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19.05.2021 · IWW-Abrufnummer 222423

Landessozialgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 02.03.2021 – L 11 KR 1388/20

Das nach § 51 SGB V erforderliche Gutachten muss aus sich heraus verständlich und für die Verwaltungsentscheidung der Krankenkasse und eine gerichtliche Überprüfung nachvollziehbar sein. Die Bezugnahme im Gutachten auf einen Bescheid des Rentenversicherungsträgers, mit dem ein Antrag des Versicherten auf Bewilligung von Leistungen zur Rehabilitation mit der Begründung abgelehnt wurde, die Erwerbsfähigkeit des Versicherten könne durch Leistungen der medizinischen Rehabilitation nicht wesentlich gebessert werden, genügt nicht.


Landessozialgericht Baden-Württemberg

Urteil vom 02.03.2021


Tenor:

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21.02.2020 sowie der Bescheid der Beklagten vom 29.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.02.2018 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Klage- und im Berufungsverfahren.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Aufforderung der Beklagten, einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu stellen. Er befürchtet eine sich ggf anschließende Rückforderung des ihm gezahlten Krankengeldes.

Der am 27.07.1983 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert sowie bei der beigeladenen Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg (DRV) rentenversichert. Der Kläger war zuletzt als Informationselektroniker versicherungspflichtig beschäftigt. In der Zeit vom 19.06.2017 bis 26.10.2018 bezog er von der Beklagten Krankgeld. Seit dem 27.10.2018 ist er über den Bezug von Arbeitslosengeld I/II krankenversichert. Seit dem 01.01.2017 bezieht der Kläger Leistungen der Pflegeversicherung in Pflegegrad 2.

Der Kläger befand sich vom 17.06.2015 bis 15.07.2015 zur medizinischen Rehabilitation in der L.-Klinik in B. D.. Im Entlassungsbericht vom 23.07.2015 sind die Diagnosen (1) Kombinierte Persönlichkeitsstörung mit Einschränkungen der psychomentalen Funktionen und hinsichtlich der interpersonellen Interaktion; (2) Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode ohne langfristige Funktionsbeeinträchtigung; (3) Vitiligo angeführt.

Am 31.01.2016 beantragte der Kläger bei der Beigeladenen formlos eine Rente wegen Erwerbsminderung. Mit Schreiben vom 04.02.2016 wurden dem Kläger die Antragsvordrucke übersandt. Unter dem 17.08.2016 bat die Beigeladene noch einmal um Vorlage eines formellen Antrags bis 09.09.2016. Sofern er nicht mitwirke, müsste wegen fehlender Mitwirkung die Versagung von Leistungen geprüft werden. Mit Bescheid vom 30.11.2016 wurde die Gewährung einer Rente wegen fehlender Mitwirkung abgelehnt, weil der Kläger den formellen Rentenantrag nicht vorgelegt habe.

Am 09.02.2017 beantragte der Kläger bei der Beigeladenen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Diesen Antrag lehnte die Beigeladene mit Bescheid vom 22.02.2017 ab mit der Begründung, die Erwerbsfähigkeit des Klägers könne durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nicht wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beigeladene mit Widerspruchsbescheid vom 17.05.2017 zurück.

Zuvor hatte die Beigeladene den Kläger mit Schreiben vom 23.02.2017 gebeten, einen formellen Rentenantrag zu stellen. Nach ihren Feststellungen seien Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zwar nicht erfolgsversprechend, da die Erwerbsfähigkeit durch die beantragte Leistung zur Teilhabe voraussichtlich nicht wesentlich verbessert oder wiederhergestellt werden könne. Seine Erwerbsfähigkeit sei jedoch erheblich gemindert. Erst in einem Rentenverfahren könne geprüft werden, ob er eine Rente wegen Erwerbsminderung erhalten könne. Dieser Aufforderung kam der Kläger nicht nach. Daraufhin erließ die Beigeladene unter Hinweis auf die §§ 60 und 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) mit Datum vom 22.05.2017 einen weiteren Bescheid. Darin führte sie aus, dem Antrag des Klägers auf Rente vom 09.02.2017 könne sie nicht entsprechen, solange er nicht mitwirke.

