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· Fachbeitrag · Betreuung

In diesen Fällen muss das Beschwerdegericht den Betroffenen persönlich anhören

von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FA FamR, Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte, Osterholz-Scharmbeck, FOM Hochschule Bremen

| Das Beschwerdegericht muss den Betroffenen persönlich anhören, wenn ihn das Amtsgericht im vorhergehenden Verfahren der einstweiligen Anordnung durch den ersuchten Richter, nicht aber im Hauptsacheverfahren persönlich angehört hat. Diese Klarstellung traf der BGH. Er wies zudem darauf hin, dass die Person des Betreuers im Verfahren auf Betreuerbestellung allein nach § 1897 BGB zu bestimmen ist. Dort ist der Maßstab für die Betreuerauswahl im gesamten Instanzenzug festgelegt. |

 

Sachverhalt

Der 1960 geborene Betroffene wendet sich gegen eine für ihn eingesetzte Betreuung. Zunächst war für ihn seit Januar 2019 ein Rechtsanwalt als vorläufiger Betreuer mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Entscheidung über Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen, Vermögenssorge und Wohnungsangelegenheiten bestellt worden. Zugleich wurde ein Sachverständigengutachten im Hauptsacheverfahren eingeholt. Aufgrund der sachverständigen Feststellungen wurde sodann zum März 2019 eine Betreuung mit gleichem Aufgabenkreis eingerichtet. Der vorläufige Betreuer wurde weiterführend bestellt. Der Betroffene leide unter einer paranoiden Schizophrenie. Daher müsse er auch gegen seinen Willen betreut werden. Das Beschwerdegericht hat den Betroffenen nicht angehört, da keine neuen Erkenntnisse zu erwarten wären.

 

Nachdem der Betroffene mit seiner Beschwerde gegen die landgerichtliche Entscheidung nicht durchgedrungen ist, hat er die hier gegenständliche Rechtsbeschwerde eingelegt. Er möchte die Betreuung als solche abwenden, jedenfalls aber eine andere Person als Betreuer einsetzen lassen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg (BGH 8.4.20, XII ZB 558/19, Abruf-Nr. 215735). Nach Ansicht des BGH war die Begründung des Beschwerdegerichts sowohl verfahrens-, als auch materiellrechtlich nicht tragfähig.

 

Zwar eröffnet § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit, von einer Anhörung des Betroffenen abzusehen. Ein solches Vorgehen setzt jedoch stets voraus, dass der Betroffene bereits im ersten Rechtszug angehört wurde, ohne dass zwingende Verfahrensvorschriften verletzt wurden.

 

Da das Amtsgericht den Betroffenen nur in dem Verfahren der einstweiligen Anordnung, nicht jedoch in dem nachfolgenden Hauptsacheverfahren angehört hat, durfte das Beschwerdegericht nicht auf eine eigene Anhörung des Betroffenen verzichten.

 

Zunächst dürfe bereits regelmäßig mit Blick auf die gegenüber dem Eilverfahren andere Tatsachengrundlage im Hauptsacheverfahren zumeist davon auszugehen sein, dass bei einer erneuten persönlichen Anhörung zusätzliche Erkenntnisse zu erwarten sind. Es ist daher bereits zweifelhaft, ob überhaupt ein praktischer Anwendungsfall für das ausnahmsweise Absehen einer persönlichen Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht verbleibt, wenn der Betroffene zwar im einstweiligen Anordnungs-, nicht jedoch im Hauptsacheverfahren angehört wurde.

