27.08.2020 · IWW-Abrufnummer 217581
Oberlandesgericht Frankfurt a. M.: Beschluss vom 24.06.2020 – 16 U 265/19
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OLG Frankfurt 16. Zivilsenat
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 6.9.2019 - Az. 3 O 182/16 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das angefochtene Urteil wird ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf € 111.562,12 festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin macht aus übergegangenem Recht ihres Bediensteten, A, gegen die Beklagten als Erben ihres verstorbenen Sohnes, B, Schadensersatzansprüche nach einem Bahnunglück geltend.
Wegen des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit welcher sie ihr erstinstanzliches Klagebegehren vollumfänglich weiterverfolgt. Sie rügt zunächst, dass die vom Landgericht herangezogenen Umstände zur Annahme eines Suizids des Verstorbenen nicht Ergebnis einer Beweisaufnahme seien, sondern sich aus einer Auswertung der vom Gericht zu Beweiszwecken herangezogenen Ermittlungsakte ergäben. Ein Abschiedsbrief des Verstorbenen liege nicht vor. Dann aber verbleibe es, unabhängig davon, ob ein Suizid folge oder nicht, bei einem verbotenen Betreten der Gleisanlage, wobei sie, die Klägerin, davon ausgehe, dass dieses zumindest fahrlässig erfolgt sei.
Entgegen der Ansicht des Landgerichts könnten sich die Beklagten zur Abwendung ihrer Haftung nicht erfolgreich auf § 827 Satz 1, 2. Alt. BGB beziehen; denn diese hätten nicht den Nachweis erbracht, dass sich der Verstorbene bei Schadenszufügung in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden habe und damit nicht verantwortlich gewesen sei. Die Berufung verweist darauf, dass der Sachverständige erst nach mehrfachen Revidieren und Abrücken seiner zunächst bestehenden Auffassung, ein solcher Zustand liege nicht vor, zu der gegenteiligen Aussage gelangt sei. Dies sei nicht nachvollziehbar und werde bestritten. Des Weiteren sei zu sehen, dass die Beklagten den Beweis, dass es sich um einen Suizid gehandelt habe, nicht geführt hätten. Dann aber sei der Sachverständige schon von falschen Anknüpfungstatsachen ausgegangen. Zudem habe ein gemäß § 827 Satz 1, 2. Alt. BGB zu bewertendes Krankheitsbild des Verstorbenen nicht festgestellt werden können. Es habe keine erheblichen Anhaltspunkte für ein psychiatrisches Krankheitsbild vor dem Unfall gegeben. Der Sachverständige habe nicht einmal eine Diagnose für den Gesundheitszustand des Verstorbenen vor dem Unfall stellen könne. Er habe den Verstorbenen nie kennengelernt, es gebe keinerlei Behandlungsunterlagen über ihn aus der Zeit vor dem Unfall, die dem Sachverständigen eine Aktenauswertung ermöglicht hätten. Seine Ausführungen basierten auf Vermutungen und allgemeinen Erwägungen, die allesamt nicht sachverhaltsbezogen seien. Die von ihm gegebene Erklärung, dass Suizidanten sich häufig nicht vor der Begehung des Suizids in psychiatrischer Behandlung befänden, überzeuge nicht. Der Sachverstände habe allein ex post abstrakt ausgeführt, dass jeder Suizidant in einem Zustand des § 827 Satz 1 BGB sei; dies sei für sich genommenen haltlos. Vielmehr bedürfe es der Prüfung jedes Einzelfalls. So habe der Verstorbene vor dem Schadensereignis ganz regulär die Schule besucht und einen Freundeskreis unterhalten. Niemand habe Behandlungsbedürftigkeit gesehen; offenbar sei er nicht weiter auffällig gewesen. Auch seine Freundin habe seine ihr gegenüber geäußerten suizidalen Gedanken nicht ernst genommen, da sie andernfalls sicher Hilfe von Dritten eingeholt hätte.
Es sei davon auszugehen, dass der Verstorbene eine Entscheidung getroffen und sich auf die Gleisanlage begeben habe, wobei letztlich unklar geblieben sei, warum er dieses getan habe. Es sei aus nichts heraus zu erkennen, dass der Verstorbene nicht genau gewusst habe, was er beim Betreten des Bahngeländes getan habe. Selbst wenn er die Gefahr gesucht habe, habe er um diese gewusst. Auch bei Annahme eines Suizids habe der Verstorbene dieses Vorhaben durch eine gezielte und überlegte Handlung erreicht. Ein äußerer oder innerer Zwang bzw. ein Krankheitsbild, das ihn dazu gezwungen habe, sei nicht aktenkundig. Die Entscheidung des Verstorbenen, sich auf die Gleise zu begeben, sei auch insoweit vernunftgetragen gewesen, als insoweit ein probater Weg gewählt worden sei, um einen Selbstmord zu begehen. Angesichts des planvollen Verhaltens des Verstorbenen könne schon per se kein Zustand des § 827 BGB vorgelegen habe, der zum Haftungsausschluss gegenüber dem geschädigten Bediensteten der Klägerin selbst führe. Ob er dabei habe erkennen können, dass Dritte mit seinem Vorgehen in Berührung gerieten, um ggf. Schaden zu nehmen, spiele haftungsrechtlich keine Rolle.
Ferner verweist die Klägerin auf zwei Entscheidungen des OLG Hamm und des OLG Schleswig, in denen aufgrund vor dem jeweiligen schadensstiftenden Ereignis vorliegende Behandlungsunterlagen sichergestellt gewesen sei, dass tatsächlich schwerwiegende psychiatrische Krankheitsbilder vorhanden gewesen seien, die den Anwendungsbereich des § 827 BGB eröffneten.
Jedenfalls erfordere die Billigkeit nach den Umständen, insbesondere nach dem Verhältnis der Beteiligten, eine Schadloshaltung. Die Ausführungen des Landgerichts, welches allein auf die Vermögensverhältnisse des Verstorbenen im Vergleich zu dem Geschädigten abgestellt habe, griffen deutlich zu kurz. Des in § 827 BGB vorgesehenen Schutzes bedürfe es offensichtlich nicht, wenn der grundsätzlich vom Gesetz zu schützende Deliktsunfähige angesichts seiner Haftpflichtversicherung überhaupt keine wirtschaftlichen Nachteile erleiden könne. Zu berücksichtigen sei daher, dass sowohl der Verstorbene als auch die hinterbliebenen Beklagten einen Freistellungsanspruch gegenüber Schadensersatzansprüchen Dritten aus dem Versicherungsvertrag gegenüber der Versicherung1 hätten, mithin ein „wirtschaftliches Gefälle“ zum Vorteil des Geschädigten vorliege. Wenn der Schadensersatzanspruch des geschädigten Lokführers nie zu einer Vermögenseinbuße bei dem Verstorbenen oder den Beklagten führen könne, sei es unbillig, ihm diesen Anspruch zu versagen. Ohne Relevanz sei, dass dieser im Zeitpunkt des Schadensereignisses auf die Klägerin übergegangen sei.
Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil und beantragen Zurückweisung der Berufung.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 6.9. 2019 ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen. Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung i.S. des § 546 ZPO zulasten der Klägerin noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung. Der Senat verweist zunächst auf den Inhalt seines Hinweisbeschlusses vom 23.4.2020. Die dagegen von der Klägerin mit Schriftsatz vom 10.6.2020 erhobenen Einwände, geben zu einer abweichenden Beurteilung keine Veranlassung.
