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· Fachbeitrag · Mobbing

Was bedeutet „Mobbing“ und welche Sanktionen sind angemessen?

| Europaabgeordnete sind verpflichtet, die Würde und Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu wahren. Dies gilt auch und insbesondere für Führungskräfte. Damit sind als „Mobbing“ einzustufende Verhaltensweisen gegenüber den Mitarbeitern nicht vereinbar. |

 

Sachverhalt

Der EuGH verhandelte in 2 Sachen (T-275/17 und T 377/17):

 

  • 1. In der ersten Sache T-275/17 stellte eine ehemalige Europaabgeordnete für die letzten Monate ihres auslaufenden Mandats eine Assistentin ein. Einige Zeit später beantragte sie beim Europäischen Parlament, den Vertrag aufzulösen. Sie führte unter anderem aus, dass ihre Assistentin ohne Erlaubnis entschieden habe, eine Woche lang nicht zur Arbeit zu erscheinen. In ihrem Antrag gab sie an, dass ihre Assistentin sie beschimpft habe und anschließend verschwunden sei, als sie sie darauf ansprach. Im Anschluss an die Auflösung des Vertrags stellte die Assistentin einen Antrag auf Beistand ‒ wie im Statut der EU-Beamten vorgesehen. Sie sei Opfer von Mobbing geworden, indem sie von der Abgeordneten erniedrigt, bedroht, beschimpft, gering geschätzt und angeschrien worden sei. Das Parlament wies den Antrag ab. Ein rauer Umgangstons sei zwar für sich genommen bedauernswert, gleichzeitig sei es aber mitunter schwierig gewesen, die Verwendung eines solchen Umgangstons im Stress zu vermeiden.

 

  • 2. In der Sache T-377/17 stellte die Europäische Investitionsbank (EIB) eine Referentin ein. Der neue Direktor strukturierte die Dienststelle um, in der sie tätig war. Das Team, für das sie verantwortlich war, wurde aufgelöst. 2 Jahre später reichte die Referentin Beschwerde ein. Sie wollte feststellen lassen, dass die Verhaltensweisen des neuen Direktors ihr gegenüber ein Mobbing begründeten. Im Wesentlichen warf sie dem Direktor vor, ihre Karriere zum abrupten Ende gebracht zu haben, indem er sie ohne sachlichen Grund von einer Leitungsfunktion entfernt, sie angeschwärzt, sich unangemessen, aggressiv, geringschätzig und anschuldigend geäußert habe. Zudem habe er ihr bestimmte Informationen vorenthalten, ihr kein Feedback über ihre beruflichen Leistungen gegeben und sie gegenüber anderen Personen benachteiligt.
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  • Die EIB gab der Referentin nur in einigen der behaupteten Tatsachen recht. Sie teilte dem neuen Direktor mit, dass sie gegen ihn bei einer erneuten begründeten Beschwerde ein Disziplinarverfahren einleiten werde. Ferner forderte die EIB ihn auf, sich förmlich bei der Referentin zu entschuldigen. Sie beauftragte zudem die für Personalfragen zuständige Dienststelle, die Möglichkeiten für ein berufliches Coaching des Direktors in Bezug auf seinen Führungs- und Kommunikationsstil zu prüfen. Schließlich wies die EIB die Referentin darauf hin, dass das Verfahren streng vertraulich bleiben müsse.

 

Entscheidungsgründe

Mit den Urteilen des EuGH (13.7.18, T-275/17 Michela Curto/Parlament, Abruf-Nr. 202450 und T 377/17 SQ/EIB, Abruf-Nr. 202451) bejahte das Gericht, dass die beiden Beschäftigten Opfer von Mobbing waren. Es verurteilte das Parlament und die EIB, zur Zahlung von je 10.000 EUR Schadenersatz.

 

Das Gericht erinnerte daran, dass der Begriff des Mobbings ein ungebührliches Verhalten umfasse, das über einen längeren Zeitraum, wiederholt oder systematisch in Verhaltensweisen, mündlichen oder schriftlichen Äußerungen, Handlungen oder Gesten zum Ausdruck kommt. Unter Mobbing sei daher ein Vorgang zu verstehen, der notwendigerweise eine gewisse Zeitspanne beinhalte und wiederholte oder andauernde Handlungen voraussetze, die vorsätzlich und nicht zufällig seien. Darüber hinaus müssten diese Verhaltensweisen die Persönlichkeit, die Würde oder die physische oder psychische Integrität einer Person angreifen.