Seit dem 05.05.2017 ist der Kläger arbeitsunfähig. Vom 05.05. bis 12.05.2017 befand er sich in stationärer Behandlung. Ab dem 19.06.2017 erhielt er von der Beklagten Krankengeld in Höhe von 52,02 € brutto pro Kalendertag (Bescheid der Beklagten vom 25.07.2017).

Am 23.06.2017 sprach der Kläger bei der Beigeladenen persönlich vor und erkundigte sich, warum er keine Reha bekomme. Bei dieser Vorsprache wurde ihm laut Aktenvermerk das Procedere hinsichtlich der Umdeutung [eines Reha-Antrages in einen Rentenantrag] erklärt. Wegen einer medizinischen Reha wurde er von der Mitarbeiterin der Beigeladenen an die Beklagte verwiesen. Der Kläger teilte bei dieser Gelegenheit mit, auf keinen Fall eine Rente haben zu wollen. Er kündigte an, sich an die Beklagte zu wenden.

In der Zeit vom 23.05.2017 bis 20.07.2017 wurde der Kläger stationär in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums F. behandelt. Im Entlassungsbericht sind die Diagnosen schwere depressive Episode bei rezidivierender Störung und Asperger-Autismus genannt.

Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) mit einer Prüfung zur Beurteilung der Voraussetzungen für die Anwendung des § 51 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) bei Arbeitsunfähigkeit. Der MDK führte unter dem 25.09.2017 aus, dass laut Entlassungsbericht der Uniklinik F. über die stationäre Behandlung vom 23.05.2017 bis 20.07.2017 zweifellos ein schwerer Krankheitsverlauf (am 20.07.2017 vorzeitig entlassen, Reha sei nicht konkret empfohlen worden) bestehe. Laut Bescheid der Beigeladenen vom 22.02.2017 würden die formalen Voraussetzungen für den § 51 Abs 1 SGB V, nämlich die erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit anerkannt und nicht strittig gestellt. Lediglich die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit durch eine Reha werde nicht für wahrscheinlich erachtet. Dem sei sozialmedizinisch zuzustimmen. Ob dann eine Umdeutung gemacht werde, liege in den Händen der Beigeladenen. Die Beigeladene habe auch darauf hingewiesen, dass geprüft werde, ob der Antrag auf Reha als Rentenantrag gelte. Es werde daher ggf eine weitere Kommunikation mit der Beigeladenen empfohlen.

Mit Schreiben vom 29.09.2017 forderte die Beklagte den Kläger auf, einen Reha-Antrag zu stellen. Das Krankengeld sei nach den gesetzlichen Regelungen nicht als Dauerleistung angelegt. Die Beklagte sei im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens verpflichtet, die zuständigen Rehabilitationsträger einzuschalten und erforderliche Maßnahmen frühzeitig in die Wege zu leiten. Durch die Rehabilitationsmaßnahme könne der Eintritt der Erwerbsminderung verhindert werden. Der Kläger werde daher aufgefordert, einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu stellen. Für diese Leistungen sei der Rentenversicherungsträger zuständig. Alternativ könne der Kläger auch einen Rentenantrag bei der Deutschen Rentenversicherung stellen. Der Kläger solle in jedem Fall beachten, den Antrag bis spätestens 11.12.2017 zu stellen. Dadurch sichere er sich sein Krankengeld über dieses Datum hinaus. Die Beklagte wies darauf hin, dass die Krankengeldzahlung mit Ablauf der gesetzlichen Frist von zehn Wochen ende, wenn er den Antrag nicht innerhalb der Frist stelle. Wenn er den Antrag verspätet stelle, lebe der Krankengeldanspruch nur unter bestimmten Voraussetzungen wieder auf. Für die Abgabe bestimmter Erklärungen gegenüber dem Rentenversicherungsträger, die die Beklagte beispielhaft genannt hat, benötige er die Zustimmung der Beklagten. Ändere der Kläger den gestellten Antrag oder gebe er dahingehende Erklärungen ohne die Zustimmung der Beklagten ab, entfalle der gesetzliche Anspruch auf Krankengeld. Der Anspruch könne auch rückwirkend entfallen, sofern er eine Erklärung ohne Zustimmung der Beklagten abgebe.

