· Fachbeitrag · Umsatzsteuer
Umsetzung der „Quick Fixes“ im JStG 2019: Das müssen Sie jetzt im Blick haben!
von Georg Nieskoven, Troisdorf
| Mit Kabinettsentwurf vom 31.7.19 hat die Bundesregierung die sog. Quick Fixes zum 1.1.20 auf die Zielgerade gebracht und ist damit EU-Vorgaben nachgekommen. Neben verschärften Voraussetzungen für die Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen (ig.L.) muss man sich auf grundlegende Änderungen bei Reihengeschäften und bei Umsätzen über Konsignationslager einstellen. Doch nicht alles wurde komplett auf den Kopf gestellt. So bleibt z. B. der bisherige Belegnachweis nach altem Recht weiterhin möglich. |
1. EU-Vorgaben: Umsetzung der Quick Fixes
Nach jahrelangem Reformstau haben erst die drastisch gestiegenen Steuerausfälle von zuletzt jährlich um die 50 Mrd. dazu geführt, dass sich die EU-Staaten zu „ersten kleinen Sofortmaßnahmen“ zur Bekämpfung des USt-Betrugs durchringen konnten. Diese Quick Fixes platzierte die EU teilweise in der MwStSystRL, die damit erst durch ihre Umsetzung in innerstaatliches Recht wirksam werden und in Deutschland entsprechender UStG-Korrekturen bis zum 31.12.19 bedürfen. Soweit die Reformen dagegen in die geänderte „MwSt-Durchführungsverordnung“ (DVO 282/2011) eingeflossen sind, sind sie in allen EU-Staaten sofort unmittelbar anzuwenden (Art. 288 Abs. 2 AEUV).
2. EU-einheitliche Regelung von „Reihengeschäften“
Reihengeschäfte sind im deutschen Recht bekanntlich bereits in § 3 Abs. 6 u. 7 UStG geregelt. Diese Regelung war jedoch zum einen lückenhaft, da sie nur Zuordnungsprobleme hinsichtlich der Warenbewegung für sog. mittlere Unternehmen klärte. Zum anderen endete ihre Wirkung an der deutschen Grenze, da die MwStSystRL etwas Vergleichbares nicht kannte. Somit bestand bei grenzüberschreitenden Reihengeschäften keinerlei Rechtssicherheit. Einigkeit herrschte auf EU-Ebene lediglich darin, dass die Exportsteuerbefreiung für ig.L. (§ 6a UStG) nur dem Unternehmen gewährt werden könne, dem die einheitliche Warenbewegung zuzuordnen sei. Von welchen Kriterien diese Zuordnung abhängt, war selbst in der deutschen Besteuerungspraxis höchst umstritten. So stellte der BFH zuletzt ‒ nach mehreren EuGH-Entscheidungen (z. B. C-430/09) und entgegen dem BMF ‒ nicht mehr darauf ab, wer den Transport veranlasst hatte, sondern wann bzw. wo die Verfügungsmacht an der Ware verschafft wurde (z. B. BFH XI R 30/13).
2.1 EU-Vorgaben und Umsetzung im neuen § 3 Abs. 6a UStG
Dieses „Steuerchaos“ hat die EU nun durch erstmalige Kodifizierung der Reihengeschäftsproblematik in Art. 36a MwStSystRL beendet. Darin ist mit Wirkung ab 1.1.20 geregelt, wann die Warenbewegung „in Fällen der Transportveranlassung durch einen mittleren Unternehmer“ entweder dessen Eingangslieferung oder dessen Ausgangslieferung zuzuordnen ist (und damit als igL potenziell steuerbefreit sein kann).
