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· Fachbeitrag · Lebensgemeinschaft

Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Kindes bei nichtehelichem Zusammenleben

von RiOLG Dr. Dagny Liceni-Kierstein, Berlin/Brandenburg

| Immer mehr Menschen leben ohne Trauschein zusammen. Häufig gibt es auch gemeinsame Kinder. Ein solches Zusammenleben beeinflusst ‒ wie bei Verheirateten ‒ die Höhe der Leistungsfähigkeit der Lebenspartner, wenn sie für den Unterhalt der eigenen Eltern aufkommen sollen. Der nicht unterhaltspflichtige Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist dann oft noch weniger bereit, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu offenbaren, als dies bei Verheirateten der Fall ist. Das kann zum „Eigentor“ mit unerwünschten Konsequenzen werden. |

1. Ausgangsproblematik

In der Praxis gibt es immer wieder Probleme mit den Berechnungen der Leistungsfähigkeit für Elternunterhalt bei nichtehelichen Partnerschaften.

 

  • Beispiel

M lebt in einem Pflegeheim. Weil sie die Kosten selbst nicht decken kann, erhält sie ergänzende Leistungen der Sozialhilfe. Deshalb wird ihre einzige Tochter T zur Auskunft über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse aufgefordert. Nach den Berechnungen des Sozialhilfeträgers erzielt sie bereinigte Erwerbseinkünfte von monatlich 1.900 EUR.

 

T lebt seit längerer Zeit mit ihrem Lebensgefährten L zusammen. Auf Nachfrage des Sozialhilfeträgers S erklärt sie unter Hinweis auf eine Auskunftsverweigerung des L, keine zuverlässigen Angaben über dessen Einkommensverhältnisse machen zu können. S errechnet deshalb anhand der ihm vorliegenden Unterlagen sowie im Hinblick auf das Zusammenleben mit L eine Leistungsfähigkeit der T von monatlich 154 EUR. T lehnt dies mit der Begründung ab, sie habe keine Einblicke in die wirtschaftlichen Verhältnisse des L und schulde daher keine Auskunft. Man habe getrennte Konten und jeder wirtschaftliche auch für sich. Angesichts ihrer geringen Einkünfte könne ohnehin nicht von Kostenersparnissen durch das Zusammenleben ausgegangen werden. Frage: Wer hat Recht?

 

2. Grundlagen des Familienselbstbehalts

Ist das unterhaltspflichtige Kind verheiratet und lebt mit seinem Ehegatten zusammen, ist für die Berechnung der Leistungsfähigkeit des Kindes auch das Einkommen seines Ehegatten maßgeblich. Dieses muss konkret berechnet werden. Der den Ehegatten zuzubilligende Familienselbstbehalt bemisst sich seit dem 1.1.15 auf mindestens (1.800 EUR + 1.440 EUR =) 3.240 EUR. Die Zubilligung dieses sog. Sockelselbstbehalts beruht auf der Prämisse, dass das zum Elternunterhalt verpflichtete Kind verheiratet ist, die Ehegatten zusammenleben und sich wechselseitig (Familien-) Unterhalt schulden.

 

MERKE | Ein mit seinem Ehegatten zusammenlebendes Kind kann nach der vom BGH entwickelten Berechnungsmethode auch dann auf Zahlung von Elternunterhalt in Anspruch genommen werden, wenn sein Einkommen unterhalb des Selbstbehaltssatzes für sich allein von 1.800 EUR liegt (z. B. bei monatlich nur 1.000 EUR). Dafür muss sein Lebensunterhalt aber durch einen Anspruch auf Familienunterhalt gegenüber dem anderen Ehegatten sichergestellt sein.

 

Für eine solche indirekte Beteiligung eines Schwiegerkindes am Elternunterhalt, ‒ die in Rechtsprechung und Literatur immer wieder auf Kritik stößt ‒ ist bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften von vornherein kein Raum.

 

3. Keine Gleichstellung mit Ehegatten

Lebt das unterhaltspflichtige Kind in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, ist den Partnern kein Familienselbstbehalt zuzubilligen. Denn anders als für Ehegatten bestehen zwischen ihnen grundsätzlich keine Unterhaltspflichten. Ausnahme: Anspruch auf Betreuungsunterhalt nach § 1615l BGB für ein gemeinsames minderjähriges Kind.