1. Entgegen der Ansicht der Berufung ist der Senat unter Einhaltung des in § 522 Abs. 2 vorgezeichneten Verfahrens zu dem Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO gelangt.
a. Der Senat hat durch den vollbesetzten Spruchkörper die Berufung einer gründlichen materiellen Prüfung unterzogen und ist nach Beratung zu der Entschließung gelangt, dass diese aus den in dem Hinweisbeschluss dargelegten Gründen offensichtlich aussichtslos ist. Denn aus der Berufungsbegründung ergeben sich keine Gesichtspunkte, die eine Abänderung des Ersturteils aus rechtlichen oder tatsächlichen Erwägungen rechtfertigen.
Soweit die Klägerin auf das zur Vereinbarkeit des Verbots der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung mit dem Grundgesetz ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.3.2020 [2 BvR 2347/15] verweist, wonach das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben und als Teil hiervon die Entscheidung umfasst, das eigene Leben zu beenden, erschließt sich dem Senat nicht die Relevanz für den vorliegenden Rechtsstreit. Hierzu verhält sich auch die Stellungnahme der Klägerin nicht.
b. Soweit die Berufung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darauf stützen möchte, dass die Annahme, auch ohne Vorliegen entsprechender Anknüpfungstatsachen könne immer davon ausgegangen werden, dass Suizidanten im Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit handelten, mithin diese bzw. die Erben den § 827 Abs. 1 BGB für sich in Anspruch nehmen könnten, richtungsweisend für eine Vielzahl von vergleichbaren Bahnunfällen sei, verkennt sie, dass weder der Sachverständige C noch das Landgericht diese Bewertung teilten, wie in dem Hinweisbeschluss unter Ziffer 2 lit. b. näher ausgeführt.
Die rein wirtschaftliche Bedeutung der streitgegenständlichen Haftung zwischen den Parteien genügt für die Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung nicht [vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 32. Aufl., § 522 Rn. 38].
c. Da die Voraussetzungen für eine Beschlusszurückweisung vorliegen, insbesondere schon aufgrund der Aktenlage unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin in der Berufungsinstanz auch bei Durchführung der mündlichen Verhandlung der Berufung kein Erfolg beschieden wäre und sich weder die Prozesssituation durch den Hinweis des Senats geändert noch die Klägerin in ihrer Stellungnahme (zulässig) wesentlich neu vorgetragen hat, ist eine erneute Anhörung oder Terminierung zur mündlichen Verhandlung nicht geboten. Der Senat ist sich zweifelsfrei darüber klar, dass von einer mündlichen Verhandlung kein weiterer Erkenntnisgewinn ausginge. Damit muss im Interesse der Beschleunigung zugunsten der in 1. Instanz obsiegenden Beklagten rasch Rechtskraft der erstinstanzlichen Entscheidung erzielt werden [Zöller/Heßler aaO., § 522 Rn. 31].
2. Der Senat teilt nicht die Ansicht der Klägerin, dass das Gutachten des Sachverständigen C nicht verwertbar sei, mithin nicht Grundlage der Entscheidung des Landgerichts hätte sein dürfen.
a. Die von der Klägerin herangezogenen AWMF-Leitlinien zur Registernummer 051-029 sind vorliegend nicht einschlägig. Diese behandeln die Besonderheiten der gutachterlichen Untersuchung bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen, soweit sie die Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit betreffen und für Kausalitätsfragen von Bedeutung sind, sie dienen der interdisziplinären Qualitätssicherung bei der Begutachtung von Antragstellern auf Versicherungs- oder sonstige Entschädigungsleistungen, die psychische oder psychosomatische Erkrankungen mit hierdurch bedingten Funktionsstörungen geltend machen.
b. Fehl geht auch der Angriff der Berufung, es sei fehlerhaft, den Sachverständigen bewerten zu lassen, ob es sich vorliegend überhaupt um einen Suizid handele oder nicht. Vielmehr ist das Landgericht aufgrund der auf Seite 4/5 der angefochtenen Entscheidung dargelegten Indizien und Erwägungen zu der Überzeugung gelangt, dass der Verstorbene einen Suizid begangen habe.
c. Entgegen der Rüge der Berufung hat der Sachverständige C sich auch nicht völlig ungeprüft auf ein BAG-Urteil vom 29.2.1979 bezogen. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf seine Ausführungen in dem Hinweisbeschluss unter Ziffer 2 lit. b.
d. Ebenso wenig verfängt die Rüge der Berufung gegen die Ausführungen des Senats in dem Hinweisbeschluss unter Ziffer 2 lit. a. aa. Zwar ist der Berufung zuzugeben, dass es eine von dem Sachverständigen C als solche bezeichnete „Krankenakte“ im eigentlichen Sinne nicht gibt. Wie aus den Ausführungen in dem Gutachten hervorgeht, hat der Sachverständige die aufgeführten Informationen zur Vorschichte und suizidalen Problematik des Verstorbenen aber aus dem von der Klägerin nicht bestrittenen und damit gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden geltenden Vorbringen der Beklagten in der Gerichtsakte entnommen (vgl. Seite 4 des Gutachtens /GA 141).
e. Die von der Klägerin auf Seite 6 ihres Schriftsatzes angeführten Einschätzungen sachkundiger Dritten vermögen keine Fehler in der Überzeugungsbildung des Landgerichts zu begründen, dass sich der Verstorbene im Zeitpunkt der Schadenszufügung in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befand. Nicht zu folgen ist der Klägerin, eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit sei hier nicht anhand belastbare Kriterien diagnostiziert. Wie in dem Hinweisbeschluss unter Ziffer 2. lit. a. und b. im Einzelnen ausgeführt, lieferten die Feststellungen des Sachverständigen C dem Landgericht für diese Annahme eine hinreichende tatsächliche Grundlage.
Soweit die Berufung ihre Annahme wiederholt, dass freie Willensbildung und „Bestimmung“ zum Suizid führen können, bleibt sie wiederum eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Sachverständigen C schuldig, aus welchen Gründen sich dies im konkreten Fall des Verstorbenen anders darstellte. Der Senat nimmt Bezug auf seine Ausführungen in dem Hinweisbeschluss unter Ziffer 2 lit. b. aa. und c.
Schließlich vermag die Berufung auch nicht mit ihrer Argumentation durchzudringen, der Verstorbene habe allein schon eine Wahl hinsichtlich des Mittels gehabt und damit eine Entscheidung getroffen. Denn wie das Landgericht auf der Grundlage der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen C festgestellt hat, befand sich der Verstorbene zu diesem Zeitpunkt bereits in einem seine freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit i.S. des § 827 Satz 1 BGB.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils beruht auf § 708 Nr. 10, 711, 709, § 522 Abs. 3 ZPO.
In dem Rechtsstreit
…
hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter … am 23.4.2020 beschlossen:
Es wird darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 6.9.2019 - Az. 3 O 182/16 - durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Gründe
I.
Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung i.S. des § 546 ZPO zu Lasten der Klägerin noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts erweist sich auch unter Berücksichtigung der Berufungsangriffe als zutreffend.
1. Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen nicht. Die Parteifähigkeit der Klägerin folgt aus § 4 Abs. 1 BEZNG, § 1 Abs. 2 VwO-D, wobei diese nach § 6 Abs. 3 BEZNG gerichtlich von dem Präsidenten vertreten wird, soweit nicht die Verwaltungsordnung nach Abs. 6 etwas Anderes bestimmt. Gemäß § 6 VwO-D kann die gerichtliche Vertretung neben dem Präsidenten auch durch die regionalen Dienststellen erfolgen, zu denen sowohl die in der Berufungsschrift genannte Dienststelle E als auch die in der Klageschrift aufgeführte Dienststelle F gehören (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 VwO-D). Dies ändert aber nichts daran, dass Partei das D (D), mithin die Klägerin ist und nicht die sie vertretende Dienststelle.
2. Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass die Beklagten als Erben des verstorbenen Herrn B nicht der Klägerin aus übergegangenem Recht für den geltend gemachten wirtschaftlichen Schaden des Lokführers B haften.
Das Landgericht ist in nicht zu beanstandender Beweiswürdigung davon ausgegangen, dass der Verstorbene im Zeitpunkt der Schadenszufügung nicht schuldhaft handelte. Die Feststellungen des Sachverständigen C liefern eine hinreichende tatsächliche Grundlage für die Annahme des Landgerichts, dass der Verstorbene den streitgegenständlichen Schaden in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit zufügte und damit für den Schaden gemäß § 827 Satz 1 BGB nicht verantwortlich war. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist der Senat an die vom erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden. Ein neues Gutachten nach § 412 ZPO - wie von der Berufung beantragt - ist nicht einzuholen.
a. Ohne Erfolg moniert die Berufung, dass der Sachverständige C bei der Prüfung eines die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustands krankhafter Störung der Geistestätigkeit des Verstorbenen mit seiner Annahme, bei dem Unfallgeschehen habe es sich um einen Suizid des Verstorbenen gehandelt, von falschen Anknüpfungstatsachen ausgegangen sei.
aa. Fehl geht die Rüge der Berufung, die Ausführungen des Sachverständigen basierten auf Vermutungen und allgemeinen Erwägungen, die allesamt nicht sachverhaltsbezogen seien. Vielmehr stützt der Sachverständige seine Einschätzung, dass hinsichtlich der nach Aktenlage möglichen Ablaufanalyse sicher von einem Suizid auszugehen sei, auf die der Krankenakte entnommenen und auf Seiten 21/22 seines psychiatrisch-psychotherapeutischen Gutachtens (GA 1/2) aufgeführten Informationen zur Vorgeschichte und suizidalen Problematik des Verstorbenen. Diese hat der Sachverständige medizinisch eingeordnet und bewertet und hiernach deutliche Hinweise auf die Kumulation von narzisstischen Kränkungs- und Enttäuschungssituationen, Erschütterungen der noch nicht gefestigten Persönlichkeit, Verluste und Schwierigkeiten in der Perspektivenentwicklung und hohe emotionale Belastung des Verstorbenen bedingt durch Schwierigkeiten in der Schule, nicht erwiderte Liebe und Tod der als haltgebend und wichtig erlebten Großmutter sowie anhaltende und ungelöste Entwicklungskonflikte etwa mit dem Stiefvater ausgemacht. Aufgrund seiner klinischen Erfahrung und der wissenschaftlichen Grundlinie, die es hierzu gibt, erachtet der Sachverständige diese Umstände als typisch, um aus der Positionen des Adoleszenten zu einer Überforderungssituation zu führen und existenziell grundsätzlichen Charakter zu gewinnen, so dass hier der Verstorbenen aus der als unerträglich empfundenen Krisensituation schließlich kein Entrinnen mehr gesehen habe, wobei ein Indiz für das Ausmaß der zu verarbeitenden Autoaggressionen und Aggressionen, die sich mit einer suizidalen Handlung verbinden, auch in der Wahl der - hier brutal erscheinenden - Suizidmethode zu sehen sei. Dieser überzeugenden Erläuterung, der sich das Landgericht angeschlossen hat, ist die Berufung argumentativ nicht entgegengetreten. Gleiches gilt für die Ernsthaftigkeit der Selbsttötungsabsicht des Verstorbenen, die der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten (dort Seite 6/GA 3) anhand der Indikatoren Suizidintention, Suizidmanagement und Suizidmethode plausibel dargelegt hat.
bb. Darüber hinaus hat das Landgericht weitere Umstände aufgezeigt, die für die Annahme eines planvollen Suizids sprechen, nämlich dass der Verstorbene im Vorfeld mehrfach Äußerungen zu suizidalen Gedanken einer Freundin gegenüber tätigte sowie als weitere Vorbereitungshandlung vor dem Geschehen an sie seinen Freitod per SMS ankündigte und lückenlos alle Email-Accounts löschte. Soweit die Berufung beanstandet, dass das Landgericht seine diesbezüglichen Erkenntnisse teilweise aus einer Auswertung der zu Beweiszwecken hinzugezogenen Ermittlungsakte gewonnen hat, hat sie keine Zweifel an deren Aussagewert aufgezeigt.
cc. Ebenso wenig Bedeutung kommt dem von der Berufung hervorgehobenen Umstand zu, dass es keinen Abschiedsbrief des Verstorbenen gibt. Hierbei hätte es sich allenfalls um ein weiteres Indiz gehandelt, dessen es jedoch nicht bedurfte, um den tragischen Vorfall als Suizid des Verstorbenen zu bewerten, zumal aus sachverständiger Sicht die bereits vorliegenden Kenntnisse über die Eckpunkte von dessen Entwicklung ausreichen.
b. Entgegen der Ansicht der Berufung hat der Sachverständige C auch gerade nicht allein ex post abstrakt die Auffassung vertreten, dass automatisch jeder Suizid in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit i.S. des § 827 Satz 1 BGB begangen werde.
aa. Der Sachverständige hat konkret ausgeführt, aufgrund welcher Überlegungen davon auszugehen sei, dass hier bei dem Verstorbenen das Maß der gedanklichen Einengung und Fixierung auf die Selbsttötung als alternativlos und einzig gangbaren Weg in einer als unerträglich empfundenen Krisensituation unter Ausblendung aller entgegenstehenden Erwägungen und der Beobachtungsfähigkeit, als Ausdruck einer krankheitswertigen krisenhaften Zuspitzung zu bewerten sei, in der der Verstorbene nicht mehr in der Lage gewesen sei, seine Gedanken auf die Auswirkungen seines Tuns, insbesondere für den Lokführer zu richten und seine Entscheidung zu verändern. Mit der von dem Sachverständigen angeführten Indizienkette, insbesondere der Rigorosität und Entschiedenheit der finalen suizidalen Handlung sowie dem unmittelbar vorausgehenden Wohlbefinden und entspannten Zustand des Verstorbenen auf der Feier mit seinen Freunden, welche aus Sicht des Sachverständigen mutmaßlich darauf zurückzuführen gewesen sei, dass der Verstorbene zu diesem Zeitpunkt seine suizidale Planung unumkehrbar abgeschlossen gehabt und er sich deshalb emotional entlastet und befreit gefühlt habe, setzt sich die Berufung nicht auseinander.
bb. Nicht zu folgen vermag der Senat dem Vorwurf der Berufung, in nicht nachvollziehbarer Weise habe der Sachverständige C seine zunächst bestehende Auffassung zum die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand des Verstorbenen zum Unfallzeitpunkt mehrfach revidiert. Die seitens des Sachverständigen beschriebene Unfähigkeit des Verstorbenen zur Besonnenheit und rationalen Überlegung bewirkte von vornherein eine vollständige Aufhebung seiner freien Willensbildung. Soweit der Sachverständige zunächst gleichwohl einschränkend formuliert hatte, dass der Verstorbenen nicht vollständig schuldunfähig gewesen sei, räumte er eine gedankliche Inkonsequenz ein, welche er überzeugend mit seiner Unsicherheit erklärte, ggf. auf der Basis der zugrunde liegenden Indizienkette keinen Vollbeweis i.S. eines mathematisch naturwissenschaftlichen Nachweises führen zu können. Letztlich obliegt es freilich der Beweiswürdigung des Gerichts, ob es die von dem Sachverständigen aufgezeigten Argumente und Indizien als ausreichend ansieht, um mit einen für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit, der verbleibenden Restzweifeln Schweigen gebietet, davon auszugehen, dass der Suizid hier im Zustand einer aufgehobenen freien Willensbildung stattfand. Diese Überzeugung hat das Landgericht für sich bejaht, ohne dass die Berufung Fehler bei der Überzeugungsbildung aufgezeigt hätte. Weder ist die Beweiswürdigung des Landgerichts unvollständig oder in sich widersprüchlich noch verstößt sie gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze.
