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· Privatliquidation

Beihilfe und Schwellenwertüberschreitung: Welche Begründungen werden akzeptiert?

Bild: ©HNFOTO - stock.adobe.com

von Dental-Betriebswirtin Birgit Sayn, ZMV, sayn-rechenart.de

| Ein einheitliches Beihilferecht existiert in Deutschland nicht. Vielmehr gibt es auf den Ebenen von Bund, Ländern und Kommunen verschiedene Beihilferichtlinien. Diese stellen schon immer besondere Bedingungen an die Begründung des Steigerungsfaktors. Daneben gibt es eine inzwischen umfangreiche Rechtsprechung zu Einzelfragen bei Schwellenwertüberschreitungen. Dieser Beitrag gibt dazu einen Überblick. |

Die Beihilfe ‒ Sonderfall in der privaten Krankenversicherung

Für Beamte ergibt sich mit Blick auf die private Krankenversicherung eine Besonderheit, denn diese Berufsgruppe ist beihilfeberechtigt. Für die Kosten der Behandlung wird ein Zuschuss ‒ keine komplette Kostenübernahme vom jeweiligen Dienstherrn gewährt. In der Regel werden nur 50 Prozent gewährt (für Ehepartner und Kinder sind es meistens 70 bzw. 80 Prozent). Die restlichen Kosten sind mit einem Beihilfeergänzungstarif einer privaten Krankenversicherung abzudecken.

Überschreiten des Schwellensatzes

Ein Überschreiten des Schwellenwerts ist nur zulässig, wenn Besonderheiten ‒ d. h. Schwierigkeit und Zeitaufwand der einzelnen Leistung sowie die Umstände bei der Ausführung ‒ im jeweils konkreten Behandlungsfall gerade in Abweichung von der großen Mehrzahl der Behandlungsfälle dies rechtfertigen. (Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Bayreuth vom 26.06.2018, Az. B 5 K 17.435).

 

Die Nennung bloßer verfahrensbezogener Besonderheiten ohne hergestellten Bezug zum individuellen Abrechnungsfall ‒ z. B. „Anwendung der Mehrfarbentechnik“ oder „Verwendung digitaler Röntgentechnik“ ‒ sind zur Begründung ungeeignet. Höhere Investitionskosten dürfen nicht zulasten des Patienten über erhöhte Gebührenfaktoren ausgeglichen werden. Außer Betracht zu bleiben haben auch Bemessungskriterien, die eine erhöhte Schwierigkeit darstellen, aber in der Leistungsbeschreibung bereits berücksichtigt sind (VG München, Urteile vom 01.08.2018, Az. M 17 K 17.5823 und M 17 K 17.5384).

Angemessenheit des Honoraranspruchs

Grundsätzlich gibt es keine unterschiedliche Angemessenheit hinsichtlich des Honoraranspruchs einerseits und der Beihilfefähigkeit andererseits. Angemessen sind regelmäßig die nach § 5 GOZ vom Zahnarzt rechtmäßigerweise anzusetzenden Gebühren. Die Entscheidung der Beihilfestelle, ob die Aufwendungen notwendig und angemessen sind, ist keine Ermessensentscheidung und unterliegt uneingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Kontrolle (VG Hannover, Urteil vom 10.06.2014, Az. 13 A 8167/13).

 

Begründung für Steigerungssatz nachreichen

Folgende drei Urteile bestätigen, dass Begründungen für Faktorerhöhungen auch nachgereicht werden können:

 

  • Ein Zahnarzt kann die in einer Rechnung erfasste Begründung für das Überschreiten des 2,3-fachen Gebührensatzes auch noch während eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ergänzen, nachholen oder korrigieren (Oberverwaltungsgericht [OVG] Lüneburg, Urteil vom 12.08.2009, Az. 5 LA 368/08).
  • Eine Begründung für einen erhöhten Steigerungssatz kann in einer Stellungnahme nachträglich ergänzt werden (VG Köln, Urteil vom 18.03.2013, Az. 19 K 66 12/11).
  • Der Zahnarzt kann eine zunächst nur stichwortartige Begründung der Steigerungsfaktoren im späteren Verlauf des Verfahrens nachvollziehbar erläutern (VG Köln, Urteil vom 10.06.2015, Az. 10 K 4705113).

Keine beständige Gültigkeit für fälschlicherweise anerkannte Begründung

Das VG München hat sich eingehend mit Begründungen auseinandergesetzt. Im Verfahren hatte der beihilfeberechtigte Patient darauf hingewiesen, dass frühere Rechnungen mit denselben Begründungen als beihilfefähig anerkannt worden seien. Dazu stellt das Gericht fest: „Eine möglicherweise zu Unrecht gewährte Beihilfe begründet keinen Anspruch des Klägers auf eine erneute Erteilung einer Beihilfe. Ein Vertrauensschutz dahingehend, dass die Beihilfestellen verpflichtet sind, eine als rechtswidrig erkannte Abrechnungspraxis weiterhin durchzuführen, gibt es nicht“ (VG München, Urteil vom 06.04.2020, Az. M 17 K 18.4534).