Der Kläger erhob am 25.10.2017 Widerspruch. Die Beklagte erläuterte unter dem 14.11.2017, dass eine Änderung des Bescheides vom 29.09.2017 nicht möglich sei. Insbesondere führte sie aus, dass bei Abwägung des Interesses des Klägers an einer weiteren Krankengeldzahlung bis zum Erreichen der Höchstanspruchsdauer und dem Interesse der Beklagten an einer Rentenzubilligung und dem daraus resultierenden Erstattungsanspruch im vorliegenden Fall das Interesse der Versichertengemeinschaft höher zu bewerten sei. Das von der Krankenkasse auszuübende Ermessen sei demnach vorgenommen worden.

Mit Schreiben vom 27.12.2017 teilte die Beklagte der Beigeladenen mit, dass das Dispositionsrecht hinsichtlich der am 09.02.2017 beantragten Reha-Maßnahme eingeschränkt sei. Die Beklagte sei der Auffassung, dass der Reha-Antrag in einen Rentenantrag umzudeuten sei, weil die Erwerbsfähigkeit durch die Reha-Maßnahme nicht wiederhergestellt werden könne. Die Beklagte meldete vorsorglich einen Erstattungsanspruch an.

Am 30.01.2018 meldete die Beigeladene bei der Beklagten mittels eines ausgefüllten Formulars einen Erstattungsanspruch an und teilte dabei mit, dass seit 09.02.2017 Erwerbsminderung auf Zeit bestehe, eine Rente wegen fehlender Mitwirkung aber nicht gezahlt werde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.02.2018 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 29.09.2017 zurück.

Mit Schreiben vom 22.02.2018 teilte die Beklagte der Beigeladenen mit, dass der Kläger in seinem Dispositionsrecht eingeschränkt sei und keine Zustimmung zur Ausübung des Dispositionsrechts erteilt worden sei. Die Beklagte bestehe daher auf die Durchführung des Rentenverfahrens und die Erstellung des Rentenbescheids auf der Grundlage des Antrags vom 09.02.2017. Sie führte ua aus, der Rentenversicherungsträger könne die fehlende formelle Antragstellung nicht im Sinne einer fehlenden Mitwirkung behandeln, da der Versicherte einen Antrag gestellt habe. Die Beigeladene erwiderte hierauf (Schreiben vom 26.02.2018), dass nach Aktenlage kein eingeschränktes Dispositionsrecht vorliege. Die Beklagten möge ihr das entsprechende Schreiben an den Kläger übersenden. Die Beklagte berief sich auf den Bescheid vom 29.09.2017 nebst Widerspruchsbescheid vom 20.02.2018. Hierzu führte die Beigeladene unter dem 27.03.2018 aus, dass der Kläger vor Aufforderung zur Reha-Antragstellung und vor Einschränkung des Dispositionsrechts rechtswirksam erklärt habe, den Rentenantrag nicht zu stellen. Bei seiner Vorsprache am 05.03.2018 sei dem Kläger erklärt worden, dass bei erneutem Antrag auf Teilhabeleistungen dieser direkt in einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung umgedeutet werde und die Rente auch bei nicht formgerechten Antrag ohne weiteres beschieden werde.

Am 27.02.2018 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) gegen den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 20.02.2018 erhoben.

Am 25.02.2019 hat der Kläger bei der Beigeladenen die Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation beantragt. Die Beigeladenen hat den Antrag mit Bescheid vom 16.04.2019 abgelehnt, da die Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nicht wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden könne. Am 28.01.2020 hat die Beigeladene auf Nachfrage des SG, ob eine Umdeutung erfolgt sei, mitgeteilt, eine Bearbeitung des Rentenantrags habe aufgrund fehlender Mitwirkung nicht erfolgen können.

Mit Urteil vom 21.02.2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe den Kläger rechtmäßig zur Reha-Antragstellung aufgefordert.

