· Fachbeitrag · Sozialversicherungsbeiträge
Illegales Beschäftigungsverhältnis: Sozialgericht spricht von Vorsatz, wo fahrlässig gehandelt wurde
von RA Prof. Dr. Carsten Wegner, Krause & Kollegen, Berlin
| Ein illegales Beschäftigungsverhältnis, das zu einer sozialrechtlichen Nettolohnhochrechnung führt, liegt nicht bereits dann vor, wenn die Nichtzahlung von Steuern und Beiträgen zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung aus Anlass („bei“) einer objektiven Verletzung dieser Zahlungspflichten erfolgt. Hinzukommen muss ein vorsätzliches Fehlverhalten eines Unternehmensverantwortlichen. |
Sachverhalt
Streitig ist, ob die Beklagte B von der Klägerin K zu Recht die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen (SVB) von knapp 15.000 EUR verlangen kann. K betreibt ein Bauunternehmen, das auf verschiedenen Baustellen Eisenflechterarbeiten ausgeführt hat. Der tatsächliche Leistungserbringer E hat dafür an K in ungefähr zweiwöchigem Abstand Rechnungen gestellt, bei denen er nach dem Gewicht des verbauten Bewehrungsstahls abrechnete (250 EUR bzw. 275 EUR pro Tonne). Ein schriftlicher Vertrag über die Tätigkeit des E liegt nicht vor. E hat nach seinen Angaben ein Gewerbe als Eisenflechter angemeldet, eigene Angestellte hatte er zum damaligen Zeitpunkt nicht. B behandelt den E als abhängig Beschäftigten und erhebt Sozialbeiträge nach (§ 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI, § 25 Abs. 1 SGB III).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist teilweise begründet (SG Landshut 31.7.18, S 1 R 5060/17, Abruf-Nr. 207128). Nach Auffassung des SG ist B zwar zu Recht von einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung des E ausgegangen. Nicht vom Gesetz gedeckt sei jedoch die Hochrechnung der gezahlten Vergütung auf ein hypothetisches Bruttoarbeitsentgelt.
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann ‒ insbesondere bei Diensten höherer Art ‒ eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert“ sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben Letztere den Ausschlag (BSG 22.6.05, B 12 KR 28/03 R).
Relevanz für die Praxis
Strafrechtliche Sachverhalte sind durch das Merkmal des „Vorsatzes“ gekennzeichnet, denn ohne den Nachweis einer entsprechenden Begehungsweise scheidet eine Strafbarkeit regelmäßig aus (§ 15 StGB).
Vor diesem Hintergrund gewinnt die Entscheidung an Interesse, weil das SG den K auch zur Entrichtung von Säumniszuschlägen gemäß § 24 SGB IV verpflichtet sieht. Denn grundsätzlich ist ein Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte (§ 24 Abs. 2 SGB IV).
Für die Frage, ob unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht vorgelegen hat, soll ‒ so das SG ‒ nicht auf diejenigen Maßstäbe zurückzugreifen sein, die das BSG für die Beurteilung des Vorsatzes i.S. des § 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV entwickelt hat. Maßgebend sei im Ergebnis nur, ob die Unkenntnis des Beitragsschuldners von der Zahlungspflicht vermeidbar war.
Soweit das SG seiner Entscheidung sodann zugrunde legt, dass K die Möglichkeit gehabt hätte, sich über ein Verfahren nach § 7a SGB IV oder eine Anfrage bei der Einzugsstelle (§ 28h SGB IV) die erforderliche Kenntnis zu verschaffen und deshalb den Tatbestand der Fahrlässigkeit i.S. des § 246 Abs. 2 BGB verwirklicht sieht, ist dies aus der strafrechtlichen Perspektive unter mehreren Punkten bedeutsam:
- Zunächst einmal gibt es strafrechtlich keine „Zurechnung“ von Verschulden, sondern dieses muss individuell dem Täter (regelmäßig der Geschäftsführer) nachgewiesen werden.
- Ein Verstoß gegen Erkundigungsmöglichkeiten begründet nicht per se einen ‒ auch strafrechtlichen ‒ Vorsatz.
- Nach Ansicht des BSG (9.11.11, B 12 R 18/09 R) dürfen Säumniszuschläge nur verlangt werden, wenn mindestens bedingter Vorsatz vorliegt; gleichwohl will das SG vorliegend auch Fahrlässigkeit ausreichen lassen.
Abzugrenzen vom Vorsatz sind „sozialrechtliche Fehlbeurteilungen“, die unterhalb einer entsprechenden Delinquenzschwelle liegen. Sie allein rechtfertigen deshalb auch keine Beitragsberechnung nach § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV (fiktive Nettolohnvereinbarung).
Ein Nettoarbeitsentgelt gilt als vereinbart, wenn bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung nicht gezahlt worden sind. Als beitragspflichtiges Arbeitsentgelt gelten in diesem Fall die Einnahmen des Beschäftigten i.S. des § 14 Abs. 1 SGB IV zuzüglich der auf sie entfallenden (direkten) Steuern und des gesetzlichen Arbeitnehmeranteils an den Beiträgen zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung. In der Praxis lohnt es daher aus verschiedenen Gründen, gegen die Annahme eines vorsätzlichen Fehlverhaltens anzukämpfen.