cc. Zugunsten der Berufung streitet auch nicht der Umstand, dass in den beiden von ihr genannten Entscheidungen [OLG Hamm Urt. v. 3.3.3017 - 7 WV 130/16 und OLG Schleswig Urt. v. 7.10.2014 - 5 W 37/14] durch vor dem jeweiligen schadensstiftenden Ereignis vorliegenden Behandlungsunterlagen das Vorhandensein tatsächlich schwerwiegender psychiatrischer Krankheitsbilder sichergestellt war, die den Anwendungsbereich des § 827 BGB eröffneten. Denn das Vorliegen solcher Behandlungsunterlagen stellt allenfalls ein zusätzliches Indiz dar, ist aber keine Voraussetzung für die Annahme der Schuldunfähigkeit. Hinzu tritt, dass nach der jahrelangen Erfahrung des Sachverständigen Suizidenten häufig vor der Begehung des Suizids sich keiner psychiatrischen Behandlung unterziehen.
Ebenso wenig rechtfertigen das von der Berufung hervorgehobene Fehlen erheblicher Anhaltspunkte für ein psychiatrisches Krankheitsbild des Verstorbenen, insbesondere Behandlungsunterlagen über ihn aus der Zeit vor dem Unfall, und dass der Sachverständige diesen vor dem Unfall nie kennengelernt hat und keine Diagnose des Verstorbenen vor dem Unfall stellen konnte, eine andere Bewertung.
c. Damit lässt sich eine Schuldfähigkeit des Verstorbenen auch nicht damit begründen, dass dieser bei Planung seiner Suizidhandlung bewusst und akribisch vorging, wie die Berufung meint. Wie der Sachverständige bei seiner Anhörung vor dem Landgericht anschaulich dargelegt hat, sei davon auszugehen, dass der Verstorbene zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Ziel - seinen Freitod - gekannt habe und nicht mehr fähig gewesen sei, falsch und richtig zu unterscheiden und noch Alternativen wahrzunehmen.
d. Anders als die Berufung meint, blieb auch nicht unklar, aus welchen Gründen der Verstorbene die Gleisanlage betrat. Vielmehr ist dem Landgericht darin zu folgen, dass der Verstorbenen beim Betreten der Gleisanlage von dem Gedanken an einen Suizid getragen war. Die von der Berufung angestellte Überlegung, Triebfeder könne sein Wille gewesen sei, „die entsprechende Erfahrung zu machen, wie es an einem solchen Ort um diese Zeit ist“, erscheint dem Senat hier lebensfremd.
e. Damit geht auch der Hinweis der Berufung fehlt, dass das Betreten der Gleisanlage verboten ist, da dieses seitens des Verstorbenen nicht schuldhaft geschah. Wie das Landgericht sachverständig beraten überzeugend festgestellt hat, war der der pathologische Prozess bei dem Verstorbenen zu diesem Zeitpunkt bereits so weit fortgeschritten, dass er nicht mehr umkehrbar und der Verstorbene nicht mehr in der Lage war, seine Entscheidung von rationalen Überlegungen abhängig zu machen, wie es Voraussetzung für eine freie Willensbildung wäre.
3. Entgegen der Ansicht der Berufung ist vorliegend auch nicht eine Ersatzpflicht der Beklagten aus Billigkeitsgründen gemäß § 829 BGB zu bejahen.
a. Dass sich zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht die Vermögensverhältnisse des Verstorbenen nicht als besser darstellten als die des Geschädigten, stellt auch die Berufung nicht in Abrede. Vielmehr leitet sie die wirtschaftliche Besserstellung des Verstorbenen und damit ein „wirtschaftliches Gefälle“ zu dessen Gunsten allein aus seinem Freistellungsanspruch - und auch eines solchen der hinterbliebenen Beklagten - gegenüber Schadensersatzansprüchen Dritten aus dem Versicherungsvertrag gegenüber der Versicherung1 ab. Dieser Auffassung ist eine Absage zu erteilen.
b. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung rechtfertigt das Bestehen einer freiwilligen Haftpflichtversicherung die Durchbrechung des Trennungsprinzips, wonach die Eintrittspflicht des Versicherers dem Anspruch zwischen Versicherungsnehmer und Geschädigtem folgt, grds. nicht und kann daher - auch im Rahmen des § 829 BGB - nicht anspruchsbegründend wirken [BGH Urt. v. 29.11.2016 - VI ZR 606/15 - Rn. 10 mwN]. Der BGH begründet dies mit der Überlegung, dass bei der freiwilligen Haftpflichtversicherung kein der Pflichtversicherung vergleichbarer Funktionswandel dahingehend stattgefunden habe, dass diese nicht mehr in erster Linie dem Schutz des Versicherten, sondern dem des Geschädigten diene. Anders als bei der Pflichtversicherung (§ 115 VVG) besteht kein gesetzlicher Direktanspruch des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer. Die Pflicht des Versicherers, den Versicherungsnehmer von begründenden Haftpflichtansprüchen freizustellen und begründete Ansprüche abzuwehren (§ 100 VVG), folgt nach wie vor dem Grundsatz, dass der Freistellungsanspruch eine Haftung des Schädigers voraussetzt und die Haftpflichtversicherung nicht dazu bestimmt ist, eine Haftung des Schädigers gegen den Geschädigten erst zu begründen. Das Risiko, dass der Versicherungsnehmer oder Versicherte einen Schaden herbeiführt, für den er nicht verantwortlich ist, ist grds. nicht versichert. Besteht aber kein Versicherungsschutz, kann dieser auch keinen in den Vergleich der Vermögenslagen einzubeziehenden Vermögenswert des Schädigers darstellen. Jedenfalls erfordert es die Billigkeit nach Ansicht des BGH nicht, dem Bestehen einer freiwilligen Haftpflichtversicherung für die Frage des "Ob" der Haftung ungeachtet des Trennungsprinzips eine maßgebliche Bedeutung zukommen zu lassen. Das gelte erst recht dann, wenn die anderweitigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten - wie hier - eine Haftung nach § 829 BGB nicht rechtfertigen oder ihr sogar entgegenstehen würden [BGH aaO.]. Zudem führte die abweichende Sichtweise der Berufung zu einer Änderung des vom Versicherer übernommenen Risikos. Nach dem Versicherungsvertrag soll dieser nämlich nur dann eintreten, wenn ein Haftungsanspruch gegenüber dem Haftpflichtigen begründet ist.
Nach alldem ist das Bestehen der freiwilligen Haftpflichtversicherung nicht in das Vermögen des Verstorbenen bzw. der Beklagten als dessen Erben einzubeziehen.
Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und erfordert auch nicht nach § 522 Abs. 2 Nr. 3 ZPO eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung.
III.
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung.
Der Senat regt im Kosteninteresse die Prüfung an, ob die Berufung zurückzunehmen ist.
24.06.2020
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 6.9.2019 - Az. 3 O 182/16 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das angefochtene Urteil wird ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf € 111.562,12 festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin macht aus übergegangenem Recht ihres Bediensteten, A, gegen die Beklagten als Erben ihres verstorbenen Sohnes, B, Schadensersatzansprüche nach einem Bahnunglück geltend.
