· Privatliquidation
Beihilfe und Schwellenwertüberschreitung: Welche Begründungen werden akzeptiert?

von Dental-Betriebswirtin Birgit Sayn, ZMV, sayn-rechenart.de
| Ein einheitliches Beihilferecht existiert in Deutschland nicht. Vielmehr gibt es auf den Ebenen von Bund, Ländern und Kommunen verschiedene Beihilferichtlinien. Diese stellen schon immer besondere Bedingungen an die Begründung des Steigerungsfaktors. Daneben gibt es eine inzwischen umfangreiche Rechtsprechung zu Einzelfragen bei Schwellenwertüberschreitungen. Dieser Beitrag gibt dazu einen Überblick. |
Die Beihilfe ‒ Sonderfall in der privaten Krankenversicherung
Für Beamte ergibt sich mit Blick auf die private Krankenversicherung eine Besonderheit, denn diese Berufsgruppe ist beihilfeberechtigt. Für die Kosten der Behandlung wird ein Zuschuss ‒ keine komplette Kostenübernahme vom jeweiligen Dienstherrn gewährt. In der Regel werden nur 50 Prozent gewährt (für Ehepartner und Kinder sind es meistens 70 bzw. 80 Prozent). Die restlichen Kosten sind mit einem Beihilfeergänzungstarif einer privaten Krankenversicherung abzudecken.
Überschreiten des Schwellensatzes
Ein Überschreiten des Schwellenwerts ist nur zulässig, wenn Besonderheiten ‒ d. h. Schwierigkeit und Zeitaufwand der einzelnen Leistung sowie die Umstände bei der Ausführung ‒ im jeweils konkreten Behandlungsfall gerade in Abweichung von der großen Mehrzahl der Behandlungsfälle dies rechtfertigen. (Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Bayreuth vom 26.06.2018, Az. B 5 K 17.435).
Die Nennung bloßer verfahrensbezogener Besonderheiten ohne hergestellten Bezug zum individuellen Abrechnungsfall ‒ z. B. „Anwendung der Mehrfarbentechnik“ oder „Verwendung digitaler Röntgentechnik“ ‒ sind zur Begründung ungeeignet. Höhere Investitionskosten dürfen nicht zulasten des Patienten über erhöhte Gebührenfaktoren ausgeglichen werden. Außer Betracht zu bleiben haben auch Bemessungskriterien, die eine erhöhte Schwierigkeit darstellen, aber in der Leistungsbeschreibung bereits berücksichtigt sind (VG München, Urteile vom 01.08.2018, Az. M 17 K 17.5823 und M 17 K 17.5384).
Angemessenheit des Honoraranspruchs
Grundsätzlich gibt es keine unterschiedliche Angemessenheit hinsichtlich des Honoraranspruchs einerseits und der Beihilfefähigkeit andererseits. Angemessen sind regelmäßig die nach § 5 GOZ vom Zahnarzt rechtmäßigerweise anzusetzenden Gebühren. Die Entscheidung der Beihilfestelle, ob die Aufwendungen notwendig und angemessen sind, ist keine Ermessensentscheidung und unterliegt uneingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Kontrolle (VG Hannover, Urteil vom 10.06.2014, Az. 13 A 8167/13).
Begründung für Steigerungssatz nachreichen
Folgende drei Urteile bestätigen, dass Begründungen für Faktorerhöhungen auch nachgereicht werden können:
- Ein Zahnarzt kann die in einer Rechnung erfasste Begründung für das Überschreiten des 2,3-fachen Gebührensatzes auch noch während eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ergänzen, nachholen oder korrigieren (Oberverwaltungsgericht [OVG] Lüneburg, Urteil vom 12.08.2009, Az. 5 LA 368/08).
- Eine Begründung für einen erhöhten Steigerungssatz kann in einer Stellungnahme nachträglich ergänzt werden (VG Köln, Urteil vom 18.03.2013, Az. 19 K 66 12/11).
- Der Zahnarzt kann eine zunächst nur stichwortartige Begründung der Steigerungsfaktoren im späteren Verlauf des Verfahrens nachvollziehbar erläutern (VG Köln, Urteil vom 10.06.2015, Az. 10 K 4705113).
Keine beständige Gültigkeit für fälschlicherweise anerkannte Begründung
Das VG München hat sich eingehend mit Begründungen auseinandergesetzt. Im Verfahren hatte der beihilfeberechtigte Patient darauf hingewiesen, dass frühere Rechnungen mit denselben Begründungen als beihilfefähig anerkannt worden seien. Dazu stellt das Gericht fest: „Eine möglicherweise zu Unrecht gewährte Beihilfe begründet keinen Anspruch des Klägers auf eine erneute Erteilung einer Beihilfe. Ein Vertrauensschutz dahingehend, dass die Beihilfestellen verpflichtet sind, eine als rechtswidrig erkannte Abrechnungspraxis weiterhin durchzuführen, gibt es nicht“ (VG München, Urteil vom 06.04.2020, Az. M 17 K 18.4534).