Im neuen § 3 Abs. 6a UStG wird der „mittlere Unternehmer“ nun gesetzlich als „Zwischenhändler“ bezeichnet. Und wie bisher ist der Transport des Zwischenhändlers grundsätzlich dessen empfangener Eingangslieferung zuzuordnen, es sei denn, er weist nach, dass er „als Lieferer transportiert“ hat (S. 4). Während die Form dieses „Nachweises“ bislang nicht gesetzlich geregelt war, und die Finanzverwaltung hierfür in A. 3.14. Abs. 9 u. 10 UStAE eine komplizierte Gesamtbetrachtung anhand der Lieferkonditionen (Tragung des Warenuntergangsrisikos) und des USt-IdNr.-Auftritts anstellte, hat die EU diesen Punkt in Art. 36a MwStSystRL für „innergemeinschaftliche Reihengeschäfteb“ ab 2020 radikal vereinfacht:
MERKE | Künftig kommt es in diesen Fällen nur noch auf den „USt-IdNr.-Auftritt“ des Zwischenhändlers an: Tritt dieser (bis zum Zeitpunkt des Transportbeginns) gegenüber seinem Lieferanten mit einer aus dem Ausgangsstaat (also dem Land des Transportbeginns) stammenden USt-IdNr. auf, so wird der Transport automatisch seiner Ausgangslieferung zugeordnet (S. 5) ‒ jegliche sonstige Zuordnungskriterien oder Nachweise entfallen. Dies führt künftig zu einem sinnvollen und durch die Beteiligten leicht steuerbaren Ergebnis. |
Der deutsche Gesetzentwurf sieht zudem eine (im EG-Recht leider unterlassene) Klarstellung vor: Im Sinne der bisherigen Sichtweise des BMF (A. 3.14. Abs. 8 S. 1 bis 2 UStAE) wird danach beim Transport durch Erstlieferer bzw. Letztabnehmer die Warenbewegung der Ausgangslieferung des Erstlieferers bzw. der Eingangslieferung des Letztabnehmers zugeordnet.
Beachten Sie | Diese gesetzliche Regelung ist zwar zu begrüßen, sie könnte sich aber bei innergemeinschaftlichen Reihengeschäften als wirkungslos erweisen. Denn die EU hat eine vergleichbare Klarstellung in Art. 36a MwStSystRL für diese Fälle (Transportveranlassung durch Erstlieferer/Letztabnehmer) unterlassen, sodass andere EU-Staaten bei ig. Reihengeschäften weiterhin zu einer von § 3 Abs. 6a S. 2 u. 3 UStG abweichenden Beurteilung kommen könnten. Streitigkeiten bleiben daher vorprogrammiert, denn „unstreitig“ ist das schlichte Abstellen auf die Transportverantwortung keineswegs. Der EuGH hat jüngst erst das Kriterium der Transportverantwortung abgelehnt und vielmehr auf Zeitpunkt und Ort der Übertragung der Verfügungsmacht an der Ware abgestellt (EuGH 21.2.18, C-628/16, Rz. 32-38).
2.2 „Drittlands-Reihengeschäfte“
Auch bei Reihengeschäften in das/aus dem Drittland existieren im UStG bislang keine Regelungen. Auch der neue Art. 36a MwStSystRL sagt hierzu nichts. Diese Fälle sollen rein national nun aber durch den neuen § 3 Abs. 6a UStG gleich wie folgt „mitgeregelt“ werden:
Transportiert der Erstlieferer bzw. der Letztabnehmer die Ware, so wird durch § 3 Abs. 6a S. 2 u. 3 UStG künftig auch für Drittlandsfälle klargestellt, dass damit die Ausgangslieferung des Erstlieferers bzw. Eingangslieferung des Letztabnehmers als die „bewegte“ Lieferung zu gelten hat. Ist dagegen ein Zwischenhändler für die Ware transportverantwortlich, so ist dessen Transport gem. § 3 Abs. 6a S. 4 UStG grundsätzlich dessen Eingangslieferung zuzuordnen, solange er nicht nachweist, dass er dabei „als Lieferer“ agiert hat.
PRAXISTIPP | Für Exporte ins Drittland gilt dieser Nachweis nach § 3 Abs. 6a S. 6 UStG als erbracht, wenn der Zwischenhändler gegenüber seinem Vorlieferanten bis zum Zeitpunkt des Transportbeginns mit einer deutschen USt-IdNr. ‒ oder Steuernummer (!) ‒ aufgetreten ist. Für Importe aus dem Drittland genügt es nach Satz 7, wenn die Anmeldung der Ware zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr im Namen des Zwischenhändlers oder bei indirekter Stellvertretung für dessen Rechnung erfolgte. |
3. Erleichterte Besteuerung bei Konsignationslagern
Bei deutschen Fertigungsunternehmen ist die Belieferung über Konsignationslager für die Produktion nicht mehr wegzudenken. Dabei lagert der Zulieferer seine Komponenten in ein solches Lager mit der Abrede ein, dass der Abnehmer die für seine Fertigung benötigten Teile nach Bedarf selbstständig aus dem Lager entnehmen darf und das Eigentum an den Teilen erst mit der Entnahme auf ihn übergeht. Demnach gilt auch die Lieferung des Zulieferers ‒ wegen der Anknüpfung an Zeitpunkt und Ort der Verschaffung der Verfügungsmacht ‒ erst am inländischen Entnahmeort als ausgeführt.
