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· Fachbeitrag · Betreuung

Diese Voraussetzungen hat der Strafantrag bei Betreuung und Vorsorgevollmacht

von RA Thomas Stein, FA Familien- und Erbrecht, Limburg

| In allen Medien häufen sich die Nachrichten, dass Senioren ganz oder teilweise um ihr Vermögen gebracht werden. Nur in Extremfällen scheinen dabei begangene Straftaten auch geahndet zu werden. Dies hat verschiedene Ursachen. Wird die Tat z. B. durch Angehörige begangen, fordert das materielle Strafrecht ausdrücklich als Verfolgungsvoraussetzung einen wirksamen Strafantrag. Ohne diesen gibt es keine Verfolgung. Bereits eingeleitete Ermittlungsverfahren sind einzustellen. |

1. Strafantrag muss innerhalb von 3 Monaten gestellt werden

Es liegt auf der Hand, dass viele Senioren vor einem Strafantrag gegen eigene Angehörige zurückschrecken, sei es aus Scham, Angst oder einem Bündel an Motiven. Wird doch einmal der erforderliche Strafantrag gestellt, dann ist als nächstes Hindernis die Dreimonatsfrist des § 77b Abs. 1 StGB einzuhalten. Dies ist eine Ausschlussfrist. Wird sie versäumt, gibt es keine Heilungsmöglichkeit. Die Frist beginnt gemäß § 77b Abs. 2 StGB mit Ablauf des Tages, an dem der Geschädigte von der Tat und der Person des Täters Kenntnis erlangt hat. In Fällen, in denen der Geschädigte unter Betreuung oder Sorgerecht steht, kommt es auf die Kenntnis des jeweiligen gesetzlichen Vertreters an.

2. Betreuer muss zum Strafantrag berechtigt sein

Bei bestehender Betreuung stellt sich als nächstes Problem die Frage, wann ein Betreuer zum Strafantrag berechtigt ist, oder anders gewendet, welcher Aufgabenkreis hierfür übertragen sein muss.

 

Dabei ist zweifelhaft, ob die Aufgabenkreise „Vertretung gegenüber Behörden“ und/oder „Vermögenssorge“ ausreichen (Böhm, FamRZ 14, 1827). Der BGH (29.7.14, 5 StR 46/14 = FamRZ 14, 1697) hat auf eine ausdrückliche Zuweisung der Strafantrags-Befugnis verzichtet. Ihm genügten die Aufgabenkreise Vermögenssorge und Vertretung gegenüber Ämtern und Behörden. Ob dies alle Gerichte so sehen, erscheint durchaus zweifelhaft (so auch Böhm a. a. O. S. 1831). Wird es im Zusammenhang mit einer Angehörigenstraftat notwendig, einen Betreuer zu bestellen, sollte die Strafantrags-Befugnis im Bestellungsbeschluss daher explizit aufgeführt werden. Dann bleibt für Zweifel kein Raum.

3. Antragsrecht erlischt meist mit Tod des Geschädigten

Das nächste Problem kommt mit § 77 Abs. 2 StGB. Danach erlischt das Antragsrecht bei Tod des Geschädigten. Eine Ausnahme gilt nur, wenn es in gesetzlich vorgesehenen, bestimmten Fällen auf Angehörige übergeht.

 

Droht der Geschädigte alsbald zu versterben, ist ggf. ein Betreuer im Wege einstweiliger Anordnung zu bestellen oder der Betreuungsrichter muss selbst gemäß § 1908i Abs. 1, 1946 BGB die Anzeige erstatten.

4. Widersprüche zwischen Geschädigtem und Betreuer

Unter Betreuung stehende Personen können durchaus noch geschäftsfähig oder zumindest einwilligungsfähig sein. Davon geht sogar das Gesetz aus, der Einwilligungsvorbehalt ist die Ausnahme.

 

Wie aber ist die Rechtslage, wenn solche Personen eine dem Strafantrag des Betreuers widersprechende Erklärung abgeben oder zum Beispiel den Strafantrag gänzlich zurückziehen (§ 77d StGB)? Hier wird sowohl vertreten, die Entscheidung des Betreuers habe Vorrang, als auch diejenige der unter Betreuung stehenden Person (Böhm, a. a. O, S. 1829, linke Spalte unten). Böhm weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass in dem hier behandelten Bereich Straf- und Betreuungsrecht nicht aufeinander abgestimmt sind. Nach seiner Auffassung ist dem jüngeren Betreuungsrecht der Vorzug zu geben.

