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· Fachbeitrag · Betreuungsverfahren

Betroffenem muss vor der Anhörung das Sachverständigengutachten überlassen werden

von RA Christian Stake, Werne

| Wird dem Betroffenen das im Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen, leidet die Anhörung an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Hierauf wies der BGH hin. |

 

Sachverhalt

Der 39-jährige Betroffene leidet nach den getroffenen Feststellungen an einer maniformen Psychose, wegen derer er seine Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann.

 

Das Amtsgericht hat eine Betreuung für den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitssorge, Regelung des Postverkehrs, Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern sowie Vermögensangelegenheiten einschließlich Immobilienangelegenheiten eingerichtet und die Beteiligte zu 1 als Berufsbetreuerin bestimmt. Außerdem hat es einen Einwilligungsvorbehalt für den letztgenannten Bereich angeordnet.

 

Das LG hat die Beschwerde des Betroffenen hiergegen zurückgewiesen. Dagegen richtet sich seine Rechtsbeschwerde.

 

Entscheidungsgründe

Der BGH hält die Rechtsbeschwerde für begründet (6.2.19, XII ZR 504/18, Abruf-Nr. 207489). Er hat den angefochtenen Beschluss aufgehoben und die Sache an das Beschwerdegericht zurückgewiesen.

 

Die angefochtene Entscheidung kann schon aus verfahrensrechtlichen Gründen keinen Bestand haben. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass das LG den Betroffenen nicht gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG erneut angehört hat.

 

  • Nach der Rechtsprechung des Senats räumt § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG dem Beschwerdegericht zwar die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Das kann z. B. der Fall sein, wenn die erstinstanzliche Anhörung des Betroffenen nur kurze Zeit zurückliegt, sich nach dem Akteninhalt keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder rechtlichen Gesichtspunkte ergeben, das Beschwerdegericht das in den Akten dokumentierte Ergebnis der erstinstanzlichen Anhörung nicht abweichend werten will und es auf den persönlichen Eindruck des Gerichts von dem Betroffenen nicht ankommt.

 

  • Zieht das Beschwerdegericht für seine Entscheidung dagegen eine neue Tatsachengrundlage heran, die nach der amtsgerichtlichen Entscheidung datiert, muss der Betroffene erneut persönlich angehört werden.

 

  • Zudem müssen im Beschwerdeverfahren solche Verfahrenshandlungen wiederholt werden, bei denen das Gericht des ersten Rechtszugs zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat. In diesem Fall muss das Beschwerdegericht, vorbehaltlich der Möglichkeiten nach § 69 Abs. 1 S. 2 und 3 FamFG, den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen (vgl. Senatsbeschluss vom 15.8.18, XII ZB 10/18, FamRZ 18, 1770).

 

Gemessen hieran durfte das LG im vorliegenden Fall nicht von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG absehen.

 

Relevanz für die Praxis

Bereits die Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht litt an einem wesentlichen Verfahrensmangel, weil ihm das eingeholte Sachverständigengutachten nicht vor dem Anhörungstermin überlassen worden war. Ein Sachverständigengutachten kann als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache gemäß § 37 Abs. 2 FamFG nur verwertet werden, wenn das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat.

 

MERKE | Das Gutachten muss dem Betroffenen also grundsätzlich mit seinem vollen Wortlaut im Hinblick auf seine Verfahrensfähigkeit (§ 275 FamFG) persönlich zur Verfügung gestellt werden. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (ebenso BGH 10.8.18, XII ZB 10/18, a. a. O.).

 

Wird der Betroffene persönlich angehört, muss ihm Gelegenheit gegeben werden, Stellung zu nehmen. Das setzt voraus, dass

 

  • er vor der Entscheidung im Besitz des schriftlichen Sachverständigengutachtens ist,
  • er auch ausreichend Zeit hatte, von dessen Inhalt Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern.

 

Wenn dem Betroffenen das Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen worden ist, leidet die Anhörung an einem wesentlichen Verfahrensmangel (BGH 21.11.18, XII ZB 57/18, Abruf-Nr. 206504).

 

Diesen Mangel muss das Beschwerdegericht durch erneute Anhörung beheben. Das gilt insbesondere, wenn der Betroffene Einwendungen gegen das Gutachten erhoben hat.

 

Weiterführende Hinweise

  • Im Betreuungsverfahren muss an den Betroffenen zugestellt werden, BGH SR 19, 173
  • Bevor es einen neuen Betreuer bestellt, muss das Gericht umfassend prüfen, BGH SR 19, 150
Quelle: Ausgabe 10 / 2019 | Seite 171 | ID 45777800