PRAXISTIPP | Damit erbringt der Zulieferer ‒ anders als bei seinen früheren grenzüberschreitenden „Direktlieferungen“ ‒ mit seinen Einlagerungen ig. Verbringens- und Erwerbsumsätze und hat die Warenentnahmen des Abnehmers gem. § 3 Abs. 7 UStG im Bestimmungsland der USt zu unterwerfen. Dafür muss er sich dort umsatzsteuerlich registrieren lassen, mit deutscher USt fakturieren und seinen steuerlichen Deklarationspflichten nachkommen. |
Während Deutschland von ausländischen Zulieferern diese Besteuerung bei inländischen Lagern strikt einforderte, sahen viele andere EU-Staaten besondere Lagerregelungen vor. Dabei wurden Einlagerungs- und Entnahmevorgänge „zusammengefasst als einheitliche ig.L.“ gewertet und damit auf Registrierung und -besteuerung des ausländischen Zulieferers verzichtet (Überblick über ausländische Sonderregelungen: OFD Frankfurt 8.11.18, S 7100a A - 004 - St 110). Diesem Wildwuchs hat die EU nun mit den ab 2020 greifenden Vorgaben eines Art. 17a MwStSystRL ein Ende gesetzt.
Bei der Umsetzung durch den neuen § 6b UStG wird künftig nur noch eine ig.L. zwischen Zulieferer (L) und Abnehmer (A) im Zeitpunkt der Auslagerung angenommen (statt des ig. Verbringens bei Einlagerung mit nachfolgender Inlandslieferung bei Auslagerung). Dafür müssen allerdings folgende Voraussetzungen vorliegen:
3.1 Voraussetzungen dem Grunde nach
- a) Die Ware wird von L ins Lager transportiert und A ‒ dessen Name und Anschrift dem L zum Zeitpunkt des Transportbeginns bekannt sind ‒ hat an der Lagerware ein vertragliches Entnahmerecht.
- b) L hat im Lagerstaat weder Unternehmenssitz noch feste Niederlassung.
- c) A hat dem L vor Transportbeginn seine USt-IdNr. des Lagerstaats mitgeteilt.
- d) L führt ein „Lagerregister“, in dem er die ein- wie ausgelagerten Gegenstände konkret/identifizierbar (mit Abnehmer-USt-IdNr.) aufführt, und deklariert den Vorgang in seiner „zusammenfassenden Meldung“ (ZM) i. S. d. neuen § 18a Abs. 7 Nr. 2a UStG.
- e) Die Ware verbleibt bis zur Auslagerung max. zwölf Monate im Lager.
3.2 Zahlreiche Sonderregelungen
Sind die o. a. Voraussetzungen dem Grund nach erfüllt, sieht § 6b UStG entsprechend der EU-Vorgaben zahlreiche Sonderregelungen vor:
Fristüberschreitung/Untergang: Verbleibt die Ware mehr als zwölf Monate im Lager oder geht sie z. B. durch Diebstahl verloren, so hat L auf den „Überschreitungstag/Verlusttag“ ein ig.V. im Abgangsstaat und den spiegelbildlichen ig.E. im Lagerstaat zu erklären. Entsprechendes gilt, wenn noch vor Warenentnahme eine der o. g. Voraussetzungen entfällt, z. B. weil L nachträglich eine „feste Niederlassung“ im Bestimmungsland begründet.
Austausch des Abnehmers: Wird die Ware innerhalb der zwölf Monate an einen anderen als den ursprünglich vorgesehenen Abnehmer im Bestimmungsland geliefert, so bleibt die Sonderregelung erhalten. Dazu muss allerdings auch der neue Abnehmer alle Voraussetzungen erfüllen und L den Abnehmerwechsel entsprechend aufzeichnen.
Rücktransport: Wird die Ware nicht ausgeliefert, sondern innerhalb der Zwölfmonatsfrist in den Ausgangsstaat rückverbracht, so unterbleiben umsatzsteuerliche Folgen, wenn L dies gesondert aufzeichnet.