Dagegen richtet sich die am 18.03.2020 beim SG erhobene Berufung des Klägers. Der Kläger macht wiederholt geltend, Hilfe zu benötigen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 21.02.2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2018 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten und der Beigeladenen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers hat Erfolg.

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 29.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Dieser Bescheid hat nicht seine Erledigung gefunden, weil der Kläger zwischenzeitlich eine Reha-Antrag gestellt hat. Der Bescheid bildet weiterhin die Grundlage für das Behaltendürfen des gezahlten Krankengeldes, das nach Erhebung des Widerspruchs aufgrund der damit verbundenen aufschiebenden Wirkung auch nach Ablauf der gesetzten Frist weitergezahlt worden ist (siehe BSG 16.12.2014, B 1 KR 31/13 R, BSGE 118, 40-52 = SozR 4-2500 § 51 Nr 3). Der Kläger ist dem Risiko ausgesetzt, nach einer Beendigung des Verfahrens das gezahlte Krankengeld erstatten zu müssen, denn er hat den Reha-Antrag erst am 25.02.2019 nach Beendigung des Krankengeldbezugs gestellt. Der Kläger wäre im Falle der Bestandskraft des hier streitgegenständlichen Bescheides mit einem Wegfall des Anspruchs auf Zahlung von Krankengeld für die Zeit nach Ablauf zehnwöchigen Frist zur Reha-Antragstellung bis zum Zeitpunkt der tatsächlichen Antragstellung bzw bis zum Ablauf des gezahlten Zeitraums konfrontiert (vgl § 51 Abs 3 Sätze 1, 2 SGB V), sodass von einer Rückforderung durch die Beklagte auszugehen wäre. In einem Verfahren über die Rückforderung des Krankengeldes wird die Rechtmäßigkeit der Aufforderung nicht geprüft (BSG 16.12.2014, B 1 KR 31/13 R, BSGE 118, 40 = SozR 4-2500 § 51 Nr 3, Rn 25).

Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 29.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.02.2018 ist § 51 Abs 1 SGB V. Nach dieser Vorschrift kann die Krankenkasse Versicherten, deren Erwerbsfähigkeit nach ärztlichem Gutachten erheblich gefährdet oder gemindert ist, eine Frist von zehn Wochen setzen, innerhalb der sie einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben zu stellen haben (§ 51 Abs 1 SGB V). Die Berechtigung der Krankenkasse, Versicherte zur Stellung eines Reha-Antrages aufzufordern, dient dazu, mittels Leistungen der medizinischen Rehabilitation die Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit zu beseitigen. Dies ist Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes, wonach die Leistungen zur Teilhabe Vorrang haben vor Rentenleistungen, die bei erfolgreichen Leistungen zur Teilhabe nicht oder voraussichtlich erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erbringen sind (BSG 16.12.2014, B 1 KR 31/13 R, BSGE 118, 40 = SozR 4-2500 § 51 Nr 3).

Die Voraussetzungen des § 51 SGB V sind nicht erfüllt. Ein ärztliches Gutachten im vorgenannten Sinne liegt nicht vor. Nach § 51 Abs 1 SGB V ist für die Aufforderung ein ärztliches Gutachten erforderlich, wonach die Erwerbsfähigkeit des Versicherten erheblich gefährdet oder gemindert ist. Das Gutachten muss qualitativen Anforderungen genügen, also jedenfalls summarisch die erhobenen Befunde wiedergeben und sich zu den durch die festgestellten Gesundheitsstörungen bedingten Leistungseinschränkungen und ihrer voraussichtlichen Dauer äußern. Es muss die erhobenen Befunde und die medizinischen Gesichtspunkte enthalten, die die Beurteilung darüber zulassen, welche Leistungseinschränkungen die festgestellten Gesundheitsstörungen zur Folge haben und welche voraussichtliche Dauer anzunehmen ist. Das Gutachten muss aus sich heraus verständlich und für die Verwaltungsentscheidung der Krankenkasse und eine gerichtliche Überprüfung nachvollziehbar sein (vgl BSG 07.08.1991, 1/3 RK 26/90, BSGE 69, 187 SozR 3-2200 § 183 Nr 2 = SozVers 1992, 45; LSG Bayern 15.01.2019, L 5 KR 244/18, juris Rn 46; LSG Bayern, 30.05.2017, L 20 KR 545/16, juris Rn 40; Knorr/Krasney in: Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung - Krankengeld - Mutterschaftsgeld, 08/19, EKM P 101, Rn 8). Es hat der Krankenkasse insbesondere die für ihre Ermessensentscheidung notwendige Abwägung aller besonderen Umstände des Einzelfalles zu ermöglichen (Knorr/Krasney aaO).

