11

Nach Ansicht eines Psychiaters und des Gerichts lagen keine schwere Depression und keine Erwerbsminderung vor.

 

 

Hinweis | Auch wenn ein Gutachter eine schwere chronische Depression diagnostiziert, hat das Gericht bei Zweifeln gemäß § 103 SGG den Sachverhalt weiter zu erforschen, etwa durch ein weiteres Gutachten. Und die zuständige Körperschaft der Deutschen Rentenversicherung hat üblicherweise schon im Antragsverfahren beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben. Widersprechen sich verschiedene Gutachten, muss sich das Gericht zwischen der Expertise der unterschiedlichen Gutachter entscheiden.

 

FAZIT | Der Nachweis einer Erwerbsminderung durch Depression ist vor Gericht oft schwierig. Wenn Gutachter das Gericht aber vom Vorliegen einer schweren chronischen Depression überzeugen können, besteht eine Tendenz der Rechtsprechung zur Bejahung eines Rentenanspruchs wegen voller Erwerbsminderung für den entsprechenden Zeitraum. Vorsicht ist geboten bei Testverfahren, in denen die Versicherten ihre Depression selbst beurteilen.

 

Weiterführender Hinweis:

  • Zu Gutachten in Sozialgerichtssachen, Noe, SR 14, 26.
Quelle: Ausgabe 10 / 2014 | Seite 175 | ID 42943895