Abnehmerverzeichnis: Nach Art. 243 Abs. 3 S. 2 MwStSystRL hat neben dem von L zu führenden „Lagerregister“ auch Abnehmer A ein Verzeichnis zu führen, in dem er die erlangten Waren einzutragen hat. Das Führen dieses „Abnehmer-Verzeichnisses“ taucht jedoch nicht als Voraussetzung für die Lagerregelung in Art. 17a MwStSystRL auf. Dies legt nahe, dass diese Abnehmer-Aufzeichnungen für die Lagerbegünstigung des Zulieferers irrelevant sind. In diesem Sinne wurde diese Aufzeichnungspflicht zwar ergänzend im neuen § 22 Abs. 4g UStG übernommen, findet sich aber im modifizierten Regierungsentwurf des § 6b UStG nicht mehr wieder.
3.3 Praktische Konsequenzen und offene Probleme
3.3.1 Fortbestand der BFH-Sichtweise?
Anders als in diversen anderen EU-Staaten existierte in Deutschland bislang keine Sonderregelung für Konsignationslager. Allerdings hatte der BFH (20.10.16, V R 31/15) erklärt, die grenzüberschreitende Einlagerung von Waren in ein Konsignationslager stelle (ausnahmsweise) bereits dann eine gem. § 6a UStG steuerfreie ig.L. an den Abnehmer dar, wenn bereits bei Transportbeginn dessen Identität feststehe und dieser Abnehmer die Ware zudem bereits verbindlich bestellt oder bezahlt habe. Die Finanzverwaltung war dieser Sichtweise gefolgt (BMF 10.10.17, BStBl I 17, 1442). In diesen Fällen wäre wegen der bereits mit Einlagerung angenommenen ig.L. der neue § 6b UStG womöglich nicht mehr einschlägig (der ja erst im Zeitpunkt der Auslagerung die ig.L. an den Abnehmer verfügt). Es bedarf daher der Klärung, ob diese BFH-Rechtsprechung auch noch nach Inkrafttreten des neuen § 6b UStG zur (kollidierenden) Anwendung kommen soll.
3.3.2 Erste geklärte Auslegungsprobleme
Kurz nach Verabschiedung der „Quick Fixes-Vorgaben“ durch die EU waren diverse Auslegungsfragen aufgetaucht. Hierzu hat der sog. EU-Mehrwertsteuerausschuss nun teilweise Stellung bezogen:
- Im Bereich der Lagerregelung will die EU zur Besteuerungsproblematik der durch Verlust, Zerstörung oder Diebstahl abhanden gekommenen Waren zeitnah eine Bagatell- bzw. Toleranzgrenze definieren, bis zu der trotz Lagerschwund die grundsätzlichen Verbringensfolgen unterbleiben können.
- Zudem wurde geklärt, wann das im Bestimmungsland angesiedelte Lager zur schädlichen „festen Niederlassung“ des Zulieferers wird: Dies soll bereits dann der Fall sein, wenn sich das Lager entweder im Eigentum des Zulieferers befindet (selbst wenn es an unabhängige Lagerbetreiber vermietet wird) oder der Zulieferer das Lager von Dritten angemietet hat und z. B. an den Betreiber untervermietet. Demnach wird selbst bei „vermeintlichen Fremdlagern “ die Anwendbarkeit der Neuregelung oft bereits dem Grunde nach ausscheiden.
4. Verschärfte Voraussetzungen für Steuerbefreiung bei ig.L.
Nach der derzeitigen Systematik gilt bei grenzüberschreitenden B2B-Lieferungen (grundlegende Veränderungen ab 2022 geplant!) die „Bestimmungslandbesteuerung“ durch ig.E., während eine Besteuerung der Lieferung im Ursprungsland unterbleibt (steuerbefreite ig.L. nach § 6a UStG). Eine „Überwachung“ des Erwerbers ist für den Fiskus hier nur durch Datenmeldungen des Lieferers über Liefervolumen und seine Kunden möglich ‒ was eine Erwerber-USt-IdNr. zwingend erforderlich macht.