Diesen Voraussetzungen genügt das Gutachten des MDK vom 25.09.2017 nicht. Ohne Nennung von Diagnosen und/oder Befunden stellte der MDK unter Bezugnahme auf den Entlassungsbericht der Uniklinik F. über die stationäre Behandlung vom 23.05.2017 bis 20.07.2017 lediglich fest, dass zweifellos ein schwerer Krankheitsverlauf bestünde. Welche Leistungseinschränkungen sich hieraus ergeben, wird ebenfalls nicht mitgeteilt. Vielmehr beruft sich der MDK darauf, dass laut Bescheid der DRV vom 22.02.2017 die formalen Voraussetzungen für den § 51 Abs 1 SGB V, nämlich die erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit anerkannt und nicht strittig gestellt würden. Es ergibt sich hieraus jedoch nicht, welchen konkreten Prüfungsmaßstab der MDK angenommen hat und aus welchen Gründen die Voraussetzungen des § 51 Abs 1 SGB V erfüllt sein sollen. Die Ausführungen sind nicht aus sich heraus nachvollziehbar. Dass die Beigeladene die Gefährdung der Erwerbsfähigkeit nicht strittig stellt, genügt nicht für eine Anwendung des § 51 Abs 1 SGB V. Der MDK hat eine eigene medizinische Würdigung vorzunehmen, die sich dem vorgelegten Gutachten jedenfalls nicht entnehmen lässt. Auch eine anderweitige medizinische Beurteilung, die den an ein Gutachten zu stellenden Anforderungen genügen würde und die sich der MDK hätte zu eigen machen können, lag nicht vor. Insbesondere verfügte der MDK beispielsweise nicht über eine medizinische Stellungnahme der Beigeladenen bzw deren ärztlichen Dienst, aus der sich möglicherweise die maßgeblichen Feststellungen nachvollziehbar hätten ergeben können.

Darüber hinaus fehlt es auch an einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung. Mit der Anordnung von Ermessen ("kann") räumt das Gesetz der Krankenkasse in § 51 Abs 1 Satz 1 SGB V einen Entscheidungsspielraum ein, den die Gerichte dahingehend zu überprüfen haben, ob die Verwaltung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (LSG Bayern 15.01.2019, L 5 KR 244/18, juris Rn 49; LSG Bayern 30.05.2017, L 20 KR 545/16, juris Rn 42). Hat die Krankenkasse ihr Ermessen gar nicht ausgeübt, ist die Aufforderung nach § 51 Abs 1 SGB V rechtswidrig. Ein solcher Fall liegt hier vor. Im Bescheid der Beklagten vom 29.09.2017 wurde kein Ermessen ausgeübt. Mit der Formulierung "verpflichtet" zu sein, die zuständigen Rehabilitationsträger einzuschalten, wird der Eindruck erweckt, als habe die Krankenkasse gar keine andere Wahl als den Kläger zur Beantragung von Rehabilitationsmaßnahmen aufzufordern.

Im Schreiben vom 14.11.2017 wird dann zwar ausgeführt, dass bei der Abwägung des Interesses des Klägers an einer weiteren Krankengeldzahlung bis zum Erreichen der Höchstanspruchsdauer mit dem Interesse der Beklagten an einer Rentenzubilligung und dem darauf resultierenden Erstattungsanspruch im vorliegenden Fall das Interesse der Versichertengemeinschaft höher zu bewerten sei. Das von der Krankenkasse auszuübende Ermessen sei demnach vorgenommen worden. Mit dieser floskelhaften und nicht auf den Einzelfall abstellende Formulierung wird nunmehr anders als noch im Bescheid vom 29.09.2017 nicht mehr auf eine Besserungsaussicht durch eine Reha-Maßnahme abgestellt, sondern es wird von einer bereits eingetretenen Erwerbsminderung ausgegangen. Diese Ausführungen stehen daher im Widerspruch zum Bescheid vom 29.09.2017. Eine ordnungsgemäße Abwägung der widerstreitenden Interessen kann hierin nicht gesehen werden.