 

Das Gericht stellte klar, dass es nicht beabsichtige, sich auf die Überprüfung zu beschränken, ob ein offensichtlicher Fehler bei der Beurteilung des Sachverhalts vorliegt. Vielmehr sei es seine Aufgabe, den Sachverhalt vollständig zu überprüfen. Hieraus ergab sich:

 

  • 1. Rechtssache T-275/17: Das Gericht wies darauf hin, dass die Europaabgeordneten, ungeachtet ihres Status als Mitglieder eines Organs, verpflichtet seien, die Würde und die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu wahren. Es stellte fest, dass die von der parlamentarischen Assistentin behaupteten Tatsachen durch Zeugen bekräftigt worden seien. Der Wahrheitsgehalt sei weder vom Parlament noch von der Europaabgeordneten infrage gestellt worden.
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  • Der Inhalt und vor allem das besonders niedrige Niveau der Äußerungen der Europaabgeordneten gegenüber ihrer Assistentin sei eine Herabwürdigung sowohl der Person der Assistentin als auch ihrer Arbeit. Das Verhalten der Europaabgeordneten sei missbräuchlich. Es könne in keiner Weise als eine einem Mitglied eines Unionsorgans würdige Haltung angesehen werden. Die Missbräuchlichkeit der Verhaltensweisen der Europaabgeordneten könne auch nicht mit der Nähe der Beziehung zwischen ihr und ihrer Assistentin oder der spannungsgeladenen Atmosphäre, die im Team der für die Europaabgeordnete tätigen parlamentarischen Assistenten geherrscht haben solle, entschuldigt werden. Daraus folge, dass das Parlament, indem es der Auffassung war, dass das Verhalten der Europaabgeordneten nicht missbräuchlich gewesen sei, einen ‒ noch dazu offensichtlichen ‒ Fehler bei der Beurteilung der Tatsachen im Hinblick auf die Definition v„Mobbing“ begangen hat.
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  • Bei der Entschädigung wies das Gericht darauf hin, dass ein Opfer von Mobbing innerhalb eines Unionsorgans eine Schadenersatzforderung gegen den Mobber bei einem nationalen Gericht geltend machen müsse. Das Gericht spreche der Assistentin wegen der unangemessen langen Dauer bei der Behandlung ihres Antrags auf Beistand einen Schadenersatz in Höhe von 10.000 EUR zu.

 

  • 2. Rechtssache T-377/17: Das Gericht stellte fest, dass die EIB einen Rechtsfehler begangen habe. Dieser läge darin, dass sie für Mobbing gefordert habe, dass eine Verhaltensweise, unabhängig von der kumulativen Wirkung der anderen behaupteten Verhaltensweisen, auf das Selbstwertgefühl dessen, gegen den sie gerichtet sind, in der gleichen Weise wiederholt werden müsse. Die EIB habe nicht geprüft, ob jede dem neuen Direktor zur Last gelegte Verhaltensweise in Verbindung mit den anderen objektiv eine Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls und des Selbstvertrauens der Referentin nach sich ziehen könne.
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  • Was die Verhaltensweisen angeht, die aus Sicht der EIB kein Mobbing begründeten, stellte das Gericht fest, dass die EIB die jeweiligen Verhaltensweisen des neuen Direktors erneut prüfen müsse. Sie müsse ermitteln, ob die Verhaltensweisen insgesamt ein Mobbing begründen. Indem die EIB festgestellt habe, dass Disziplinarmaßnahmen gegen den neuen Direktor nur bei wiederholtem Verstoß innerhalb von 3 Jahren eingeleitet werden würden und angesichts der Schwere des Falls unzureichende und ungeeignete Maßnahmen erlassen habe, lägen zumindest in Bezug auf das unmittelbare Vorgehen gegen die von ihr als Mobbing eingestuften Verhaltensweisen Rechtsfehler vor. Zum einen wäre eine solche Sanktion für ein erwiesenes Mobbingverhalten von der Feststellung eines neuen vorwerfbaren Verhaltens abhängig. Zum anderen stünde diese Sanktion angesichts der jedem Mobbingverhalten anhaftenden Schwere nicht im Einklang mit den der auf die EIB anwendbaren Vorschriften im Bereich der Würde am Arbeitsplatz.
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  • Zudem hätte die EIB ihre Entscheidung und das Entschuldigungsschreiben des neuen Direktors nicht mit einem Maß an Vertraulichkeit verbinden dürfen, welches dazu führte, der Referentin zu verbieten, Dritten das Vorliegen dieser Dokumente sowie deren Inhalt preiszugeben. Ein dem Mobbing-Opfer auferlegtes Gebot, über das Vorliegen solcher Tatsachen zu schweigen, würde dazu führen, dass der Betroffene die vom betreffenden Organ getroffenen Feststellungen nicht verwenden könnte. Und zwar insbesondere nicht im Rahmen eines möglicherweise bei einem nationalen Gericht eingeleiteten Verfahrens gegen die Person, von der er gemobbt worden sei. Eine solche Auslegung würde zudem mit dem Ziel kollidieren, jedes Mobbing innerhalb der Unionsorgane zu verhindern und zu sanktionieren, wo doch Mobbing eine Missachtung von Grundrechten des ArbN begründet. Aufgrund dieser dem Opfer zu Unrecht auferlegten Schweigepflicht stände der Referentin ein Schadenersatz von 10.000 EUR zu.