MERKE | Nun hatte aber der EuGH geurteilt, die Aufzeichnung der Erwerber-USt-IdNr. durch den Lieferer sei lediglich „Nachweisformalie“, nicht aber Voraussetzung für die Steuerbefreiung des § 6a UStG. Deren Fehlen könne somit nicht zur Versagung der Steuerbefreiung führen (EuGH 27.9.12, C-587/10). Diese systemwidrige Sicht wollten die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung eines funktionsfähigen innergemeinschaftlichen Kontrollsystems nicht hinnehmen, sodass die EU hierzu mit „drittem Quick Fix“ eine Änderung verfügt hat. |
Entsprechend dem ab 2020 modifizierten Art. 138 MwStSystRL sehen auch die §§ 4 Nr. 1b/6a UStG künftig eine Ausdehnung der materiellrechtlichen Voraussetzungen um Aufzeichnungs- u. Deklarationspflichten wie folgt vor:
- Die „Abnehmer-Erfordernisse“ in § 6a Abs. 1 Nr. 2 a) bzw. b) UStG werden ergänzt. Danach müssen die beiden „Abnehmer-Typen“ (Unternehmer/nicht unternehmerische juristische Person) eine in einem anderen Mitgliedstaat für USt-Zwecke erfasste Person sein.
- Zudem fordert die in § 6a Abs. 1 UStG ergänzte Nr. 4, dass der Abnehmer gegenüber dem Lieferer die ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte USt-IdNr. verwendet haben muss.
- Gem. § 4 Nr. 1b UStG n. F. scheidet die Steuerbefreiung der ig. L. aus, wenn der Lieferer seiner Pflicht zur Abgabe vollständiger und zutreffender Zusammenfassender Meldungen (§ 18a UStG) nicht nachgekommen ist.
4.1 Erfordernis von USt-IdNr. und Zusammenfassender Meldung
Für den Exporteur kommt die Steuerbefreiung des § 6a UStG für seine ig.L. ab 2020 nur noch in Betracht, soweit
- der Abnehmer ihm gegenüber unter einer aus einem andere EU-Staat stammenden und am Liefertag gültigen USt-IdNr. aufgetreten ist,
- der Exporteur diese USt-IdNr. ordnungsgemäß aufzeichnet und
- dieser nachfolgend inhaltlich vollständige wie zutreffende ZM-Deklarationen abgibt.
Danach dürfte bereits eine bei Vertragsabschluss noch gültige aber am Lieferstichtag bereits ungültige Empfänger-USt-IdNr. zur Versagung der Steuerbefreiung führen. Da § 4 Nr. 1b UStG nun eine auf den Lieferzeitpunkt zutreffende ZM-Deklaration verlangt, sind regelmäßige „qualifizierte Bestätigungsabfragen“ (§ 18e UStG) zwecks Evaluierung des Abnehmers künftig unverzichtbar. Problematisch ist dabei allerdings der eintretende Zeitverzug. Die für die Steuerbefreiung vorausgesetzte „korrekte ZM-Deklaration“ könnte nämlich bei monatlicher Abgabe von USt-VA, aber quartalsweiser ZM-Abgabe erst bis zu 75 Tage nach der steuerlichen Deklaration vorliegen.
Beachten Sie | Hierzu stellt die jüngste Gesetzesbegründung allerdings klar, dass selbst verspätet abgegebene oder nachträglich korrigierte ZM „für Zwecke der Steuerbefreiung auf den Zeitpunkt des Umsatzes zurückwirken, sodass diesem Zeitverzug keine Relevanz zukommt.
4.2 Sanktionsfolge
Liegen die so verschärften Befreiungsvoraussetzungen nicht vor, so ist die ig.L. der USt zu unterwerfen und dem Abnehmer eine Rechnung mit USt-Ausweis auszustellen. Die FÄ gingen bislang davon aus, dass dem Abnehmer aus einem solchen USt-Ausweis zumindest im Vorsteuervergütungsverfahren der Vorsteuerabzug zu verwehren sei (BMF 16.2.16, BStBl I 16, 239), da die Steuerbefreiungsvoraussetzungen „dem Grunde nach vorlägen“ und es lediglich am „bislang nicht erbrachten Nachweis“ mangele.