5. Beginn der Antragsfrist

§ 77b Abs. 2 StGB regelt die Problematik der Antragsfrist. Diese beginnt mit der Kenntnis des Geschädigten von der Tat und der Person des Täters zu laufen.

 

  • Bei Betreuung oder bestehendem Sorgerecht kommt es auf die Kenntnis der gesetzlichen Vertreter an. Der (Vorsorge-)Bevollmächtigte ist kein gesetzlicher Vertreter, seine Kenntnis ist nicht maßgeblich. Daher soll die Frist bei solchen Geschädigten erst zu laufen beginnen, wenn der erforderliche Betreuer bestellt ist.

 

  • Zu diesem kann natürlich auch der bisherige Bevollmächtigte bestellt werden. Seine vorherige Kenntnis aus der Zeit der Bevollmächtigung ist dann nicht schädlich.

 

Was ist, wenn der Geschädigte aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen den Strafantrag nicht stellen kann, aber Kenntnis hat? Hier legt die wohl herrschende Meinung den Wortlaut des § 77b Abs. 1 StGB dahingehend aus, dass dann das Merkmal „es unterlässt, den Antrag … zu stellen“ nicht erfüllt ist.

 

Diese Gesetzesauslegung ist auf eine alte Entscheidung des BGH zurückzuführen (BGH, BGHSt 2, 124). Der BGH hatte dort entschieden, dass ein Geschädigter den Strafantrag erst nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft stellen kann. Weil er vorher gar nicht dazu in der Lage war, liege kein Unterlassen vor. Aktuelle Verhinderungsgründe sind eher Geistesschwäche, schwere Krankheit und anderes mehr.

6. Fazit

Der Beitrag macht deutlich, dass es im abgehandelten Bereich und damit bei einer Schnittstelle zwischen Straf- und Betreuungsrecht viele offene Fragen und gesetzliche Lücken durch fehlende Abgestimmtheit gibt.

 

Rechtsprechung zu dieser Schnittstelle gibt es nur vereinzelt. Bei alldem täte gesetzgeberische Abhilfe dringend Not. Das Thema Ausbeutung und Schädigung von Senioren findet immer mehr Verbreitung und hoffentlich die gehörige Aufmerksamkeit.

 

Nach Erfahrungen aus der Praxis werden die dabei auftretenden Probleme zunehmen, denn das Verschwinden von Hemmschwellen und die demografische Entwicklung unserer Gesellschaft halten offenbar Schritt. Ob und wann die Politik sich um Abhilfe bemüht, bleibt abzuwarten, dürfte aber auf jeden Fall, wenn überhaupt, dauern.

 

Trotz aller Probleme gilt es, den Kopf keineswegs in den Sand zu stecken. Es gibt schon jetzt Handlungsanweisungen, die in der Praxis in die Tat umgesetzt werden sollten:

 

  • Bei der Betreuerbestellung kann versucht werden, darauf hinzuwirken, dass das Strafantragsrecht explizit aufgeführt wird, um alle Unklarheiten zu vermeiden.

 

  • In Vorsorgevollmachten sollte das Strafantragsrecht ausdrücklich eingeräumt werden. Bestehende Vorsorgevollmachten kann man entsprechend ergänzen, sie müssen keineswegs neu verfasst werden.

 

  • Betroffene und Beteiligte, also Geschädigte selbst, Betreuer und/oder Bevollmächtigte sollten in einschlägigen Fällen schnell handeln und sich von möglichen Tätern auf keinen Fall hinhalten lassen. Die gesetzlichen Vorgaben im Strafrecht sind streng einzuhalten, schon bei geringen Versäumnissen können die Täter die Profiteure sein.

 

  • Das Umfeld von Senioren sollte wachsam und bei den geringsten Anzeichen von Handlungen zum Nachteil von Senioren auf der Hut sein. Es sollte die nötigen Schritte unternehmen, um die Senioren zu schützen. Dies gilt insbesondere auch für Bankmitarbeiter. Diese müssen z. B. skeptisch werden, wenn bis dato völlig unauffällig lebende Senioren auf einmal vier- oder gar fünfstellige Beträge in bar ausgezahlt wissen wollen.
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Weiterführende Hinweise

  • Ärztlicher Behandlungsfehler: Was tun? Giessler, SR 14, 69
  • Schutz vor unfairer Einflussnahme auf das Erbe: Heinzelmann, SR 13, 30
  • Hierauf müssen Sie achten, wenn der Betreuer die Bezugsberechtigung ändern will: BGH SR 20, 10
Quelle: Ausgabe 03 / 2020 | Seite 50 | ID 46348281