Beihilfe prüft Schwellenwert

Beihilfestellen und Verwaltungsgerichte können in einem Rechtsstreit prüfen, ob schriftliche Begründungen eines Zahnarztes zur Überschreitung des Schwellenwerts nachvollziehbar und gerechtfertigt sind. Dazu muss nicht vorher eine zahnärztliche Stellungnahme oder ein Sachverständigengutachten eingeholt werden (OVG Niedersachsen, Urteil vom 22.03.2018, Az. 5 LA 102/17).

Beihilfestellen müssen ggf. genauer prüfen

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat festgestellt, dass sich eine Beihilfestelle wegen fehlerhafter Nichtgewährung einer Beihilfe für eine zahnärztliche Behandlung schadenersatzpflichtig machen kann: „Bestehen bei der Festsetzungsstelle Zweifel darüber, ob die in der Begründung dargelegten Umstände den Umfang der Überschreitung des Schwellenwerts rechtfertigen, soll sie die Antragstellerin oder den Antragsteller bitten, die Begründung durch die Ärztin, den Arzt, die Zahnärztin oder den Zahnarzt erläutern zu lassen. Werden die Zweifel nicht ausgeräumt, ist mit Einverständniserklärung der beihilfeberechtigten Person eine Stellungnahme der zuständigen Ärztekammer oder Zahnärztekammer oder einer medizinischen oder zahnmedizinischen Gutachterin oder eines medizinischen oder zahnmedizinischen Gutachters einzuholen“ (BGH, Urteil vom 13.10.2011, Az. III ZR 231/10).

Akzeptierte und nicht akzeptierte Begründungen

In den folgenden Übersichten werden Urteile aufgeführt, die sich mit Begründungen zu konkreten Gebührenpositionen beschäftigt haben. Übersicht 1 enthält akzeptierte Begründungen, Übersicht 2 nicht akzeptierte. Es handelt sich jeweils um Einzelfallentscheidungen. Eine Gewähr für Erfolg bei ähnlichen Sachverhalten ist nicht garantiert.

 

  • Übersicht 1: Akzeptierte Sachverhalte
GOZ
Akzeptierte Begründung

 

2210

VG Hannover, Urteil vom 14.05.2014, Az. 13 A 8004/13

Nachformulierte Begründung:

    • Präparation Zahn 26: Präparation einer zirkulären Stufe zur Aufnahme einer Keramikkrone. Dabei wurde aufgrund eines Defekts in der palatinalen Wurzel diese mit in die Präparation einbezogen. Aufgrund des naheliegenden Wurzelkanals ist dies ein zeitaufwendiger und schwieriger Vorgang, da nicht zu viel und dennoch ausreichend Substanz abgetragen werden muss.

8010, 8020

VG Köln, Urteil vom 22.06.2015, Az. 10 K 705/13

Erschwerte Gesichtsbogenübertragung wegen vorhandener craniomandibulärer Dysfunktionen, stark eingeschränkte Mundöffnung

 

§ 6 Abs. 1

AG Schöneberg, Urteil vom 05.05.2015, Az. 18 C 65/14

Die analoge Anwendung der Nr. 2100 GOZ für eine Aufbaufüllung in Mehrschichttechnik mit Kompositmaterial einschließlich Konditionieren ist gerechtfertigt. Die Nrn. 2180 und 2197 GOZ berücksichtigen die Kosten für Kompositmaterialien und die angewandte Mehrschichttechnik nicht. Ebenso ist die Überschreitung des 2,3-fachen des Gebührensatzes bei besonderer Größe der Defekte und aufgrund der Anzahl der einzubringenden Schichten gerechtfertigt. Die Überschreitung muss für den Zahlungspflichtigen verständlich und nachvollziehbar schriftlich begründet sein.

 

2180

VG Hannover, Urteil vom 10.06.2014, Az. 13 A 167/13

Keilförmiger Defekt

 

2030

VG Köln, Urteil vom 10.06.2015, Az. 10 K 705/13

    • Tief subgingival liegende Präparationsgrenze sowie die Stillung einer übermäßigen Papillenblutung
    • Retraktionsfaden, umfangreiches BehandIungsgebiet
    • Erschwerung durch Blutungsneigung, erschwerte Fadenlegung, erhöhter Turgor

2197

    • Schmelz-Dentin-Anomalien, extrem erschwerte Dentinkonditionierung, bedingt durch pathologisch veränderte Dentinglobuli

2270

    • Äußerst erschwerte Einordnung in ein bestehendes Okklusionskonzept

 

5120, 5140

OVG Niedersachsen, Urteil vom 22.03.2018, Az. 5 LA 102/17

Nachformulierte Begründungen:

    • Die Provisorien mussten an die vorhandene Interimsprothese angepasst werden. Sehr zeitaufwendig, umgekehrtes Vorgehen: Aus Stabilitätsgründen wurde z. T. verblockt, gleichzeitig musste eine Bisshebung mitbedacht werden.