PRAXISTIPP | Da es künftig in diesen Fällen an einer materiellrechtlichen Befreiungsvoraussetzung fehlt, wird das BMF an dieser Auffassung nicht mehr festhalten können (so jüngst auch der EU-Mehrwertsteuerausschuss im Working-Paper vom 15.5.19: Art. 4 der RL 2008/9/EU greift nicht). Demnach müsste es beim Abnehmer wegen seines zusätzlichen ig.E. zum „doppelten Vorsteuerabzug“ (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 u. 3 UStG) kommen, der allerdings bei nicht oder nur eingeschränkt vorsteuerabzugsberechtigten Erwerbern zur „verdoppelten Definitivbelastung“ führt. |
4.3 Sanktionsverschonung
Die grundsätzlich bei nicht, unvollständig oder fehlerhaft abgegebener ZM einsetzende Befreiungsversagung greift ausnahmsweise dann nicht, wenn der Exporteur sein Versäumnis „zur Zufriedenheit der zuständigen Behörden ordnungsgemäß begründen kann“ (Art. 138 Abs. 1a Hs. 2 MwStSystRL).
Diese Formulierung klingt nach einer Billigkeitsregelung, die die Finanzbehörden des jeweiligen Nationalstaats nach innerstaatlichem Ermessen gewähren oder versagen können. Dem ist jedoch nicht so, wie die Begründung der EU-Änderungs-RL deutlich macht. Denn danach setzt die Sanktionsverschonung des Art. 138 Abs. 1a Hs. 2 MwStSystRL Folgendes voraus:
- Im ersten Schritt muss der Exporteur nicht nur gutgläubig gewesen sein, sondern auch die kaufmännischen Sorgfaltspflichten beachtet haben. Hierzu wird im Rahmen einer zutreffenden ZM-Deklaration regelmäßig auch die Abklärung des Abnehmerstatus per qualifizierter Bestätigungsabfrage vor Lieferung/Anwendung der Steuerbefreiung gehören.
- Im zweiten Schritt erfordert die „ordnungsgemäße Begründung des Versäumnisses“ auch die zeitnahe Richtigstellung per erstmaliger oder korrigierter ZM.
Beachten Sie | Bei der deutschen Umsetzung von Art. 138 MwStSystRL im UStG wurde die vorstehende „Sanktionsverschonungsklausel“ auf den ersten Blick nicht übernommen; ganz versteckt findet sich aber im novellierten § 4 Nr. 1b S. 2 UStG der „ergänzende Hinweis“, „§ 18a Abs. 10 UStG bleibt unberührt“. Damit macht der Gesetzgeber deutlich, dass auch er von einer „Sanktionsheilbarkeit“ durch nachträgliche Richtigstellung/Ergänzung von bislang unzutreffenden/fehlenden ZM-Daten ausgeht.
Die Vertrauensschutzregelung des § 6a Abs. 4 UStG bleibt von der Gesetzesverschärfung unberührt. Sie betrifft jedoch gänzlich andere Problemfelder; nämlich unzutreffende Sachverhaltsangaben des Abnehmers, deren Unrichtigkeit der Exporteur auch bei Beachtung kaufmännischer Sorgfaltspflichten nicht hätte erkennen können.
4.4 Parallelfolgen für „ig. Verbringen“
Nach dem unveränderten § 6a Abs. 2 UStG gelten die für ig.L geltenden Besteuerungsgrundsätze bei Vorgängen des ig.V. entsprechend. Demnach dürfte ab 2020 auch bei dem „einen Gegenstand zur eigenen Verfügung ins andere EU-Land Verbringenden“ dessen fehlende USt-IdNr. des Bestimmungslandes zur Versagung der Steuerbefreiung führen. Hier tut sich in der Folge allerdings eine noch ungeklärte Vorsteuerlücke auf: Denn während bei „USt-pfl. ig.L.“ die dem Abnehmer in Rechnung gestellte USt von diesem gem. § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG als Vorsteuer geltend gemacht werden kann (s. o.), fehlt für „USt-pflichtige Verbringens-Vorgänge“ bislang eine explizite gesetzliche Abzugsregelung. Ob § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG insofern „analogisierbar“ sein soll, ist bislang noch ungeklärt.
5. Neue Nachweisvermutungen zum ig. Warentransport
Bei ig.L. benötigt der Exporteur fiskalisch nachprüfbare Nachweise darüber, dass die Befreiungsvoraussetzungen erfüllt sind. Insbesondere muss er nachweisen können, dass der Transport der jeweiligen Ware in den anderen EU-Staat stattgefunden hat. Das Unionsrecht enthielt hierzu bislang jedoch keinerlei Vorgaben, wie ein solcher „Belegnachweis“ zum „grenzüberschreitenden Gelangen der Ware“ zu führen sei und überließ dies den Einzelstaaten.