 

Relevanz für die Praxis

Auch auf europarechtlicher Ebene sind ArbN europäischer Institutionen vor Mobbing durch Kollegen und Vorgesetzte geschützt. Weder die spannungsgeladene Atmosphäre im Europaparlament noch die fehlende Wiederholung eines konkreten Einzelverhaltens führen zu einer Einschränkung der Rechte von „Mobbing-Opfern“. Betroffene müssen sich weder einem Schweigegebot noch erkennbar zu milden und unzureichenden Sanktionen gegen den oder die „Mobber“ beugen.

 

Rechtsprechungsübersicht / 8 wichtige Entscheidungen zum Thema Mobbing

BAG

22.10.15, 2 AZR 569/14,Abruf-Nr. 184256

Beharrliche Arbeitsverweigerung aufgrund Mobbings = fristlose KündigungEine beharrliche Arbeitsverweigerung, die geeignet ist, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen, kann auch darin liegen, dass der ArbN sich zu Unrecht auf ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB und/oder ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB beruft. Im vorliegenden Fall wurde einem IT-Spezialisten fristlos gekündigt, da er trotz Abmahnungen und angebotenen Personalgesprächen nicht mehr zur Arbeit erschien. Der ArbN hielt es für unzumutbar weiterhin für seinen ArbG tätig zu sein, da er ihn fortwährend gemobbt habe. Er sei darüber krank geworden, sodass er für neue Aufgaben oder Funktionen keine Kraft mehr gehabt habe.

FG Rheinland-Pfalz21.3.17, 5 K 1594/14,

Abruf-Nr. 193461

AGG-Schadenersatz des ArbG kann steuerfrei sein

Muss der ArbG einem ArbN eine Entschädigung wegen Diskriminierung, Mobbing oder sexueller Belästigung zahlen, ist diese Zahlung mangels Lohncharakter steuerfrei. Das gilt auch, wenn der ArbG die behauptete Benachteiligung bestritten und sich lediglich in einem gerichtlichen Vergleich zur Zahlung bereit erklärt hat.

Arbeitsgericht Eisenach 30.8.05, 3 Ca 1226/03

Anspruch auf Schmerzensgeld und Geldentschädigung wegen psychischer Erkrankung infolge systematischen Mobbings am Arbeitsplatz

Erleidet eine ArbN aufgrund systematischen Mobbings durch ihre Vorgesetzte eine psychische Erkrankung und wird dadurch dauerhaft arbeitsunfähig, steht ihr gegen die Vorgesetzte ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgelds wegen der Verletzung der Gesundheit und einer Geldentschädigung zu. Unternimmt der ArbG nichts gegen das Mobbing, so haftet er ebenfalls auf Zahlung eines Schmerzensgelds und einer Geldentschädigung.

 BAG

11.12.14, 8 AZR 838/13,Abruf-Nr. 143657

Schmerzensgeld wegen Mobbings kann „verwirken“ ‒ aber nicht durch „Zuwarten“

Ein von einem ArbN gegen seinen früheren Vorgesetzten wegen Mobbings geltend gemachter Schmerzensgeldanspruch kann verwirken. Dafür genügt es nicht, dass bloß „zugewartet“ wird bzw. der Antragsteller eine gewisse Zeit lang untätig geblieben ist.

BAG25.10.07, 8 AZR 593/06, Abruf-Nr. 073297

Mobbing-Opfer: Kein Anspruch auf Entlassung des mobbenden Kollegen

Der ArbG haftet nach § 278 BGB für Schäden, die einer seiner ArbN dadurch erleidet, dass ihn sein Vorgesetzter schuldhaft in seinen Rechten verletzt. Er haftet für Verdienstausfall, Behandlungskosten und Schmerzensgeld. Dagegen kann der ArbN nicht verlangen, dass der „Peiniger“ entlassen wird.

LAG Düsseldorf26.3.13, 17 Sa 602/12

Abruf-Nr. 170369

Kein Mobbing: Schmerzensgeldforderung von 893.000 EUR zurückgewiesen

Nicht jede berechtigte oder überzogene Kritik durch den ArbG ist als eine Persönlichkeitsverletzung anzusehen. Die Forderung des ArbN auf Schmerzensgeld von 893.000 EUR wegen Mobbings war daher ungerechtfertigt.

Hessisches LSG23.10.12, L 3 U 199/11

Mobbing am Arbeitsplatz keine Berufskrankheit

Mobbing am Arbeitsplatz und seine gesundheitlichen Folgen sind weder als Berufskrankheit noch als Arbeitsunfall von der gesetzlichen Unfallversicherung zu entschädigen.

 BGH

 9.3.11, IV ZR 137/10,

Abruf-Nr. 111122

AU durch Mobbing begründet Anspruch auf Krankentagegeld

Arbeitsunfähigkeit liegt auch vor, wenn sich der Versicherte an seinem Arbeitsplatz einer tatsächlichen oder von ihm als solcher empfundenen Mobbingsituation ausgesetzt sieht, hierdurch psychisch oder physisch erkrankt und infolgedessen seinem bisher ausgeübten Beruf in seiner konkreten Ausprägung nicht nachgehen kann.

 
Quelle: Seite 130 | ID 45409635