5040

    • Für die Teleskopkronen waren mehrere Sitzungen nötig, hier wieder mehrfache Bissbestimmung, Bissrelation, Mesio-Laterotrusionsbestimmungen, Gesichtsbogen, rechts-links Pfeilerdivergenz, in Rückenlage häufiges Schlucken, Rekonstruktion der klinischen Krone wie auch häufigere Abdrucknahme als normal.

5070, 5210

    • Durch die erforderliche Bisshebung in Kombination mit einer gaumenfreien Arbeit waren mehrere Gerüsteinproben erforderlich, um eine stabile Konstruktion bei indifferenter Schleimhautresilienz zu erzielen.
 

 

  • Übersicht 2: Abgelehnte Sachverhalte
GOZ/GOÄ
Abgelehnte Begründung

 

2330

VG Köln, Urteil vom 10.06.2015, Az.10 K 4705113

Frische Zubereitung der medikamentösen Einlage mit individuell eingestellter Konsistenz

 

2440

VG Hannover, Urteil vom 10.06.2014, Az. 13 A 167/13

    • Erschwerter Zugang durch anatomische Verhältnisse wegen Krümmung vor der Wurzelspitze

2210

    • Überdurchschnittliche Schwierigkeiten wegen erschwerter Präparation bei Zahnengstand zum Nachbarzahn 32, Ausbauchung der Zahnkrone 32

 

Ä1

VG München, Urteil vom 06.04.2020, Az. M 17 K 18.4534

    • Überdurchschnittlicher Zeitaufwand wegen eines umfangreichen Aufklärungsgesprächs über den Ablauf des geplanten Zahnersatzes

Ä5

    • Überdurchschnittlicher Zeitaufwand wegen umfassender und aufwendiger symptombezogener Untersuchung

0070

    • „Mehrfach in einem Kieferbereich“ bzw. „aufwendiger Prüfung durch verschiedene Tests“ bzw. überdurchschnittlicher Zeitaufwand „bei überkronten Zähnen“ bzw. überdurchschnittlichem Schwierigkeitsgrad und Zeitaufwand durch extrem vorsichtiges Vorgehen bei hoch akuter Schmerzsymptomatik

0080

    • Überdurchschnittlicher Zeitaufwand wegen eingeschränkter/geringer Mundöffnung, motorischer Instabilität der Zunge, überdurchschnittlicher Zeitaufwand und Schwierigkeitsgrad wegen starkem Speichelfluss sowie Oberflächenanästhesien an mehreren Stellen innerhalb einer Kieferhälfte bzw. eines Frontzahnbereichs

2080, 2100

    • Überdurchschnittlicher Zeitaufwand wegen erschwerter Retentionsfindung, weit überdurchschnittlicher Qualität und Präzision und darauf ausgerichteter Praxisaufwand, schwieriger Farbanpassung und Formgestaltung, schwieriger Kauflächen- bzw. Kontaktpunktgestaltung und schwierig zu erreichender Kavität bzw. schwer zugänglicher Stelle (Engstand, Implantat, Zahnersatz)
 

Nähere Erläuterung einer Leistung

Der Zahnarzt hat gegenüber der Beihilfestelle keine Verpflichtung, sein „billiges Ermessen“ bei der Wahl des Steigerungsfaktors, das er bei Erstellung seiner Rechnung bereits ausgeübt hat, zu rechtfertigen. Verlangt der zahlungspflichtige Patient eine Erläuterung, ist der Zahnarzt dazu verpflichtet, eine bereits gegebene Begründung kostenfrei näher zu erläutern (§ 10 Abs. 3 Satz 2 GOZ).

 

PRAXISTIPP | Signalisieren Sie dem Patienten im Rahmen der Aufklärung, dass die Rechnung gemäß § 10 GOZ unabhängig vom Erstattungsverhalten der Beihilfestelle und PKV zu bezahlen ist. Im Falle von Rückfragen erläutern Sie ihm die Rechnung detailliert. Man kann zwar im späteren Prozess die Erklärungen noch nachliefern. Sinnvoller dürfte aber sein, sich dies zu ersparen und diese auf Nachfrage offenzulegen.

 

Weiterführender Hinweis

  • In den nächsten Ausgaben von PA erfahren Sie mehr zu Formulierungen für Begründungen und Informationsschreiben für Patienten.
Quelle: Seite 7 | ID 47503694