Im Widerspruchsbescheid konnte die Ermessenausübung nicht mehr nachgeholt werden. Zwar kommt die Nachholung einer zunächst unterbliebenen Ausübung von Ermessen grundsätzlich in Betracht. Wird die im Ausgangsbescheid unterlassene Ermessensausübung im Widerspruchsbescheid nachgeholt, so gilt der Bescheid seit dem Zeitpunkt seines Erlasses als mangelfrei. Dies kann aber nicht gelten, wenn dadurch - wie hier - nachträglich eine bereits zeitlich überholte Fristsetzung gerechtfertigt werden soll. Unerheblich ist, dass sich die Dauer der Frist bereits aus dem Gesetz selbst ergibt. Maßgebend ist, dass die Frist mit der Aufforderung zur Stellung eines Reha-Antrages verknüpft ist. In einem solchen Fall ist für die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts nicht auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, sondern auf den Zeitpunkt des Erlasses des Ausgangsbescheides abzustellen. Die Versicherten sollen prüfen können, ob sie der Aufforderung zur Stellung eines Reha-Antrages nachkommen müssen oder ob sie aus ihrer subjektiven Sicht gute Gründe haben, der Aufforderung nicht nachzukommen und das Risiko eingehen, den Anspruch auf Auszahlung von Krankengeld zu verlieren (vgl BSG 19.08.2015, B 14 AS 1/15 R, BSGE 119, 271 zu einer ähnlichen Situation bei der Aufforderung nach § 5 Abs 3 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch, einen Antrag auf vorrangige Leistungen bei einem anderen Leistungsträger zu stellen; ferner LSG Nordrhein-Westfalen 07.01.2013, L 11 KR 592/12 B ER, juris Rn 27). Die Beklagte konnte daher die Ermessenausübung im Widerspruchsbescheid vom 20.02.2018 nicht mehr nachholen.

Lediglich ergänzend wird noch darauf hingewiesen, dass die Ausführungen der Beklagten gegenüber der Beigeladenen im Schreiben vom 27.12.2017 und 22.02.2018 rechtswidrig sind. Der Kläger war nicht in seinem Dispositionsrecht in Bezug auf den am 09.02.2017 gestellten Reha-Antrag eingeschränkt. Ein entsprechender Bescheid, der die Einschränkung des Dispositionsrechts des Klägers auslösen könnte, er also seinen Reha-Antrag nicht hätte zurücknehmen dürfen, wurde nicht erlassen. Jedenfalls aus den dem Senat vorliegenden Akten ergibt sich dies nicht. Der Bescheid vom 29.09.2017 zielte darauf ab, einen Reha-Antrag zu stellen. Dass der Kläger in der Möglichkeit, einen bereits zuvor gestellten Antrag zurückzunehmen, eingeschränkt werden sollte, hätte jedoch klar zum Ausdruck gebracht werden müssen. Zwar wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass er für bestimmte Erklärungen gegenüber dem Rentenversicherungsträger die Zustimmung der Beklagten benötige und hierzu insbesondere auch die Rücknahme des Antrags auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gehöre. Da sich dem Schreiben aber keinerlei Hinweis auf bisher gestellte Anträge entnehmen lässt, sondern der Kläger erst zur Antragstellung aufgefordert wurde, musste der Kläger dieses Schreiben nicht als Einschränkung des Dispositionsrecht im Hinblick auf längst vergangene und verbeschiedene Anträge verstehen. Dass der Kläger einer Umdeutung nicht widersprechen darf, ergibt sich aus dem Schreiben der Beklagten ebenfalls nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

RechtsgebietSGB VVorschriften§ 51 Abs. 1 S. 1 SGB V, § 51 Abs. 3 S. 1-2 SGB V