Wegen des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit welcher sie ihr erstinstanzliches Klagebegehren vollumfänglich weiterverfolgt. Sie rügt zunächst, dass die vom Landgericht herangezogenen Umstände zur Annahme eines Suizids des Verstorbenen nicht Ergebnis einer Beweisaufnahme seien, sondern sich aus einer Auswertung der vom Gericht zu Beweiszwecken herangezogenen Ermittlungsakte ergäben. Ein Abschiedsbrief des Verstorbenen liege nicht vor. Dann aber verbleibe es, unabhängig davon, ob ein Suizid folge oder nicht, bei einem verbotenen Betreten der Gleisanlage, wobei sie, die Klägerin, davon ausgehe, dass dieses zumindest fahrlässig erfolgt sei.
Entgegen der Ansicht des Landgerichts könnten sich die Beklagten zur Abwendung ihrer Haftung nicht erfolgreich auf § 827 Satz 1, 2. Alt. BGB beziehen; denn diese hätten nicht den Nachweis erbracht, dass sich der Verstorbene bei Schadenszufügung in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden habe und damit nicht verantwortlich gewesen sei. Die Berufung verweist darauf, dass der Sachverständige erst nach mehrfachen Revidieren und Abrücken seiner zunächst bestehenden Auffassung, ein solcher Zustand liege nicht vor, zu der gegenteiligen Aussage gelangt sei. Dies sei nicht nachvollziehbar und werde bestritten. Des Weiteren sei zu sehen, dass die Beklagten den Beweis, dass es sich um einen Suizid gehandelt habe, nicht geführt hätten. Dann aber sei der Sachverständige schon von falschen Anknüpfungstatsachen ausgegangen. Zudem habe ein gemäß § 827 Satz 1, 2. Alt. BGB zu bewertendes Krankheitsbild des Verstorbenen nicht festgestellt werden können. Es habe keine erheblichen Anhaltspunkte für ein psychiatrisches Krankheitsbild vor dem Unfall gegeben. Der Sachverständige habe nicht einmal eine Diagnose für den Gesundheitszustand des Verstorbenen vor dem Unfall stellen könne. Er habe den Verstorbenen nie kennengelernt, es gebe keinerlei Behandlungsunterlagen über ihn aus der Zeit vor dem Unfall, die dem Sachverständigen eine Aktenauswertung ermöglicht hätten. Seine Ausführungen basierten auf Vermutungen und allgemeinen Erwägungen, die allesamt nicht sachverhaltsbezogen seien. Die von ihm gegebene Erklärung, dass Suizidanten sich häufig nicht vor der Begehung des Suizids in psychiatrischer Behandlung befänden, überzeuge nicht. Der Sachverstände habe allein ex post abstrakt ausgeführt, dass jeder Suizidant in einem Zustand des § 827 Satz 1 BGB sei; dies sei für sich genommenen haltlos. Vielmehr bedürfe es der Prüfung jedes Einzelfalls. So habe der Verstorbene vor dem Schadensereignis ganz regulär die Schule besucht und einen Freundeskreis unterhalten. Niemand habe Behandlungsbedürftigkeit gesehen; offenbar sei er nicht weiter auffällig gewesen. Auch seine Freundin habe seine ihr gegenüber geäußerten suizidalen Gedanken nicht ernst genommen, da sie andernfalls sicher Hilfe von Dritten eingeholt hätte.
Es sei davon auszugehen, dass der Verstorbene eine Entscheidung getroffen und sich auf die Gleisanlage begeben habe, wobei letztlich unklar geblieben sei, warum er dieses getan habe. Es sei aus nichts heraus zu erkennen, dass der Verstorbene nicht genau gewusst habe, was er beim Betreten des Bahngeländes getan habe. Selbst wenn er die Gefahr gesucht habe, habe er um diese gewusst. Auch bei Annahme eines Suizids habe der Verstorbene dieses Vorhaben durch eine gezielte und überlegte Handlung erreicht. Ein äußerer oder innerer Zwang bzw. ein Krankheitsbild, das ihn dazu gezwungen habe, sei nicht aktenkundig. Die Entscheidung des Verstorbenen, sich auf die Gleise zu begeben, sei auch insoweit vernunftgetragen gewesen, als insoweit ein probater Weg gewählt worden sei, um einen Selbstmord zu begehen. Angesichts des planvollen Verhaltens des Verstorbenen könne schon per se kein Zustand des § 827 BGB vorgelegen habe, der zum Haftungsausschluss gegenüber dem geschädigten Bediensteten der Klägerin selbst führe. Ob er dabei habe erkennen können, dass Dritte mit seinem Vorgehen in Berührung gerieten, um ggf. Schaden zu nehmen, spiele haftungsrechtlich keine Rolle.
Ferner verweist die Klägerin auf zwei Entscheidungen des OLG Hamm und des OLG Schleswig, in denen aufgrund vor dem jeweiligen schadensstiftenden Ereignis vorliegende Behandlungsunterlagen sichergestellt gewesen sei, dass tatsächlich schwerwiegende psychiatrische Krankheitsbilder vorhanden gewesen seien, die den Anwendungsbereich des § 827 BGB eröffneten.
Jedenfalls erfordere die Billigkeit nach den Umständen, insbesondere nach dem Verhältnis der Beteiligten, eine Schadloshaltung. Die Ausführungen des Landgerichts, welches allein auf die Vermögensverhältnisse des Verstorbenen im Vergleich zu dem Geschädigten abgestellt habe, griffen deutlich zu kurz. Des in § 827 BGB vorgesehenen Schutzes bedürfe es offensichtlich nicht, wenn der grundsätzlich vom Gesetz zu schützende Deliktsunfähige angesichts seiner Haftpflichtversicherung überhaupt keine wirtschaftlichen Nachteile erleiden könne. Zu berücksichtigen sei daher, dass sowohl der Verstorbene als auch die hinterbliebenen Beklagten einen Freistellungsanspruch gegenüber Schadensersatzansprüchen Dritten aus dem Versicherungsvertrag gegenüber der Versicherung1 hätten, mithin ein „wirtschaftliches Gefälle“ zum Vorteil des Geschädigten vorliege. Wenn der Schadensersatzanspruch des geschädigten Lokführers nie zu einer Vermögenseinbuße bei dem Verstorbenen oder den Beklagten führen könne, sei es unbillig, ihm diesen Anspruch zu versagen. Ohne Relevanz sei, dass dieser im Zeitpunkt des Schadensereignisses auf die Klägerin übergegangen sei.
Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil und beantragen Zurückweisung der Berufung.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 6.9. 2019 ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen. Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung i.S. des § 546 ZPO zulasten der Klägerin noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung. Der Senat verweist zunächst auf den Inhalt seines Hinweisbeschlusses vom 23.4.2020. Die dagegen von der Klägerin mit Schriftsatz vom 10.6.2020 erhobenen Einwände, geben zu einer abweichenden Beurteilung keine Veranlassung.
1. Entgegen der Ansicht der Berufung ist der Senat unter Einhaltung des in § 522 Abs. 2 vorgezeichneten Verfahrens zu dem Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO gelangt.
a. Der Senat hat durch den vollbesetzten Spruchkörper die Berufung einer gründlichen materiellen Prüfung unterzogen und ist nach Beratung zu der Entschließung gelangt, dass diese aus den in dem Hinweisbeschluss dargelegten Gründen offensichtlich aussichtslos ist. Denn aus der Berufungsbegründung ergeben sich keine Gesichtspunkte, die eine Abänderung des Ersturteils aus rechtlichen oder tatsächlichen Erwägungen rechtfertigen.