 

Die §§ 1360, 1360a BGB sind weder unmittelbar noch analog anwendbar. Es gibt auch keinen ungeschriebenen Grundsatz, dass einander persönlich nahestehende Personen aufgrund ihres Zusammengehörigkeitsgefühls nach einer längeren Zeit des Zusammenlebens eine sittliche Verpflichtung zum wechselseitigen Unterhalt haben. Deshalb hat der nichteheliche Partner auch keinen Taschengeldanspruch gegen den anderen, mit dem ein Ehegatte nach der BGH-Rechtsprechung u. U. zum Elternunterhalt beitragen kann.

 

Zwischenergebnis: Da die T im Beispielsfall nicht verheiratet ist, kann ihr im Rahmen des Elternunterhalts im Ausgang nur der Sockelbetrag für Alleinstehende von 1.800 EUR als Selbstbehalt zugebilligt werden.

4. Unterhaltsberechnung bei gemeinsamer Haushaltsführung

Durch die gemeinsame Haushaltsführung mit einem Partner treten erfahrungsgemäß häusliche Ersparnisse (Synergieeffekte) ein. Bei einem Zusammenleben des unterhaltspflichtigen Kindes mit einem Partner und die damit verbundene wirtschaftliche Entlastung ist deshalb im Regelfall von seiner größeren Leistungsfähigkeit auszugehen. Nach der Rechtsprechung des BGH gilt dies unabhängig davon, ob die Partner miteinander verheiratet sind oder nichtehelich zusammenleben. Die Haushaltsersparnis wird im Regelfall mit 10 Prozent des Selbstbehalts veranschlagt. Diese Höhe der häuslichen Ersparnis hat der BGH aus dem Sozialrecht (§ 20 Abs. 3 SGB II) abgeleitet.

 

MERKE | Bei einem verheirateten unterhaltspflichtigen Kind wird der Haushaltsersparnis durch die unterschiedlichen Selbstbehaltssätze der Ehegatten ‒ seit 2015: 1.800 EUR + 1.440 EUR = 3.240 EUR ‒ Rechnung getragen. Außerdem ist von dem über 3.240 EUR hinausgehenden Mehreinkommen eine Haushaltsersparnis von 10 Prozent abzusetzen und sodann die Hälfte des sich ergebenden Betrags dem Familiensockelselbstbehalt zuzurechnen. Der sich daraus errechnende Gesamtbetrag stellt den individuellen Familienselbstbehalt dar.

 

Mit Blick auf diese Rechtsprechung des BGH zur Haushaltsersparnis machen es sich die Sozialhilfeträger in der Praxis oft sehr einfach. Sobald sie von einem nichtehelichen Zusammenleben des unterhaltspflichtigen Kindes mit einem Partner Kenntnis erhalten (wobei sie häufig in ihrem Fragebogen danach ausdrücklich fragen), setzen sie pauschal 10 Prozent vom Sockelselbstbehalt ab. Mit der Hälfte des Betrags, der den gekürzten Selbstbehalt übersteigt, bemessen sie die Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Kindes.

 

Im Beispielsfall würde der Sozialhilfeträger danach die Leistungsfähigkeit der T wie folgt berechnen:

 

  • Unterhaltsberechnung

Einkommen

1.900 EUR

minus Selbstbehalt

(1.800 EUR Selbstbehalt gekürzt um 180 EUR = 10 Prozent wegen Haushaltsersparnis)

1.620 EUR

verbleiben

280 EUR.

davon 1/2 ergibt

140 EUR.

 

Diese vereinfachende Berechnungsweise ist jedoch fehlerhaft.

 

In der Praxis muss das unterhaltspflichtige Kind trotz einer grundsätzlich bestehenden Abneigung im eigenen Interesse zu den Einkommensverhältnissen seines Lebensgefährten vortragen, wenn es eine falsche Berechnung seiner Leistungsfähigkeit vermeiden will. Im Beispielsfall sind für die Berechnung der Leistungsfähigkeit der gegenüber M grundsätzlich unterhaltspflichtigen T 3 verschiedene Fallkonstellationen zu unterscheiden:

 

a) Der Lebensgefährte erzielt kein eigenes Einkommen

Von dem Nettoeinkommen der T von 1.900 EUR ist der volle ihr gegenüber M zustehende Selbstbehalt für Alleinstehende abzuziehen. Von dem Resteinkommen von (1.900 EUR ‒ 1.800 EUR =) 100 EUR ist die eine Hälfte ihrem Selbstbehalt zuzurechnen. Für T ergibt sich damit ein individueller Selbstbehalt von (1.800 EUR + 50 EUR =) 1.850 EUR. Für den Elternunterhalt kann T dann nur noch die verbleibenden 50 EUR einsetzen. Eine Haushaltsersparnis kann nicht berücksichtigt werden, weil der Lebensgefährte kein eigenes Einkommen hat. T wird also durch ihn wirtschaftlich nicht entlastet.