Beihilfe prüft Schwellenwert
Beihilfestellen und Verwaltungsgerichte können in einem Rechtsstreit prüfen, ob schriftliche Begründungen eines Zahnarztes zur Überschreitung des Schwellenwerts nachvollziehbar und gerechtfertigt sind. Dazu muss nicht vorher eine zahnärztliche Stellungnahme oder ein Sachverständigengutachten eingeholt werden (OVG Niedersachsen, Urteil vom 22.03.2018, Az. 5 LA 102/17).
Beihilfestellen müssen ggf. genauer prüfen
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat festgestellt, dass sich eine Beihilfestelle wegen fehlerhafter Nichtgewährung einer Beihilfe für eine zahnärztliche Behandlung schadenersatzpflichtig machen kann: „Bestehen bei der Festsetzungsstelle Zweifel darüber, ob die in der Begründung dargelegten Umstände den Umfang der Überschreitung des Schwellenwerts rechtfertigen, soll sie die Antragstellerin oder den Antragsteller bitten, die Begründung durch die Ärztin, den Arzt, die Zahnärztin oder den Zahnarzt erläutern zu lassen. Werden die Zweifel nicht ausgeräumt, ist mit Einverständniserklärung der beihilfeberechtigten Person eine Stellungnahme der zuständigen Ärztekammer oder Zahnärztekammer oder einer medizinischen oder zahnmedizinischen Gutachterin oder eines medizinischen oder zahnmedizinischen Gutachters einzuholen“ (BGH, Urteil vom 13.10.2011, Az. III ZR 231/10).
Akzeptierte und nicht akzeptierte Begründungen
In den folgenden Übersichten werden Urteile aufgeführt, die sich mit Begründungen zu konkreten Gebührenpositionen beschäftigt haben. Übersicht 1 enthält akzeptierte Begründungen, Übersicht 2 nicht akzeptierte. Es handelt sich jeweils um Einzelfallentscheidungen. Eine Gewähr für Erfolg bei ähnlichen Sachverhalten ist nicht garantiert.
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GOZ | Akzeptierte Begründung |
2210 | VG Hannover, Urteil vom 14.05.2014, Az. 13 A 8004/13 Nachformulierte Begründung:
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8010, 8020 | VG Köln, Urteil vom 22.06.2015, Az. 10 K 705/13 Erschwerte Gesichtsbogenübertragung wegen vorhandener craniomandibulärer Dysfunktionen, stark eingeschränkte Mundöffnung |
§ 6 Abs. 1 | AG Schöneberg, Urteil vom 05.05.2015, Az. 18 C 65/14 Die analoge Anwendung der Nr. 2100 GOZ für eine Aufbaufüllung in Mehrschichttechnik mit Kompositmaterial einschließlich Konditionieren ist gerechtfertigt. Die Nrn. 2180 und 2197 GOZ berücksichtigen die Kosten für Kompositmaterialien und die angewandte Mehrschichttechnik nicht. Ebenso ist die Überschreitung des 2,3-fachen des Gebührensatzes bei besonderer Größe der Defekte und aufgrund der Anzahl der einzubringenden Schichten gerechtfertigt. Die Überschreitung muss für den Zahlungspflichtigen verständlich und nachvollziehbar schriftlich begründet sein. |
2180 | VG Hannover, Urteil vom 10.06.2014, Az. 13 A 167/13 Keilförmiger Defekt |
2030 | VG Köln, Urteil vom 10.06.2015, Az. 10 K 705/13
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2197 |
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2270 |
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5120, 5140 | OVG Niedersachsen, Urteil vom 22.03.2018, Az. 5 LA 102/17 Nachformulierte Begründungen:
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5040 |
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5070, 5210 |
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GOZ/GOÄ | Abgelehnte Begründung |
2330 | VG Köln, Urteil vom 10.06.2015, Az.10 K 4705113 Frische Zubereitung der medikamentösen Einlage mit individuell eingestellter Konsistenz |
2440 | VG Hannover, Urteil vom 10.06.2014, Az. 13 A 167/13
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2210 |
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Ä1 | VG München, Urteil vom 06.04.2020, Az. M 17 K 18.4534
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Ä5 |
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0070 |
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0080 |
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2080, 2100 |
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Nähere Erläuterung einer Leistung
Der Zahnarzt hat gegenüber der Beihilfestelle keine Verpflichtung, sein „billiges Ermessen“ bei der Wahl des Steigerungsfaktors, das er bei Erstellung seiner Rechnung bereits ausgeübt hat, zu rechtfertigen. Verlangt der zahlungspflichtige Patient eine Erläuterung, ist der Zahnarzt dazu verpflichtet, eine bereits gegebene Begründung kostenfrei näher zu erläutern (§ 10 Abs. 3 Satz 2 GOZ).
PRAXISTIPP | Signalisieren Sie dem Patienten im Rahmen der Aufklärung, dass die Rechnung gemäß § 10 GOZ unabhängig vom Erstattungsverhalten der Beihilfestelle und PKV zu bezahlen ist. Im Falle von Rückfragen erläutern Sie ihm die Rechnung detailliert. Man kann zwar im späteren Prozess die Erklärungen noch nachliefern. Sinnvoller dürfte aber sein, sich dies zu ersparen und diese auf Nachfrage offenzulegen. |
Weiterführender Hinweis
- In den nächsten Ausgaben von PA erfahren Sie mehr zu Formulierungen für Begründungen und Informationsschreiben für Patienten.