 

Unabhängig davon wurde der Betroffene im Einstweiligen Anordnungsverfahren jedoch nicht durch das Betreuungsgericht selbst, sondern durch den ersuchten Richter angehört. Dies ist zwar im Einstweiligen Anordnungsverfahren zulässig. Für das Hauptsacheverfahren gilt aber uneingeschränkt § 278 Abs. 3 FamFG. Danach darf die persönliche Anhörung nur dann im Wege der Rechtshilfe durchgeführt werden, wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung ohne eigenen Eindruck von dem Betroffenen getroffen werden kann. Dies bleibt aber auf Ausnahmefälle beschränkt. Daher muss das Betreuungsgericht für eine Anhörung durch einen ersuchten Richter besondere Gründe haben. Aus denen muss sich ergeben, dass eine persönliche Anhörung nicht erforderlich ist. Hierzu hat das Betreuungsgericht keinerlei Ausführungen gemacht. Daher war dieser Ausnahmetatbestand nicht erfüllt.

 

Zudem war auch die Betreuerauswahl rechtsfehlerhaft. Die Person des Betreuers wird im Verfahren auf Betreuerbestellung allein nach § 1897 BGB bestimmt. Danach muss dem Betreuervorschlag des Betroffenen entsprochen werden, wenn es seinem Wohl nicht zuwiderläuft. Unerheblich ist, ob der Vorgeschlagene gleich geeignet wie der bereits bestellte Betreuer ist.

 

Relevanz für die Praxis

Die Entscheidung betrifft gleich zwei wesentliche Elemente des Verfahrens zu einer Betreuerbestellung. Gegenstand ist sowohl die Frage der Erforderlichkeit der Anhörung eines Betroffenen für die (vorläufige) Bestellung eines Betreuers, als auch die Betreuerauswahl. Den Ausführungen des BGH ist im Ergebnis zuzustimmen, da durch den Beschluss zusätzliche Klarheit für die Praxis geschaffen wird und die Argumentation inhaltlich überzeugt.

 

Das gilt zunächst für die Erforderlichkeit der Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht. Hierzu stellt der 12. ZS klar, dass für die Frage einer ausnahmsweisen Entbehrlichkeit einer Anhörung danach zu unterscheiden ist, ob das Betreuungsgericht den Betroffenen im Hauptsacheverfahren oder nur im Verfahren der Einstweiligen Anordnung angehört hat.

 

  • Ist durch das Betreuungsgericht von einer Anhörung im Hauptsacheverfahren bereits abgesehen worden, dürfte für das Beschwerdegericht nur noch ganz ausnahmsweise die Möglichkeit bestehen, seinerseits auf eine Anhörung zu verzichten. Dies ist zwar im Ergebnis zu begrüßen. Eine solche Ausnahme ist indes praktisch kaum denkbar. Der BGH verzichtet in seiner Begründung auch darauf, hierfür Fallbeispiele o. Ä. anzuführen. Es wäre daher im Ergebnis noch klarer gewesen, wenn er dies gänzlich ausgeschlossen hätte.

 

  • Jedenfalls aber dann, wenn die Anhörung im Einstweiligen Anordnungsverfahren seitens des Betreuungsgerichts durch einen ersuchten Richter erfolgt ist, muss das Beschwerdegericht den Betroffenen zwingend selber anhören. Dies folgt auch zwingend aus § 278 FamFG, der den Ausnahmecharakter eines möglichen Verzichts auf eine persönliche Anhörung durch eine abschließende Nennung dahingehender Konstellationen verdeutlicht. Für die Betreuungspraxis insgesamt wäre zu wünschen, dass die Betreuungs- und Beschwerdegerichte die Möglichkeit zu einem Absehen von einer Anhörung des Betroffenen auch so restriktiv handhaben würden, wie der Gesetzgeber dies zum Ausdruck hat.

 

Zudem unterstreicht der BGH die Bedeutung des § 1897 BGB für die Betreuerbestellung. Dieser legt den Maßstab für die Betreuerauswahl für den gesamten Instanzenzug fest. Macht der Betroffene in diesem Rahmen den Vorschlag einer geeigneten Betreuungsperson, ist diese zu bestellen. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Quelle: Ausgabe 08 / 2020 | Seite 130 | ID 46602068