 

b) Der Lebensgefährte erzielt geringe Einkünfte

Erzielt der Lebensgefährte eigene Einkünfte, die jedoch unter dem Betrag liegen, der bei Ehegatten dem gekürzten Selbstbehalt (von 1.440 EUR) entspricht, oder allenfalls gering überschreitet, dann bleibt es bei der vorstehenden Berechnung der Leistungsfähigkeit der T.

 

Auch hier treten für T durch das Zusammenleben jedenfalls unterhaltsrechtlich keine Haushaltsersparnisse ein, die ihre Leistungsfähigkeit erhöhen könnten. Die geringen Einkünfte des Lebensgefährten führen dazu, dass T auch in diesem Fall nur in Höhe von (1.900 EUR ‒ 1.850 EUR =) 50 EUR zur Zahlung von Elternunterhalt in der Lage ist.

 

PRAXISHINWEIS | Die T trägt die volle Darlegungs- und Beweislast für eine Begrenzung ihrer Leistungsfähigkeit im Rahmen von § 1603 BGB. Will sie die vom Sozialhilfeträger (meistens automatisch) vorgenommene pauschale Kürzung ihres Selbstbehalts aufgrund ihres Zusammenlebens mit einem Partner verhindern, muss sie im eigenen Interesse auch zu den Einkommensverhältnissen ihres Lebensgefährten substanziiert vortragen.

 

Sie muss die Einkommensverhältnisse belegen, falls ihr eigener Selbstbehalt von 1.800 EUR zusammen mit dem Einkommen des Lebensgefährten nicht den Betrag des Familiensockelselbstbehalts für Verheiratete in Höhe von (1.800 EUR + 1.440 EUR =) 3.240 EUR übersteigt. Der Sozialhilfeträger muss nicht von sich aus Nachforschungen hierzu betreiben und wird es im Regelfall auch nicht tun.

 

c) Der Lebensgefährte erzielt Einkünfte über dem Ehegattenselbstbehalt

Sofern das Einkommen des Lebensgefährten der T den Betrag übersteigt, der bei Ehegatten dem gekürzten Selbstbehalt (von 1.440 EUR) entspricht, sich also beispielsweise auf 1.600 EUR beläuft, so kommt eine Ersparnis durch die gemeinsame Haushaltsführung zum Tragen. Der Selbstbehalt für Alleinstehende von 1.800 EUR, der der T grundsätzlich zuzubilligen ist, wird zunächst um 10 Prozent gekürzt. Es verbleibt ein Resteinkommen der T von (1.900 EUR ‒ 1.620 EUR =) 280 EUR.

 

Auch hiervon ist nach der Rechtsprechung des BGH eine Haushaltsersparnis von 10 Prozent abzusetzen. Das Mehreinkommen der T reduziert sich dadurch auf (280 EUR ‒ 28 EUR =) 252 EUR. Hiervon 1/2 ergibt 126 EUR. Der individuelle Selbstbehalt der T ist folglich mit 1.620 EUR + 126 EUR = 1.746 EUR zu bemessen.

 

Im Ergebnis kann T hier für ihre Mutter Elternunterhalt in Höhe von monatlich (1.900 EUR ‒ 1.746 EUR =) 154 EUR leisten.

 

PRAXISHINWEIS | Ein leistungsfähiger Partner im vorstehenden Sinn kann nicht nur ein Lebenspartner sein. In Betracht kommen auch volljährige Kinder oder sonstige Dritte, wenn durch eine häusliche Gemeinschaft und eine gemeinsame Haushaltsführung Ersparnisse (Synergieeffekte) eintreten. In der unterhaltsrechtlichen Praxis spielen diese Fallkonstellationen allerdings bislang keine Rolle, zumal der Sozialhilfeträger nur selten zuverlässige Kenntnis hiervon erlangt.

 

Im Ergebnis wird die Leistungsfähigkeit der T unmittelbar durch das Einkommen ihres Lebenspartners beeinflusst. Daher liegt es in ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse, hierzu konkret vorzutragen, sofern die bereinigten Monatseinkünfte des Lebenspartners gering sind und den Betrag von 1.440 EUR nicht übersteigen.

 

Weiterführender Hinweis

  • Ausführlich zur differenzierten Behandlung von Verheirateten und nichtehelichen Lebensgemeinschaften, Liceni-Kierstein, SR 16, 83
Quelle: Ausgabe 11 / 2017 | Seite 189 | ID 44950424