Soweit die Klägerin auf das zur Vereinbarkeit des Verbots der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung mit dem Grundgesetz ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.3.2020 [2 BvR 2347/15] verweist, wonach das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben und als Teil hiervon die Entscheidung umfasst, das eigene Leben zu beenden, erschließt sich dem Senat nicht die Relevanz für den vorliegenden Rechtsstreit. Hierzu verhält sich auch die Stellungnahme der Klägerin nicht.
b. Soweit die Berufung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darauf stützen möchte, dass die Annahme, auch ohne Vorliegen entsprechender Anknüpfungstatsachen könne immer davon ausgegangen werden, dass Suizidanten im Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit handelten, mithin diese bzw. die Erben den § 827 Abs. 1 BGB für sich in Anspruch nehmen könnten, richtungsweisend für eine Vielzahl von vergleichbaren Bahnunfällen sei, verkennt sie, dass weder der Sachverständige C noch das Landgericht diese Bewertung teilten, wie in dem Hinweisbeschluss unter Ziffer 2 lit. b. näher ausgeführt.
Die rein wirtschaftliche Bedeutung der streitgegenständlichen Haftung zwischen den Parteien genügt für die Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung nicht [vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 32. Aufl., § 522 Rn. 38].
c. Da die Voraussetzungen für eine Beschlusszurückweisung vorliegen, insbesondere schon aufgrund der Aktenlage unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin in der Berufungsinstanz auch bei Durchführung der mündlichen Verhandlung der Berufung kein Erfolg beschieden wäre und sich weder die Prozesssituation durch den Hinweis des Senats geändert noch die Klägerin in ihrer Stellungnahme (zulässig) wesentlich neu vorgetragen hat, ist eine erneute Anhörung oder Terminierung zur mündlichen Verhandlung nicht geboten. Der Senat ist sich zweifelsfrei darüber klar, dass von einer mündlichen Verhandlung kein weiterer Erkenntnisgewinn ausginge. Damit muss im Interesse der Beschleunigung zugunsten der in 1. Instanz obsiegenden Beklagten rasch Rechtskraft der erstinstanzlichen Entscheidung erzielt werden [Zöller/Heßler aaO., § 522 Rn. 31].
2. Der Senat teilt nicht die Ansicht der Klägerin, dass das Gutachten des Sachverständigen C nicht verwertbar sei, mithin nicht Grundlage der Entscheidung des Landgerichts hätte sein dürfen.
a. Die von der Klägerin herangezogenen AWMF-Leitlinien zur Registernummer 051-029 sind vorliegend nicht einschlägig. Diese behandeln die Besonderheiten der gutachterlichen Untersuchung bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen, soweit sie die Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit betreffen und für Kausalitätsfragen von Bedeutung sind, sie dienen der interdisziplinären Qualitätssicherung bei der Begutachtung von Antragstellern auf Versicherungs- oder sonstige Entschädigungsleistungen, die psychische oder psychosomatische Erkrankungen mit hierdurch bedingten Funktionsstörungen geltend machen.
b. Fehl geht auch der Angriff der Berufung, es sei fehlerhaft, den Sachverständigen bewerten zu lassen, ob es sich vorliegend überhaupt um einen Suizid handele oder nicht. Vielmehr ist das Landgericht aufgrund der auf Seite 4/5 der angefochtenen Entscheidung dargelegten Indizien und Erwägungen zu der Überzeugung gelangt, dass der Verstorbene einen Suizid begangen habe.
c. Entgegen der Rüge der Berufung hat der Sachverständige C sich auch nicht völlig ungeprüft auf ein BAG-Urteil vom 29.2.1979 bezogen. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf seine Ausführungen in dem Hinweisbeschluss unter Ziffer 2 lit. b.
d. Ebenso wenig verfängt die Rüge der Berufung gegen die Ausführungen des Senats in dem Hinweisbeschluss unter Ziffer 2 lit. a. aa. Zwar ist der Berufung zuzugeben, dass es eine von dem Sachverständigen C als solche bezeichnete „Krankenakte“ im eigentlichen Sinne nicht gibt. Wie aus den Ausführungen in dem Gutachten hervorgeht, hat der Sachverständige die aufgeführten Informationen zur Vorschichte und suizidalen Problematik des Verstorbenen aber aus dem von der Klägerin nicht bestrittenen und damit gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden geltenden Vorbringen der Beklagten in der Gerichtsakte entnommen (vgl. Seite 4 des Gutachtens /GA 141).
e. Die von der Klägerin auf Seite 6 ihres Schriftsatzes angeführten Einschätzungen sachkundiger Dritten vermögen keine Fehler in der Überzeugungsbildung des Landgerichts zu begründen, dass sich der Verstorbene im Zeitpunkt der Schadenszufügung in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befand. Nicht zu folgen ist der Klägerin, eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit sei hier nicht anhand belastbare Kriterien diagnostiziert. Wie in dem Hinweisbeschluss unter Ziffer 2. lit. a. und b. im Einzelnen ausgeführt, lieferten die Feststellungen des Sachverständigen C dem Landgericht für diese Annahme eine hinreichende tatsächliche Grundlage.
Soweit die Berufung ihre Annahme wiederholt, dass freie Willensbildung und „Bestimmung“ zum Suizid führen können, bleibt sie wiederum eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Sachverständigen C schuldig, aus welchen Gründen sich dies im konkreten Fall des Verstorbenen anders darstellte. Der Senat nimmt Bezug auf seine Ausführungen in dem Hinweisbeschluss unter Ziffer 2 lit. b. aa. und c.
Schließlich vermag die Berufung auch nicht mit ihrer Argumentation durchzudringen, der Verstorbene habe allein schon eine Wahl hinsichtlich des Mittels gehabt und damit eine Entscheidung getroffen. Denn wie das Landgericht auf der Grundlage der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen C festgestellt hat, befand sich der Verstorbene zu diesem Zeitpunkt bereits in einem seine freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit i.S. des § 827 Satz 1 BGB.
3. Der Hinweis der Berufung, dass die Klägerin hier aus einem übergegangenen Anspruch ihres Bediensteten A vorgehe und dieser Bemessungsgrundlage bei der Frage der Unbilligkeit gemäß § 829 BGB sei, ändert nichts an den im Hinweisbeschluss unter Ziffer 3 aufgezeigten Umstand, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung das Bestehen der freiwilligen Haftpflichtversicherung auf Seiten des Verstorbenen bzw. der Beklagten nicht in deren Vermögen einzubeziehen ist.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils beruht auf § 708 Nr. 10, 711, 709, § 522 Abs. 3 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung hat ihre Rechtsgrundlage in § 3 ZPO. Der Feststellungsantrag wurde mit € 20.000,-- bemessen.
Vorausgegangen ist unter dem 23.4.2020 folgender Hinweis (die Red.):
In dem Rechtsstreit
…
hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter … am 23.4.2020 beschlossen:
Es wird darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 6.9.2019 - Az. 3 O 182/16 - durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Gründe
I.
Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung i.S. des § 546 ZPO zu Lasten der Klägerin noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts erweist sich auch unter Berücksichtigung der Berufungsangriffe als zutreffend.
1. Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen nicht. Die Parteifähigkeit der Klägerin folgt aus § 4 Abs. 1 BEZNG, § 1 Abs. 2 VwO-D, wobei diese nach § 6 Abs. 3 BEZNG gerichtlich von dem Präsidenten vertreten wird, soweit nicht die Verwaltungsordnung nach Abs. 6 etwas Anderes bestimmt. Gemäß § 6 VwO-D kann die gerichtliche Vertretung neben dem Präsidenten auch durch die regionalen Dienststellen erfolgen, zu denen sowohl die in der Berufungsschrift genannte Dienststelle E als auch die in der Klageschrift aufgeführte Dienststelle F gehören (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 VwO-D). Dies ändert aber nichts daran, dass Partei das D (D), mithin die Klägerin ist und nicht die sie vertretende Dienststelle.
2. Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass die Beklagten als Erben des verstorbenen Herrn B nicht der Klägerin aus übergegangenem Recht für den geltend gemachten wirtschaftlichen Schaden des Lokführers B haften.
Das Landgericht ist in nicht zu beanstandender Beweiswürdigung davon ausgegangen, dass der Verstorbene im Zeitpunkt der Schadenszufügung nicht schuldhaft handelte. Die Feststellungen des Sachverständigen C liefern eine hinreichende tatsächliche Grundlage für die Annahme des Landgerichts, dass der Verstorbene den streitgegenständlichen Schaden in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit zufügte und damit für den Schaden gemäß § 827 Satz 1 BGB nicht verantwortlich war. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist der Senat an die vom erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden. Ein neues Gutachten nach § 412 ZPO - wie von der Berufung beantragt - ist nicht einzuholen.
a. Ohne Erfolg moniert die Berufung, dass der Sachverständige C bei der Prüfung eines die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustands krankhafter Störung der Geistestätigkeit des Verstorbenen mit seiner Annahme, bei dem Unfallgeschehen habe es sich um einen Suizid des Verstorbenen gehandelt, von falschen Anknüpfungstatsachen ausgegangen sei.
aa. Fehl geht die Rüge der Berufung, die Ausführungen des Sachverständigen basierten auf Vermutungen und allgemeinen Erwägungen, die allesamt nicht sachverhaltsbezogen seien. Vielmehr stützt der Sachverständige seine Einschätzung, dass hinsichtlich der nach Aktenlage möglichen Ablaufanalyse sicher von einem Suizid auszugehen sei, auf die der Krankenakte entnommenen und auf Seiten 21/22 seines psychiatrisch-psychotherapeutischen Gutachtens (GA 1/2) aufgeführten Informationen zur Vorgeschichte und suizidalen Problematik des Verstorbenen. Diese hat der Sachverständige medizinisch eingeordnet und bewertet und hiernach deutliche Hinweise auf die Kumulation von narzisstischen Kränkungs- und Enttäuschungssituationen, Erschütterungen der noch nicht gefestigten Persönlichkeit, Verluste und Schwierigkeiten in der Perspektivenentwicklung und hohe emotionale Belastung des Verstorbenen bedingt durch Schwierigkeiten in der Schule, nicht erwiderte Liebe und Tod der als haltgebend und wichtig erlebten Großmutter sowie anhaltende und ungelöste Entwicklungskonflikte etwa mit dem Stiefvater ausgemacht. Aufgrund seiner klinischen Erfahrung und der wissenschaftlichen Grundlinie, die es hierzu gibt, erachtet der Sachverständige diese Umstände als typisch, um aus der Positionen des Adoleszenten zu einer Überforderungssituation zu führen und existenziell grundsätzlichen Charakter zu gewinnen, so dass hier der Verstorbenen aus der als unerträglich empfundenen Krisensituation schließlich kein Entrinnen mehr gesehen habe, wobei ein Indiz für das Ausmaß der zu verarbeitenden Autoaggressionen und Aggressionen, die sich mit einer suizidalen Handlung verbinden, auch in der Wahl der - hier brutal erscheinenden - Suizidmethode zu sehen sei. Dieser überzeugenden Erläuterung, der sich das Landgericht angeschlossen hat, ist die Berufung argumentativ nicht entgegengetreten. Gleiches gilt für die Ernsthaftigkeit der Selbsttötungsabsicht des Verstorbenen, die der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten (dort Seite 6/GA 3) anhand der Indikatoren Suizidintention, Suizidmanagement und Suizidmethode plausibel dargelegt hat.
bb. Darüber hinaus hat das Landgericht weitere Umstände aufgezeigt, die für die Annahme eines planvollen Suizids sprechen, nämlich dass der Verstorbene im Vorfeld mehrfach Äußerungen zu suizidalen Gedanken einer Freundin gegenüber tätigte sowie als weitere Vorbereitungshandlung vor dem Geschehen an sie seinen Freitod per SMS ankündigte und lückenlos alle Email-Accounts löschte. Soweit die Berufung beanstandet, dass das Landgericht seine diesbezüglichen Erkenntnisse teilweise aus einer Auswertung der zu Beweiszwecken hinzugezogenen Ermittlungsakte gewonnen hat, hat sie keine Zweifel an deren Aussagewert aufgezeigt.
cc. Ebenso wenig Bedeutung kommt dem von der Berufung hervorgehobenen Umstand zu, dass es keinen Abschiedsbrief des Verstorbenen gibt. Hierbei hätte es sich allenfalls um ein weiteres Indiz gehandelt, dessen es jedoch nicht bedurfte, um den tragischen Vorfall als Suizid des Verstorbenen zu bewerten, zumal aus sachverständiger Sicht die bereits vorliegenden Kenntnisse über die Eckpunkte von dessen Entwicklung ausreichen.
b. Entgegen der Ansicht der Berufung hat der Sachverständige C auch gerade nicht allein ex post abstrakt die Auffassung vertreten, dass automatisch jeder Suizid in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit i.S. des § 827 Satz 1 BGB begangen werde.
aa. Der Sachverständige hat konkret ausgeführt, aufgrund welcher Überlegungen davon auszugehen sei, dass hier bei dem Verstorbenen das Maß der gedanklichen Einengung und Fixierung auf die Selbsttötung als alternativlos und einzig gangbaren Weg in einer als unerträglich empfundenen Krisensituation unter Ausblendung aller entgegenstehenden Erwägungen und der Beobachtungsfähigkeit, als Ausdruck einer krankheitswertigen krisenhaften Zuspitzung zu bewerten sei, in der der Verstorbene nicht mehr in der Lage gewesen sei, seine Gedanken auf die Auswirkungen seines Tuns, insbesondere für den Lokführer zu richten und seine Entscheidung zu verändern. Mit der von dem Sachverständigen angeführten Indizienkette, insbesondere der Rigorosität und Entschiedenheit der finalen suizidalen Handlung sowie dem unmittelbar vorausgehenden Wohlbefinden und entspannten Zustand des Verstorbenen auf der Feier mit seinen Freunden, welche aus Sicht des Sachverständigen mutmaßlich darauf zurückzuführen gewesen sei, dass der Verstorbene zu diesem Zeitpunkt seine suizidale Planung unumkehrbar abgeschlossen gehabt und er sich deshalb emotional entlastet und befreit gefühlt habe, setzt sich die Berufung nicht auseinander.
bb. Nicht zu folgen vermag der Senat dem Vorwurf der Berufung, in nicht nachvollziehbarer Weise habe der Sachverständige C seine zunächst bestehende Auffassung zum die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand des Verstorbenen zum Unfallzeitpunkt mehrfach revidiert. Die seitens des Sachverständigen beschriebene Unfähigkeit des Verstorbenen zur Besonnenheit und rationalen Überlegung bewirkte von vornherein eine vollständige Aufhebung seiner freien Willensbildung. Soweit der Sachverständige zunächst gleichwohl einschränkend formuliert hatte, dass der Verstorbenen nicht vollständig schuldunfähig gewesen sei, räumte er eine gedankliche Inkonsequenz ein, welche er überzeugend mit seiner Unsicherheit erklärte, ggf. auf der Basis der zugrunde liegenden Indizienkette keinen Vollbeweis i.S. eines mathematisch naturwissenschaftlichen Nachweises führen zu können. Letztlich obliegt es freilich der Beweiswürdigung des Gerichts, ob es die von dem Sachverständigen aufgezeigten Argumente und Indizien als ausreichend ansieht, um mit einen für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit, der verbleibenden Restzweifeln Schweigen gebietet, davon auszugehen, dass der Suizid hier im Zustand einer aufgehobenen freien Willensbildung stattfand. Diese Überzeugung hat das Landgericht für sich bejaht, ohne dass die Berufung Fehler bei der Überzeugungsbildung aufgezeigt hätte. Weder ist die Beweiswürdigung des Landgerichts unvollständig oder in sich widersprüchlich noch verstößt sie gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze.