Zumindest für den Nachweis des „grenzüberschreitenden Gelangens der Ware“ hat die EU aber ab 2020 einheitliche Maßstäbe schaffen wollen und führt zu diesem Zweck ab 2020 „Vermutungsregelungen“ ein, unter denen „der Liefergegenstand als in das übrige Gemeinschaftsgebiet transportiert gilt“. Diese Vermutungsregelungen finden sich in Art. 45a der MwSt-DVO und sind damit für alle EU-Staaten sofort anzuwendendes „unmittelbar wirkendes Recht“. Im Regierungsentwurf hat sich der deutsche Gesetzgeber gleichwohl dazu entschlossen, diese Regelungen zur besseren Verständlichkeit zusätzlich in § 17a UStDV zu übernehmen. Das Gesetz unterscheidet zunächst danach, ob die Transportverantwortung beim Exporteur oder Abnehmer lag:
- a) In den sog. „Bring-Fällen“ muss der Exporteur den Nachweis durch zwei sich nicht widersprechende „Transportdokumente“ (z. B. CMR-Frachtbrief, Konnossement, oder Rechnung des Fremdtransporteurs) erbringen. Diese Transportnachweise müssen zwingend von zwei „unterschiedlichen und voneinander unabhängigen Drittbeteiligten“ stammen. Sie dürfen also weder vom Lieferer noch vom Abnehmer ausgestellt werden.
- b) In „Abhol-Fällen“ bedarf es zusätzlich der Vorlage einer besonderen „Gelangensbestätigung“ des Abnehmers. Diese benötigt zwar ‒ im Vergleich zur „deutschen Gelangensbestätigung im bisherigen § 17a Abs. 2 Nr. 2 UStDV ‒ keine Unterschrift des Ausstellers. Sie verlangt dafür aber das konkrete Ankunftsdatum (bislang reichte die Monatsangabe). Zudem sind konkrete Angaben erforderlich zur Identifikation der Person, die die Ware auf Rechnung des Abnehmers entgegengenommen hat. Nach Art. 45a Abs. 1 S. 2 DVO hat der Abnehmer dem Exporteur dieses Dokument spätestens am zehnten Tag des auf die Lieferung folgenden Monats zu übermitteln. Die Folgen einer eventuellen Fristversäumnis des Abnehmers für den Exporteur und dessen Steuerbefreiung sind allerdings ungeklärt.
Beachten Sie | In Bring- wie in Abhol-Fällen kann der Exporteur eines der beiden o. a. „Transportdokumente“ alternativ durch einen „Verbringens- bzw. Ankunftsnachweis“ (z. B. einer Versicherungspolice zum fraglichen Warentransport, der Bestätigung einer „öffentliche Stelle“ zur Warenankunft oder der Quittierung eines Lagerinhabers über die Einlagerung der fraglichen Ware im Bestimmungsland) ersetzen (Art. 45a Abs. 3 b) MwSt-DVO).
FAZIT | Der Gesetzgeber hat die neue „Vermutungsregelung“ in § 17a UStDV implementiert, zugleich aber klargestellt, dass die bisherigen Nachweismöglichkeiten des § 17a UStDV a. F. durch Verschiebung in den neuen § 17b UStDV unverändert erhalten bleiben. Das damit zementierte „Nebeneinander“ beider Regelungen ermöglicht es hiesigen Exporteuren weiterhin, bei ig.L. in andere EU-Staaten mit einer vom Abnehmer ausgestellten „schlichten Gelangensbestätigung bisheriger deutscher Prägung“ den Nachweis zu führen, während die neue EU-Regelung nur „von Dritten“ ausgestellte Bescheinigungen akzeptiert. Die EU-Regelung wirft zudem Auslegungsfragen auf, z. B. wann der Aussteller des ersten Transportnachweises vom Aussteller des zweiten Dokuments „unabhängig“ ist (z. B. transportbescheinigendes Speditionsunternehmen und deren Tochtergesellschaft, die die Einlagerung im Bestimmungsland bescheinigt). Hierzu hat der EU-Mehrwertsteuerausschuss jüngst klargestellt: Parteien seien „nicht unabhängig“, wenn sie „nahe Angehörige“ seien oder in einem USt-Organschaftsverbund stünden. |