cc. Zugunsten der Berufung streitet auch nicht der Umstand, dass in den beiden von ihr genannten Entscheidungen [OLG Hamm Urt. v. 3.3.3017 - 7 WV 130/16 und OLG Schleswig Urt. v. 7.10.2014 - 5 W 37/14] durch vor dem jeweiligen schadensstiftenden Ereignis vorliegenden Behandlungsunterlagen das Vorhandensein tatsächlich schwerwiegender psychiatrischer Krankheitsbilder sichergestellt war, die den Anwendungsbereich des § 827 BGB eröffneten. Denn das Vorliegen solcher Behandlungsunterlagen stellt allenfalls ein zusätzliches Indiz dar, ist aber keine Voraussetzung für die Annahme der Schuldunfähigkeit. Hinzu tritt, dass nach der jahrelangen Erfahrung des Sachverständigen Suizidenten häufig vor der Begehung des Suizids sich keiner psychiatrischen Behandlung unterziehen.
Ebenso wenig rechtfertigen das von der Berufung hervorgehobene Fehlen erheblicher Anhaltspunkte für ein psychiatrisches Krankheitsbild des Verstorbenen, insbesondere Behandlungsunterlagen über ihn aus der Zeit vor dem Unfall, und dass der Sachverständige diesen vor dem Unfall nie kennengelernt hat und keine Diagnose des Verstorbenen vor dem Unfall stellen konnte, eine andere Bewertung.
c. Damit lässt sich eine Schuldfähigkeit des Verstorbenen auch nicht damit begründen, dass dieser bei Planung seiner Suizidhandlung bewusst und akribisch vorging, wie die Berufung meint. Wie der Sachverständige bei seiner Anhörung vor dem Landgericht anschaulich dargelegt hat, sei davon auszugehen, dass der Verstorbene zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Ziel - seinen Freitod - gekannt habe und nicht mehr fähig gewesen sei, falsch und richtig zu unterscheiden und noch Alternativen wahrzunehmen.
d. Anders als die Berufung meint, blieb auch nicht unklar, aus welchen Gründen der Verstorbene die Gleisanlage betrat. Vielmehr ist dem Landgericht darin zu folgen, dass der Verstorbenen beim Betreten der Gleisanlage von dem Gedanken an einen Suizid getragen war. Die von der Berufung angestellte Überlegung, Triebfeder könne sein Wille gewesen sei, „die entsprechende Erfahrung zu machen, wie es an einem solchen Ort um diese Zeit ist“, erscheint dem Senat hier lebensfremd.
e. Damit geht auch der Hinweis der Berufung fehlt, dass das Betreten der Gleisanlage verboten ist, da dieses seitens des Verstorbenen nicht schuldhaft geschah. Wie das Landgericht sachverständig beraten überzeugend festgestellt hat, war der der pathologische Prozess bei dem Verstorbenen zu diesem Zeitpunkt bereits so weit fortgeschritten, dass er nicht mehr umkehrbar und der Verstorbene nicht mehr in der Lage war, seine Entscheidung von rationalen Überlegungen abhängig zu machen, wie es Voraussetzung für eine freie Willensbildung wäre.
3. Entgegen der Ansicht der Berufung ist vorliegend auch nicht eine Ersatzpflicht der Beklagten aus Billigkeitsgründen gemäß § 829 BGB zu bejahen.
a. Dass sich zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht die Vermögensverhältnisse des Verstorbenen nicht als besser darstellten als die des Geschädigten, stellt auch die Berufung nicht in Abrede. Vielmehr leitet sie die wirtschaftliche Besserstellung des Verstorbenen und damit ein „wirtschaftliches Gefälle“ zu dessen Gunsten allein aus seinem Freistellungsanspruch - und auch eines solchen der hinterbliebenen Beklagten - gegenüber Schadensersatzansprüchen Dritten aus dem Versicherungsvertrag gegenüber der Versicherung1 ab. Dieser Auffassung ist eine Absage zu erteilen.
b. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung rechtfertigt das Bestehen einer freiwilligen Haftpflichtversicherung die Durchbrechung des Trennungsprinzips, wonach die Eintrittspflicht des Versicherers dem Anspruch zwischen Versicherungsnehmer und Geschädigtem folgt, grds. nicht und kann daher - auch im Rahmen des § 829 BGB - nicht anspruchsbegründend wirken [BGH Urt. v. 29.11.2016 - VI ZR 606/15 - Rn. 10 mwN]. Der BGH begründet dies mit der Überlegung, dass bei der freiwilligen Haftpflichtversicherung kein der Pflichtversicherung vergleichbarer Funktionswandel dahingehend stattgefunden habe, dass diese nicht mehr in erster Linie dem Schutz des Versicherten, sondern dem des Geschädigten diene. Anders als bei der Pflichtversicherung (§ 115 VVG) besteht kein gesetzlicher Direktanspruch des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer. Die Pflicht des Versicherers, den Versicherungsnehmer von begründenden Haftpflichtansprüchen freizustellen und begründete Ansprüche abzuwehren (§ 100 VVG), folgt nach wie vor dem Grundsatz, dass der Freistellungsanspruch eine Haftung des Schädigers voraussetzt und die Haftpflichtversicherung nicht dazu bestimmt ist, eine Haftung des Schädigers gegen den Geschädigten erst zu begründen. Das Risiko, dass der Versicherungsnehmer oder Versicherte einen Schaden herbeiführt, für den er nicht verantwortlich ist, ist grds. nicht versichert. Besteht aber kein Versicherungsschutz, kann dieser auch keinen in den Vergleich der Vermögenslagen einzubeziehenden Vermögenswert des Schädigers darstellen. Jedenfalls erfordert es die Billigkeit nach Ansicht des BGH nicht, dem Bestehen einer freiwilligen Haftpflichtversicherung für die Frage des "Ob" der Haftung ungeachtet des Trennungsprinzips eine maßgebliche Bedeutung zukommen zu lassen. Das gelte erst recht dann, wenn die anderweitigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten - wie hier - eine Haftung nach § 829 BGB nicht rechtfertigen oder ihr sogar entgegenstehen würden [BGH aaO.]. Zudem führte die abweichende Sichtweise der Berufung zu einer Änderung des vom Versicherer übernommenen Risikos. Nach dem Versicherungsvertrag soll dieser nämlich nur dann eintreten, wenn ein Haftungsanspruch gegenüber dem Haftpflichtigen begründet ist.
Nach alldem ist das Bestehen der freiwilligen Haftpflichtversicherung nicht in das Vermögen des Verstorbenen bzw. der Beklagten als dessen Erben einzubeziehen.
II.
Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und erfordert auch nicht nach § 522 Abs. 2 Nr. 3 ZPO eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung.
III.
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung.
Der Senat regt im Kosteninteresse die Prüfung an, ob die Berufung zurückzunehmen ist.